A 2304 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 48|
29. November 2013ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT
Aufruf des Bestandsmarkts beibehalten
Union und SPD wollen die Möglichkeit, den Nutzen alter Arzneimittel prüfen zu lassen, wieder aus dem Sozialgesetzbuch streichen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hält das für einen großen Fehler. Denn bei vielen dieser Medikamente sei ein Zusatznutzen nicht belegt.
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as Arzneimittelmarktneuord- nungsgesetz (AMNOG) wird von vielen Experten als das beste Gesetzeswerk angesehen, das der schwarz-gelben Koalition gelungen ist. Unter anderem räumt es der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft (AkdÄ) das Recht ein, Stellungnahmen zur frü- hen Nutzenbewertung neuer Wirk- stoffe abzugeben – lässt ihr dafür jedoch nur drei Wochen Zeit. „Wir machen sehr gerne von dieser Mög- lichkeit Gebrauch“, sagte der AkdÄ- Vorsitzende Prof. Dr. med. Wolf- Dieter Ludwig auf der Mitglieder- versammlung der Kommission am 22. November in Berlin.„Denn wir hoffen, auf diese Wei- se wichtige Gesichtspunkte aus me- dizinischer Sicht beisteuern und bessere Informationen über den tat- sächlichen therapeutischen Nutzen neuer Arzneimittel erhalten zu kön- nen.“ Dies sei angesichts der weiter bestehenden Dominanz pharmazeu- tischer Unternehmer bei der Infor- mation über neue Arzneimittel drin- gend erforderlich. Die Frist von drei Wochen aber sei viel zu kurz.
„Eine gründliche Beschäftigung mit den neuen Wirkstoffen ist in dieser Zeit nicht möglich“, so Lud- wig. „Diese Frist engt uns in dem, was wir leisten können, stark ein.“
Zusatznutzen oft zweifelhaft
Der Leiter der Abteilung Arzneimit- tel im Gemeinsamen Bundesaus- schuss (G-BA), Thomas Müller, be- tonte die Bedeutung, die die Stel- lungnahmen der AkdÄ aus Sicht des G-BA haben: „60 frühe Nutzen- bewertungen hat der G-BA bis heu- te vorgenommen – zu 30 der neuen Wirkstoffe hat die AkdÄ eine Stel- lungnahme abgegeben. Wir wün- schen uns ausdrücklich, dass sich die AkdÄ auch in Zukunft so inten-siv an den Nutzenbewertungen be- teiligt. Denn wir brauchen die Ein- schätzung der Ärzteschaft. Aus un- serer Sicht hängen Akzeptanz und Erfolg des Verfahrens wesentlich mit der Expertise der klinischen Er- fahrung zusammen.“
Mit dem AMNOG hatte Schwarz-Gelb auch die Möglich- keit eingeführt, Arzneimittel aus dem Bestandsmarkt einer Nutzen- bewertung zu unterziehen. Diese Möglichkeit will Schwarz-Rot nun wieder streichen. „Wir halten die Entscheidung, den Bestandsmarkt- aufruf zu beenden, für einen ekla- tanten Fehler“, sagte Prof. Dr. med.
Bernd Mühlbauer, Mitglied des Vorstands der AkdÄ. „Über viele der bislang erfolgten Bestands- marktaufrufe haben wir uns sehr gefreut.“ Denn ein Zusatznutzen von einigen der aufgerufenen Wirk- stoffe sei durchaus zweifelhaft. Als Beispiel nannte Mühlbauer die drei Antidiabetika Saxagliptin, Sitaglip- tin und Vildagliptin, die zusammen mit ihrem Wettbewerber Linaglip- tin, der in Deutschland nach einer negativen AMNOG-Bewertung nicht vermarktet wird, aufgerufen worden waren.
„Alle drei Gliptine haben nach unserer Auffassung keinen belegten Zusatznutzen“, sagte Mühlbauer.
Denn die Hersteller hätten es ver- säumt, rechtzeitig vernünftige Stu- dien aufzusetzen. Über den thera- peutischen Stellenwert dieser Glip- tine könne man heute daher keine belastbare Aussage treffen. „Genau deshalb ist der Bestandsmarktauf- ruf so wichtig“, betonte Mühlbauer.
„Wird er eingestellt, können Medi- kamente ohne Zusatznutzen auf Jahre zu überhöhten Preisen im Markt bleiben – zum Nachteil der Patienten.“ Dass Union und SPD den Bestandsmarktaufruf nun im Austausch mit der Fortsetzung von Preismoratorium und erhöhtem Herstellerrabatt beenden wollen, bezeichnete er als „Kuhhandel“.
„Kniefall vor der Industrie“
„Auf dem Markt sind heute zahlrei- che Arzneimittel, deren Zusatznut- zen nicht belegt ist“, befand auch Prof. Dr. med. Ulrich Schwabe, Mitglied der AkdÄ und Mitheraus- geber des Arznei-Verordnungsre- ports. Manche davon tauchten sogar in Leitlinien auf. „Diese Arzneimit- tel müssen auf ihren Zusatznutzen hin überprüft werden“, forderte Schwabe, „und zwar allein schon deshalb, um ihren therapeutischen Wert zu bestimmen.“
Bislang gehe es bei der Diskussi- on um den Bestandsmarktaufruf nur um die Kosten der Arzneimittel.
Der Versorgungsaspekt werde dabei überhaupt nicht diskutiert. Das sei ein Fehler. „Der Bestandsmarktauf- ruf im AMNOG ist eine Kann-Be- stimmung“, erklärte Schwabe. „Der Gesetzgeber hätte also problemlos alles beim Alten belassen können.
Dass er ihn nun abschafft, ist ein Kniefall vor der Industrie.“
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Falk Osterloh
Foto: Georg J. Lopata
Drei Wochen sind zu kurz: Wolf-
Dieter Ludwig kritisierte die kurze Frist, die die AkdÄ zur Bewertung neuer Wirkstoffe hat.