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Archiv "Warum Fragen der aktiven und passiven Euthanasie auch in Deutschland unvermeidlich sind" (19.04.1990)

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AS FORUM

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Warum Fragen der aktiven und passiven Euthanasie

auch in Deutschland unvermeidlich sind

hängig von bedrohlichen Situationen oder als übermäßige Reaktion vor- kommen und dann eventuell not- wendige Reaktionen beeinträchti- gen". Unerheblich sei die Angst in der genannten Forschung als norma- le Reaktion auf eine bedrohliche Si- tuation, in der die Angst für die Be- wältigung der Bedrohung notwendig sei.

Auch auf die Wahl einer „Ex- tremgruppe" für seine Arbeit ging Prof. Dr. Hippius ein: „Wenn von ei- ner Extremgruppe die Rede ist: Pa- tienten, die per se Angst haben, sind, meine ich, für diesen Bereich ein le- gitimes und ethisch völlig gerechtfer- tigtes Forschungsfeld, weil wir bei diesen Patienten ja ohnehin ärztlich veranlaßt sind, Angst zu bewältigen, Angst zu nehmen, Angst zu beseiti- gen. Das ist der wesentliche Ansatz."

Hippius verwies in diesem Zu- sammenhang auf die Veröffentli- chung eines Großteils der Ergebnis- se in einer Monographie mit dem Ti- tel „Angst — Leitsymptom psychi- scher Erkrankung" (Springer-Ver- lag) und auf den Titel „Streß und In- dividuum" aus der Schriftenreihe des Bundesamtes für Zivilschutz.

Nachdem von verschiedenen Kollegen darauf hingewiesen wurde, daß Patienten, die krankhaft Angst haben, bei Hippius Angst induziert werde (Prof. Dr. Breit hatte dazu zum Vergleich den Test der Wirk- samkeit von Corticosteroiden an kontaktsensibilisierten Patienten, die vorher durch Applikation des Al- lergens krank gemacht würden, her- angezogen), sagte der Direktor der Psychiatrischen Klinik und Polikli- nik:

„Untersuchungen zur Angst- problematik werden durchgeführt an Patienten, die aus ihrer Krankheit heraus Angst haben, und bei Proban- den, die sich freiwillig nach Informa- tion für solche Untersuchungen zur Verfügung stellen. Zur Angstprovo- kation dienen drei Versuchsanord- nungen: einmal das Halten einer freien Rede, zum zweiten das Rech- nen von Kopfrechenaufgaben unter Zeitvorgabe und zum dritten die Ex- position von kurzen Filmszenen, die nicht einmal dem entsprechen, was jeden Abend bei uns im Fernsehen exponiert wird." rör

Helga Kuhse

Wir leben in einer Zeit, die uns zur Besinnung zwingt. Die Entwick- lungen in der modernen Medizin ha- ben uns die Mittel in die Hand gege- ben, eine kontinuierlich zunehmen- de Kontrolle über unser Leben und Sterben zu gewinnen. Fast immer ist es möglich, den Zeitpunkt des Ster- bens eines Patienten hinauszuzö- gern. Oft stirbt ein Patient erst dann, wenn die Entscheidung getroffen worden ist, ein lebenserhaltendes Mittel nicht anzuwenden oder eine lebensverlängernde Therapie abzu- brechen. Das wirft die fundamentale Frage auf: Muß das Leben eines sterbenden oder unheilbar kranken Menschens immer mit allen verfüg- baren Mitteln verlängert werden?

Oder ist es manchmal ethisch zuläs- sig, den Tod eines Patienten durch passive Unterlassung oder durch ak- tive Intervention herbeizuführen, weil sein Leben nicht mehr lebens- wert ist?

„Lebenswert" -

„Lebensunwert"

Im April 1989 wurde in England gerichtlich entschieden, daß einem vier Monate alten, hirngeschädigten, blinden, tauben und spastischen Kind („Baby C") lebensverlängernde Mittel (Antibiotika und künstliche Ernährung) vorenthalten werden sollten, um es sterben zu lassen.') Der Richter berief sich dabei auf ei-

') In re C (a minor). Court of Appeal: Lord Do- naldson MR, Balcombe and NicholsLJJ, April 20, 1989

2) In re B ([1981]) 1 WLR 421

3) Siehe dazu zum Beispiel die Debatte „Exzeß der Vernunft oder Ethik der Erlösung", Die Zeit, Nr. 29 — 14. Juli 1989, S. 9-12; „Eutha- nasie — Bizarre Verquickung" Der Spiegel Nr. 34/1989, S. 171-173; und Klaus Doerner:

„Wenn Mitleid tödlich wird", Der Spiegel Nr.

34/1989, S. 173-176

ne frühere Entscheidung, nach der es Fälle gäbe, in denen die Zukunft eines Kindes mit Sicherheit so von Schmerz und Leid bestimmt sei, daß im besten Interesse des Kindes sein Leben nicht verlängert werden soll- te. 2) Kaum zwei Monate später wur- de der australische Philosoph, Pro- fessor Peter Singer, in der Bundes- republik Deutschland daran gehin- dert, über das Thema: „Sterbehilfe für schwergeschädigte Neugebore- ne" zu sprechen. Lebensrechtler, Vertreter von Behindertenverbän- den und -vereinen sowie der katholi- schen Kirche und der Grünen waren sich darüber einig, daß dieses Thema nicht diskutierbar sei: Jede Bewer- tung menschlichen Lebens als „le- benswert" oder „lebensunwert" müs- se prinzipiell zurückgewiesen wer- den. Alles menschliche Leben habe den gleichen Wert. Die Klassifizie- rung einiger Leben als nicht lebens- wert sei einer perfide Verirrung der Nationalsozialisten gewesen, die ei- ne zivilisierte Gesellschaft nicht wie- derholen sollte?)

Aber ist die Unterscheidung zwi- schen lebenswerten und lebensun- werten Leben immer eine perfide Verirrung? Beginnen wir unsere Überlegungen mit dem folgenden Fall:

Ein 68jähriger englischer Arzt wird mit einem fortgeschrittenen Magen-Karzinom ins Krankenhaus eingewiesen. Zehn Tage nach einer palliativen Magenoperation erleidet der Patient eine massive Lungenem- bolie. Eine Notoperation wird durch- geführt. Als der Patient das Bewußt- sein wiedererlangt, gibt er zum Aus- druck, daß bei einem ähnlichen Vor- kommnis keine Schritte unternom- men werden sollen, um sein Leben zu verlängern: Sein Leiden sei so groß, daß er es nicht unnötigerweise verlängern möge. Er trägt eine ent- Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990 (23) A-1243

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sprechende Notiz in seine Unterla- gen ein - das Krankenhauspersonal ist mit seinen Wünschen vertraut.

Zwei Wochen nach der Lungenem- bolie erleidet der Patient einen aku- ten Herzinfarkt. In der gleichen Nacht wird sein Herz fünfmal wieder zum Schlagen gebracht. Er lebt noch drei Wochen, bevor er endlich qual- voll stirbt.4)

Dieser Fall liegt schon mehr als zwanzig Jahre zurück. Heutzutage dürfte es wenige geben, die die vom Krankenhauspersonal durchgeführ- ten Maßnahmen verteidigen. Selbst strengste Verneiner von Unterschei- dungen des Lebenswertes stimmen in der Regel zu, daß es Unrecht ist, das Leben eines aufgeklärten und urteilsfähigen Patienten gegen des- sen Willen zu verlängern. Solche Ur- teile gehen in der Regel von dem moralischen Selbstbestimmungs- recht urteilsfähiger Patienten aus.

Dennoch ist es wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, daß solchen urteilsfähi- gen Patienten zumindest implizit das moralische Recht eingeräumt wird, zwischen lebenswertem und lebens- unwertem Leben zu unterscheiden:

Es wird als moralisch richtig angese- hen, daß ein Patient sagen kann:

„Mein Leiden ist derart groß und meine Lage derart hoffnungslos, daß ich die zusätzlichen Tage oder Wo- chen, die mir die Medizin geben kann, nicht leben möchte - ein sol- ches Leben ist nicht wert, gelebt zu werden. Ich möchte daher, daß man mich sterben läßt."

Wenn es urteilsfähigen Patien- ten aber moralisch zugestanden wird, sich derart zu entscheiden,

W. St. C. Symmers, Sr.: „Not Allowed to Die", British Medical Journal, Vol. 1, 1968, p.

442

5) Siehe Helga Kuhse und Peter Singer: Should the Baby Live?, Oxford University Press, 1985, S. 11-17

6) Peter Singer, Helga Kuhse und Cora Singer:

„The treatment of newbom infants with ma- jor handicaps — A survey of obstetricians and paediatricians in Victoria", Medical Journal of Australia, Vol. 2, No. 6, September 17, 1983, S. 274-278

7) Anthony Shaw, Judson G. Randolph and Barbara Mann• „Ethical Issues in Pediatric Surgery: A National Survey of Pediatricians and Pediatric Surgeons", Pediatrics, Vol. 60, No. 4, Part 2, October 1977, S. 588-599 8) Siehe zum Beispiel Hamburger Abendblatt,

27. Juli 1989

dann haben wir hier zumindest eine Ausnahme von der These, daß es im- mer moralisch falsch ist, zwischen le- benswertem und lebensunwertem Leben zu entscheiden.

Das „absolute Lebensprinzip"

Hier kann eingewendet werden, daß es zwar für einen urteilsfähigen Patienten statthaft sein mag, sich ge- gen ein Weiterleben zu entscheiden, daß es aber eine ganz andere Sache ist, solche Entscheidungen für einen urteilsunfähigen Patienten zu fällen.

Dieser Einwand muß ernst genom- men werden. Die Frage ist aller- dings, ob eine strikte Ablehnung al- ler Lebenswertkriterien für urteils- unfähige Patienten (ich nenne dies im folgenden kurz „das absolute Le- bensprinzip") eine plausible morali- sche Grundlage hat. Wenn jedes menschliche Leben gleich zu bewer- ten ist, dann folgt daraus, daß Ent- scheidungen, die das Leben oder Sterben eines Patienten betreffen, nicht die Lebensqualität des Patien- ten in Betracht ziehen dürfen: Selbst das Leben eines Kindes wie das des Babys C müßte mit den gleichen Mit- teln verlängert werden wie das Le- ben jedes anderen normalen Kindes.

Die Tatsache, daß dieses Kind hirn- geschädigt, taub und blind ist, kann nicht als akzeptabler Grund dafür gelten, das Kind sterben zu lassen.

Obwohl Lippenbekenntnisse zum absoluten Lebensprinzip die Norm sind, ist dieses Prinzip in den praktischen Urteilen seiner Vertreter nur selten zu finden. Ein gutes Bei- spiel hierfür sind die in den englisch- sprachigen Ländern viel-diskutierten

„Baby Doe Regeln", die Anfang der 80er Jahre von der Reagan-Regie- rung in den Vereinigten Staaten ein- geführt wurden. Diesen Regeln lag das absolute Lebensprinzip zu Grun- de; sie sollten sicherstellen, daß ei- nem schwergeschädigten Neugebo- renen nicht nur deswegen eine le- benserhaltende Therapie vorenthal- ten wird, weil das Kind schwerge- schädigt ist. 5)

Die „Baby Doe" Regeln wurden unter anderem von der Amerikani- schen Akademie der Kinderärzte an-

gefochten. Ärzte hatten die Frage gestellt, ob sie gezwungen wären, jetzt auch Kinder am Leben zu erhal- ten, die ohne Gehirn oder ohne Darm geboren werden. In der Ge- richtsverhandlung 1983 wurde die Regierung durch Dr. C. Everett Koop vertreten. Koop, ein erfahre- ner Kinderarzt und ein prominenter Kämpfer in der amerikanischen

„Right to Life"-Bewegung, vernein- te, daß es erforderlich wäre, lebens- erhaltende Maßnahmen für Kinder mit Anenkephalie einzuleiten. Was die Behandlung von darmlosen Kin- dern anginge, so wäre es auch hier nicht nötig, solche Kinder „für ein- einhalb Jahre intravenös am Leben zu erhalten". Diese Kinder, sagte er, sollten lediglich normal gefüttert werden - „in dem Bewußtsein, daß ihnen dies keinen Nährwert gibt".

Für Dr. Koop war es offensicht- lich, daß solche schwergeschädigten Kinder nicht am Leben erhalten wer- den sollten. Viele Ärzte werden ihm zustimmen. Eine Umfrage bei fast 200 australischen Geburtshelfern und Kinderärzten ergab zum Bei- spiel, daß nur zwei aller Befragten glaubten, daß es ethisch immer gebo- ten sei, alle lebenserhaltenden Mit- tel bei der Geburt eines schwerge- schädigten Neugeborenen einzuset- zen. 6) Eine amerikanische Studie zeigt ähnliche Ergebnisse 7), und Presseberichten aus Deutschland zu- folge ist das stillschweigende Ster- benlassen von schwerstgeschädigten Neugeborenen seit langem die Norm.8)

Aber läßt sich das bewußte oder willentliche Sterbenlassen von schwergeschädigten Neugeborenen mit dem absoluten Lebensprinzip vereinbaren? Wenn es zum Beispiel möglich ist, das Leben eines ohne Darm geborenen Kinders für einein- halb Jahre zu verlängern, was könnte der Grund sein, dies nicht zu tun

-wenn das Leben eines darmlosen und künstlich ernährten Kindes den glei- chen Wert hat wie das Leben eines jeden anderen Menschens? Eine zu- sätzliche Lebensspanne von 18 Mo- naten ist normalerweise von großem Wert. Wenn diese Lebensspanne ei- nem darmlosen Kind versagt wird, bedarf das einer Erklärung. Die of- fensichtliche Erklärung ist, daß das A-1244 (24) Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990

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Leben eines intravenös ernährten Kindes für zu beschränkt und qual- voll gehalten wird, um es lebenswert zu machen.

Mit ähnlichen Problemen sind Vertreter des absoluten Lebensprin- zips konfrontiert, wann immer sie die Nichtanwendung einer verfügbaren und wirkungsvollen lebenserhalten- den Therapie befürworten. Das trifft auch für die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht zu. In Paragraph 1.2 der „Grenzen der ärztlichen Be- handlungspflicht bei schwerstgeschä- digten Neugeborenen" lehnt die Ge- sellschaft „(e)ine Abstufung des Schutzes des Lebens nach . . . dem körperlichen Zustand oder der gei- stigen Verfassung" des Kindes ab; in Paragraph V lesen wir dann aber, daß ein Arzt die medizinischen Be- handlungsmöglichkeiten nicht im- mer ausschöpfen muß — zum Beispiel wenn ein Kind mit so schwerem Hirnschaden geboren wird, daß es mit seiner Umwelt keinen Kontakt hat, oder wenn Vitalfunktionen, wie zum Beispiel die der Nieren, nur durch intensivmedizinische Maßnah- men aufrechterhalten werden kön- nen. 9)

Die Frage ist nicht, ob die Gren- zen der Behandlungspflicht von der Deutschen Gesellschaft für Medizin- recht oder von Dr. Koop an den rich- tigen Stellen gezogen worden sind.

Die Frage ist, ob sich eine solche Grenzziehung grundlegend mit dem absoluten Lebensprinzip vereinba- ren läßt. Die Antwort ist meines Er- achtens ein klares „Nein". Wenn es moralisch unzulässig ist, zwischen le-

9) „Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht bei schwerstgeschädigten Neugeborenen", verabschiedet von der Deutschen Gesell- schaft für Medizinrecht. Abgedruckt in Me- dizin und Ethilc, Herausgeber Hans-Martin Sass, Reclam, 1989, S. 375-378

10) In the Matter of Karen Quinlan, An Alleged In- competent, Supreme Court of New Jersey 355A2d 647. Ein Auszug des Urteils ist abge- druckt in Killing and Letting Die, Herausge- ber Bonnie Steinbock, Prentice Hall, Eagle- wood Cliffs, N. J., 1980, S. 23-44

11) Siehe Helga Kuhse: The Sanctity-of-Life Doc- trine in Medicine. — A Critique, Oxford Un- iversity Press, 1987

12) President's Commission for the Study of Ethical Problems in Medicine and Biomed- ical and Behavioral Research: Deciding to Forego Life-Sustaining Treatment — Ethical, Medical und Legal Issues in Treatment Deci- sions, US Government Printing Office, March 1983

benswertem und lebensunwertem Leben zu unterscheiden, dann ist es schwer zu begründen, wie es jemals zulässig sein kann, ein verfügbares Mittel einem leidenden oder schwerstgeschädigten Patienten vor- zuenthalten, wenn das Mittel sein Le- ben verlängern könnte. Verfechter des absoluten Lebensprinzips streiten ab, daß ihre Urteile darauf beruhen, daß einige Leben nicht lebenswert sind. Sie berufen sich dabei auf Un- terscheidungen wie die der katholi- schen Moraltheologie zwischen „ge- wöhnlichen" und „außergewöhn- lichen" Mitteln — mit dem Hinweis, daß es ethisch nicht geboten ist, „au- ßergewöhnliche" Mittel anzuwen- den. Ein genaueres Hinsehen zeigt allerdings, daß auch hier Urteile über den Wert menschlicher Leben gefällt werden.

Maßgeblich: Das beste Interesse des Patienten

Dem Fall von Karen Ann Quin- lan, der 1976 in die amerikanische Rechtsgeschichte einging, liegt die Unterscheidung zwischen „gewöhn- lichen" und „außergewöhnlichen"

Mitteln zugrunde. Karen Quinlan war als permanent komatös diagno- stiziert worden. Ihr Vater wollte, daß die künstliche Beatmung seiner Tochter eingestellt würde. Seine Entscheidung wurde von dem katho- lischen Bischof Lawrence Casey mit der Begründung unterstützt, daß

„keine vernünftige Hoffnung" beste- he, daß Karen jemals das Bewußt- sein wiedererlangen würde. Ein Re- spirator sei ein „außergewöhnliches Mittel" der Lebenserhaltung und deshalb vom Standpunkt der katho- lischen Kirche her nicht obligato- risch. 10)

Aber in welchem Sinne ist ein Respirator heutzutage ein „außerge- wöhnliches" Mittel der Lebenserhal- tung? In modernen Krankenhäusern gehören Respiratoren zum alltäg- lichen Arsenal von lebenserhalten- den Techniken und Therapien. Das berechtigt zu der Frage, wie es unter dem absoluten Lebensprinzip ethisch zulässig sein kann, einer Pa- tientin eine Therapie zu entziehen, ohne die (so wurde angenommen)

sie nicht leben kann. Auch hier liegt die Begründung klar auf der Hand:

Wenn der Respirator Karen Ann Quinlans Leben erhalten kann, kann er es nur in komatöser Form erhal- ten. Er kann Karen nicht das Be- wußtsein wiedergeben. Wenn es aber zulässig ist, die Lebenserhaltung ei- ner Patientin einzustellen, weil sie permanent komatös ist, dann bedeu- tet dies, daß permanent komatöses Leben als nicht lebenswert angese- hen wird.

Anhand vieler anderer Beispiele könnte aufgezeigt werden, wie Ver- teidiger des absoluten Lebensprin- zips implizite Urteile über „lebens- unwerte" Leben in ihre Argumente einschmuggeln. Platzmangel verbie- tet dies. 11) Viel wichtiger ist auch die Frage, ob es prinzipiell ethisch ver- tretbar ist, zwischen lebenswerten und lebensunwerten Leben zu unter- scheiden. Die Begriffe rufen unange- nehme Erinnerungen an die Verbre- chen der Nationalsozialisten wach:

Daß ein Leben „lebensunwert" ist, weil es nicht den Kriterien ent- spricht, die ihm von einer nicht zu rechtfertigenden eugenischen oder rassistischen Philosophie auferlegt werden. Es gibt aber auch eine ande- re Art, diese Begriffe zu verstehen, die durchaus ehtisch vertretbar ist.

Das ist ihr Verstehen von der Innen- perspektive des Patienten her: ob ein Leben für den Patienten selbst von Wert ist oder nicht.

In einem einflußreichen und gut begründeten Bericht hat die ameri- kanische President's Commission for the Study of Ethical Problems in Me- dicine ein Prinzip verteidigt, das Ent- scheidungen über den Einsatz oder Nichteinsatz von lebensverlängern- den Mitteln untermauern soll. Da- nach sind lebensverlängernde Mittel immer dann anzuwenden, wenn dies

„im besten Interesse" eines bestimm- ten Patienten ist. Solche Mittel sind nicht anzuwenden, wenn dies gegen die Interessen des Patienten ver- stößt. Obwohl ich nicht alle Schlüsse der Commission teile, möchte ich dennoch deren Position hier skizzie- ren, weil sie meines Erachtens als Minimalposition von allen klar denk- enden und auf das Wohl ihrer Pa- tienten bedachten Ärzten akzeptiert werden sollte.12)

A-1246 (26) Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990

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Die Commission macht deutlich, daß es unerläßlich ist, zwischen den Interessen verschiedener Patienten- gruppen zu unterscheiden. Es liegt im Interesse aller empfindungsfähi- gen Patienten, daß ihre Schmerzen gelindert und ihre körperlichen Funktionen erhalten oder wieder- hergestellt werden. Urteilsfähige oder autonome Patienten haben dar- überhinaus noch ein vorrangiges mo- ralisches Interesse an (oder Recht auf) Selbstbestimmung. Es gibt aber auch Patienten, die nicht Träger von irgendeinem subjektiven Interesse sind, weil ihnen eine Innenperspekti- ve völlig fehlt. Das sind zum Beispiel Patienten, die entweder für immer das Bewußstein verloren haben, oder die als Kinder ohne oder fast ohne Gehirn zur Welt gekommen sind.

Für solche Patienten hat das Leben keinen subjektiven Wert. Es besteht daher normalerweise kein patienten- bezogener Grund, diese Patienten am Leben zu erhalten.

Patienten aber, denen es gege- ben ist, positive und negative Be- wußtseinszustände zu empfinden, kann durch lebensverlängernde Maßnahmen geholfen oder gescha- det werden - je nachdem, ob ein län- geres Leben für den Patienten von positivem oder negativem Wert ist.

Die President's Commission emp- fiehlt daher, daß schwergeschädigte neugeborene Kinder und Patienten, deren Wünsche nicht bekannt sind, am Leben zu erhalten sind, wenn im- mer das Leben des Patienten - als Ganzes betrachtet - von positivem Wert für den Patienten ist Ein Pa- tient soll nicht am Leben erhalten werden, wenn nach bester Diagnose und Prognose nur ein Leben voll Leid und Elend zu erwarten ist.

Im Fall von urteilsfähigen Pa- tienten dagegen verteidigt die Com- mission das Selbstbestimmungsrecht dieser Patienten. Sie stimmt mit der Bundesärztekammer insofern über- ein, als der Wille eines urteilsfähigen Patienten in bezug auf die Anwen- dung oder Nichtanwendung lebens-

13) „Richtlinien für die Sterbehilfe", verabschie- det vom Vorstand der Bundesärztekammer 1976, Abgedruckt in Medizin und Ethik Her- ausgeber Hans Martin Sass, Reclam, 1989, S.

378-383

14) The Age (Melbourne), 23. April 1988

erhaltender Therapien zu respektie- ren ist, auch wenn dieser sich nicht mit der vom Arzt für angemessen an- gesehenen Therapie deckt. 13) An- ders ausgedrückt bedeutet dies, daß ein Arzt einen aufgeklärten Patien- ten sterben lassen soll, wenn vom Gesichtspunkt des Patienten her sein durch ein unheilbares Leiden be- stimmtes Leben nicht mehr lebens- wert ist.

Die President's Commission un- terscheidet also zwischen Leben, die von der Innenperspektive individuel- ler Patienten her lebenswert oder le- bensunwert sind. Eine solche Unter- scheidung ist für alle Ärzte unerläß- lich, die es als ihre Pflicht ansehen, im besten Interesse ihrer Patienten zu handeln. Eine konsistente Ableh- nung aller Lebenswertkriterien wür- de es nach sich ziehen, daß ein Arzt auch dann das Leben eines Patien- ten verlängern müßte, wenn dies ge- gen den eigenen Willen des Patien- ten oder sein bestes Interesse ver- stößt. Das würde bedeuten, daß Ärz- te nicht mehr die Helfer ihrer Pa- tienten wären, sondern oftmals ihre Folterknechte.

Als nächstes möchte ich die Fra- ge anschneiden, ob ein gewichtiger moralischer Unterschied darin be- steht, wie der Arzt den Tod eines Pa- tienten herbeiführt - durch Töten oder durch Sterbenlassen. Es wird oft angenommen, daß es moralisch erlaubt oder geboten ist, Patienten wie Baby C oder den an Krebs er- krankten englischen Arzt durch die Nichtanwendung lebenserhaltender Mittel sterben zu lassen, daß es aber immer moralisch falsch ist, einen sol- chen Patienten direkt zu töten. Die- se Annahme ist so tief im allgemei- nen Bewußtsein verwurzelt, daß sie selten in Frage gestellt wird. Den- noch ist eine solche Fragestellung unerläßlich.

Wenn der Tod eines Patienten bewußt durch Töten oder Sterben- lassen herbeigeführt wird, dann be- wegen wir uns damit im Bereich der Euthanasie - der aktiven Euthanasie, wenn der Patient getötet wird, und der passiven Euthanasie, wenn der Patient durch die Vorenthaltung le- bensverlängernder Mittel sterbenge- lassen wird. Während der Begriff

„Euthanasie" wie auch der Begriff

„lebensunwertes Leben" durch die Nationalsozialisten mißbraucht wor- den ist, so beschreibt er hier aus- schließlich solche Handlungen oder Unterlassungen, die im besten Inter- esse eines Patienten vorgenommen werden.

Aktive und

passive Sterbehilfe

Der folgende Fall ereignete sich kürzlich in Melbourne, Australien:

Eine 39jährige, Frau N., litt seit meh- ren Jahren an „Motor Neuron Dis- ease". Fast völlig gelähmt, benötigte sie seit geraumer Zeit einen Respira- tor. In Anbetracht ihres hoffnungslo- sen Zustandes wollte sie, daß die künstliche Beatmung eingestellt wer- de, so daß sie in Würde sterben kön- ne. Nach ausführlichen Besprechun- gen mit der Patientin und medizini- schen Kollegen brach der behan- delnde Arzt die künstliche Beat- mung ab. Frau N. starb fünf Stunden später.")

Obwohl die Beweggründe des Arztes nicht bekannt sind, können wir annehmen, daß er seine Ent- scheidung damit rechtfertigen wür- de, daß es angesichts der hoffnungs- losen Lage der Patientin und ihres aufgeklärten Wunsches, sterben zu wollen, falsch gewesen wäre, sie wei- terhin am Leben zu erhalten. Die meisten Ärzte werden ihm zustim- men. Wenn es aber moralisch zuläs- sig ist, eine Patientin wie Frau N.

durch den Entzug von lebenserhal- tenden Therapien auf eigenen Wunsch sterben zu lassen, warum sollte es dann - wie so viele glauben - moralisch verboten sein, einer sol- chen Patientin auf eigenen Wunsch direkte und aktive Sterbehilfe zu ge- ben?

Die gleiche Frage kann in bezug auf urteilsunfähige Patienten gestellt werden: Wenn es zum Beispiel mo- ralisch zulässig ist, einem schwerge- schädigten Kind, wie Baby C., oder einem darmlosen Kind, wie in Dr.

Koops Beispiel, Antibiotika und

künstliche Ernährung vorzuenthal-

ten,

um ihm ein leiderfülltes Leben zu ersparen, wie kann es dann mora- lisch falsch sein, einem solchen Kind aktive Sterbehilfe zu geben? Die Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990 (27) A-1247

(5)

Frage drängt sich auf, weil die bloße Vorenthaltung lebensverlängernder Mittel nicht immer zu einem schnel- len und gütigen Tod führt. Wenn zum Beispiel einem Kind, das nicht normal gefüttert werden kann, künstliche Ernährung vorenthalten wird, dann siecht das Kind oft lang- sam und qualvoll dahin, bis es von ei- ner unbehandelten Infektion hin- weggerafft wird. Das hat einen ame- rikanischen Kinderarzt dazu veran- laßt zu fragen, ob schwergeschädigte Säuglinge, denen lebenserhaltende Therapien vorenthalten werden, ein Recht haben, schnell zu sterben. 15)

Stellen wir uns vor, daß ein intel- ligenter, aber mit unseren Gepflo- genheiten nicht vertrauter Fremder ein modernes Krankenhaus besucht und die Frage stellt, warum be- stimmte Patienten willentlich ster- bengelassen werden. Der Arzt, nen- nen wir ihn Dr. Schmidt, antwortet, daß ein früher Tod manchmal im In- teresse eines Patienten liegt; daß Ärzte eine Pflicht haben, im Interes- se ihrer Patienten zu handeln 16), und daß es aus dieser Pflicht heraus ge- schieht, daß gewisse Patienten ster- bengelassen werden.

Der Fremde sieht, wie sich eini- ge Patienten beim Sterben quälen.

Er hört, wie eine nahezu total ge- lähmte Frau, die durch einen Re- spirator am Leben erhalten wird, ih- ren Arzt um aktive Euthanasie bittet.

Sie möchte durch eine tödliche Sprit- ze und nicht durch ein Abschalten der Maschine sterben, weil sie weni- ge Dinge so sehr fürchtet wie den Tod durch Ersticken. Der Arzt ant- wortet, daß ihm eine lange morali- sche und medizinische Tradition die aktive Euthanasie verbiete, daß er aber bereit sei, Frau N. beim Ster- benlassen zu sedieren, so daß Atem- not und Erstickungsanfälle leichter zu ertragen seien.

Der Fremde ist verwundert. Dr.

Schmidt versucht zu erklären, warum

15) John Freeman• „Is There a Right to Die — Quickly?", Journal of Pediatrics, Vol. 80, 1972, S. 904-5

16) Siehe World Medical Assembly: „Statement an Terminal Illness and Boxing: 35th Medi- cal Assembly, Venice, October 1983. Abge- druckt im Medical Journal of Australia, No.

140, 1984, S. 431

17) Ich bespreche diese Fragen ausführlich in The Sanctity-of-Life Doctrine in Medicine, Oxford University Press, 1987

die aktive (aber nicht die passive) Euthanasie moralisch falsch sei. Er beginnt mit dem Hinweis, daß es ge- wisse Handlungen gibt, die immer und unter allen Umständen mora- lisch falsch sind. „Das Töten un- schuldiger Menschen", sagt er, „ist eine solche Handlung." Der Fremde fragt, wieso eine Handlung von vorn- herein und ohne Betrachtung der weiteren Umstände als falsch ange- sehen werden kann. Er könne akzep- tieren, daß Töten normalerweise falsch sei (weil es gegen die besten Interessen des Getöteten verstößt, sein Leben vorzeitig zu verlieren), daß dieser Grund in Fällen der Eu- thanasie aber doch wohl kaum gelten kann; in allen Fällen der Euthanasie ist es — wie Dr. Schmidt zuvor selbst erklärt hat — im besten Interesse des Patienten zu sterben. Warum sollte es also von vornherein als falsch an- gesehen werden, das zu tun, was im besten Interesse eines Mitmenschen ist?

Die Fragen müssen diskutiert werden

Dr. Schmidt wirft ein, daß Töten falsch ist, weil das menschliche Le- ben unverfügbar ist. „Ausschließlich Gott", sagt er, „ist Herr über Leben und Tod, und es ist uns Menschen nicht gegeben, in Gottes Pläne zu pfuschen." Der Fremde hört mit In- teresse zu Dann erklärt er, daß — ab- gesehen davon, daß man in seinem Land nicht den gleichen religiösen Glauben hat — es für ihn schwer zu verstehen ist, wie Dr. Schmidt das menschliche Leben als unverfügbar ansehen kann, wo er doch laufend in Gottes Pläne einzugreifen scheint.

Er verlängert das Leben von einigen Patienten und läßt andere willentlich sterben. „Wie", fragt er Dr. Schmidt,

„können diese Praktiken mit der Un- verfügbarkeit des menschlichen Le- bens in Einklang gebracht werden?"

Dr. Schmidt antwortet, daß der Arzt in Fällen der passiven Euthanasie nichts unternimmt, was den Tod di- rekt verursacht. Wenn ein Patient sterbengelassen wird, dann stirbt er an einer natürlichen Ursache, wie zum Beispiel einer Infektion. In Fäl- len der aktiven Euthanasie dagegen

ist der Arzt selbst der Urheber des Todes.

Der Fremde stimmt zu, daß man auf diese Weise zwischen aktiver und passiver Euthanasie unterscheiden kann. „Aber", fragt er, „ist diese Un- terscheidung auch von moralischem Belang? Ist nicht ein Arzt, der einen Patienten willentlich sterben läßt, genauso verantwortlich für dessen Tod wie ein Arzt, der dem Patienten eine tödliche Spritze gibt?"

Die imaginäre Debatte zwischen Dr. Schmidt und dem Fremden könnte noch lange fortgesetzt wer- den. Ähnliche Diskussionen sind während der letzten 15 Jahre in Au- stralien, Amerika und England in medizinischen und philosophischen Journalen geführt worden. Sie sind noch nicht beendet. Was sie jedoch klar gezeigt haben ist, daß Diskussio- nen dieser Art unvermeidlich sind.

Es ist nicht länger eindeutig klar — wenn es das jemals war —, warum Ärzte passive, aber nicht aktive Eu- thanasie praktizieren sollten») Ak- tive Euthanasie ist gegenwärtig ille- gal. Aber Gesetze können geändert werden. Wenn ein Gesetz also ein schlechtes ist, dann haben wir die Pflicht, es zu ändern.

Eine vernünftige Diskussion die- ser Fragen steht in Deutschland noch aus. Solche Diskussionen sind aber auch in einem von der national- sozialistischen Vergangenheit über- schatteten Land unvermeidlich.

Auch in Deutschland werden Ent- scheidungen über das Leben und Sterben von Patienten gefällt Die Abwesenheit öffentlicher Diskussio- nen bedeutet lediglich, daß diese Entscheidungen implizit und auf der Basis von moralisch ungerechtfertig- ten (und vielleicht nicht zu rechtfer- tigenden) Kriterien gefällt werden.

Wann immer der ostafrikanische Stamm der Nuer entschied, daß ein schwergeschädigtes neugeborenes Kind nicht leben sollte, dann wurde das Kind als ein versehentlich von menschlichen Eltern geborenes Nil- pferd klassifiziert. Diese Kinder wur- den in den Fluß gelegt, in dem Nil- pferde ja normalerweise zu Hause sind. Was die Nuer anging, töteten sie damit nicht ein Mitglied ihres Stammes, sondern sie vollführten ei- ne für junge Nilpferde passende A-1248 (28) Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990

(6)

Handlung. Das Ergebnis war, daß die Ethik der Nuer, die das Töten von Mitgliedern des Stammes verbot, anscheinend unverletzt blieb. 18) Wenn eine moderne Gesellschaft schwergeschädigte Säuglinge, koma- töse Patienten und andere unheilbar kranke Patienten willentlich sterben läßt, gleichzeitig aber darauf besteht, daß Fragen der Euthanasie nicht

Schönfärberisch

Ich arbeite als Psychiater in ei- ner Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und bin tagtäglich mit der Realität der nervenärztli- chen Krankenbehandlung in einem großstädtischen Ballungsraum kon- frontiert. Diese Alltagsrealität sieht sehr viel anders aus, als es uns der ideologische und schönfärberische Artikel von Dr. Clade aufzuzeigen versucht.

In unserer Klinik werden Patien- ten mit einem breiten Spektrum psychiatrischer Krankheiten tiefen- psychologisch orientiert behandelt.

Es handelt sich hierbei nicht um „un- vermeidliches, normales Leiden", sondern um schwerwiegende seeli- sche Krankheiten, die einer kompe- tenten und fundierten psychothera- peutischen Behandlung bedürfen.

Die stationäre Behandlung ist hier ein Anfang. Auf längere Sicht ist je- doch bei vielen dieser Patienten eine ambulante Weiterbehandlung abso- lut notwendig.

Trotz „Boom", „Überversor- gung", „flächendeckender nerven- ärztlicher Versorgung" und „erwei- tertem Kompetenzspektrum" findet eine große Anzahl dieser Patienten auch bei intensivster Suche keinen ambulanten Psychotherapieplatz.

Ergebnis dieser Misere ist häufig die rasche Wiederaufnahme in unserer

") Siehe T. L. Beauchamp & J. F. Childress:

Ptincüdes of Biomedical Ethics, Oxford University Press, 1979, p. 121

einmal diskutiert werden dürfen, dann ist diese Gesellschaft dem Stamme der Nuer nicht unähnlich.

(Zwischentitel von der Redaktion)

Dr. phil Helga Kuhse Senior Research Fellow and Deputy Director

Centre for Human Bioethics Monash University

Melbourne/Astralien

Klinik oder die nervenärztliche Be- handlung mit hohen Tranquilizer- Dosen.

Die „psychiatrische Behandlung durch eingehendes therapeutisches Gespräch", die laut Dr. Clade 40 Prozent der Patienen erhalten, er- schöpft sich nur allzu oft in zweimi- nütigen Kurzkontakten, die dann mit dem Griff zum Rezeptblock beendet werden. Dies berichtet die Mehrzahl unserer Patienten, und es ist sicher kein Zufall, daß fast jeder psycho- neurotische Patient, der bei uns zur Aufnahme kommt, mit Tranquili- zern, Neuroleptika oder Antidepres- siva „anbehandelt" wurde, obwohl dies in vielen Fällen durch eine psy- chotherapeutische Behandlung zu vermeiden gewesen wäre . . .

Alles in allem ist die psychiatri- sche und psychotherapeutische Ver- sorgung in der Bundesrepublik noch nicht auf einem zufriedenstellenden Standard, davon zeugt ja auch die Verschreibungspraxis vieler nieder- gelassener Kollegen...

Hermann Roth, Feststraße 17, 6000 Frankfurt/Main 1

Kooperation statt Konkurrenz

Nach der Lektüre des Artikels von Dr. Clade frage ich mich: Kann der Arzt alles? Da ist von der „psy- chotherapeutischen Kompetenz" als

„Markenzeichen" der nervenärztli- chen Praxis die Rede, da wird ein

„vielfältiges Angebot an psycho- therapeutischen Methoden" be- schrieben.

In meiner Tätigkeit als niederge- lassener ärztlicher Psychotherapeut erlebe ich zweierlei: Zum einen, daß der Bedarf an — durchaus indizierter

— Psychotherapie keineswegs als ge- deckt anzusehen ist. Hierbei meine ich jene Psychotherapie, die aus der Basis einer fundierten Ausbildung und Erfahrung heraus geschieht (im Sinne der „Psychotherapie-Richtli- nien"), und nicht eine beliebige ver- bale Intervention aus dem Spektrum einer gewissen Vielfalt.

Zum anderen registriere ich aus dem Umfeld meiner Kollegen, wie schwer sich gerade Ärzte tun, die zwei Behandlungsmodelle zu inte- grieren haben, nämlich dasjenige der Versorgung durch den Experten, welcher Verantwortung übernimmt — wie die Medizin aus Tradition tut —, und jenes der Hilfe zur Selbsthilfe, das den Helfer am Ende entbehrlich macht, wie die Psychotherapie es zum Ziel hat . . . Psychotherapie kann nicht „nebenher" geschehen.

Sie fordert Schwergewicht und be- sondere Bedingungen, vielleicht ei- nes Tages gar ein eigenes Berufsbild und Selbstverständnis. Wir Ärzte sollten uns zur Kooperation statt zur Konkurrenz entscheiden. Auch wir können nicht alles.

Dr. med. Meinrad Braun, Kur- brunnenstraße 21 A, 6702 Bad Dürk- heim

Betreuung gesichert

Ihrem Artikel kann man nur zu- stimmen Ich darf noch folgendes er- gänzen:

1. Auch die niedergelassenen Allgemeinärzte und andere Fach- richtungen sind sehr stark in der psy- chotherapeutischen Versorgung ih- rer Patienten engagiert.

2. Durch die zusätzliche nerven- fachärztliche Betreuung ist das Ge- biet abgedeckt.

3. Bedauerlicherweise ist — wie auch von Bochnik und Koch be- schrieben — keine ausreichende Ab- grenzung zwischen der Krankenbe- handlung und der allgemeinen Le- benshilfe möglich. Dies läßt sich je-

Niedergelassene Nervenärzte:

Kompetenzspektrum erheblich erweitert

Zu dem Beitrag von Dr. rer. pol. Harald Clade in Heft 6/1990

Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990 (29) A-1249

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