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Archiv "Bündnis90/Die Grünen: Grünes Licht für Reformen" (20.06.2003)

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B

is zur Cottbuser Messehalle war es noch gut einen Kilometer, da wur- den bereits zwei Farbkleckse sicht- bar. Einer von beiden erwies sich bei näherer Betrachtung als Gruppe von Gewerkschaftern und PDS-Angehö- rigen, die auf roten Transparenten ihrem Ärger über die Sozialpolitik der Bundesregierung Luft machten. Grün leuchteten dagegen die Fahnen vor der gegenüberliegenden Messehalle, in der sich am vergangenen Wochenen- de Bündnis90/Die Grünen zu einem außerplanmäßigen Parteitag zur Be- ratung der Agenda

2010 trafen.

So kontrastreich wie das Farbenspiel vor der Halle verlief weitgehend auch die Debatte im Inneren des Zweckbaus (in dem vor vier Jahren übrigens der Deut- sche Ärztetag statt- fand). Am Ende der zweitägigen Ausspra- che stand dennoch

ein klares Ergebnis. Mit rund 90 Pro- zent billigte die grüne Parteibasis mit einigen Änderungen das Reformkon- zept der Bundesregierung und erteilte Agendagegnern um den wirtschafts- politischen Sprecher der Fraktion, Wer- ner Schulz, eine deutliche Absage. Zu- vor war parteiintern nur mit einer Zweidrittelmehrheit gerechnet worden.

Ausdrücklich akzeptierte der Partei- tag die Herausnahme des Kranken- geldes aus der paritätischen Finanzie- rung der Gesetzlichen Krankenversi- cherung sowie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, eine verkürzte Bezugsdauer des Arbeitslo- sengeldes und die Aufweichung des Kündigungsschutzes.

Schweißtreibend verlief die Debatte trotz des klaren Ergebnisses dennoch.

Daran konnten auch die zahlreichen Ventilatoren nichts ändern, die unabläs- sig Frischluft in die Halle bliesen. „Wir wollen euch kämpfen sehen“, rief die nordrhein-westfälische Linke Barbara Steffens, unter großem Jubel derer, denen manche Kompromisse mit der SPD zu weit gehen, der Parteispitze ent- gegen. Gekämpft haben die Grünen- Oberen, allerdings für die Reform- agenda des Bundeskanzlers. Außenmi- nister Joschka Fischer appellierte an die

Reformbereitschaft seiner Partei. Er sagte, die notwendige Sanierungsarbeit

„ist schmerzhaft und wird weh tun“.

Doch wenn die Reform nicht gelinge, werde „am Ende nichts übrig bleiben außer Kürzen und Streichen“.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer warnte, dass man nicht nur Reformen fordern dürfe, sondern auch sagen müss- te, in welche Richtung sie gehen sollen.

Der Parteivorsitzende forderte eine

„Modernisierung nach menschlichem Maß“. Diese richte sich, nach den Worten Bütikofers, an Werten wie Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Emanzipation aus. Soziale Sicherung gebe es in Zukunft nur durch den Mut zum Wandel.

Auch die grüne Fraktionsvorsitzende Krista Sager verteidigte die Reform- agenda. „Bündnis 90/Die Grünen sind diejenigen, die nicht aus der Küche ge- hen, wenn es anfängt zu brennen, son- dern die dann kochen, wenn es am aller- heißesten wird.“ Wenn die Politik jetzt nichts unternehme, würden die „sozia- len Sicherungssysteme gegen die Wand fahren“, warnte Sager. „Die Reichen können auf das soziale Sicherungssy- stem verzichten, die Armen nicht.“

Deshalb müsse für einen gerechten Umbau der Systeme gekämpft werden.

Die Grünen dürften ihre bisherigen politi- schen Erfolge jetzt nicht kaputtmachen, sondern müssten den Bürgern zeigen, dass sie auch in schwieri- gen Situationen fähig seien zu handeln.

Trotz der Zustim- mung der Delegier- ten zur Agenda 2010 ist eine Mehrheit der Koalition im Bundes- tag für die einzelnen Gesetzentwürfe, nicht zuletzt wegen möglicher Abweich- ler bei der SPD, noch nicht gesichert.

Der erklärte Agendagegner Schulz sag- te: „Die Zustimmung im Bundestag hängt davon ab, ob sich unsere hart er- kämpften Teilerfolge in den Gesetzent- würfen widerspiegeln.“ Gemeint waren Forderungen der Delegierten nach wei- teren Reformschritten wie die rasche Wiedereinführung der Vermögenssteu- er und die Abkehr von der Praxis, die Kosten der deutschen Einheit aus den Sozialversicherungssystemen heraus zu bestreiten. Erstmals auf die Probe ge- stellt wird die Kanzlermehrheit bei der Abstimmung über die Gesundheitsre- form Anfang Juli im Bundestag.

P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2520. Juni 2003 AA1707

Bündnis90/Die Grünen

Grünes Licht für Reformen

Am Ende war die Zustimmung für die Agenda 2010 größer als erwartet. Schweißtreibend fiel die Debatte auf dem

Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen in Cottbus dennoch aus.

Mehr als 90 Prozent der rund 800 Delegierten stimmten für den Leitantrag des Vorstandes.

Rechts: Grünen-Chef Reinhard Bütikofer plädiert für eine Bürgerversicherung für alle.

Foto:ddp Foto:dpa

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Scharfe Kritik an den Plänen der Re- gierung übte Wilhelm Achelpöhler,Vor- standssprecher der Grünen in Münster, der sich maßgeblich für den Sonderpar- teitag eingesetzt hatte. Eine Krise auf Kosten der sozial Schwachen zu behe- ben, sei schon zu Zeiten von Bismarck praktiziert worden, sagte Achelpöhler.

Auch heute sei es wieder modern, bei denen zu kürzen, die die Gesellschaft nicht brauche, etwa bei den Alten. Dass bei der Reform des Gesundheitssystems einseitig die Arbeitnehmer belastet würden, sei ebenfalls ein altes Konzept, sagte der Grünen-Politiker.

Dass Grünen-Parteitage immer wie- der für Überraschungen gut sind, hat die Vergangenheit wiederholt gezeigt.

Zuletzt sorgten die Delegierten im De- zember in Hannover für Verwunde- rung, als sie ihre erfolgreichen Partei- vorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn aus ihren Ämtern jagten, weil man nicht von der dogmatischen Tren- nung von Amt und Mandat lassen woll- te. Da verwundert es nicht, dass der Cottbuser Parteitag sekundenlang den Atem anhielt, als der Änderungsan- trag des Kreisverbandes Friedrichs- hain-Kreuzberg zur Abstimmung stand, wonach das Krankengeld eine pari- tätisch finanzierte Leistung innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung bleiben sollte. Bei Annahme dieser Pas- sage wäre die Agenda in einem wesent- lichen Punkt unterhöhlt worden.

Bürgerversicherung für alle

So weit kam es nicht, wohl auch deshalb, weil Parteichef Bütikofer sich seit Mona- ten müht, die Reformpläne der Grünen durch klar formulierte Ziele begreifbarer zu machen, die sich auch in dem Leitan- trag des Vorstandes widerspiegelten. So sieht der Grünen-Beschluss zusätzlich zu den Agenda-2010-Plänen von Kanzler Schröder den langfristigen Aufbau einer Bürgerversicherung vor, wonach alle Be- rufsgruppen und Einkunftsarten zur Fi- nanzierung der Sozialsysteme herange- zogen werden sollen. Dies ist zum einen ein Zugeständnis an viele Linke, mit dessen Hilfe manch andere bittere Pille versüßt wurde, zum anderen ist die For- derung nach einer Bürgerversicherung aber auch eine ernst gemeinte Perspekti-

ve, an der man scheinbar auch in ande- ren politischen Lagern Gefallen gefun- den hat. So begrüßte Bütikofer am Ran- de des Delegiertentreffens die neuesten Forderungen des Unions-Sozialexper- ten Horst Seehofer, der sich nun, ähnlich wie auch die Grünen, dafür aussprach, dass in Zukunft alle in die Gesetzliche Krankenversicherung einzahlen sollten – unabhängig von ihren Einkommen.

Gegenüber der Bild am Sonntag hatte

Seehofer erklärt, es könne nicht ange- hen, dass sich Besserverdienende, Selbst- ständige, Beamte und auch Politiker der Solidargemeinschaft entzögen. Grünen- Chef Reinhard Bütikofer begrüßte die Äußerung Seehofers. Zugleich rief er SPD, CDU und Gewerkschaften zur Zu- sammenarbeit auf, damit die Bürgerver- sicherung umgesetzt werden könne. Er glaube, in dieser Frage sei eine positive Entwicklung möglich. Samir Rabbata P O L I T I K

A

A1708 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2520. Juni 2003

J

e länger die Wartezeit, desto besser der Arzt. So lautet eine weit verbrei- tete Volksweisheit. Jahrzehntelang herrschte stillschweigende Einigkeit darüber, dass es nicht unbedingt vorteilhaft ist, mit einem nervigen WANNKOMMICHENDLICHDRAN! den Doktor zu größerer Hektik an- zutreiben. Ist ja nicht ausgeschlossen, dass der in Hast und Eile mal was übersieht, was man dann auszubaden hat.

Ein gnädiger Richter hat nun verfügt, dass all diejenigen, die in dem sinnlo- sen Herumlungern in Deutschlands Wartezimmern einen herben Lebensqua- litätsverlust sehen, diesen als Schadensersatz in Euro geltend machen können – quasi als Schmerzens-Wartegeld. Ich habe daraus bereits die Konsequenzen gezogen: Hoher Redebedarf wird nach Beendigung der regulären Praxistätig- keit befriedigt. Ich hoffe inständig, dass mich kein Richter wegen unbotmäßi- ger Patientenbetreuung nach Feierabend belangt.

Geärgert hat mich das Urteil schon. Aber beim zweiten Nachdenken fallen mir die unendlichen Möglichkeiten auf, die es bietet: Ich lasse mein Knie so lan-

ge in verschiedenen Ebenen röntgen, bis eine subchondrale Sklerose sichtbar wird. Dann erkläre ich mich für arbeitsunfähig und stelle mich in einer orthopädischen Klinik zwecks endoprothetischer Versorgung vor. Die Zwi- schenzeit überbrücke ich mit einer Klage auf Schmerzens-Wartegeld und Ein- nahme von Diclofenac. Erwartungsgemäß führt dieses Präparat zu schwersten gastritischen Beschwerden, sodass ich den OP-Termin nicht wahrnehmen kann. Daraufhin wird gleich die Folgeklage fällig. Es dauert sicher mehrere Wochen, bis das zuständige Gericht reagiert. Nunmehr reiche ich eine Klage wegen Verfahrensverschleppung ein.Weil mir das Warten auf der Liste und auf die Gerichtsurteile nicht zumutbare Einkommensverluste beschert, bin ich ge- zwungen, auch hier den Klageweg zu beschreiten. Die Situation eskaliert, ich halte dem Druck nicht mehr stand und muss mich in psychotherapeutische Be- handlung begeben, und mein Knie ist auch noch nicht operiert.Auf den Psychologen muss ich aber zwei Monate warten, und daher . . . na ja, Sie wissen schon.

Wenn alles klappt, habe ich in der Blüte meiner Jahre ein gedeihliches Auskommen – als Schmerzensgeld- und Wartezeit-Kläger. Ich muss nur vor diesem Richter pro- zessieren . . . wo war noch mal das Aktenzeichen . . . verflixt, ich hatte es doch irgendwo . . . können Sie mir vielleicht weiterhelfen? Dr. med. Thomas Böhmeke

Schmerzensgeld

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