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Archiv "TOP III - Palliativmedizinische Versorgung in Deutschland: Eine Alternative zur aktiven Euthanasie" (30.05.2003)

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P O L I T I K 106. DEUTSCHER ÄRZTETAG

A

A1484 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2230. Mai 2003

S

chon mehrfach hatten die Delegier- ten des Deutschen Ärztetages der aktiven Euthanasie eine deutliche Absage erteilt – zuletzt im vergangenen Jahr beim 105. Deutschen Ärztetag in Rostock. Und auch die Delegierten des 106. Deutschen Ärztetages lehnten in ei- nem einstimmig verabschiedeten Be- schluss aktive Sterbehilfe und die Hilfe zur Selbsttötung ab. Diese unmissver- ständliche Auffassung spiegelt allerdings offenbar nicht die breite Bevölkerungs- meinung wider, wie die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), Dr.

med. Ursula Auerswald, berichtete. 70 Prozent der deutschen Bevölkerung wünschten, dass aktive Sterbehilfe zuge-

lassen werden sollte. Sogar 48 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte gehörten zu den Befüwortern aktiver Euthanasie.

Doch wie kann Patienten, für die es keine kurativen Therapien mehr gibt, geholfen werden? „Die Konsequenz aus diesem Problemkreis heißt nicht Resignation oder Hoffnungslosigkeit, sondern aktives palliativmedizinisches Handeln. Dies kann erreicht werden durch eine umfassende Symptomkon- trolle, insbesondere der Schmerzthera- pie, sowie mitmenschliche Begleitung und Verwirklichung realistischer Hoff- nung, um die Menschenwürde bis zum Lebensende zu wahren“, lautet die Ant- wort der Delegierten auf die immer

wieder aufkommende Forderung nach aktiver Euthanasie.

Häufig herrschten allerdings falsche Vorstellungen über dieses Fachgebiet, bedauerte Auerswald. Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation ist Pal- liativmedizin „die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Le- benserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht und die Beherr- schung der Schmerzen und anderer Krankheitsbeschwerden sowie psycho- logischer, sozialer und spiritueller Pro- bleme höchste Priorität besitzt“. Pal-

TOP III: Palliativmedizinische Versorgung in Deutschland

Eine Alternative

zur aktiven Euthanasie

Die Delegierten des 106. Deutschen Ärztetages setzen sich dafür ein, dass Möglichkeiten entwickelt werden, damit Patienten mit

einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung eine neue Lebensperspektive erhalten können.

Aktive Sterbehilfe und die Hilfe zur Selbsttötung lehnten die Delegierten des Ärztetages einstimmig ab.

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liativmedizin sei eine Disziplin, in der alle Berufe fachübergreifend zusam- menarbeiten – Pflegeberufe, Ärzte, Psy- chologen, Physiotherapeuten, Theolo- gen, Sozialarbeiter und ausgebildete Hospizhelfer.

Der Ausgang der Hospizidee und der Palliativmedizin sei das vor 35 Jahren von Cicely Saunders gegründete St.

Christopher’s Hospice in London gewe- sen, berichtete Auerswald. Die Entwick- lung in den angloamerikanischen Län- dern sei schnell vorangekommen. Dort seien zeitgleich stationäre und ambulan- te Einrichtungen mit hohen Qualitäts- standards entstanden. In Deutschland hätten sich Hospizbewegung und Pal- liativmedizin zunächst unterschiedlich entwickelt, „in der letzten Zeit bewegen sie sich aber wieder aufeinander zu“.

Zurzeit gebe es 75 Palliativstationen, das heißt sieben Betten auf eine Million Einwohner. Der Bedarf liege bei 30 Bet- ten pro eine Million Einwohner. Es exi- stierten in Deutschland 30 ambulante Palliativdienste, pro eine Million Ein- wohner würden jedoch vier benötigt.

Neben den Palliativstationen und Pal- liativdiensten würden 99 stationäre Hospize geführt, auch dort ergebe sich immer noch eine Fehlversorgung. Es gebe elf Hospizbetten auf eine Million Einwohner, benötigt würden aber 20.

Rund 25 Prozent aller Tumorpatien- ten benötigten eine Palliativversor- gung, nur fünf Prozent der Tumorpati- enten könnten diese jedoch in An- spruch nehmen.

Auch künftig werde vermutlich nur ein kleiner Teil der Medizinstudenten mit den Grundlagen der Palliativmedi-

zin vertraut gemacht werden, befürch- ten die Ärztevertreter. Denn auch wenn die Palliativmedizin mit der jüngsten Reform des Medizinstudiums in die Approbationsordnung aufge- nommen worden sei, bleibe ohne An- erkennung als Querschnittsfach bezie- hungsweise Wahlfach diese Erwäh- nung weitgehend wirkungslos. Es hän- ge immer noch vom Engagement der einzelnen medizinischen Fakultäten ab, ob palliativmedizinische Inhalte auch prüfungsrelevant sein könnten.

Der Ärztetag fordert deshalb „die Auf- nahme der Palliativmedizin als Quer- schnittsbereich in die Approbations- ordnung für Ärzte und ihre Zulassung als Wahlfach für die abschließende ärztliche Prüfung“. Die Delegierten begrüßten auch die Aufnahme der Pal- liativmedizin in die (Muster-)Weiter- bildungsordnung.

Ein Grund, warum die Palliativme- dizin jedoch nach wie vor nicht im erforderlichen Maß etabliert ist, ist vor allem ihre Finanzierung. Auerswald berichtete, dass gerade unter ökono- mischen Gesichtspunkten in jüngster Zeit die Frage diskutiert werde, ob alte Menschen überhaupt noch aufwen- dige oder kostenintensive Behandlun- gen erfahren sollten. „Solche Überle- gungen sind zutiefst unethisch und for- dern unseren deutlichen Widerspruch heraus“, betonte die Vizepräsidentin der BÄK unter dem Beifall der Dele- gierten. „Die Ärzteschaft lehnt Alters- grenzen für Behandlungen ab, wie sie beispielsweise in Großbritannien schon existieren. Das ist rücksichtslose Ra- tionierung, bei der auch in Kauf ge- nommen wird, dass Menschen vorzeitig

sterben. So weit darf es bei uns nicht kommen.“

Die Ärzteschaft fordere eine massive Unterstützung in der flächendeckenden Versorgung der Palliativmedizin durch Politik und Krankenkassen. Es sei von Länderseite nicht damit getan, Pallia- tivstationen allein in den Landeskran- kenhausplänen auszuweisen – sie müss- ten auch eingerichtet werden. „Die Be- handlung und Betreuung von todkran- ken Menschen muss frei sein von öko- nomischen Erwägungen. Diese Men- schen brauchen unser ganzes ärztliches Können, unsere Zuwendung und Mit- menschlichkeit“, erklärte Auerswald.

Palliativmedizinische Verläufe seien aufwendig und ließen sich nicht stan- dardisieren. „Wir haben es mit einem hohen Personalschlüssel zu tun, einem multiprofessionellen Team, einem ho- hen Anteil versterbender Patienten – verbunden mit der Betreuung von An- gehörigen.“

Sonderregelung für adäquate Finanzierung gefordert

Besonders schlecht sehe es für die Pal- liativstationen durch die Einführung der Diagnosis Related Groups (DRGs) aus. Der DRG-Gruppierungsalgorith- mus berücksichtige nämlich nicht den Unterschied zwischen kurativ und pal- liativ, sondern pauschaliere, kritisierte Auerswald. Der mittlere Behandlungs- aufwand könne nicht aufgrund von Haupt- und Nebendiagnosen abge- schätzt werden. Die BÄK-Vizepräsi- dentin forderte, dass das pauschalierte Vergütungssystem nicht dazu führen P O L I T I K

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Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2230. Mai 2003 AA1485

Ursula Auerswald:

„Die Ärzteschaft lehnt Altersgrenzen für Behand- lungen ab.“

Für Förderung und Ausbau der Kinderpal- liativmedizin setzte sich Heidrun Gitter, Bremen, ein

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dürfe, dass Palliativmedizin aus ökono- mischen Gründen nicht mehr angebo- ten werden könne. Die Delegierten un- terstützten dieses Anliegen. Sie kriti- sierten in ihrem Beschluss, dass das neue Vergütungssystem in den Kran- kenhäusern nach diagnosebezogenen Fallpauschalen die Palliativmedizin nicht sachgerecht abbilden könne und den Betrieb von Palliativstationen ge- fährde. Durch die seit dem 1. Januar 2003 angewandte DRG-Version werde die palliativmedizinische Behandlung von Schwerkranken und Sterbenden nicht korrekt dargestellt. Das liege unter an- derem daran, dass die Palliativmedizin in Australien, dem Ursprungsland auch der deutschen DRG-Systematik, aus dem System der Diagnosis Related Groups ausgeschlossen sei und dort über andere Entgelte vergütet werde. Um die ho- he Versorgungsqualität Schwerkranker und Sterbender zu erhalten, fordert der Ärztetag eine Sonderregelung für die adäquate Finanzierung der Palliativ- medizin am Krankenhaus.

Außerdem plädierten die Ärztever- treter für eine Auflösung der starren Trennung von stationärer und ambulan- ter Behandlung in der Regelversor- gung. Nur so sei es möglich, eine rei- bungslose Versorgungskette mit einer optimalen interdisziplinären und multi- professionellen Zusammenarbeit auf- zubauen, die Menschen mit schweren und unheilbaren Erkrankungen benö- tigten. „Durch die Einbindung ambu- lanter Palliativdienste als Unterstüt- zungssysteme für niedergelassene Ärz- te, Pflege- und Hospizdienste könnten statt wie bisher nur 30 Prozent in Zu- kunft circa 60 bis 80 Prozent aller Krebs- patienten bis zum Tod gut versorgt zu Hause leben“, sagte Dr. med. Thomas Schindler vom Palliativmedizinischen Konsiliardienst in Nordrhein-Westfa- len.Wichtigster Wunsch der meisten Pa- tienten sei es, so Schindler, nicht in sta- tionären Einrichtungen zu sterben, son- dern zu Hause. Doch oft bleibe es „dem idealistischen Engagement Einzelner überlassen, ob eine gute palliativmedi- zinische Versorgung zu Hause über- haupt möglich wurde“. Im Jahr 2000 sind, Schindler zufolge, 51 Prozent der Krebspatienten in Deutschland im Krankenhaus gestorben, 15 Prozent im Pflegeheim und nur rund ein Drittel zu

Hause. Im vergangenen Jahr gab es et- wa 800 bis 1 100 ambulante Hospiz- gruppen oder Hospizdienste mit vor- wiegend ehrenamtlichem Engagement, circa 50 bis 300 ambulante Hospiz- und Palliativdienste mit haupt- und ehren- amtlichen Mitarbeitern und weniger als 30 ambulante Palliativdienste, die vorwiegend hauptamtlich tätig waren.

Schindler kritisierte, dass palliativmedi- zinische und palliativpflegerische Lei- stungen in der Regelversorgung prak- tisch nicht honoriert würden.

„Der Tod darf kein Tabuthema sein“

Auch Prof. Dr. med. Eberhard Klaschik, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, bemängelte, „dass die Finanzierung im ambulanten Be- reich absolut unzureichend und im sta- tionären Bereich durch die Einfüh- rung des neuen Vergütungssystems (DRG) extrem gefährdet ist“. Er gab außerdem zu bedenken, dass, obwohl die Palliativmedizin eindrucksvoll in Bewegung geraten sei, „nur zwei Lehrstühle für Palliativmedizin an

den deutschen Universitäten existie- ren“. Die Notwendigkeit der Palliativ- medizin ergebe sich jedoch unter ande- rem aus der demographischen und so- zialen Entwicklung und den medizini- schen Möglichkeiten der Lebensverlän- gerung. Die Palliativmedizin sei eine Antwort auf die medizinischen Heraus-

forderungen und versuche, den Patien- ten eine Lebensperspektive zu geben.

„Dies ist möglich, wenn wir Schmerzen und andere Symptome auf ein erträgli- ches Maß reduzieren, unnötiges Leiden verhindern und die Würde des Men- schen wieder herstellen.“ Er begrüßte die Initiative der Bundesärztekammer als einen entscheidenden Schritt, die Defizite abzubauen und eine Entwick- lung in die Wege zu leiten, „sodass Deutschland in den nächsten Jahren ei- nes der führenden Länder in der Pallia- tivmedizin in Europa werden könnte“.

Für Förderung und Ausbau der Kin- derpalliativmedizin setzte sich Dr. med.

Heidrun Gitter (Bremen) ein. Ein von ihr eingebrachter Antrag wurde von den Delegierten angenommen und in den Beschluss eingearbeitet. Darin heißt es:

„Palliativmedizinische Angebote für Kinder sind noch viel zu wenig vorhan- den. Davon sind die schwerstkranken Kinder und ihre Familie betroffen. Die- se brauchen palliativmedizinische Ver-

sorgungsmöglichkeiten, die auch Eltern und Geschwister einbeziehen.“ Erik Bodendieck (Sachsen) schließlich wies auf eine unabdingbare Voraussetzung für eine wirkungsvolle Palliativmedizin und auch Hospizarbeit hin: „Der Tod darf in unserer Gesellschaft kein Tabu- thema mehr sein.“ Gisela Klinkhammer P O L I T I K

106. DEUTSCHER ÄRZTETAG

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A1486 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2230. Mai 2003

Thomas Schindler: „Wichtigster Wunsch der meisten Patienten ist es, zu Hause zu sterben.“

Eberhard Klaschik gab zu bedenken, dass es „nur zwei Lehrstühle für Palliativmedizin an deutschen Universi- täten gibt“.

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