Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
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Kuren können heute sicherlich ei- nen fast unerschöpflichen Diskus- sionsstoff darstellen, deshalb sei noch ein Beitrag hierzu erlaubt, zu- gleich auch eine Erwiderung zur Meinung des Vorsitzenden der Ge- schäftsführung der LVA Baden, Manfred Beck.
Glatt und lückenlos und ein wenig süffisant wird in diesem Beitrag dargetan, daß ja alle „Maßnahmen"
— ich nenne sie hier zum leichte- ren Verständnis pauschal und nicht ganz richtig „Kuren" — nur unter wesentlicher Mitwirkung des Arztes durchgeführt werden. Man ist ver- sucht zu sagen: Weil der Arzt die
„Kur" verordnet, wird sie durchge- führt.
Das Problem, das auch den Kolle- gen Schierwagen zu seiner enga- gierten Äußerung veranlaßte, liegt aber keineswegs im Organisatori- schen, wie man nach der Darstel- lung von Herrn Beck glauben könnte, es liegt im Sozialpoliti- schen. Man muß also fragen, wel- che Vorstellungen von „Kuren" be- stehen und welche Ziele sollen und können erreicht werden. Dazwi- schen liegen die „Maßnahmen", die organisatorisch zu bewältigen sind, wobei auch der Arzt seinen Anteil einnimmt, die hier aber gera- de nicht angesprochen werden sol- len.
Geht man grundsätzlich von der Vorstellung aus, daß „Kuren" die Menschen gesund erhalten oder gesünder machen, dann wird man in der nächsten Stufe wohl sogar sagen: Mehr „Kuren" machen den Menschen noch gesünder. Erkennt man dieses Prinzip an, dann gibt es für den Arzt keinen Grund, eine
„Kur" irgend jemandem vorzuent- halten. Er wird sich vielmehr die Frage stellen, warum nur eine
„Kur", wo doch zwei oder auch mehr „Kuren" pro Jahr und Person sicher besser wären. Wir können die Grenze willkürlich irgendwo setzen, sie wird schließlich gezo- gen durch die nüchterne Realität, daß „Kuren" auch Geld kosten. Die Kostenträger können immer nur so lange und so viele „Kuren" gewäh- ren, wie sie Geld haben, sie zu be- zahlen, sie müssen also Grenzen setzen und auswählen.
Das aber ist genau der Punkt, wo die Sache nicht mehr dem Arzt auf- gebürdet werden sollte. Wenn wir davon ausgehen, daß „Kuren" der Gesundheit nützen, Gesundheit aber zu den höchsten Gütern zählt, dann sind alle Menschen vor dem ärztlichen Urteil gleich. Wer krank ist, wird gesund, wer noch gesund ist, wird nicht krank werden; er wird im Gegenteil sein höchstes Gut erhalten und verbessern. Wer- den aber andere Gesichtspunkte ins Spiel gebracht, etwa Wieder- herstellung der Arbeitsfähigkeit, bessere Lebensqualität, Abgeltung von sozialer Ungerechtigkeit und anderes, so befinden wir uns ganz oder weitgehend außerhalb ärztli- cher Urteilsmöglichkeit. Hier muß sozialpolitisch entschieden wer- den, und ich meine das durchaus im positiven Sinne. Hier muß eben anders als ärztlich abgewogen werden. Der Kostenträger, nicht der Arzt, wird sich fragen müssen:
Welchen im weitesten sozialpoliti- schen Sinn hat diese oder jene
„Kur".
Abwägen heißt dann natürlich auch einmal ablehnen. Es mag sein, daß
gerade in einer LVA, die ja über- wiegend ihre Maßnahmen den noch in Arbeit Stehenden zuwen- det, die Dinge sich so prächtig un- kompliziert ansehen, wie sie Herr Beck schildert. Darüber mag sich der Vorsitzende freuen. Wie aber werden sich die gesetzlichen Kran- kenkassen entscheiden, die in ra- sant steigendem Maße „Kuren" vor allem auch Altersrentnern gewäh- ren, die aber auch in zunehmen- dem Umfang „Kuren" nochmals über das hinaus gewähren, was die LVA oder die BfA schon gegeben haben. Leider sind keine genauen Zahlen gerade über den Umfang solcher „Kuren" bei den Kranken- kassen bekannt, sie lassen sich nur aus der enormen Steigerungs- rate von Kurbegehren in der eige- nen Klientel erahnen. Es wäre ein außerordentlich lobenswertes Un- terfangen, die Kosten, die den RVO- und Ersatzkassen durch die von ihnen gewährten „Kuren" und Kurbeihilfen jeder Art entstehen, offenzulegen, wobei naturgemäß auch die Kosten erscheinen müß- ten, die bei solchen „Kuren" im ärztlichen Bereich entstehen. Ich kann mir allerdings nicht vorstel- len, daß die Aufwendungen der ge- setzlichen Krankenkassen für „Ku- ren" eine quantitö nögligeable sind.
Aber das muß die Solidarität der Versicherten, die die Beiträge auf- bringt, nicht der Arzt, fragen.
• Dem Strome der „Kuren" durch den Arzt Einhalt gebieten zu wol- len, hieße mit untauglichen Mitteln eine Abtreibung zu versuchen, das ist sogar strafbar. Zu fordern ist es von den politisch Verantwortlichen, denn nur die haben die tauglichen Mittel hierzu.
Man wird niemand daran hindern können, Geld zum Fenster hinaus- zuwerfen, auch nicht wenn man das Fenster schließt. Es wird si- cherlich aber von selbst aufhören, wenn kein Geld vorhanden ist.
Dr. med. Lothar Hotz Facharzt für Innere Medizin 652 Worms
Köhlerstraße 1
Diskussion
um Kuren und „Kuren"
Zu dem Leserbrief von Dr. med. Eckhard Schierwagen in Heft 39/1974 und der Zuschrift von Manfred Beck in Heft 13/1975: