• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Palliativmedizin: Eine Alternative zur aktiven Euthanasie" (16.04.2004)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Palliativmedizin: Eine Alternative zur aktiven Euthanasie" (16.04.2004)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

urch die Entwicklung in den Nie- derlanden und in Belgien wird in- zwischen auch in Deutschland die Frage einer Legalisierung der ärztli- chen Tötung auf Verlangen und der Bei- hilfe zum Suizid in Situationen „uner- träglichen Leids“ lebhaft diskutiert. In- nerhalb der Ärzteschaft bestehen noch immer große Unsicherheiten und Wis- sensdefizite um die Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht und die Bedeutung des Patientenwillens in konkreten Ent- scheidungssituationen. Viele Ärzte ha- ben Bedenken, ob nicht doch medizin- ethische und rechtliche Prinzipien ver- letzt werden, wenn nicht alle Möglich- keiten der modernen Medizin zum Le- benserhalt auch bei schwerstkranken und sogar sterbenden Patienten ange- wendet werden. Die Möglichkeiten der Palliativmedizin werden besonders in Deutschland als angemessene Antwort auf die Forderungen nach einer ähnli- chen Regelung wie in den Niederlan- den angesehen.

Angeregt durch Umfragen in ande- ren Ländern und vor dem Hintergrund der Euthanasiegesetzgebung in den Niederlanden und Belgien hat der Ar- beitskreis „Ethik“ der Deutschen Ge- sellschaft für Palliativmedizin (DGP) im Jahr 2002 die Mitglieder dieser Fach- gesellschaft schriftlich befragt. Mit ei- nem Fragebogen, bestehend aus 14 Multiple-Choice-Fragen, wurde in hy- pothetischen Szenarien nach der Ein- stellung zu verschiedenen Formen der Sterbehilfe gefragt. Bei den Antworten konnte zwischen „Zustimmung“ und

„Ablehnung“ sowie „teilweiser Zustim- mung“ und „eher Ablehnung“ gewählt werden. Durch Zusatzfragen wurde die Selbsteinschätzung von Kenntnissen medizinethischer Grundsätze, Richtli- nien und Prinzipien ermittelt.

Es wurden 756 Fragebögen ausge- wertet. Die Rücklaufquote bei den Mit- gliedern der DGP betrug 61 Prozent, sodass die Befragung für die Ärzte die- ser Fachgesellschaft repräsentativ ist.

Als Vergleichsgruppe wurden 505 von Ärzten beantwortete Fragebögen, die nicht der DGP angehören, herangezo- gen. Gut vertraut waren die in der Ster- behilfedebatte geläufigen Begriffe bei

76 Prozent der Ärzte der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, wäh- rend von den Ärzten der Vergleichs- gruppe nur 49 Prozent angaben, die De- finitionen gut zu kennen. Nur 1,6 Pro- zent der Ärzte der DGP befürworteten eine gesetzliche Regelung zur Euthana- sie, acht Prozent der Ärzte teilweise, wohingegen bei den anderen 8,5 bezie- hungsweise 17,8 Prozent teilweise eine Legalisierung begrüßen würden (Gra- fik 1). Bei einer eigenen Erkrankung würden jedoch 11,6 Prozent der DGP- Ärzte und 30,4 Prozent der Ärzte der Vergleichsgruppe eine gesetzliche Re- gelung zur aktiven Sterbehilfe zumin- dest teilweise befürworten. Auch für ei-

ne gesetzlich gesicherte Regelung des medizinisch assistierten Suizids bei fort- geschrittener unheilbarer Erkrankung ergab sich mit 25,2 Prozent der Ärzte der DGP eine geringere Unterstützung als bei der Vergleichsgruppe mit 40,1 Prozent, wohingegen bei eigener Er- krankung 29,4 beziehungsweise 43,5 Prozent die Möglichkeit einer „legali- sierten“ Selbsttötung befürworteten. In beiden Gruppen spra- chen sich mehr als 90 Prozent für die Mög- lichkeit einer Sedierung bis zum Tode bei „uner- träglichem Leid“ aus.

Überraschend hoch war bei beiden Grup- pen mit 63,3 Prozent beziehungsweise 66,8 Prozent der Wunsch nach einer gesetzlichen Regelung der Möglich- keit einer Therapiebe- endigung in aussichts- losen Krankheitssitua- tionen ohne ausdrückli- che Willensbekundun- gen des Betroffenen beziehungsweise der Angehörigen. „Eigene ethische Überzeugungen“ und „professionelle Erfahrung“ waren in beiden Gruppen mit mehr als 80 Prozent der Haupt- grund für die ablehnende Haltung zu einer Legalisierung der Sterbehilfe.

„Fachliches Wissen“, „Kenntnis von Al- ternativen“ und „medizinische Grund- sätze“ fanden sich in der Selbsteinschät- zung der Ärzte der Vergleichsgruppe weniger häufig als bei den Ärzten der DGP. „Religiöse Überzeugungen“ wur- den nur von 27,9 beziehungsweise 20,4 Prozent als wichtiger Grund genannt, wohingegen die „deutsche Vergangen- heit“ nur bei 4,7 Prozent aller Ärzte für T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1616. April 2004 AA1077

Palliativmedizin

Eine Alternative zur aktiven Euthanasie

Eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für

Palliativmedizin zu verschiedenen Formen der Sterbehilfe

Christof Müller-Busch Eberhard Klaschik Susanne Woskanjan

Angesichts der Defizite in der Versorgung alter und schwerst- kranker Menschen sollten die Möglichkeiten der Palliativmedi- zin stärker gefördert werden.

Foto:JOKER

(2)

die eigene Einstellung eine Rolle spiel- te(Grafik 2).

Die Grundsätze der Bundesärzte- kammer zur ärztlichen Sterbebeglei- tung und die Handreichungen zum Um- gang mit Patientenverfügungen waren bei 64,5 beziehungsweise 61,4 Prozent der DGP-Ärzte gut bekannt, wohinge- gen sich nur 26,7 beziehungsweise 42,2 Prozent der Ärzte der Vergleichsgrup- pe zu einer Vertrautheit mit diesen Do- kumenten bekannten. Auch die Kennt- nis der Rechtslage in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zur Sterbehilfe lag mit circa 50 Prozent bei den DGP-Ärzten doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe. Eine „Pro- Euthanasie“-Einstellung scheint bei deutschen Ärzten im Vergleich zu ver- schiedenen Untersuchungen in anderen Ländern relativ selten zu sein. Die Er- gebnisse der Befragung verdeutlichen zudem den hohen Stellenwert palliativ- medizinischer Kenntnisse und Prinzipi- en sowie professioneller Erfahrung.

Unsicherheit im Umgang mit Grenzsituationen

Allerdings zeigte sich in den Antworten aller Ärzte für das in dem Fragebogen dargestellte Szenario einer möglichen Therapiebeendigung bei infauster Pro- gnose ohne Zustimmung des Betroffe- nen beziehungsweise der Angehörigen eine erstaunlich große Unsicherheit im Umgang mit Grenzsituationen. Die Fra-

ge der rechtlichen Zulässig- keit von Therapiebegrenzung beziehungsweise -beendigung bei infauster Prognose be- schäftigt die Betroffenen, Pflegenden und die Ärzte- schaft, aber auch die prakti- sche Rechtspflege in zuneh- mendem Maße – in mehr als 60 Prozent der Antworten in dieser Befragung wurde eine rechtliche Regelung gefor- dert. Mehr als 50 Prozent der Ärzte gaben aber auch an, Therapieverzichtsmaßnahmen ohne ausdrückliche Zustim- mung der Betroffenen vorge-

nommen zu haben. In den Antworten dieser Untersuchung manifestiert sich die Erkenntnis, dass das Leben eines Menschen nicht unter allen Umständen erhalten oder verlängert werden muss.

Deutlich wird aber auch eine in Deutschland stärker als in anderen Län- dern ausgeprägte „Privatautorität“ einer traditionellen, paternalistischen Hal- tung, die Urteilsbildung und Verhalten in solchen Grenzsituationen mehr dem in- dividuellen Gewissen als der Auseinan- dersetzung mit dem Patientenwillen überantwortet. Ob die im März 2003 ge- troffene Entscheidung des Bundesge- richtshofs zum Genehmigungsverfahren eines Behandlungsabbruchs bei nicht- einwilligungsfähigen Patienten die recht- liche Unsicherheit für die Praxis beseiti- gen konnte und in Grenzsituationen ei- ne angemessene und ethisch verantwort-

bare Entscheidungsfindung erleichtert, ist nicht nur in medizinischen Kreisen zumindest umstritten.

In der Untersuchung der DGP wird die Bedeutung der Palliativmedizin als mögliche Alternative in der Debatte zur Legalisierung der aktiven Sterbehil- fe eindrucksvoll dokumentiert. Ange- sichts der Defizite in der Versorgung al- ter, schwerstkranker und sterbender Menschen sollten allerdings nicht nur die Möglichkeiten der Palliativmedizin bei Studierenden, Ärzten und Pflegen- den stärker gefördert werden, sondern auch die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen hinterfragt werden, die das Verlangen nach Euthanasie als mo- ralisch gerechtfertigt erscheinen lassen.

Nur wenn es gelingt, im gesellschaftli- chen Dialog die Frage des „würdigen Sterbens“ zu enttabuisieren und mit al- len Betroffenen Verständigung über Bedingungen und Werte in der Beglei- tung der letzten Lebensphase zu finden, kann auch das Vertrauen in die Ärzte- schaft über ihre Rolle in dieser Frage gefestigt werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1077–1078 [Heft 16]

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. H. Christof Müller-Busch Abteilung für Anästhesiologie, Palliativmedizin und Schmerztherapie am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe

Kladower Damm 221, 14089 Berlin E-Mail: muebu@havelhoehe.de T H E M E N D E R Z E I T

A

A1078 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1616. April 2004

Grafik 1

Einstellung von DGP-Ärzten und Ärzten der Vergleichsgruppe zur Legalisierung der Euthanasie

80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 %

Zustimmung Teilweise Eher dagegen Ablehnung Zustimmung

78,9 %

55,6 %

17,2 % 10,8 % 8,0 %

1,6 % 8,5 %

17,8 % DGP-Ärzte (n=251) Andere Ärzte (n=505)

Grafik 2

Vorwiegende Gründe der Antworten von Ärzten zu Fragen einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe

Eigene Prinzipien Professionelle Erfahrung Kenntnis Grundsätze der BÄK Richtlinien im Umgang mit PV Fachliches Wissen Kenntnis von Alternativen Rechtslage in Deutschland Medizinethische Prinzipien Rechtslage in den Niederlanden Religiöse Überzeugungen Deutsche Vergangenheit

DGP-Ärzte (n=251) Andere Ärzte (n=505)

82,9 % 82,2 % 57,8 %

64,5 % 61,4 % 42,2 %

56,6 % 46,7 %

55,0 % 30,5 %

49,8 % 32,5 %

46,2 % 38,4 % 35,9 % 17,0 %

27,9 % 20,4 % 4,4 %

4,6 %

26,7 %

72,1 %

Das Literaturverzeichnis ist im Internet unter www.

aerzteblatt.de/lit1604 abrufbar. Die Langfassung des Beitrags ist unter www.aerzteblatt.de/plus1604 abrufbar.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

erhaltender Therapien zu respektie- ren ist, auch wenn dieser sich nicht mit der vom Arzt für angemessen an- gesehenen Therapie deckt. 13) An- ders ausgedrückt bedeutet dies, daß

Anders die sehr viel besser gestellten bisherigen staatlichen Einrichtungen: Sie sollen nicht nur für eine nicht exakt festge- legte Übergangszeit zur Teilnahme an der

Wenn, wie Herr Doerner abschlie- ßend sagt, „diese Fragen" diskutiert werden müssen, dann muß dies nicht nur auf eine faire und vernünftige Weise geschehen; es ist auch

Weitere Studien bei Patienten mit „congestive heart failure“ weisen darauf hin, daß sich ACE-Hemmer undAngiotensin-II-Rezeptor-Blocker zumindest in einem Teil ihrer Wirkun-

Nach Erhebungen der Bundesärztekammer wird die Zahl der aus Altersgründen ausscheiden- den Ärzte zurückgehen; bereits heu- te sind 45,8 Prozent aller tätigen Ärzte zwischen 40 und

Nach einer Interpretation von Antonius Weber, Haupt- geschäftsführer des Deut- schen Bäderverbandes, ist mitentscheidend für diese Entwicklung eine strukturelle Veränderung

Bisher sind sich trotz weitgefächerter Informationsmaßnahmen des Sächsi- schen Staatsministeriums für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirt- schaft nur wenige Menschen des Ge

Auf universitärer Ebene steht die Dresdner Akademie für Palliativmedizin und Hospiz- arbeit in enger Zusammenarbeit mit Fakultä- ten der Technischen Universität Dresden,