Auf dem Kieler Seminar faßte der Erste Vorsitzende der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung, Dr.
med. Ulrich Oesingmann, diese Kri- tik nochmals zusammen:
~ Den niedergelassenen Ärz- ten in der DDR wird zugemutet, mit einem hoffnungslos veralteten Ge- bührenverzeichnis und viel zu niedri- gen Fallpauschalen, aber ohne Inve- stitionszuschüsse für die Einrichtung einer Praxis in die freiberufliche Exi- stenz starten zu müssen. Anders die sehr viel besser gestellten bisherigen staatlichen Einrichtungen: Sie sollen nicht nur für eine nicht exakt festge- legte Übergangszeit zur Teilnahme an der ambulanten Versorgung be- rechtigt werden, sondern darüber hinaus noch finanzielle Zuschüsse zu ihrer Sanierung erhalten.
~ Die Zulassung zur Kassen- praxis soll davon abhängig gemacht werden, ob neben den fortbestehen- den und staatlich geförderten Poli- kliniken und Ambulatorien ein Be- darf für eine Kassenzulassung zuge- standen wird.
~ Den Kassenärztlichen Verei- nigungen in der DDR will man- ent- gegen dem bewährten System in der Bundesrepublik - nur den Sicher- stellungsauftrag für die ambulante Versorgung durch Kassenärzte zubil- ligen.
Alles in allem: Von einer Chan- cengleichheit könne bei einer derar- tigen Konstellation überhaupt nicht die Rede sein; der angeblich ange- strebte zügige Ausbau der Versor- gung durch niedergelassene Kassen- ärzte werde somit zur reinen Farce.
Plädoyer für eine
behutsame Umwandlung Umgekehrt machte Oesingmann den Volkskammer-Abgeordneten deutlich, daß ein ungeteilter Sicher- stellungsauftrag für die Kassenärzt- lichen Vereinigungen nicht als Zwang zur Niederlassung interpre- tiert werden dürfe. "Wir können die Systeme angleichen, ohne irgend je- mandem wehzutun." Da rund 90 Prozent der ambulanten Versorgung in der DDR derzeit durch Poliklini- ken und Ambulatorien gewährleistet werden, gibt es keinen Zweifel dar- an, daß diese Einrichtungen für eine
Übergangszeit fortbestehen müssen.
Aber diese Zeitspanne müsse klar bemessen sein, forderte Oesingmann gegenüber den Abgeordneten. So- wohl Polikliniken als auch Ambula- torien müssen über den Weg der Er- mächtigung in das System der kas- senärztlichen Versorgung eingebun- den werden. Alles andere wäre selbst für die Übergangszeit eine falsche Weichenstellung.
Daß für die schrittweise Um- wandlung der staatlichen Einrich- tungen in freie Praxisformen zahlrei- che Möglichkeiten vorhanden sind, belegte Dr. med. Eckhard Weisner, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein und Vorstandsmitglied der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung beispiel- haft an den - auch auf DDR-Ver- hältnissen übertragbaren - ärzt- lichen Kooperationsformen wie Ge- meinschaftspraxis, Praxisgemein- schaft, Apparategemeinschaft.
Oesingmann und Weisner ap- pellierten an die Volkskammer-Ab- geordneten, gerpeinsam mit der westdeutschen Arzteschaft darauf hinzuwirken, daß bereits bei der Übergangsgesetzgebung in allen Be- reichen die Voraussetzungen für ei- ne freiheitliche Neuordnung des Ge- sundheitswesens in der DDR ge- schaffen werden. Fehlentwicklungen seien im nachhinein nur noch schwer zu korrigieren.
Der eigene Wissensstand, resü- mierten die Abgeordneten nach dem ganztägigen Seminar, sei durch die Veranstaltung erheblich gewachsen.
Gleichwohl brauche das erforder- liche Umdenken aller "von ganz oben nach ganz unten" wohl noch ei- ne geraume Zeit, da 40 Jahre soziali- stischer Erziehung und staatlicher Bevormundung nicht von heute auf morgen "aus den Köpfen herauszu- bringen sind". Es bedürfe wohl auch noch einer langen Zeit der Hilfe durch die Bundesrepublik Eine Hil- fe, die dankbar angenommen werde.
Für die weiteren Beratungen in der Volkskammer nahmen die Abge- ordneten nach eigenem Bekunden den Vorsatz mit, nur für die Erhal- tung dessen einzutreten, was nach
"strenger Prüfung, insbesondere un- ter Wirtschaftlichkeitsaspekten, er- haltenswett ist". JM
A-2364 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 31/32, 6. August 1990
Anhaltszahlen:
Regelung für Ärzte weiter verzögert
Die Fachabteilung "Gesundheit, Krankenversicherung" des Bundes- arbeitsministeriums (Referat Va 4) hat den Verbänden und Gewerk- schaften der Krankenhausberufe so- wie der Bundesärztekammer mitge- teilt, daß seit dem 1. Juli 1990 ledig- lich für den Bereich des Pflegedien- stes die Voraussetzungen zum Erlaß einer Rechtsverordnung durch die Bundesregierung über Personalan- haltszahlen gegeben seien. Hier sei die in § 19 Abs. 1 vorgegebene Jah- resfrist (für eine Vertragslösung) verstrichen, so daß der Bundesver- ordnungsgeber jetzt am Zuge sei, ei- ne Rechtsverordnung zu erlassen.
J?agegen soll für den Bereich des Arztlichen Dienstes an Krankenhäu- sern weiter verhandelt werden, ehe auch hier der Verordnungsgeber in Obligo genommen werden kann.
Die Deutsche Krankenhausge- sellschaft (DKG) hat mit der Vorla- ge eines "Analytischen Er!Pittlungs- konzeptes" für den Arztlichen Dienst am 21. März 1990 die im Ge- setz vorgesehene Einjahresfrist "ein- geläutet", so daß nach Auffassung des Arbeitsministeriums hinsichtlich der Personalbemessung im Ärzt- lichen Dienst sowie für Hebammen/
Entbindungspfleger zunächst die Verhandlungen über das DKG-Kon- zept abzuwarten sind, ehe die Rechtsfolgen des § 19 Abs. 2 KHG eintreten. Inzwischen hat die Bun- desärztekammer dieser Rechtsauf- fassung mit dem Hinweis widerspro- chen, es sei unverständlich, daß in das eingeleitete Verordnungsverfahren nicht auch zugleich das von der DKG vorgelegte Konzept für den Ärzt- lichen Dienst einbezogen wurde.
Offenbar spekuliert das Bundes- arbeitsministerium auf Zeitgewinn, und die Krankenkassen würden durch die erneute Fristverlängerung durch den Bundesarbeitsminister in- soweit salviert, moderne Personalan- haltszahlen für alle Beschäftigtengrup- pen im Krankenhaus zu akzeptieren
und ausreichend zu dotieren. HC