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Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 13, 31. März 2000
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eltweit werden immer weniger Obduktionen durchgeführt: Wurden 1964 in den USA noch 41 Prozent aller in Krankenhäusern verstor- benen Patienten obduziert, liegt die Obduktionsrate (OR) 1999 in den meisten amerikanischen Kran- kenhäusern zwischen null und fünf Prozent. Deutschland folgt dieser Tendenz (1980: 14,6 Prozent, 1995:1,2 Prozent). Die Ursachen für den Rückgang der Obduktionsraten sind vielfältig.
Das Interesse der Kliniker an Obduktionsergebnissen hat nach- gelassen, da viele Ärzte der Auf- fassung sind, dass die heutige kli- nische Diagnostik – moderne Ver- fahren der Labormedizin, der Molekularbiologie und Immuno- logie sowie die bildgebenden Ver- fahren und die Endoskopie – eine hohe Diagnosesicherheit zur Fol- ge hätten.
US-amerikanische Autoren ver- treten die Meinung, dass in Kran- kenhäusern die klinische und die pathologisch-anatomische Diagno- se nach wie vor in etwa 40 Prozent der Fälle nicht übereinstimmen.
Etwa 35 bis 40 Prozent der in den europäischen Universitätskli- niken als todesursächlich vermute- ten pathogenetischen Prozesse – lautet eine weitere Annahme – ste- hen in deutlicher Diskrepanz zum Ergebnis klinischer Obduktionen.
In diesen Fällen seien die klini- schen Diagnosen nicht völlig falsch, aber doch korrekturbedürftig, er- gänzungsbedürftig und insgesamt verbesserungswürdig.
Wie das Robert Koch-Institut in seinem Epidemiologischen Bul- letin (5/2000) berichtet, mussten am Institut für Klinische Patholo- gie der Universität Wien die klini- schen Todesursachen in den Jahren 1990 bis 1993 bei 4 702 Obduktio-
nen in 314 Fällen (6,7 Prozent) voll- ständig und in 900 Fällen (19,1 Pro- zent) teilweise korrigiert werden.
Pathologen, Epidemiologen, Juristen und Versicherungen wei- sen darauf hin, dass die jetzige Si- tuation negative Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben wird, und drängen auf eine Trendwende.
Verbreitet werden Obduktionsra- ten von 30 Prozent aller Verstor- benen zur Qualitätssicherung in einem entwickelten Gesundheits- wesen gefordert. „Eine deutlich höhere Obduktionsrate kann einen wirksameren Beitrag zur Qualitäts- sicherung in der Medizin – insbe- sondere der internen Qualitätssi- cherung in Krankenhäusern – lei- sten als manches ausgeklügelte bürokratische Verfahren“, heißt es im Epidemiologischen Bulletin.
Landes-Sektionsgesetze seien hier- für zwar wünschenswert, aber kei- ne unbedingte Voraussetzung. EB
Bedenklicher Rückgang
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ürgen Schrader, der Vorsit- zende des Deutschen Werbe- rats, befürchtet Ungemach.Das Bundesgesundheitsministe- rium (BMG) will mit der Wer- bewirtschaft „Gespräche führen“, Thema: Einschränkung der Alko- holwerbung!
Unter anderem plane das BMG, sagte Schrader, die TV- und Hörfunkwerbung einschließlich Sponsoring für alkoholische Pro- dukte zwischen sechs und 22 Uhr sowie auf Sportveranstaltungen zu verbieten. Für den Vorsitzenden des Werberats liefe dies auf eine
„Bevormundung der Werbeselbst- disziplin“ hinaus.
Einen Zusammenhang zwi- schen Alkoholwerbung und Al- koholmissbrauch sieht Schrader nicht. Wissenschaftliche Unter-
suchungen hätten nachgewiesen, dass Werbung allenfalls ein politi- scher Sündenbock für Missbrauch von Alkohol sei, in keinem Fall aber dessen Ursache. Es sei ge- sundheitspolitische Augenwische- rei, die Werbeeinnahmen der Me- dien auszutrocknen und die Wett- bewerbsfähigkeit der Industrie zu torpedieren. Solche Schäden rich- te ein Reklameverbot für alkoho- lische Getränke allerdings an, oh- ne den Alkoholmissbrauch zu be- seitigen.
Außerdem sei es widersprüch- lich, kreidete Schrader dem BMG an, andere Drogen zu legalisieren und gleichzeitig die Alkoholpro- duktion zu diffamieren. Während der Werberat bereits eine Geset- zesinitiative des BMG kommen sieht, falls er die Werberegeln nicht
„freiwillig“ ändert, will das Mini- sterium davon (noch) nichts wis- sen. Die Drogenbeauftragte Chri- sta Nickels will vielmehr mit der Werbewirtschaft einen Kompromiss suchen. Das Ziel soll sein: ein stär- keres Problembewusstsein in der breiten Öffentlichkeit. In bestimm- ten Lebenssituationen, unter ande- rem in der Schwangerschaft, solle auf Alkohol verzichtet werden.
Kompromiss oder Gesetz?
Am 12. April behandelt der Bun- desgerichtshof der Europäischen Union die Klage der Bundesregie- rung und der Werbewirtschaft ge- gen das Verbot der direkten und indirekten Tabakwerbung. Das Urteil könnte das weitere Vorge- hen des Bundesgesundheitsmini- steriums zur Alkoholreklame be- einflussen. Lina Panitz