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Archiv "Forensische Psychiatrie: Sicherheit vor Therapie - der neue Trend" (20.03.1998)

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herapie und Sicherung sollten im Maßregelvollzug gleich- wertig nebeneinander stehen“, sagte Dr. med. Michael Osterheider, ärztlicher Leiter des Westfälischen Zentrums für forensische Psychiatrie in Eickelborn. Er sprach anläßlich der 13. Eickelborner Fachtagung zu Fra- gen der Forensischen Psychiatrie, die in diesem Jahr den Titel „Der Maßre- gelvollzug im Widerstreit zwischen gesellschaftlichem Auftrag und öf- fentlicher Meinung“ trug.

In diesem Spannungsfeld stehen Therapeuten und Pfle- gepersonal der forensischen Einrichtungen derzeit mit dem Rücken zur Wand. Seit den Morden an den Mädchen Kim Kerkow und Natalie Astner im vergangenen Jahr und der Affäre um den „Kinderschän- der“ Marc Dutroux in Belgien werden die Rufe nach Siche- rung und dem „Wegschlie- ßen“ der Täter immer lauter.

Unterstützt wird dieser Trend

durch die Medien, die die Taten zum Teil voyeuristisch aufbereitet haben.

Zeitbomben sind nach Ansicht vieler Bürger die Einrichtungen des Maßregelvollzugs, in denen, so das gängige Vorurteil, wenig nachvoll- ziehbar auf Kosten ihrer Sicherheit mit Psychopathen experimentiert wird. Jüngstes Beispiel: Herten. Hier plante die nordrhein-westfälische Landesregierung den Neubau einer Einrichtung für psychisch kranke Rechtsbrecher. Sie sollte unter ande- rem dazu dienen, das Zentrum in Eickelborn zu entlasten, das mit rund 350 schuldunfähigen oder vermindert schuldfähigen Straftätern hoffnungs- los überbelegt ist. Die dezentrale Un-

terbringung von Maßregelpatienten war von einer Expertenkommission empfohlen worden, nachdem ein Eickelborner Patient 1994 ein sieben- jähriges Mädchen getötet hatte. Nach Ansicht der Experten vermindert eine Dezentralisierung das Risiko. „Ab ei- ner bestimmten Größe steigt der Zeit- und Kraftaufwand für Kommunikati- on und Kontrolle überproportio- nal an. Dadurch entstehen ,blinde Flecken‘ “, sagte auch Rechtsanwalt

Dr. jur. Günter Tondorf. Das Herte- ner Vorhaben ist jedoch bislang am Widerstand der Bevölkerung geschei- tert. Dabei belegt eine Studie von Bernd Dimmek und Dr. med. Hein- fried Duncker, beide sind Mitarbeiter am Westfälischen Zentrum, daß „die Rückfallgefährdung der Allgemein- heit durch ehemalige Patienten gerin- ger ist als die, die von ehemaligen Strafgefangenen ausgeht“. Keiner der Gewaltdelinquenten, deren Lebens- läufe nach der Entlassung verfolgt wurden, ist einschlägig rückfällig ge- worden. Die Rückfallquote von Se- xualstraftätern lag allerdings bei 27 Prozent. „Hier müssen therapeutische Ansätze und prognostische Einschät-

zungen verbessert werden“, lautet ein Ergebnis der Studie.

Unbestritten ist das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Sicherheit. Was Ärzten, Pflegern und Juristen jedoch Kopfzerbrechen berei- tet, ist der „Trend“, Sicherung vor The- rapie und Wiedereingliederung zu stel- len. Eine Tendenz, die sich nach An- sicht vieler Tagungsteilnehmer auch in der jüngsten Strafrechtsreform nieder- geschlagen hat. Seit dem 31. Januar gilt ein verschärftes Sexualstrafrecht, das mittelbar die nach § 63 untergebrach- ten psychisch kranken Straftäter be- trifft. Bislang mußte ein Patient zur Bewährung entlassen werden, „sobald verantwortet werden kann zu erpro- ben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswid- rigen Taten mehr begehen wird“. Die- se Formulierung wurde ersetzt durch

„wenn zu erwarten ist, daß . . .“ Ger- hard Fieberg, Ministerialrat im Bun- desministerium für Justiz (BMJ), ge- steht zu, daß dies für Therapeuten und Gutachter eine bittere Pille ist, die

in einem emotional aufgela- denen politischen Klima ge- dreht wurde. Der Kern des

§ 63, der auf Therapie undSi- cherung fußt, werde jedoch nicht angetastet. Nach Ausle- gung des BMJ werde nach wie vor von den Prognosen der Gutachter keine unbedingte Gewähr gefordert, sondern eine auf Tatsachen fußen- de Wahrscheinlichkeit. Dabei gelte: je höher das zu schüt- zende Rechtsgut, desto höher die Prognosewahrscheinlich- keit. Zweifel an dieser Interpretation hegt aber auch Fiebig. Der Ermessens- spielraum der Richter sei groß. Auch sie würden beeinflußt vom öffentli- chen Klima. Die Gefahr bestehe, daß Lockerungen und Bewährungen re- striktiver gehandhabt würden. Dabei sei die Rücknahme von Freiheitsein- schränkungen Voraussetzung für die Weiterführung der Therapie und ein Schritt auf dem Weg zur Wiederein- gliederung, so Rechtsanwalt Tondorf.

Tondorfs Postulat: „Eine Gesell- schaft bringt ihre Täter hervor. Inso- fern ist eine Gesellschaft auch verant- wortlich für den weiteren Lebensweg ihrer Täter“ mutet inzwischen fast anachronistisch an. Es ist offenbar un- A-649

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 12, 20. März 1998 (21) Geschrotet und in Stücken – das ist das Strafmaß, das Wilhelm Busch seinen

bösen Buben verhängt. Max und Moritz waren das Motto der 13. Eickelbor- ner Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie.

Forensische Psychiatrie

Sicherheit vor Therapie – der neue Trend

Die verängstigte Öffentlichkeit fordert Schutz vor Psycho- pathen, Mördern, Kinderschändern. Die Mitarbeiter im Maßregelvollzug haben dagegen einen schweren Stand.

T

Wilhelm Busch: Max und Moritz

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modern geworden, gesellschaftliche Einflüsse auf die Persönlichkeitsent- wicklung zu betonen. Dennoch, so Tondorf, haben nach unserer Rechts- ordnung schuldunfähige Täter An- spruch auf Behandlung und Rehabili- tation.

Bleibt die Frage nach dem Sicher- heitsrisiko. Nach Ansicht von Bundes- richter Prof. Dr. Hartmut Horstkotte sind Fehler unvermeidbar: „Wir kön- nen nur Risikofaktoren analysieren.

Wir können nicht in die Zukunft schauen.“ Der „Zeitgeist“ fordere je- doch mehr und mehr den absoluten Ri- sikoausschluß. Therapeuten und Rich- ter befänden sich stets im Dilemma zwischen Festhalten und Entlassen.

Mitarbeitern fehlt der Rückenwind

Dieser „Zeitgeist“ könnte dazu führen, dem Konzept „sicher ist si- cher“ wieder Geltung zu verschaffen, befürchtet Dr. Klaus Koepsel, Präsi- dent des Justizvollzugsamtes Rhein- land. Er hielte dies für einen Rück- schritt in die Zeit vor 1969, als der Maßregelvollzug in seiner jetzigen Form eingeführt wurde. Damals sei das Menschenbild davon ausgegan- gen, daß Heilung oder Besserung möglich seien: „Motivierte Mitarbei- ter hatten Rückenwind aus der Ge- sellschaft. Es wäre schade, wenn sich der gegenwärtige Trend demotivie- rend auswirkt“, meinte Koepsel.

Die ethische Dimension der Frage Rehabilitation oder „Verwahrung“

liegt für Pastor Eduard Wörmann auf der Hand: „Ohne Hoffnung und Zu- kunftsorientierung verkümmert das Menschsein.“ Wörmann ist Vorsitzen- der des Beirates beim Westfälischen Zentrum, der sich als Bindeglied zwi- schen Maßregelvollzug und Öffent- lichkeit versteht. Der Druck, der nach dem Mord von 1994 auf Mitarbeitern und Patienten lastet, hat Wörmann zu- folge die Gewaltbereitschaft erhöht und bei den Patienten zu Rückschrit- ten geführt. Einseitige Sicherheitsin- teressen beeinträchtigten die Qualität der Therapie. Ein effektiver Opfer- schutz ist nach Ansicht des Kriminolo- gen Hendrik Walther ohnehin nur zu erreichen, wenn man die Ursachen von Straftaten aufdeckt. Heike Korzilius A-650

P O L I T I K AKTUELL

(22) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 12, 20. März 1998

ie Selbstverwaltung hat den Pädiatern originäre Leistun- gen entzogen und sie den Ärz- ten der Organfächer übertragen“, kri- tisiert der Präsident des Berufsver- bandes der Ärzte für Kinderheilkun- de und Jugendmedizin Deutschlands (BVKJD), Dr. med. Klaus Gritz. Er befürchtet, daß die Kinderheilkunde über die Gebührenordnung aufgedrö- selt wird: „Das Kind wird in seine ein- zelnen Organe zerlegt und nicht mehr ganzheitlich behandelt“, sagte er beim 1. Forum für Gesundheits- und Sozial- politik des Verbandes in Bonn.

Jedes dritte Kind werde heute von niedergelassenen Ärzten anderer Fachrichtungen behandelt, obwohl die pädiatrische Ausbildung der Medizinstudenten unzureichend sei.

Gritz forderte, die Kinderheilkunde wieder als Hauptfach im Studium zu etablieren. Unter den jetzigen Ausbil- dungsbedingungen sei es sinnvoll und konsequent, Kinder und Jugendliche nur noch von Pädiatern behandeln zu lassen.

Die Versorgung von Kindern müsse ohne jede Zuzahlung erfolgen, forderte Gritz weiter. Die Streichung des Zahnersatzes als Kassenleistung müsse zurückgenommen werden.

Weitere Leistungseinschnitte in der GKV lehnt er ab: „Bei Kindern werden nur notwendige Leistungen durchgeführt. Hier gibt es keine Ge- schäftemacherei.“ Schon heute sei es schwierig, autogenes Training für ver- haltensgestörte Kinder von den Kas- sen genehmigt zu bekommen. Auch bei Heil- und Hilfsmitteln „wird kräf- tig auf die Bremse getreten“.

Aufgrund der Fortschritte in der stationären Kinderheilkunde hat sich die durchschnittliche Verweildauer in

Kinderkliniken von drei Wochen auf fünf Tage reduziert. Der Vizepräsi- dent des BVKJD, Dr. med. Hans-Jür- gen Nentwich, sieht darin keine „un- getrübte Erfolgsmeldung“, sondern fürchtet das „Ausbluten der Kinder- stationen“. Zusammen mit dem Ge- burtenrückgang verringere dies den Bedarf an Krankenhausbetten.

Würden die Kapazitäten für die Aus- und Weiterbildung reduziert, könnten nicht mehr genügend Kin- derärzte ausgebildet werden. Der Bettenabbau könne so zu einem „Bu- merang für die Versorgung der Kin- der“ werden, fürchtet Nentwich. Zu- dem könnten nur Kinderkliniken ent- sprechender Größe und Ausstattung Fachpersonal halten und Ärzte for- schen lassen.

Neue Struktur der

klinischen Kinderheilkunde

Die Struktur der klinischen Kin- derheilkunde muß Nentwich zufolge geändert werden, wenn die Kinder- medizin in Deutschland keinen Scha- den nehmen soll. Vorrang müsse ein hohes fachliches Niveau haben. Dazu brauche man Abteilungen mit kindge- rechten und modernen Apparaten, in denen rund um die Uhr Fachärzte zur Verfügung stünden. Um die wirt- schaftliche Existenz kleiner Kinder- kliniken und Abteilungen zu sichern, schlägt Nentwich vor, Kinder und Ju- gendliche ausschließlich in Kinder- krankenhäusern zu versorgen, die bei Bedarf Organspezialisten hinzuzie- hen. Denn derzeit würden bis zu 50 Prozent aller Kinder in Erwachsenen- abteilungen von Organspezialisten behandelt. Dr. Sabine Glöser

Versorgung von Kindern und Jugendlichen

Pädiater wollen

die Koordinatoren sein

Von Selbstverwaltung und Politik fordern die

Pädiater die Anerkennung ihrer Fachkompetenz ein – als hausärztlich tätige Spezialisten.

D

Referenzen

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