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Archiv "Der Tod des Hippokrates" (14.04.2000)

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as Problem ist schon immer das gleiche gewesen: Ein Mensch mit einer Krankheit sucht einen anderen, der ihn davon befreit. Daraus entwickelte sich zwischen den beiden, durch die Jahrtausende hindurch, ein Verhält- nis, das, von ethischen Regeln geprägt, dem Patienten Vertrauen gab und den Arzt zum Vorbild machte. Bis zu dem Tag, an dem ein neuer Zeitgeist Geld und Macht zum Sinn des Lebens machte. Aber dazu brauchte man Ge- sundheit. Sie wurde das Zauberwort unseres Jahrhunderts. Ganze Indu- strien begannen Arzneimittel, Appa- rate und alles zu produzieren, was auch nur entfernt mit Ge-

sundheit zu tun hatte. Wer Geld hatte, investierte in Re- ha-Kliniken, und wer keines hatte, wurde Therapeut, Psy- chologe, Akupunkteur oder Heilpraktiker. Vieles davon diente dem Nutzen der Kran- ken. Aber dann wurden sich die Politiker der Bedeutung des Wortes bewusst und schu- fen gesetzliche Krankenkas- sen, die jedem Deutschen den gleichen Anspruch auf beste

Behandlung versprachen. Vor jeder Wahl wurden die Leistungen ausge- dehnt und gleichzeitig Anspruch und Missbrauch vermehrt.

Die Medien halfen mit. Auf der Suche nach nicht zerstörten Ta- bus erfanden sie die Halbgötter in Weiß und gefielen sich in der Rol- le des Aufklärers. Sie schufen den mündigen Patienten, der selber weiß, was er braucht, und belehrten ihn über seine Krankheiten und die je- weils beste Therapie und trugen da- mit zu Selbstmedikation und Anti- biotika-Resistenz bei. Sie veröffent- lichten Listen der besten Ärzte und empfahlen, sich nur von Chirurgen operieren zu lassen, die mindestens schon 100 Patienten operiert hatten.

Die Patienten sagten nicht mehr

„Mein Arzt“, sondern „Mein Endo- krinologe“ und wunderten sich, dass der nichts an der Schilddrüse fand.

Noch verleiht der Drehbuchautor sei- nen Helden weiße Kittel und ein Stethoskop, aber niemand glaubt ihm mehr.

Mit steigenden Leistungen stie- gen auch die Kosten – von neun Mil-

liarden DM im Jahr 1960 auf 250 Mil- liarden DM im Jahr 1998. Aber selbst an eine vorbehaltlose Debatte wagt sich keiner heran; niemand wagt, die Lawine aufzuhalten – die Patienten hatten nichts gegen höhere Leistun- gen, und die Kassen hatten nichts gegen einen höheren Umsatz und größere Macht. Die Politiker suchten nach einer Lösung, die ihre Wähler zufrieden hielt. Mit Dutzenden von Reformen glaubten sie, alle Schwie- rigkeiten endlich hinter sich zu haben – ohne zu bedenken, dass bald der letzte behandlungsbedürftige Deut- sche gefunden und mit jährlicher Re- ha und Medikamenten versorgt sein

muss. Die Krankenhäuser waren zwar die größten Verbraucher der Gel- der, aber es war schwer zu entschei- den, wo man Kürzungen ansetzen musste. Denn wer kann bei 2 000 Betten und 200 Ärzten wirklich sa- gen, was Verschwendung und was Notwendigkeit ist? Besonders, wenn man auf Ermahnungen die Antwort hört: „Wollen Sie etwa die Verantwor- tung übernehmen, wenn uns jemand stirbt?“

So kam man auf die Ärzte, denen man die Verantwortung übertragen und gleichzeitig den Geldhahn ab- drehen konnte. Mit Überheblichkeit schrieben die gesetzlichen Kranken- kassen den Mitgliedern eines freien Berufs vor, wer von ihnen wann und wo seinen Beruf ausüben durfte, um ihnen dann, in einem Alter, in dem Kanzler und Bundespräsiden- ten noch lustig regieren, die Zulas- sung wieder abzunehmen. Die Kas- sen nutzten diese Macht, die weit jen- seits ihrer administrativen Aufgabe lag, dazu, um Budgets zu erlassen und Regresse zu verhängen, vor de- nen sie selber immun sind, wenn sie

Bauchtänze auf Krankenschein ge- nehmigen.

Man hatte die Ärzte in der Zwickmühle. Was auch immer man ihnen zahlte, ihr Gewissen zwang sie, ihr Bestes zu geben. Aber auch Ärzte wollen leben. Im Land werden Lohn- erhöhungen von drei Prozent zuge- standen, nur die Ärzte müssen Ein- bußen von bis zu zehn Prozent hin- nehmen. Ende 1998 praktizierten in Deutschland fast doppelt so viele Ärz- te wie vor 40 Jahren, sodass wir mit einem Arzt auf 260 Einwohner an der Spitze der Welt stehen. Zusätzlich zu der bereits bestehenden parame- dizinischen Konkurrenz bieten neuer- dings Kosmetikstudios unge- niert Fettabsaugung und La- serbehandlung an, während private Ärzte-Suchdienste und medizinische Beratungen im Internet das Bild abrunden.

Von den Kassen bevor- mundet und ein Spielball der Politiker, tun die meisten Ärzte immer noch tapfer ihre Pflicht. Aber nicht alle Ärzte konnten sich vom Zeitgeist freihalten. Sie schimpfen auf ihre Verwandlung in „Ange- stellte der Kassen“, aber 135 000 von rund 260 000 aktiven Ärzten haben inzwischen dem freien Beruf den Rücken gekehrt und eine Anstel- lung im Krankenhaus gefunden. Was übrig bleibt, sieht sich vor einem Ge- wirr von Budgets, Positivlisten, Be- ratungsfirmen, Professionalisierung und Lean Management. Vor der Not- wendigkeit, dabei auch noch mög- lichst viele Patienten zu sehen, kann man es einem Praktiker schwer ver- denken, wenn er Kuren genehmigt, die er nicht für unbedingt nötig hält, oder sein Budget durch Nebenbefun- de erfüllt, um leben zu können. Wir bewegen uns am Rande der Inte- grität. Die Grenze ist dort erreicht, wo von Vorwürfen gegen Labors, oder gar Honorarbetrug und Herzklap- penhandel die Rede ist – nicht allzu oft, aber oft genug, um unser Gewis- sen zu belasten. Auf Paracelsus, von Haller, Jenner und Virchow folgen heute Nobelpreisträger, die sich ge- genseitig vorwerfen, das Aids-Virus gestohlen zu haben. Ein Berliner Arzt wird wegen der Herstellung von Kinderpornos angeklagt. Das Ganze A-968

P O L I T I K KOMMENTAR

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000

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Der Tod des

Hippokrates

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A-970

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000 ist ein Kampf zwischen Ethos und

Kalkül geworden, und Hippokrates droht zwischen den Steinen zermah- len zu werden. Selbst die alten Riten gelten nicht mehr – der erkrankte Arzt kommt selten mit dem einfachen Gebührensatz davon, das Werbever- bot wird mit Annoncen über „neue Sprechzeiten und Ernährungssprech- stunden“ umgangen, und in den War- tezimmern stehen Fernseher mit Wer- besendungen. Das Schlimmste aber ist, dass das Gespräch mit dem Kran- ken verstummt.

Noch immer sehen viele Patien- ten in ihrem Arzt den Vertreter eines noblen, unkorrumpierbaren Berufs.

Wir dürfen sie nicht widerstandslos den Science-Fiction-Fantasien einer Weltanschauung überlassen, die die Technik über den Menschen stellt, so wie sie die Erotik über die Liebe ge- stellt hat. Technik kann immer nur Hilfe für den Arzt und nie sein Ersatz sein. Wir dürfen die Patienten auch nicht dem Märchen von der finanziell lösbaren Gesundheitspolitik überlas- sen. Wir müssen ihnen sagen, dass eine Lösung ohne eigene Beschränkung und ohne den nötigen Sachverstand der oberen Instanzen nicht möglich ist. Zwar werden bei uns Justiz- und Familienministerium meist mit Juri- sten beziehungsweise Frauen besetzt, aber im Unterschied zu anderen Län- dern wird das Gesundheitsministeri- um konsequent von Laien geleitet.

Wir brauchen eine aufgeklärte Bevöl- kerung und einen freien Arzt, der in eigener Verantwortung seinen Beruf ausübt. Dazu ist Wettbewerb Voraus- setzung. Leistung und nicht gnädig ge- währte Zulassung durch die Kranken- kassen, die allein für Verwaltung mehr als 13 Millionen DM im Jahr 1998 (= 5,6 Prozent der GKV-Gesamt- ausgaben) ausgeben, darf über den Erfolg eines Arztes entscheiden.

Schließlich kommen ganze Kontinen- te, trotz Sozialversicherung, ohne kas- senärztliche Zulassung aus. Um das ärztliche Ethos wieder herzustellen und etwas Ordnung in das Chaos zu bringen, brauchen wir keinen Streik;

vor allem keinen, der den leiden- den Patienten als Argument vor sich herträgt. Wir brauchen dazu nur ent- sprechend motivierte Fachverbände, unseren festen Willen und unsere Ideale. Dr. med. Rupert Witzmann

KOMMENTAR/AKTUELL

ie medizinische Versorgung von Rheumapatienten hat sich in den letzten zehn Jah- ren deutlich verbessert. So sind re- gionale Rheumazentren entwickelt worden, in denen Universitätsabtei- lungen, rheumatologische Kranken- häuser, Rehabilitationskliniken und niedergelassene Rheumatologen zu- sammenarbeiten. Derzeit gibt es 25 Zentren mit 110 angeschlossenen Ein- richtungen. Mit der Gründung des

„Kompetenznetzwerks Rheuma“ ist ein neuer Entwicklungsschub für die- sen Fachbereich initiiert worden.

Hierbei handelt es sich um den Zusammenschluss von sechs rheu- matologischen Kompetenzzentren in Berlin, Düsseldorf, Erlangen, Frei- burg, Hannover und Lübeck/Bad Bramstedt.

Neben einer verbesserten Pa- tientenversorgung solle eine interna- tional konkurrenzfähige Forschungs- landschaft geschaffen werden, erklär- te Prof. Dr. Gerd Rüdiger Burmester (Charité, Berlin) anlässlich der Vor- stellung des Kompetenznetzes in Ber- lin. Die bisher weitgehende Trennung von Forschungs- und Versorgungs- strukturen solle durch eine enge Ver- zahnung beider Bereiche abgelöst werden. Das Kompetenznetz Rheu- ma will sich zunächst auf die ent- zündlich-rheumatischen Systemerkran- kungen konzentrieren. Hierzu ist je ein Arbeitskreis für rheumatoide Arthritis, Spondylarthropathien und Immunvaskulitiden gebildet worden.

Zwei weitere Arbeitsbereiche befas- sen sich mit Experimenteller Rheu- matologie und mit Versorgungsfor- schung.

Der Arbeitsbereich Experimen- telle Rheumatologie wird die Ursa- chen der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen erforschen. Schwer- punkte sind zum einen die Suche nach

Antigenen, die das Immunsystem zum Angriff auf körpereigenes Ge- webe treiben, zum anderen die Suche nach Erregern, die als Auslöser eini- ger entzündlicher Gelenkerkrankun- gen vermutet werden. „Von der Auf- klärung dieser Entzündungsvorgänge erwarten wir Ansätze für neue, hoch- spezifische Diagnose- und Therapie- möglichkeiten, um Entzündungsschü- be wirksamer bekämpfen oder auch gänzlich unterdrücken zu können“, so Prof. Dr. Andreas Radbruch, Deutsches Rheuma-Forschungszen- trum Berlin.

Internet-Plattform

Um die Qualität der Patienten- versorgung beurteilen zu können, sind die Forscher auf exakt erhobene und vollständige Daten angewiesen. Für das Kompetenznetz Rheuma werden diese Daten von der Arbeitsgemein- schaft Regionaler Kooperativer Rheu- mazentren erhoben. Dieser Daten- Pool wird seit 1993 aufgebaut, pro Jahr werden etwa 30 000 Fälle mit entzünd- lich-rheumatischen Erkrankungen do- kumentiert.

Ein Netzwerk steht und fällt mit der Kommunikation. Die deutsche Rheumatologie verfügt bereits seit 1996 über eine gemeinsame Internet- Plattform, das RheumaNet, das beim Rheumazentrum Düsseldorf angesie- delt ist (www.rheumanet.org). Diese Einrichtung soll zur zentralen Kom- munikations-Plattform des gesam- ten Kompetenznetzes Rheuma aus- gebaut werden. Das Kompetenznetz Rheuma ist eines von neun Kompe- tenznetzen, die vom Bundesministe- rium für Bildung und Forschung über einen Zeitraum von fünf Jahren mit bis zu 25 Millionen DM gefördert werden. Josef Kloppenburg

Kompetenznetz Rheuma

Bündelung der Kräfte

Die Verbesserung der Patientenversorgung und der Aufbau einer international konkurrenzfähigen Forschungslandschaft ist das Ziel des neu geschaffenen Kompetenznetzes.

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