A 152 Deutsches Ärzteblatt
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27. Januar 2012Das Leser-Forum
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PRA XIS GEBÜHR
Eine Selbstbeteili- gung ohne Steue- rungswirkung – deshalb muss das Thema Eigenverant- wortung wieder auf die Tagesordnung (DÄ 50/2011: „Ausgesteuert“ von Heinz Stüwe).
Auf „Verdünnerscheine“
angewiesen
Allein der Fakt, dass die deutschen Bürger zu oft zum Arzt gehen (18-mal pro Versicherten), kann an diesem Artikel unwidersprochen bleiben.
Warum ein Vergleich mit Gesund- heitssystemen wie in Großbritan- nien oder Skandinavien problema- tisch sein soll, erschließt sich mir nicht. Die allgemeinen Eckdaten bei der Lebenserwartung, bei den Zeiten mit Arbeitsunfähigkeit und bei der Überlebenswahrscheinlich- keit bei bestimmten problemati- schen Diagnosen (Krebs, Polytrau- ma) sollten schon eine Vergleich- barkeit ermöglichen. Ist es wirklich problematisch, dass Patienten bei leichten Erkrankungen dort nicht zum Arzt im staatlichen Gesund- heitswesen vorgelassen werden?
Denn wer es sich leisten kann, kann auch mit leichten Erkrankungen in Skandinavien eine Sprechstunde aufsuchen. Diese Leistungen wer- den dann aber nicht durch die Soli- dargemeinschaft finanziert . . . Natürlich ist die Gesamtvergütung gedeckelt, der einzelne Arzt ver- dient aber durchaus mehr, wenn er viele Bagatellfälle behandelt und seinem benachbarten ärztlichen Kollegen dagegen viele schwer kranke Patienten überlässt, für die
das jeweilige Budget weder hinten noch vorne reicht. Weitet der ein- zelne Kollege seine Fallzahlen aus, ohne dass die anderen Kollegen nachziehen, dann verdient er auf Kosten der anderen Kollegen mehr.
Das wissen auch die Politiker und werden genau auf diesen Aspekt hinweisen . . .
Dass die Ärzte nun ein besonderes Interesse daran hätten, im Grunde nicht indizierte Arztbesuche zu un- terbinden, da ihnen für die übrigen Patienten dann mehr Zeit bleibt, entspricht nun leider so gar nicht der Praxis. Für die zusätzlich er- brachten Leistungen bei sehr kran- ken Patienten bekommt man leider nichts, während man für die Vor- stellung eines weiteren Patienten mit einer Bagatellerkrankung sehr wohl bezahlt wird.
Allein schon wegen des Medika- mentenbudgets und des Heilmittel- budgets ist man aber als Arzt darauf angewiesen, dass man eine relevan- te Zahl von „Verdünnerscheinen“
einsammelt. Der Versicherte, wel- cher einem im Folgequartal in der Sprechstunde mitteilt, dass die letz- te Behandlung gut geholfen habe, . . . ist Gold wert . . .
Wenn man Eigenverantwortung stärken will, dann wäre es auch leicht möglich, je nach Anzahl der an die Krankenkassen gemeldeten Arztbesuche parallel mit dem Ein- zug der Krankenkassenbeiträge eine Gebühr von fünf Euro je Vorstel- lung einzuziehen. Dann werden die Verwaltungskosten und auch die da- mit verbundenen Risiken beim Ein- ziehen dieser Gebühr dort anfallen, wo sie hingehören. Dann hätten der Arzt und das übrige Praxispersonal wieder mehr Zeit, sich den Patien- ten zuzuwenden. Aber das nötige Verwaltungsgeld werden die Kas-
sen (und letztlich auch die Versi- cherten) nicht aufwenden wollen, sondern auf die Ärzte zum Nulltarif abwälzen wollen, wie es bereits mit der bisherigen Praxisgebühr so gut geklappt hat . . .
Dr. med. Uwe Wittig, 01277 Dresden
Zum Haare raufen
Es ist zum Haare raufen, weiß denn hier niemand mehr, was bei uns wirklich läuft?
18-mal zum Arzt: Das ist zum Großteil staatlich und kassenseitig gewollt! Teilnehmer an DMPs, wie zum Beispiel Diabetiker, müssen (!) mindestens achtmal pro Jahr allein deswegen kommen: Blutentnahme, Untersuchung und DMP-Bogen ausfüllen. Und von den DMPs gibt es ja noch einige mehr . . . Fragen Sie doch mal, welcher Druck von- seiten der Kassen ausgeübt wird, damit die Menschen wegen des Ri- sikostrukturausgleichs in die Praxen geschickt werden. Und das alles, ohne dass es den Kranken damit besserginge!
Dr. med. Falk Buettner, 24340 Eckernförde
Anzahl der Kontakte überprüfen
In kaum einem anderen europä - ischen Land als Deutschland gibt es so viele ärztliche Kontakte. Und da soll eine stets anfallende Gebühr von fünf Euro abhelfen? Ich be- zweifle das . . .
Wenn man im Ausland gelebt und gearbeitet hat, sieht man sein eige- nes Land und dessen Medizin oft mit anderen Augen. Es ist richtig, dass die Skandinavier nicht gleich beim ersten Hatschi zum Arzt ge- hen. Wenn aber der respiratorische Infekt – ich vermeide das Wort Er-
S G Ü
E g r d T w d (DÄ 50/2011: Ausge
B R I E F E
Deutsches Ärzteblatt
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27. Januar 2012 A 153 kältung – stärker wird, nehmen siedoch Kontakt auf. Dann aber wer- den sie nicht sogleich vom teuren Arzt empfangen, sondern eine gut ausgebildete Krankenschwester ent- scheidet zunächst, ob und welcher Arzt zuständig ist und welche Dringlichkeit besteht. Ergebnis: Der Arzt hat mehr Zeit für den ernsthaft erkrankten Patienten und kann ge- gebenenfalls auf teure technische Untersuchungen verzichten. Zweiter Grund: Warum muss bei jedem Wiederholungsrezept unbedingt ein Arztkontakt sein? Muss wegen einer einmal feststehenden Rezeptur der Patient sich wirklich viermal! im Jahr beim Arzt vorstellen? Warum hat man die schöne alte Rezeptur wie in Skandinavien üblich „bis ite-
ratur“ – für jüngere Kollegen „zwei- mal wiederholen“ – vergessen? Al- lerdings müsste das Apothekenab- rechnungssystem geändert werden.
Warum müssen alle erwachsenen Frauen einmal pro Jahr zur Krebs- vorsorge, wenn in anderen Ländern das Ergebnis einer zweijährigen Un- tersuchung genauso gut ist? Warum bestellen die Kollegen selbst die Pa- tienten immer wieder kurzfristig ein? Weil sie es nicht anders kennen und es auch so von ihren Ausbildern schon so gelernt haben . . .
Das Wichtigste daher ist, dass wir Ärzte endlich einmal über den Sinn und den Unsinn der ständigen Wie- dereinbestellungen und Kontakte nachdenken.
Dr. med. Diethard Friedrich, 27404 Zeven
PRA XI SFÜHRUNG
Oft genug entstehen in der Praxis Rollen-, Macht- oder Bezie- hungskonflikte (DÄ 48/2011: „Konflikte produktiv nutzen“
von Patric P. Kut- scher).
Zu wenig Mediation
So, wie es im Artikel „Konflikte kreativ nutzen“ dargestellt wird, gelingt es nur in den Praxen, in de- nen „gute“ Bedingungen herr- schen: Dort kann durch Konflikte und Probleme Entwicklung und Lernen induziert werden, der per- manente Entwicklungsprozess ist ohne professionelle Begleitung möglich.
Nicht selten sieht die Realität an- ders aus. Auf einer Veranstaltung berichteten Arzthelferinnen von
„Kündigungswellen“, im einen Fall neun Arzthelferinnen in einem hal- ben Jahr (von zwölf), im anderen Fall vier (von acht). Auf dem Semi- nar arbeiteten wir mit mediativen Techniken, das heißt, es wurden die Bedürfnisse erarbeitet und auf de- ren Grundlage Lösungswege ge- sucht, die Vorteile für alle (Helfe- rinnen, Patienten und Ärzte) dar- stellen (win-win). Besteht ein kolle- giales Klima und konnten koopera-
tive Wege im Umgang mit Konflik- ten erlernt werden, ist der beschrie- bene Weg wünschenswert und aus- sichtsreich.
In vielen Praxen gelten aber weiter- hin Alltäglichkeiten, so, dass in der Teamkonferenz die meisten schwei- gen, dass viele Kritik- und Kon- fliktpunkte nicht ausgesprochen werden, dass Gruppen- und Frakti- onsbildung der Helferinnen in die gefährliche Nähe von Mobbing- handlungen geraten. Eine angeneh- me Arbeitsatmosphäre ist selten.
Die Arzthelferinnen vermissen oft Anerkennung und Respekt vonsei- ten der Ärzte und das, obwohl sie ein wichtiger Bindungsfaktor für die Patienten darstellen.
Sind die Fronten zwischen den Hier archieebenen verhärtet oder das Gegeneinander im Team stabil, empfiehlt sich die Hinzunahme ei- nes Mediators. Oft spielen in sol- chen Fällen Emotionen, Verletzun- gen oder Missverständnisse eine große Rolle. Weisen zunehmende Krankenstände oder die Häufung von Kündigungen auf sogenannte Unternehmenspathologien hin, ist die unbeeinflusste Sicht des Außen- stehenden hilfreich . . .
Mediation ist natürlich kein Allheil- mittel, sie wird aber im Gesund- heitswesen unverständlicherweise viel zu wenig zum Einsatz gebracht.
Dr. med. Heinz Pilartz, 53347 Alfter
S Ü
O i M h 4 p v s
A LLGEMEINMEDIZIN
Ein Gemeinschafts- projekt gegen den Hausarztmangel (DÄ 47/2011: „Förde- rung der Allgemein- medizin: ,Ich will keine Karriere als Kardiologie-Spezialist‘“ von Eva Rich- ter-Kuhlmann).
Ansprüche von allen Seiten
Warum will denn schon seit langem keiner mehr Hausarzt werden, wenn es doch ein vor allem finan- ziell so attraktiver Beruf ist?
Ich bin seit mehr als 20 Jahren als Hausarzt niedergelassen und beur- teile die aktuelle Situation so:
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Seit 20 Jahren werden mein En- gagement und meine Empathie konsequent von Politik, Kassen und KV ausgebeutet.●
Ich werde in meiner täglichen Arbeit zugeschüttet mit Ansprüchen von allen Seiten: Patienten, Kran- kenkassen, Kassenärztliche Vereini- gung, Gewerbeaufsicht, Arbeits- und Betriebsmedizin, Qualitätsma- nagement und und und . . .●
Alle wissen ganz genau, was ich zu tun und zu lassen habe; aber, dass immer mehr Aufwand auch bezahlt werden muss, davon wollen Kassen und Politik nichts hören.●
Ihr alle habt Glück, dass mich mei- ne Auffassung vom Arztberuf, leider aber auch die Schulden, die ich in Erwartung einer angemessenen wirt- schaftlichen Entwicklung eingegan- gen bin, an einem Wechsel hindern.●
Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, dann hieße das: Arzt ja, nie- dergelassener Arzt nein, niederge- lassener Hausarzt zehnmal nein . . . Lösungsvorschläge:●
deutlich mehr Geld (seit Jahren werden 30 Prozent meiner Arbeit nicht honoriert, Hausbesuche wer- den für ein Trinkgeld erbracht)●
Weg mit dem ewigen unsäglichen Regressdruck.Wenn die (vor allem finanziellen) Sorgen weniger werden, wird auch die Arbeit wieder Spaß machen, und das wird sich nahtlos auf den Nachwuchs auswirken.
Dr. med. Magnus Seebach, 96472 Rödental
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E p H 4 r m k Kardiologie-Spezialis
B R I E F E
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