DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Arzneimittelfestbeträge:
Preiserhöhungen werden berücksichtigt
andergesetzt haben, ob es nicht we- niger einschneidende Mittel als die Einsichtnahme in die Originalkran- kenakten gibt, die ebenfalls eine sachgemäße Überprüfung der Rech- nungsführung ermöglichen. Dies war um so mehr geboten, als es sich im konkreten Fall um Unterlagen psychiatrisch kranker Patienten han- delte. Wegen der gerade in diesem Gebiet gegebenen hohen Sensibilität der Daten hätte dieser Aspekt einer sorgsameren Überprüfung bedurft.
Qualitätsunterschiede Soweit das Gericht ausführt, daß die Verhältnismäßigkeit auch des- halb gewahrt sei, weil die Beamten des Rechnungshofes ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet seien, kann dies nicht überzeugen. Die be- amtenrechtliche Verschwiegenheits- pflicht dient primär der Funktionsfä- higkeit der Verwaltung und nicht, wie die ärztliche Schweigepflicht, dem Individualschutz. Es besteht so- mit ein qualitativer Unterschied zwi- schen beamtenrechtlicher Ver- schwiegenheit und der ärztlichen.
Schweigepflicht. Nur wenn der Pa- tient sichergehen kann, daß Tatsa- chen über seinen Gesundheitszu- stand nicht in unbefugter Weise Dritten zur Kenntnis gebracht wer- den, wird er sich dem Arzt gegen- über in der für die Behandlung not- wendigen Form erklären. Als Bei- spiel sei etwa nur auf einen HIV-In- fizierten verwiesen, der sich oftmals nur dann dem Arzt anvertraut, weil er regelmäßig davon ausgehen kann, daß dieser zur Verschwiegenheit ver- pflichtet ist.
Im Hinblick auf die aufgezeigten Schwächen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist es zu begrüßen, daß die betroffenen Arzte beabsichtigen, in dieser Sache das Bundesverfassungsgericht anzuru- fen. Es ist in der Tat klärungsbedürf- tig, ob in der vom Bundesverwal- tungsgericht zugelassenen Weise in die Privatsphäre von Patienten ein- gegriffen werden kann und ob Ärzte, denen die Patientendaten anvertraut werden, dieses widerspruchslos hin- nehmen müssen.
Ulrike Wollersheim, KBV, Köln
Die Einführung der Festbeträge für Arzneimittel wurde nicht mit der Preisentwicklung der letzten Jahre begründet, sondern mit dem über- höhten Preisniveau. Es liegt in der Bundesrepublik Deutschland zum Teil 60 Prozent über dem europä- ischen Durchschnitt. Die Spitzenver- bände der Krankenkassen haben die ersten Festbeträge zum 1. Septem- ber 1989 in Kraft gesetzt. Selten wur- den die bisherigen Preise der Origi- nalhersteller dabei weniger als 30 Prozent unterschritten; in einem Fall um nahezu 70 Prozent. Danach hat sich auf dem Festbetragsmarkt ein um rund 19 Prozent vermindertes Preisniveau eingestellt. Erwartet werden können dadurch jährliche Einsparungen der gesetzlichen Krankenkassen von rund 420 Millio- nen DM brutto. Infolge dieser Preis- änderungen hat sich das Preisniveau, bezogen auf den gesamten Arznei- mittelmarkt, um rund 1,6 Prozent verringert. Es hätte sich ohne die Festbeträge im Jahr 1989 vermutlich zumindest um den gleichen Prozent- satz erhöht. Die Krankenkassen wer- ten dies als einen Erfolgsbeleg der Gesundheitsreform, zumal mit den geltenden Festbeträgen erst 10 Pro- zent des Gesamtmarktes erfaßt wur- den.
Eine erste Bilanz muß aber die Entwicklung des gesamten Arznei- mittelmarktes einbeziehen, also auch die 90 Prozent, die von den Festbe- trägen bis heute nicht erfaßt wurden.
Hier konnten im Vorfeld und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Festbeträge Preiserhöhungen der Originalhersteller beobachtet wer- den, die im Durchschnitt bei rund acht Prozent liegen. Sie beschränk- ten sich zunächst nur auf eng be- grenzte Teilmärkte, so daß das Preis- niveau auf dem gesamten festbe- tragsfreien Markt nur um 0,25 Pro- zent gestiegen ist. Dadurch werden allerdings Mehrausgaben der Kran- kenkassen in einer Größenordnung von rund 50 Millionen DM bewirkt.
Ein beträchtlicher Teil der Einspa-
rungen aus der ersten Festbetrags- runde ist somit an anderer Stelle ver- loren gegangen.
Bleibt das Verordnungsverhal- ten in den Praxen der Kassenärzte von den „kompensatorischen" Preis- erhöhungen unberührt, dann wird der Erfolg der Festbetragsregelung teilweise eingeschränkt. Die Kran- kenkassen müßten sich dann aller- dings bei der weiteren Festsetzung von Festbeträgen an dem Preisni- veau bei Inkrafttreten des „Gesund- heits-Reformgesetzes" orientieren.
Eine Orientierung an den durch- schnittlichen Produktionskosten bei- spielsweise patentfreier Produkte wäre zu bedenken. Auch müßten die Gruppenbildung im Bundesausschuß der Arzte und Krankenkassen sowie das Festsetzungsverfahren selbst weiter beschleunigt werden, um Kompensationsstrategien vorzugrei- fen.
Das „Gesundheits-Reformge- setz" (GRG) hat der Selbstverwal- tung der Ärzte und Krankenkassen zur Flankierung der Festbetragsre- gelung das Instrument der Richtgrö- ßen an die Hand gegeben. Die Richt- größen des GRG sollen primär dazu dienen, die Expansion des Arznei- mittelmarktes von ihrer Mengen- und Strukturkomponente her zu.
bremsen. Rund zwei Drittel der jähr- lichen Ausgabensteigerungen für Arzneimittel sind auf die Zunahme der Zahl der Verordnungen und auf die sogenannte Strukturkomponente (Packungsgröße, Darreichungsform) zurückzuführen.
Bei Richtgrößen wäre allerdings auch die Preiswürdigkeit der Ver- ordnungen zu berücksichtigen.
Dipl.-Volkswirt Karl-Heinz Schönbach Bundesverband der Betriebskrankenkassen Postfach 10 05 65 4300 Essen 1
Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989 (25) A-3373