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ie Sicherheitsvorkehrungen im Maßregelvollzug (MRV) werden besonders dann heftig diskutiert, wenn ein entwichener psychisch kran- ker Straftäter die öffentliche Sicherheit bedroht. In den letzten Jahren gab es ei- nige spektakuläre Fälle, zuletzt der des Sexualstraftäters Frank Schmökel.Dem Insassen der forensischen Klinik in Neuruppin, Brandenburg, war es im Oktober vergangenen Jahres – zum sechsten Mal – gelungen zu fliehen. Bei einem Ausgang verletzte er einen sei- ner drei Pfleger schwer, verletzte eben- falls seine Mutter, die er besuchen durf- te, und tötete später einen Berliner Rentner. Nach solchen Fällen werden immer wieder Forderungen laut, psy- chisch kranke Straftäter lebenslang
„wegzusperren“.
In Neuruppin wurden viele Fehler gemacht. Doch Lockerungen gehören zur Therapie. „Ein völliger Verzicht auf Lockerungen würde auf Dauer das Ge- fährdungsrisiko der Bevölkerung nicht verringern, sondern erhöhen“, sagt Prof.
Dr. med. Norbert Leygraf, Institut für Forensische Psychiatrie der Universi- tät/Gesamthochschule Essen. In einer Untersuchung stellte er fest, dass nur zehn bis 20 Prozent der entlassenen Pa- tienten erneut wegen einer schwerwie- genden Straftat auffällig werden (Ley- graf, 1998).*
Die brandenburgische Landesregie- rung zog Konsequenzen aus dem Fall Schmökel. Gesundheitsminister Alwin Ziel (SPD) ordnete sofortige Sicher- heitsmaßnahmen in den forensischen Kliniken an: Sämtliche Lockerungen wurden ausgesetzt; externe Gutachter werden künftig bereits vor der Ent-
scheidung über Lockerungsstufen ein- bezogen. Alle rund 60 Fälle in Neurup- pin werden zurzeit vom externen Gut- achter Prof. Leygraf überprüft. Schließ- lich berief Ziel eine
Expertenkommissi- on aus zwei Juristen und zwei Psychia- tern unter der Lei- tung des ehemali- gen nordrhein-west- fälischen Innenmi- nisters Dr. jur. Her- bert Schnoor. Diese untersucht die Pra- xis im brandenbur- gischen Vollzug und erarbeitet Empfeh- lungen für Verbes- serungen und höhe- re Sicherheit. Der Schlussbericht der Kommission liegt
zwar noch nicht vor, doch bereits Anfang Februar bezeichnete Schnor den Klinikbau in Neuruppin als un- geeignet. Geiselnahmen oder Ausbrü- che seien jederzeit möglich, da das Gebäude unübersichtlich, veraltet und überbelegt sei.
Neue Plätze in
Ostdeutschland nötig
Ziel sieht sich damit in seinen Forde- rungen bestätigt, den rund 80 Millionen DM teuren Neubau der Kliniken in Eberswalde und Brandenburg/Havel voranzutreiben. In der alten Landeskli- nik Brandenburg wird derzeit – von Monitoren überwacht – Schmökel be- handelt. Der Neubau in der Stadt Bran- denburg wird voraussichtlich Ende des
Jahres fertig werden; in Eberswalde hofft Ziel auf eine Fertigstellung vor 2004. Nach Auskunft seines Presse- sprechers ist es „möglich, dass Neurup- pin geschlossen wird“. Der Neubau in Eberswalde wird dann wahrscheinlich die Altbauten in Neuruppin und in Eberswalde ersetzen. Auch Leygraf fordert, dass der Bau der Klinik in Eberswalde vorangetrieben wird, denn
„besonders in den neuen Bundeslän- dern werden dringend Plätze im Maßre- gelvollzug benötigt“.
Zum wiederholten Mal konnte ein psychisch kranker Straftäter aus der Fachklinik für forensische Psychiatrie in Ueckermünde, Mecklenburg-Vorpom- mern, fliehen: Im Juli 2000 vergewaltigte
ein Neunzehnjähriger seine Betreuerin während eines Ausgangs und versuchte zu fliehen. Das konnte geschehen, weil
„die Vorgaben für die Lockerungsstufen von nicht dafür autorisierten Mitarbei- tern eigenmächtig erweitert wurden“, erklärte die damals zuständige Sozialmi- nisterin, Dr. phil. Martina Bunge (PDS).
Als Konsequenz wurden Personalverän- derungen in der Klinik vorgenommen, eine interne Sicherheitskraft berufen so- wie eine zweite technische Sicherheits- stufe eingerichtet.
Seit Oktober 2000 ist in Mecklen- burg-Vorpommern das Justizministeri- um für die Sicherheit im Maßregelvoll- zug zuständig. Die Entscheidung, den MRV in den Bereich des Sozialmini- steriums zu legen, „hat sich nicht be- währt“, begründete Ministerpräsident und scheidender Justizminister Dr. Ha-
Maßregelvollzug
Auch Therapie bedeutet Sicherheit
Die Politik will durch gesetzliche Änderungen und
neue Forensik-Standorte ihrem Sicherheitsauftrag für die Bevölkerung nachkommen.
* Zum Thema Kriminalprognose siehe auch Deutsches Ärzteblatt, Heft 27/2000
Ein durch Plexiglaszaun gesichertes Wohngebäude des Westfälischen Zen- trums für forensische Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn Foto: dpa
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rald Ringstorff die Veränderung. Dem neuen Justizminister Erwin Sellering (SPD) ist durch eine Novellierung im Psychischkrankengesetz (PsychKG) die Aufsicht über die äußere und innere Si- cherheit in den forensischen Kliniken übertragen worden. Für den Bereich Therapie bleibt weiterhin das Sozial- ministerium zuständig. Im März wurde in Gehlsdorf bei Rostock die dritte forensische Klinik in Mecklenburg- Vorpommern eröffnet. In dem 27 Mil- lionen DM teuren Bau können 80 Pa- tienten behandelt werden. Protesten aus der Bevölkerung gegen den Bau setzt Sellering entgegen, dass ein zwei- facher Sicherheitsring um die Klinik gezogen werde.
Viel zu wenig Plätze
In den forensischen Kliniken in Nord- rhein-Westfalen (NRW) ist die Zahl der Entweichungen kontinuierlich gesun- ken (von 668 im Jahr 1990 auf 296 im Jahr 1998). Doch die durch den Fall Schmökel hervorgerufenen Ängste „ha- ben uns wieder zurückgeworfen in un- seren Bemühungen um die neuen Fo- rensik-Standorte“, klagt Angelika Ma- ria Wahrheit, Pressesprecherin Birgit Fischers, NRW-Ministerin für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit. Fünf neue Standorte (Textkasten) mit 470 Therapieplätzen sollen der drückenden Enge in der Forensik abhelfen. In den sieben Fachkliniken sind zwar nur 1 147 Plätze vorhanden, doch 1 610 Patienten sind dort untergebracht. Neben den neuen Standorten hat in dem von Mini- sterin Fischer im November vorgeleg- ten Konzept für den Maßregelvollzug
„Sicherheit höchste Priorität“:
❃Speziell geschulte Sicherheitsfach- kräfte sollen die Sicherheitskontrollen und -vorkehrungen in den Kliniken ver- bessern.
❃ Der Maßregelvollzugsbeauftragte soll ein Kommunikationsnetz mit Ge- richten und Vollstreckungsbehörden aufbauen.
❃Im Westfälischen Zentrum für Fo- rensische Psychiatrie Lippstadt-Eickel- born wurde ein Fortbildungszentrum für Gutachter eingerichtet.
❃Um die Qualität von Gutachten zu steigern, haben die Ärztekammern die Führung der Gutachterlisten übernom- men.
Darüber hinaus sieht das Konzept vor, am Institut für forensische Psych- iatrie von Prof. Leygraf in Essen 54 Plätze zur Diagnostik und Begutach- tung psychisch kranker Straftäter ein- zurichten.
Sechs regionale Bürgerinitiativen haben sich in Nordrhein-Westfalen zu- sammengeschlossen, um gegen die neu- en Standorte zu protestieren. Schon einmal, im September 1996 im west- fälischen Herten, wurde der Bau ei- ner forensischen Klinik durch massive Bürgerproteste verhindert. Um den Bau einer Klinik auch gegen den Willen der Kommunen durchzusetzen, änder- te die Landesregierung Mitte 1999 das Maßregelvollzugsgesetz. Anstelle der Landschaftsverbände ist jetzt das Land zuständig. Die Landesbehörde im Ge- sundheitsministerium wird geleitet von dem Maßregelvollzugsbeauftragten Uwe Dönisch-Seidel, Dipl.-Psych.
Wann die erste der neuen Einrich- tungen im bevölkerungsreichsten Bun- desland gestartet werden kann, ist un- klar. „Im günstigsten Fall in zwei bis drei Jahren“, heißt es aus dem Mi- nisterium. Unerwartete Unterstützung für die Durchsetzung der Standorte erhielt die Landesregierung von der CDU. Im Gegenzug verlangt die Op- position im Landtag, dass im Maßre- gelvollzugsgesetz statt des Therapiean- spruchs des Täters die Sicherheit der Bürger an erster Stelle genannt wird.
Birgit Fischer kontert, in ihrem Kon- zept habe der Schutz der Bürger bereits absoluten Vorrang. Ausreichende Be- handlungsplätze seien zudem Grund- voraussetzung für die Sicherheit der
Bürger. Petra Bühring
Neue Standorte für forensische Kliniken/
Abteilungen in NRW
❃Köln/Porz-Westhoven: neue Klinik mit 126 Plätzen
❃Dortmund-Aplerbeck: neue Abteilung mit 54 Plätzen auf dem Gelände des Westfälischen Zentrums für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
❃Herne: neue Klinik mit 90 Plätzen
❃Duisburg: neue Klinik mit 90 Plätzen
❃Münster/Amelsbüren: neue Abteilung mit zunächst 36 und später 54 Plätzen Textkasten
Zu dem im Heft 10/2001 erschienenen gleichnamigen Artikel von Klaus Koch stellen zwei der im Artikel genannten Wissenschaftler richtig:
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ie Behauptung, die Autoren einer Arbeit im New England Journal of Medicine (NEJM) hatten Datenlücken nach „Erfahrung gefüllt“ und nachträg- lich Daten aus den Akten der Hausärz- te herbeigeholt, ist falsch. Richtig ist, dass bereits bei der Durchführung (1993 bis 1994) der im NEJM publizier- ten Studie Laborwerte entlassener Pati- enten von Hausärzten mit erhoben wur- den und diese dann in der Publikationmit eingegangen sind. Zum Zeitpunkt der Re-Analyse der Studie im Jahr 2000 konnten die Unterlagen in Freiburg nicht mehr vollständig analysiert wer- den. Allein aus diesem Grund haben sich die Verfasser bei den Hausärzten erkundigt und diese gebeten, den da- maligen Sachverhalt zu verifizieren.
Der Vorwurf eines gravierenden Ver- stoßes gründet somit auf einem falschen Sachverhalt. Der wahre Sachverhalt wurde bei der Anhörung vor der Frei- burger Kommission am 27. November 2000 ausführlich erörtert.
Zur Erklärung des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Hämatolo- gie und Onkologie (DGHO) sei ange- merkt, dass bei der kurzen Anhörung vor dem Ältestenrat der DGHO am 7. Dezember 2000 diesem unsere de- taillierte Stellungnahme für die Deut- sche Forschungsgemeinschaft zum Ge- samtkomplex nicht bekannt war und der Vorstand der DGHO bei dieser An- hörung selbst nicht anwesend war.
Prof. Dr. Lothar Kanz, Doz. Dr. Wolfram Brugger Medizinische Klinik, Universität Tübingen
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel bezieht sich auf ei- nen Kommissionsbericht, der als Presseinformation der Universität Freiburg in voller Länge nachzulesen ist unter:
www.uni-freiburg.de/presse/eser.html Medizinreport