• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die Allgemeinmedizin hat sich emanzipiert" (05.11.1986)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die Allgemeinmedizin hat sich emanzipiert" (05.11.1986)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

1111 it etwa 90 Lehrbeauftrag- ten an fast allen deutschen Universitäten ist die

„Emanzipation der Allgemein- medizin irreversibel" geworden;

mit dieser Feststellung eröffnete Prof. Dr. Siegfried Häußler in München das 12. jährliche Sym- posion der Vereinigung der Hochschullehrer und Lehrbeauf- tragten für Allgemeinmedizin zu- sammen mit Dekanen der Medi- zinischen Fakultäten. Allerdings gibt es noch immer in der Bun- desrepublik nur einen einzigen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, nämlich in Hannover (siehe Ka- sten Seite 3084).

Ebensowenig haben sich die Schwierigkeiten geändert, die der Institutionalisierung der All- gemeinmedizin an den Hoch- schulen entgegenstehen (und die übrigens auch in anderen Ländern nicht viel anders ausse- hen): Es mangelt an Akzeptanz seitens anderer Fächer; es man- gelt an finanzieller, materieller und personeller Ausstattung der Lehrbeauftragten und Institute;

die nach wie vor für unerläßlich gehaltene Bedingung, daß nur in der Praxis tätige Ärzte an der Universität Allgemeinmedizin lehren sollen, bedeutet für diese eine große zeitliche Belastung und das Handikap, nicht ständig in den Universitätsbetrieb einge- bunden zu sein. Diese Dinge zu

Vor 20 Jahren: der erste Lehr- auftrag; vor 15 Jahren: Ein- führung des Faches in die Weiterbildungsordnung; vor 10 Jahren: der erste Lehr- stuhl; jetzt die EBM-Reform und in Zukunft die Weiterbil- dungspflicht nach EG-Recht

—all diessehen die Hochschul- lehrer für Allgemeinmedizin als Schritte auf dem Wege zu einer wirklichen Anerkennung ihres Faches als eigenstän- digem Gebiet der Medizin.

verbessern ist Anliegen des jähr- lichen Treffens.

Als außerordentlich nützlich wurde begrüßt, daß eine Medi- zinhistorikerin (Prof. Renate Wit- tern, Erlangen-Nürnberg) die Ta- gung mit „Gedanken zum Arzt- bild gestern, heute, morgen" er- öffnete. Es ergaben sich nämlich Ausblicke auf die künftigen Auf- gaben des Allgemeinarztes, die zum einen wegen des Zuwach- ses an alten und häufig chro- nisch kranken Patienten mehr im Begleiten als im Heilen liegen werden. Auch die Bedeutung der Primärprävention und der Ge- sundheitserziehung und -bera- tung wird zunehmen. Daraus re-

sultiert zum anderen eine wach- sende Zusammenarbeit mit An- gehörigen anderer Berufe, die sich um „das Seelische" und das soziale Umfeld kümmern wollen.

Konsequenz: sei es bei direkter Zusammenarbeit im Team, sei es im nicht organisierten Nebenein- ander der verschiedenen Berufe

— der Arzt wird in Zukunft viel- leicht nicht weniger, sondern mehr als bisher gerade die wis- senschaftliche Medizin einbrin- gen müssen.

Mehr „Praxis" in die Lehre!

Lebhaft diskutiert wurde in Mün- chen die Berücksichtigung der Allgemeinmedizin in der ärzt- lichen Ausbildung (Prof. G. Fei- fel, Homburg; Prof. Peter Hel- mich, Düsseldorf; vgl. dazu „Sei- te eins", DÄ 44/1986). Während sich die Allgemeinmediziner na- türlicherweise mehr „Praxis" in der Ausbildung wünschten, hiel- ten dem Vertreter der Fakultäten entgegen, daß die Universität nicht Allgemeinmediziner auszu- bilden habe, sondern Ärzte — al- les andere sei Sache der Weiter- und der Fortbildung. Wobei die Frage gestattet sein möge, ob es nicht durch private Initiativen einzelner niedergelassener Ärzte und Studenten möglich gemacht werden kann, daß der Medizin- student einmal die Langzeitbe- treuung von typischen Hausarzt- patienten kennenlernt, die er in der Universitätsklinik so gut wie nie sieht.

Über die Verbindung von Allge- meinmedizin und Psychosoma- tik sowie Psychotherapie in der

Lehre referierten Prof. Heinz Schepank, Mannheim, und Prof.

M. Wirsching, Gießen. Aus der Psychotherapie könne der Stu- dent die für alle Ärzte wichtige

Die Allgemeinmedizin hat sich emanzipiert

Zum Beispiel: Beim 12. Dekan-Symposion der Lehrbeauftragten für Allgemeinmedizin überwog, trotz vieler Probleme, doch der Optimismus

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 45 vom 5. November 1986 (19) 3083

(2)

Seit zehn Jahren:

Lehrstuhl für

Allgemeinmedizin

Nach mehrjähriger Vorberei- tungszeit und mit Unterstüt- zung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen war 1976 eine Abteilung für Allgemeinmedizin an der Me- dizinischen Hochschule Han- nover gegründet worden. Dr.

med. Klaus-Dieter Haehn, all- gemeinmedizinisch tätiger Landarzt aus Kirchboitzen bei Walsrode, wurde auf eine C 4- Professur berufen.

Lehre im Rahmen des human- medizinischen Studiums, Weiterbildung und Forschung

— das sind die wichtigsten Be- reiche, in denen sich die Ab- teilung bewährt hat. Auch an der Konzeption von Fortbil- dungsveranstaltungen betei- ligt sich die organisatorisch in das Zentrum für öffentliche Gesundheitspflege an der MHH eingebundene Abtei- lung für Allgemeinmedizin. In- zwischen liegt in Hannover ei- ne—auch international ausge- richtete — beeindruckende Forschungsbilanz vor.

Der Präsident der Ärztekam- mer Niedersachsen, Dr. Gu- stav Osterwald, nahm das Ju- biläum zum Anlaß, an die an- deren medizinischen Univer- sitäten und Hochschulen im Lande zu appellieren, sich in- tensiver als bisher um die Etablierung der Allgemeinme- dizin in Forschung und Lehre zu bemühen. Das Beispiel Hannover zeige, daß ein Lehr- angebot viel differenzierter und weitreichender sein kön- ne, wenn es im Forschungs- und Lehrbetrieb stärker ver- ankert wäre.

Dr. Osterwald unterstrich, daß die ärztlichen Körperschaften in den letzten Jahren erheb- liche Anstrengungen unter- nommen hätten, um diesem Fach den ihm gebührenden Platz in der Forschung und Lehre sowie in der ambulan- ten ärztlichen Versorgung zu ermöglichen. Immerhin habe die Zahl der allgemeinmedizi- nisch tätigen Kassenärzte in Niedersachsen von 1980 bis 1985 um 15,5 Prozent zu- genommen, während sie im gleichen Zeitraum im gesam- ten Bundesgebiet insgesamt nur um 3,2 Prozent ge- stiegen sei. DÄ-N

3084 (20) Heft 45 vom 5. November 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Allgemeinmedizin

Erkenntnis ziehen, daß die Fä- higkeit zum Gespräch mit dem Patienten gelernt werden muß.

Es wäre allerdings ein Fehler, psychosomatische Erkrankun- gen als eigenständigen Teil der Medizin zu betrachten. Wenn man sagt, daß jeder Arzt auch immer die Seele des Kranken mitbehandelt, so darf man dies aber nicht mit einer echten psy- chotherapeutischen Behand- lung durch den Fachmann ver- wechseln, die, wie Prof. Häußler es ausdrückte, ein ganz anderes Ziel hat: Sie soll „die Persönlich-

keit des Patienten umstrukturie- ren"; der Allgemeinarzt dagegen soll dem Kranken helfen, „sein Dasein zu bewältigen".

Großes Forschungspotential in der Allgemeinmedizin Ein dritter Schwerpunkt in Mün- chen war die Forschung in der Allgemeinmedizin. Hier gibt es einen Teufelskreis: Die Fakultä- ten verlangen, daß die Allge- meinmedizin ihren Anspruch, ein eigenständiges Fach zu sein, durch Forschungsarbeiten zu beweisen habe. Die Allgemein- mediziner dagegen beklagen, daß sie wegen ihrer zeitlichen Belastung und auch wegen der Eigentümlichkeiten ihres Gebie- tes nicht in der Lage sind, solche Arbeiten durchzuführen, und das vor allem, wenn die Universitäten sie nicht dabei unterstützen.

Dabei gibt es gerade in der All- gemeinmedizin ein großes Po- tential an möglichen For- schungsvorhaben, auch wenn man sich auf empirisch-prakti- sche Fragen beschränkt und auf großen theoretischen Überbau verzichtet. Solche Schwerpunk- te zeigte Dipl.-Volksw. Elisabeth Schach, Dortmund, auf (sie be- rät die Vereinigung der Hoch- schullehrer für Allgemeinmedi- zin in Forschungsfragen): Bio- graphische Medizin, Psychoso- ziale Fragen, Epidemiologie, Ge- sundheitssystemforschung, Ge- sundheitsberatung, Integration medizinischer und sozialwissen- schaftlicher Zusammenhänge.

Für die allgemeinmedizinische Forschung kommen im wesent- lichen kontrollierte Studien (et- wa von Krankheitsverläufen und von Langzeitwirkungen ver- schiedener Therapien) sowie Feldstudien in Frage. Themen wie Prävention, Geriatrie, ar- beits- und sexualmedizinische Einflüsse können sogar in der Allgemeinmedizin besser bear- beitet werden als in anderen Ge- bieten. Bei den allgemeinmedizi- nisch tätigen Ärzten wäre mit den richtigen Methoden sicher eine Fülle interessanter „Daten"

zu erheben. Allerdings wurde auch davor gewarnt, nun etwa Banalitäten erforschen zu wol- len.

Optimismus für die Entwicklung der Allgemeinmedizin in der nächsten Zukunft, trotz aller Schwierigkeiten, war doch der Grundtenor, und dazu trug unter anderem Prof. Hans Ehrhard Bock, Tübingen, bei. Er sah die Allgemeinmedizin weitgehend im Sinne einer Ganzheitsmedi- zin, was aber nicht als ideologi- scher Zwang zur Einheitlichkeit mißverstanden werden dürfe.

Die Ganzheitsmedizin müsse pluralistisch bleiben, und sie müsse fest auf dem Boden der Naturwissenschaften stehen —

„nicht Heildunst, sondern Heil- kunst" forderte Prof. Bock für die Zukunft. G. Burkart

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

as GKV-Gesundheitsreform- gesetz 2000 weist zwar die künftige hausärztliche Ver- sorgung den Fachärzten für Allge- meinmedizin zu, die Neuordnung der Finanzierung der

Wir konnten in den letzten fünf Jahren nachweisen, daß auch in einer solchen kleinen Klinik eine hohe therapeutische Dichte mit einem marktgerechten Pflegesatz zu erreichen ist

Damit hat sich die Deutsche Ärzte- schaft darauf festgelegt, die all- gemeinärztliche Versorgung in quantitativer und in qualitativer Hinsicht zu verbessern. Der Ent- scheidung

Es ist zu emp- fehlen, dass bei jedem Ver- dachtsfall eine eingehende kin- der- und jugendpsychiatrische Diagnostik stattfindet und auch der weitere Behandlungs- verlauf kinder-

Nach zwangsweiser Ein- führung (Die Ärzteschaft soll- te sich endlich mal wehren!) werden zunehmend Ärzte, die vielleicht noch über die Ren- tengrenze hinaus arbeiten wollten,

Mit Um- satzgarantien, Investitionszu- schüssen, Erschwerniszuschlä- gen für Notfalldienste oder Er- leichterungen im Notfalldienst für über 60-jährige Ärzte, aber auch mit

— allerdings nicht „in allen deutschen Landen". Kassel hat nach zwei verhee- renden Weltkriegen seine Lage im Her- zen eines die deutschen Lande umfas- senden Staates verloren.

Dazu gehöre unter an- derem, daß der Allgemein- arzt auch in der Großstadt sich und seine Mitarbeiter über die Lebensbedingun- gen und das soziale Um- feld seiner Patienten