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Archiv "Professionelles Selbstverständnis in der Palliativmedizin: Ärzte, aber keine Heiler" (09.11.2012)

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A 2244 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 45

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9. November 2012

L

etztlich bin ich eine Art ande- rer Arzt geworden! In meiner Ausbildung ging es um die Beherr- schung von Erkrankungen. Hier heißt es jetzt, mit der Erkrankung leben, Symptome behandeln und sich mit dem Tumor nicht anlegen.“

Mit diesen Worten fasst ein in der Palliativversorgung tätiger Allge- meinmediziner seine persönliche berufliche Entwicklung zusammen.

Für eine qualitative Inhaltsanaly- se zum professionellen Selbstver- ständnis wurden in Nordrhein sechs Ärztinnen und Ärzte befragt, die im Rahmen eines Vertrages zur spezia- lisierten ambulanten Palliativver- sorgung (SAPV) tätig sind. Im Be- reich der Kassenärztlichen Vereini- gung Nordrhein bedeutet dies, dass sie eine Weiterbildung zum Qualifi-

zierten Palliativarzt (QPA) absol- viert haben und in einem multidis- ziplinären sogenannten Palliative- Care-Team tätig sind (Kasten). Die Qualifikationswege in der Palliativ- medizin sind unterschiedlich: Ob niedergelassen oder angestellt, ob Hausarzt, Internist, Chirurg, Not- arzt oder Tropenmediziner – das al- les findet man selbst in der kleinen Stichprobe*.

Das Fach fordert Ärzte mit

„Leib und Seele“

Dennoch ließen sich Gemeinsam- keiten erkennen, die aus der Sicht

der Befragten ihren Beruf zu etwas Besonderem machten: So urteilten die Befragten übereinstimmend, dass die Grundhaltung in der Pallia- tivmedizin von Empathie geprägt sei. Das Fachgebiet fordere die ei- gene Person „mit Herz und Seele“.

Trotz der relativ kurzen Zeit, in der man Patienten begleite, baue sich ein enges Verhältnis auf. Es gehe nicht allein darum, die Last der Schmerzen und anderer Symptome zu nehmen, sondern auch individu- elle Sorgen und Ängste.

Persönliche Begegnungen mit dem Tod sind unerlässlich

Der Palliativarzt „muss bereit sein, sich in die Denkweise und Belange des Erkrankten einzufinden“, hieß es in den Interviews. Gelinge dies, empfange der Arzt tief empfundene Dankbarkeit. Überhaupt sei der zwi- schenmenschliche Umgang mit den Patienten intensiver als in anderen Fächern. Mehrere Interviewpartner nannten diese emotionale Kompo- nente als Motiv, in der Palliativme- dizin tätig sein zu wollen.

Als zweites Merkmal der profes- sionellen Grundhaltung nannten die Teilnehmer einen reflektierten Um- gang mit Sterben und Tod. Dabei reiche es nicht aus, sich diesem Thema intellektuell genähert zu ha- ben. Vielmehr seien auch persönli- che Reife und Erfahrung erforder- lich, um sich existenziellen Fragen stellen zu können. Die Begegnung mit dem Tod ist eine Erfahrung, die wohl alle Ärzte schon seit der Aus- bildung im Krankenhaus teilen. Bei vielen blieb dabei das Gefühl zu- rück, den sterbenden Patienten nicht gerecht zu werden. Für einen Befragten war dies das Hauptmotiv, Palliativarzt zu werden: „Ich habe viele Menschen so sterben sehen, wie ich nicht wollte, dass ich ster- ben würde.“

Als Alternative bietet die Pallia- tivmedizin die sogenannte Care- Orientierung, die von den Inter- viewten als weiterer Bestandteil des beruflichen Selbstverständnisses ge- nannt wird. Der Begriff ist zwar in Abgrenzung zur „Cure-“ oder kura- tiv orientierten Medizin entstanden, wird aber von den Befragten nicht als das Gegenteil von „heilen wol- PROFESSIONELLES SELBSTVERSTÄNDNIS IN DER PALLIATIVMEDIZIN

Ärzte, aber keine Heiler

Gehören Palliativärzte zu einer besonderen Spezies ihrer Berufs - gruppe, vielleicht sogar zu einem besonderen Menschenschlag?

Dieser Frage gehen Palliativärztinnen und -ärzte aus Nordrhein nach.

*Der Text basiert auf einer Diplomarbeit, die angefordert werden kann bei: Miguel Tamayo, Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Tersteegen - stra ße 9, 40474 Düsseldorf; miguel.tamayokorte

@kvno.de

Foto: Your Photo Today

T H E M E N D E R Z E I T

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9. November 2012 A 2245 len“ verstanden. Vielmehr handele

es sich um eine Erweiterung der Handlungsoptionen, um sich stär- ker an den Bedürfnissen des Patien- ten zu orientieren.

Ein Teilnehmer brachte seine Auffassung von Palliativmedizin auf den Punkt: „Wir sind nicht mehr die Ärzte, die heilen. Man sollte sich immer der Vergänglichkeit des Lebens gegenwärtig sein, auch des eigenen Lebens.“

Ärzte sind Teil eines Beziehungsgeflechts

Eine weitere Besonderheit der Arbeit ist das Beziehungsgeflecht, in das ein Palliative-Care-Team sich in je- dem neuen Fall begibt: „Es ist nicht wie in den meisten anderen Fachdis- ziplinen der Medizin nur der Patient, mit dem Sie sich ausein andersetzen müssen. Die Angehörigen sind mit eingeschlossen, die Pfleger und zum Teil auch andere Ärzte“, berichtete ein Arzt. Daraus folgt als Anforde- rung an einen Qualifizierten Pallia- tivarzt, dass er über Kommunikati- ons- und Kooperationskompetenz verfügen sollte. Er übernimmt eine zentrale und aktive Rolle. Es wird er- wartet, dass er Angehörige in Ent- scheidungen einbindet. Gleichzeitig kann es erforderlich sein, zwischen Patient und Angehörigen zu vermit- teln, wenn jene dem Sterbenden den Abschied erschweren.

Kollegiale Beziehungen zu Haus- und Fachärzten nehmen einen für den ambulanten Bereich unge- wöhnlich hohen Stellenwert ein.

Die Rolle des QPA ist vielerorts noch relativ neu und muss erst ein- geübt werden – eine Zusammenar-

beit „auf Augenhöhe“ ist das Ziel.

So ist die Beziehungsgestaltung im eigenen Team für die meisten Inter- viewpartner ein entscheidender Er- folgsfaktor. Die Hierarchie sei we- sentlich flacher, als man es in ande- ren Bereichen erlebt habe. Schon wegen der zu organisierenden Ruf- bereitschaft komme es ständig zu Situationen, in denen delegiert oder für „fremde“ Patienten gehandelt werden müsse. Das funktioniere nur, wenn jeder im Team Vertrauen in die Fähigkeiten der Kollegen habe.

Neben den sozialen Kompetenzen – Empathie, Kommunikations- und Teamfähigkeit – thematisierten die Teilnehmer die fachlich nachzuwei- senden Voraussetzungen für die Qua- lifizierung zum QPA. Die meisten Befragten hielten die Anforderungen für angemessen. Ein Arzt gab jedoch an, in der Weiterbildung kaum etwas Neues gelernt zu haben, da er schon in der Klinik entsprechend aus- und fortgebildet worden sei.

Verbesserte Bedingungen durch Palliativverträge

Dass die Arbeit im Palliativteam sich in mancherlei Hinsicht von an- deren Tätigkeiten in der ambulan- ten Versorgung unterscheidet, liegt nicht zuletzt an den Vertragsbedin- gungen. Insbesondere Hausärzte haben schon Palliativmedizin prak- tiziert, lange bevor der Begriff Kar- riere machte. Doch die Rahmenbe- dingungen haben es in den letzten Jahren immer schwieriger gemacht, den Bedürfnissen Schwerkranker gerecht zu werden, ohne einen im- mensen Zeitdruck aufzubauen oder sich selbst finanziell zu schaden.

In Nordrhein schlossen die Kassen- ärztliche Vereinigung und alle gesetzli- chen Krankenkassen 2009 bundes- weit erstmals einen Rahmenvertrag zur spezialisierten ambulanten Pallia- tivversorgung (SAPV) ab. Er regelt die Versorgung durch Palliative-Care- Teams (PCT), in denen sich qualifizier- te Palliativärzte und Pflegefachkräfte zusammenschließen. Sie gewährleis- ten eine Rund-um-die-Uhr-Bereit-

schaft und koordinieren die Unterstüt- zungsleistungen verschiedener Anbie- ter. SAPV kann je nach Bedarf als al- leinige Beratungs- und Koordinations- leistung, als unterstützende Teilversor- gung oder als Vollversorgung erbracht werden. Zum 1. Oktober 2012 be- standen Verträge mit 17 PCT, die die Versorgung in Gebieten mit jeweils 250 000 bis 600 000 Einwohnern si- cherstellen.

VORREITER NORDRHEIN

In beiderlei Hinsicht haben die Verträge zur Palliativversorgung die Bedingungen verbessert. Man habe mehr Zeit für die Patienten, berichten die Befragten. Zudem spiele es durchaus eine Rolle, dass Leistungen für die SAPV außerbud- getär abgerechnet werden könnten.

Die Befragten empfanden die Ho- norierung der Leistungen als „so fair, dass man sich nicht als opfern- der Arzt vorkommt, sondern gute Leistungen bezahlt bekommt“. Als alleinige Motivation zur Wahl die- ses Betätigungsfeldes reiche die Vergütung aber nicht aus.

In der Zukunft gebe es noch ei- niges zu tun. Beispielsweise funk- tioniere die Arbeitsteilung zwi- schen Haus- und Palliativärzten nicht immer optimal. Auch bei den Rahmenbedingungen sei noch nach- zubessern, meinten die Palliativ - me diziner. Unzufriedenheit gebe es bei der Vergütungsregelung zur 24- Stunden-Rufbereitschaft: Einer- seits sei die Pauschale niedrig für den Aufwand, den man habe, wenn man sich in unbekannte Patienten- akten einlesen müsse. Andererseits befürchteten einige Interviewpart- ner, dass solche Pauschalen den Anreiz setzen könnten, möglichst viele Patienten ohne großen Auf- wand zu betreuen. Am besten funktioniere das Modell im über- schaubaren Rahmen mit wenigen Kollegen.

Schließlich sehen sich Ärzte nicht nur als Vertreter ihres Standes, sondern nehmen mit ihrer persönli- chen Erfahrung aktiv am gesell- schaftlichen Diskurs über würdiges Sterben teil. Sie kritisieren grenzen- lose Machbarkeitsfantasien moder- ner Medizin und wünschen sich ei- nen ethisch reflektierten Umgang mit dem Thema Sterben und Tod sowie mehr öffentliche Aufmerk- samkeit für die letzte Lebensphase.

Trotz einzelner Kritikpunkte sei die Palliativmedizin auf einem gu- ten Weg. Man könne durchaus stolz auf das Erreichte sein. Ein Arzt sag- te: „Wenn mich jemand aus dem Ausland fragen würde, würde ich sagen: ‚Das könnt ihr kopieren! Das deutsche Konzept ist gut.‘“

Miguel Tamayo, Pauline Mantell, Benita Huptasch

T H E M E N D E R Z E I T

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