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achsens Ministerpräsident Georg Milbradt bewies Weitsicht, als er CDU-Chefin Angela Merkel vor gut einem Jahr einen Nussknacker schenkte. Damals, beim Parteitag der CDU in Leipzig, stellte Merkel die Wei- chen für einen radikalen Umstieg auf pauschalierte Krankenkassen- beiträge im Gesundheitswesen.Als harte Nuss erwies es sich, die bayerische Unionsschwester CSU von den Plänen zu über- zeugen. Gerade rechtzeitig vor dem diesjährigen CDU-Partei- tag in Düsseldorf ist der Kom- promiss mit den Christsozialen gelungen. „Jetzt sind es CDU und CSU gemeinsam, die den Wandel im Gesundheitsbereich mit der Einführung eines solidarischen Gesundheits-Prä- mienmodells gestalten“, sagte Merkel in ihrer Grundsatzrede zu Beginn des Parteitages am 6. Dezember. Wie die CSU zwei Wo- chen zuvor, votierten die Delegierten schließlich mit großer Mehrheit für den Gesundheitskompromiss der Union.
Gestritten wurde im Vorfeld jedoch nicht nur mit der CSU, deren Sozialex- perte Horst Seehofer sich aus Protest gegen den Kompromiss aus der Frakti- onsführung im Bundestag zurückzog.
Auch in der CDU wurden Gegensätze zwischen dem Arbeitgeber- und dem Arbeitnehmerflügel, der Mittelstands- vereinigung sowie dem Wirtschaftsrat und dem Sozialausschuss deutlich. Von Düsseldorf sollte hingegen ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Wohl um dieses Ziel nicht zu gefährden, ging Angela Merkel in ihrer Rede nicht näher auf die Auseinandersetzungen der letzten Monate um das Gesund- heitskonzept ein. Stattdessen forderte die Oppositionsführerin mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in
Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Holstein: „Attacke auf die anderen, kein Feuer auf uns selbst.“ Die De- legierten beherzigten dies. Dennoch stimmten einige dem Konzept wohl nur mit der geballten Faust in der Tasche zu, wurde doch in den letzten
Wochen vor allem aus den Landesver- bänden der CDU in Baden-Württem- berg, Niedersachsen sowie im Saar- land Kritik laut. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) bezeichnete das Prämienmodell bereits im Vorfeld des Parteitages als
„viel zu kompliziert“.
Mix aus Solidarsystem und Gesundheitsprämien
Das Unionskonzept ist eine Art Mix aus dem bisherigen Solidarsystem und einheitlichen Gesundheitsprämien.
Dabei werden die Arbeitgeberbeiträge bei 6,5 Prozent festgeschrieben. Die Arbeitnehmer zahlen einheitlich 109 Euro, aber maximal sieben Prozent ihres Einkommens an die Krankenkasse.
Der soziale Ausgleich für Gering- verdiener und Kinder wird von den
Arbeitgeberbeiträgen sowie aus Steuer- mitteln finanziert. Seehofers Nachfolger im Amt des Fraktionsvize, Wolfgang Zöller (CSU), schloss Korrekturen an dem Modell nicht aus. Bestimmte Unebenheiten müssten noch geglättet werden. Nach Meinung von Sachver- ständigen aus der Wissenschaft dürfte es damit allein jedoch nicht getan sein.
Der Darmstädter Gesund- heitsökonom Prof. Bert Rürup bezeichnete den Kompromiss als „Kind mit Geburtsschä- den“. Dieser sei zu intranspa- rent für einen effektiven Kas- senwettbewerb. Die Finanzie- rung sei zudem wackelig, be- fand Rürup bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sach- verständigenrates Mitte No- vember in Berlin. Auch sei das Krankengeld nicht eingerech- net und der Arbeitgeberanteil um sechs Milliarden Euro zu hoch an- gesetzt. Als Alternative sprachen sich die Wirtschaftsweisen für eine so ge- nannte Bürgerpauschale aus. Mit dem Mischmodell aus Kopfpauschale und rot-grüner Bürgerversicherung soll die Trennung von privater und Gesetz- licher Krankenversicherung aufgeho- ben werden. Jeder Erwachsene müsste demnach monatlich eine Prämie von 198 Euro an die Kassen zahlen. Über- steigen die Kosten 13 Prozent des Ein- kommens, erhält der Versicherte einen Zuschuss vom Staat. Kinder sind bei- tragsfrei mitversichert. Die Zuschüsse würden sich nach Angaben des Sach- verständigenrates auf rund 30 Milliarden Euro summieren. 17 Milliarden Euro da- von könnten aufgebracht werden, wenn der bisherige Arbeitgeberanteil ausge- zahlt und versteuert würde. Der Rest ließe sich etwa über eine Anhebung der Einkommen- oder der Umsatzsteuer um P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 5010. Dezember 2004 AA3379
Bundesparteitag der CDU
Grünes Licht für die Gesundheitsprämie
Die CDU mühte sich auf ihrem Düsseldorfer Delegiertentreffen um Geschlossenheit.
Kritik am Reformkonzept für das Gesundheitswesen gab es kaum.
Betont sachliche Grundsatzrede: Angela Merkel forderte die Delegierten auf, „kein Feuer auf sich selbst zu richten“.
Foto:dpa
zwei Prozent beziehungsweise über Aus- gabensenkungen finanzieren.
Kritiker warnen davor, dass mit dem Unionskompromiss die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abhängig vom Wohlwollen des Finanzministeri- ums wird. „Dann wägt der Finanzmini- ster ab, ob es Geld gibt für Panzer oder für die Versorgung der Patienten“, warnt der Vizevorsitzende des Sachverständi- genrates für das Gesundheitswesen, Prof. Dr. Peter Scriba. Auch Bundesärz- tekammer-Präsident Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe gab kürzlich auf der Me- dica in Düsseldorf zu bedenken, dass die Heranziehung von mehr Steuermitteln dazu führen könnte, dass das durch Beiträge erworbene Recht der Patienten auf eine angemessene Versorgung durch eine Zuteilung von Leistungen durch die Verwaltung ersetzt wird. Die gewerk- schaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung ließ das Unionskonzept vom Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES) durchrechnen.Nach dem letzte Woche in Berlin vorgestellten Gutach- ten werden Ehepaare mit nur einem Einkommen durch die Pauschale in der Regel stärker belastet. Besser weg kom- men dagegen Alleinstehende und Ehe- paare, bei denen beide Partner gut ver- dienen. Nach Meinung der INIFES- Fachleute ist das Konzept wenig geeig- net, die Ausgaben in der GKV zu be- grenzen – es sei denn, man spekuliere darauf, die Leistungen bei einer Kopf- pauschalenfinanzierung eher kürzen zu können als im gegenwärtigen System, heißt es in dem Gutachten.
Auf dem CDU-Parteitag blieben derlei Bedenken weitgehend uner- wähnt. Zu den wenigen Kritikern gehörte der ehemalige Bundesarbeits- minister Norbert Blüm.Wie schon beim letzten Parteitag der CDU in Leipzig, fand er deutliche Worte gegen das ge- plante Prämiensystem. Es sei dringend erforderlich, die Ausgaben im Gesund- heitswesen zu begrenzen. Aber weder die rot-grüne Bürgerversicherung noch die Kopfpauschale lösten die Probleme.
Beide gingen nur an das Portemonnaie der Leute. Der Sozialexperte sprach sich gegen einen Systemwechsel aus.
Blüm: „Die bisherige Beitragsfinanzie- rung ist eine kluge Errungenschaft un- seres Sozialstaates und muss erhalten werden.“ Samir Rabbata, Timo Blöß
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er Pharmakonzern Pfizer hat beim Sozialgericht Berlin Klage gegen die Spitzenverbände der Krankenkassen eingereicht. Damit wehrt sich das Unternehmen gegen deren Beschluss vom 29. Oktober, auch für den noch patentgeschützten Chole- sterinsenker Sortis®einen Festbetrag einzuführen. Wie Pfizer-Sprecherin Herlinde Schneider gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt äußert, beruft sich der Konzern bei seiner Klage auf eine „Innovationsschutzklausel“ im Gesetz, nach der patentgeschützte Arz- neimittel mit verbesserter therapeuti- scher Wirkung von der Festbetragsrege- lung auszunehmen sind. Sortis mit dem Wirkstoff Atorvastatin stelle speziell für übergewichtige Diabetiker sowie für Herzinfarktpatienten einen unver- zichtbaren Fortschritt dar, so Schneider.„Fall“ Sortis hat Tragweite für die gesamte Pharmaindustrie
Mit seinen Aktionen wolle Pfizer nicht nur verhindern, dass Kassenpatienten von Januar an entweder auf ein anderes Statin ausweichen oder aber aus dem eigenen Geldbeutel zuzahlen müssten.
Der „Fall“ Sortis habe vielmehr Trag- weite für die gesamte Industrie, weil es im Kern der Diskussionen um die Frage des gesetzlichen Schutzes von Innova- tionen gehe. „Wir müssen eine öffent- liche Diskussion führen, wer nach wel- chen Regeln darüber befindet, ob ein Medikament eine therapeutische Ver- besserung darstellt und innovativ ist.“
Bisher sei das Verfahren „völlig intrans- parent“, kritisiert der Vorsitzende der Geschäftsführung von Pfizer Deutsch- land, Walter Köbele: „Da entscheiden
Funktionäre hinter verschlossenen Türen, ohne dass sie die wissenschaft- lichen Grundlagen offen legen.“
Diese Einschätzung teilt auch der Bad Homburger Pharmakonzern Altana und hat – ebenfalls beim Sozialgericht Berlin – Klage gegen die Einstufung seines Protonenpumpenhemmers Panto- prazol eingereicht. Das Unternehmen vertritt die Ansicht, dass die therapeu- tische Überlegenheit von Pantozol®, beispielweise eine geringere Zahl an Nebenwirkungen, bei der Festbetrags- gruppenbildung nicht berücksichtigt wurde. Möglicherweise erhalten Pfizer und Altana in den nächsten Tagen Unterstützung. Nach Informationen, die dem DÄ vorliegen, überlegen eine Reihe anderer Pharmahersteller, sich dieser juristischen „Probe aufs Exem- pel“ für patentgeschützte Präparate anzuschließen.
Der „Verunsicherungskampagne“
des Arzneimittelherstellers Pfizer be- gegnen die Spitzenverbände der Kran- kenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) derweil mit einer eigenen Informationsoffensive.
Mit Plakaten und Handzetteln für Arzt- praxen wehren sie sich gegen die Behauptung des Pharmakonzerns, Fest- beträge und qualitativ hochwertige Versorgung würden sich gegenseitig ausschließen. Die hochwertige medizi- nische Versorgung sei in jedem Fall sichergestellt, so die Spitzenverbände und die KBV. Medizinisch vergleichbare Alternativen zu Sortis innerhalb der Festbetragsgrenze und sogar darunter seien verfügbar. Durch die Preisstrate- gien von Pfizer könnten Patienten, die Sortis einnehmen, zusätzliche Kosten von mehr als 200 Euro im Jahr entste- hen, die sie dann aus der eigenen Tasche zahlen müssten.
Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat eine Patienteninformation zur Bewertung von Statinen zusammen- gestellt, die im Internet unter www.
iqwig.de abrufbar ist. Danach gibt es keinen Nachweis dafür, dass Sortis
„Herzinfarkte und Schlaganfälle besser verhindert als andere Statine“ oder ge- ringere Nebenwirkungen habe als Ver- gleichspräparate. Der Wechsel von Sortis zu einem anderen Statin sei unproble- matisch. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn