12. Deutscher Hausärztetag in Bad Kreuznach
Klare funktionale GHederung und bessere Arbeitstellung
von Hausärzten und Spezialisten
Für den Berufsverband der Praktischen Ärzte und Ärzte für All- gemeinmedizin Deutschlands (BPA) stehen zwei bisher schon verfochtene berufspolitische Anliegen weiter im Vordergrund: die Erhaltung und Verbesserung der Qualität der allge- meinärztlichen/hausärztlichen Ver- sorgung und eine bessere und klare- re funktionelle Abgrenzung zwi- schen haus- und fachärztlicher Tätig- keit. Mit Beginn des europäischen Binnenmarktes am 1. Januar 1993 müßten rechtzeitig Vorkehrungen dafür getroffen werden, daß die all- gemeinärztliche Versorgung in der Bundesrepublik keinen Schaden nimmt. Die Qualitätsanforderungen auf eine "Euro-Null-Linie" zu drük- ken, könne nicht hingenommen wer- den. Die Grußadressen während des 12. Deutschen Hausärztetages des BP A in Bad Kreuznach am 22. Sep- tember wertete die Versammlung als breite Zustimmung zu den berufs- politischen Forderungen d~~ Allge- meinärzte und praktischen Arzte.
Der fast einstimmig wiederge- wählte Vorsitzende des BPA, Dr.
Rolf-Eckart Hoch, praktischer Arzt aus Sprendlingen/Rheinhessen, si- gnalisierte in seinem Bericht zur La- ge Zustimmung zu dem am 9. Sep- tember von einer außerordentlichen Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erörterten "Handlungskon- zept" für die kassenärztliche Versor- gung. Auch für den BP A geht es wie bei den Intentionen des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung nicht um eine Trennung der ambulanten Versorgung und eine Änderung der Arbeitsverteilung zwi- schen den niedergelassenen Ärzten und dem stationären Bereich.
..,. Gewollt ist- und dies bestä- tigte der stellvertretende Vorstands-
vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Otfrid P.
Schaefer, Internist aus Kassel, vor dem Hausärztetag- eine bessere Ar- beitsteilung von Hausärzten und Spezialisten mit dem Ziel, die knap- pen finanziellen Ressourcen effi- zienter und kostensparender als bis- her zu steuern und zu koordinieren.
Die funktionale Gliederung der haus- und fachärztlichen Versorgung müs- se zentrales Anliegen der Gesamt- ärzteschaft sein. Nur so könnten der steigende Kosten- und Konkurrenz- druck gebremst, Überschneidungen im hausärztlichen Bereich weitge- hend vermieden und eine kostentrei- bende technische Aufrüstung abge- stellt werden. Nicht zuletzt resultiert diese Forderung aus den Qualitäts- ansprüchen an die ambulante ärzt- liche Versorgung, die der BPA un- vermindert hoch ansetzt.
"Primärarzt-Modell"
unisono abgelehnt
Für den Berufsverband der Praktischen Ärzte und Ärzte für All- gemeinmedizin ist der am 1. Januar 1989 im Zuge des Sozialgesetzbuches V (SGB V) in Kraft getretene § 73 Abs. 1 keine bloße "Zustandsbe- schreibung" ohne materiell-recht- liche Vollzugsverbindlichkeit Viel- mehr resultiert nach Meinung der BPA-Berufspolitiker (bekräftigt in einem mehrheitlich angenommenen Beschluß) aus den Gesetzesauflagen ein konkreter Regelungs- und Hand- Jungsauftrag für die Vertragspartei- en der Bundesmantelverträge. Wenn die Selbstverwaltung sich dieses Ge- setzesauftrages nicht selbst anneh- me, werde der Gesetzgeber abermals eingreifen, mit Sicherheit nicht zum Vorteil der Ärzteschaft.
Unisono mit der KBV lehnt auch der BPA den Vorschlag des Sachver- ständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen und anderer ab, die dem "Primärarzt- Modell" den Vorzug geben. Dies - so die Diagnose - liefe auf eine Be- grenzung der Zuständigkeitskompe- tenzen vor allem der hausärztlich tä- tigen Ärzte hinaus und beschränke prinzipiell die freie Arztwahl. Kom- promißlos lehnt der "Praktikerver- band" auch Forderungen ab, wonach der Hausarzt generell dem Facharzt vorgeschaltet werden solle und nur Gebietsärzte Patienten ins Kranken- haus einweisen dürften. Eine solche Trennung und Hintereinanderschal- tung von Versorgungssystemen im ambulanten Bereich müsse zwangs- läufig zu differenzierten Vergütungs- systemen für Haus- und Fachärzte führen, was der BP A ebenfalls ab- lehnt. Dr. Otfrid P. Schaefer, KBV- Vize, nahm sein Statement zum An- laß, die KBV-Konzeption noch ein- mal zu erläutern:
"1. Gewollt ist die Erhaltung, nicht die Einschränkung der freien Arztwahl mit Ausnahme bei hoch- spezialisierten Arztgruppen (etwa Laborärzten, Röntgenologen, Patho- logen), die bereits heute auf Grund vertraglicher Regelungen nur auf Überweisung anderer Ärzte tätig werden können. Das KBV-Konzept unterscheidet sich insoweit grund- sätzlich vom Denkmodell einer pri- märärztlichen Versorgung
a
la Sach-verständigenrat (1989).
2. Eine grundsätzliche Trennung der Vergütungssysteme für Haus- und Fachärzte ist nicht in Betracht gezo- gen worden und nicht gewollt. Inso- weit wird das Denkmodell des Sach- verständigenrates, das den Hausarzt in seinem Vergütungsanspruch auf ein Pauschalhonorar beschränken will und nur noch dem Facharzt eine Einzelleistungsvergütung zugesteht, strikt abgelehnt werden."
Das schließe aber nicht aus, be- tonte Schaefer, daß für den Bereich der hausärztlichen Versorgung typi- sche Leistungen definiert und spe- ziell vergütet werden. Analoges gelte für die fachärztlichen Leistungen.
Denkbar sei eine Vergütungsrege- lung, die die Koordinierungs- und Dokumentationsfunktion, die dem Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5. Oktober 1989 (21) A-2825
Hausarzt obliegt, in einer Komplex- leistung zusammenfaßt.
Künftig müsse eine bessere Ar- beitsteilung auf „funktionaler Basis"
im haus- und fachärztlichen Bereich vereinbart werden. Eine künstliche und abrupte Trennung der ambulan- ten Versorgung in zwei Versorgungs- blöcke mit eigenständigen Gesetzmä- ßigkeiten komme jedoch nicht in Fra- ge. Denn sonst könnte sich der Vertei- lungskampf verschärfen, und die Gruppen im ärztlichen Beruf würden noch weiter als bisher auseinander- driften. Dem BPA schwebt eine Auf- lösung der Vermischung der haus- ärztlichen und fachärztlichen Ver- sorgungsebene auf einem „kleinsten gemeinsamen Nenner" vor. Dabei sollen die Beschlüsse vieler Deut- scher Ärztetage und gesetzliche Auf- lagen beachtet werden, wonach das derzeitige Verhältnis von 60 Prozent Gebiets- zu 40 Prozent Hausärzten in der ambulanten Versorgung lang- fristig umgepolt werden soll. Für den BPA ist es unverzichtbar, der haus- ärztlichen Versorgung folgende Funktionen zuzuweisen:
• Längerfristige biographische Kontakte zu den Patienten und de- ren Umfeld (Familie, Betrieb);
• umfassende Präsenzpflicht in der notdienstfreien Zeit;
• Hausbesuche und Koordina- tionsfunktion unter den verschiede- nen Gebietsärzten, mit Krankenhäu- sern, Sozialstationen — auch im Hin- blick auf das medizinisch indizierte therapeutische Verfahren, die Reha- bilitation einschließlich der notwen- digen Dokumentation und der Ab- stimmung des Therapiekonzeptes.
Überschneidungen bei der Wahrnehmung hausärztlicher Funk- tionen sollte nach Meinung des BPA mit drei Regelungsmechanismen entgegengewirkt werden:
1. Fachfremde Leistungen wür- den künftig nicht mehr vergütet;
2. Hausbesuche durch Fachärz- te könnten künftig nur in Absprache mit dem Hausarzt (und dies können hausärztlich tätige Internisten, Kin- derärzte oder gegebenenfalls auch andere hausärztlich tätige Gebiets- ärzte sein) erfolgen;
3. Überweisungen von Facharzt zu Facharzt blieben auf Ausnahmen beschränkt.
Durch Einzelregelungen solle si- chergestellt werden, daß die Grenze der Aufgabenbereiche von Hausärz- ten wie von Fachärzten beachtet wird. Das Leistungsspektrum insbe- sondere der Ärtze im Bereich der hausärztlichen Versorgung ist „inho- mogen", konstatiert ein BPA-Be- schluß. Deshalb verbiete sich eine starre Festlegung von Leistungsspek- tren. Soweit solche allerdings festge- legt würden, sollten sie einheitlich auf alle Angehörigen eines Versor- gungsbereichs angewendet werden.
Für Leistungen, die eine besondere Qualifikation voraussetzen, sollen angemessene Qualifikationsnach- weise gefordert werden. Ein solcher Qualifikationsnachweis ist aus der Sicht des BPA auch eine abgeschlos- sene Weiterbildung.
Klare Aufgabendefinition An die Ärztekammern und die Kassenärztlichen Vereinigungen wird appelliert, strikt darauf zu ach- ten, daß fachfremde Leistungen nicht mehr erbracht und abgerech- net werden.
Um den gesetzlichen Auftrag der Gliederung zu erfüllen, müßten die bestehenden Strukturen beachtet werden. Der BPA befürwortet eine Regelung, die dem Inhalt und Um- fang der hausärztlichen Versorgung eine Aufgabenbeschreibung zugrun- de legt. Dabei müßten auch Rege- lungen getroffen werden, die sicher- stellen, daß diese Grenze des jeweili- gen Aufgabenbereichs strikt beach- tet wird. Das BPA-Modell schließt die Kinderärzte und die meisten hausärztlich tätigen Internisten (rund 10 000) unter diese Definition ein. Andererseits müßten arbeits- begrenzende Regelungen sicherstel- len, daß eine funktional klar defi- nierte Hausarzttätigkeit auch die Grenzen der fachärztlichen Versor- gung beachtet. Dies könne nur gelin- gen, wenn für den Facharzt eine aus- reichende existenzielle Basis zur Be- tätigung in seinem Spezialgebiet ge- schaffen wird. Als weitaus schwieri- ger als die Definition der Aufgaben- bereiche bezeichnete Dr. Hoch die Beschreibung der Leistungen, die ty- pischerweise der hausärztlichen Ver-
sorgung zuzurechnen sind. Unter Vermeidung einer starren Grenzzie- hung sollten folgende Kriterien her- angezogen werden:
> Diagnostische und therapeu- tische Maßnahmen, die auf häufige Erkrankungen zielen; Grundlage ist der Stand der Wissenschaft; Die Kompliziertheit der Methode schränke den Zugriff ebenso ein wie die hohen Kosten möglicher Tech- nik.
Die Leistungsbegrenzung in der hausärztlichen Versorgung müsse einheitlich sein und für alle Ärzte gelten, die an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen. Für Lei- stungen, die eine besondere Qualifi- kation voraussetzen, müßten entwe- der eine abgeschlossenen Weiterbil- dung oder entsprechende Qualifika- tionsnachweise erbracht werden (§ 135 SGB V). Eine funktionale Gliederung sei nur dann durchführ- bar, wenn jeder Arzt mindestens drei Jahre spezifisch auf die hausärztliche Tätigkeit im Rahmen einer struktu- rierten Weiterbildung vorbereitet wird. Hier gebe es einen essentiellen Zusammenhang zwischen Berufs- und Sozialrecht. Daran komme auch die „EG-Richtlinie Allgemeinmedi- zin" nicht vorbei. Obwohl die „EG- Richtlinie" bereits eine gewisse Ei- gendynamik entwickelt habe, hofft der BPA, daß eine (drohende) „Eu- ro-Null-Linie" abgewehrt werden kann Danach würden die EG-Min- destanforderungen an eine spezifi- sche allgemeinärztliche Ausbildung in der AiP- und Vorbereitungszeit einfach „versenkt". Der BPA wider- spricht diesem „6 + 2 Modell". Für den BPA kommt nur eine spezifi- sche, strukturierte Weiterbildung und Qualifikation auf einem „hohen Niveau der allgemeinärztlichen Ver- sorgung" in Frage. Die letzte Rück- zugslinie für den BPA ist die „5 + 3 Regelung", noch besser die „6 + 3 Regelung".
Noch ist es für den BPA „fünf vor zwölf". Die Dissonanzen zwi- schen Bundesgesundheits- und Bun- desarbeitsministerium müßten been- det werden. Gelegenheit sieht der Verband darin, daß der Bundeskanz- ler ein Machtwort spricht und in ei- ner längst fälligen Kabinetts-Vorlage Klarheit schafft. Dr. Harald Clade A-2826 (22) Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5. Oktober 1989