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Archiv "Dürfen psychisch Kranke am Straßenverkehr teilnehmen?" (14.05.1986)

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

EDITORIAL

Dürfen psychisch Kranke

am Straßenverkehr teilnehmen?

D

as Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr" des Ge- meinsamen Beirats für Ver- kehrsmedizin beim Bundesver- kehrsminister und beim Bun- desminister für Jugend, Fami- lie und Gesundheit erschien 1973 in einer ersten Fassung.

Dieses Gutachten beschäftigt sich mit einer Vielzahl ver- kehrsrechtlicher Fragestellun- gen im Rahmen der Begutach- tung der Fahreignung bei in- ternen, orthopädischen, neuro- logischen, ophthalmologi- schen und psychiatrischen Leiden.

Unmißverständlich wird in die- sem Gutachten ausgesagt, daß bei folgenden psychischen Krankheiten „die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen ausgeschlossen"

ist: endogene Psychosen (zum Beispiel manische Syndrome, paranoid-halluzinatorische Syndrome, katatone Syndrome usw.) und entsprechende psy- chotische Reaktionen, organi- sche Psychosen (Delir, Korsa- kow-Syndrom, Verwirrtheitszu- stand, Dämmerzustand usw.) sowie pathologische Alte- rungsprozesse, erhebliche In- telligenzstörungen und ausge- prägte Abhängigkeit, ferner ei- nige „persönlichkeits- und er- lebnisabhängige Störungen der Einstellungs- und Anpas- sungsfähigkeit".

Dabei wird für einzelne Krank- heitszustände angegeben, un- ter welchen Umständen sie noch nicht beziehungsweise nicht mehr unbedingt Fahrun- tüchtigkeit zur Folge haben müssen. Besonders schwierig

ist die Begutachtung der Fahr- eignung nach abgelaufener endogener Psychose. Die dies- bezüglich im Gutachten

„Krankheit und Kraftverkehr"

aufgezählten Begutachtungs- kriterien stießen nicht auf un- geteilte Zustimmung.

Die Einschätzung der Fahreig- nung nach endogenen Psy- chosen litt lange Zeit darunter, daß allgemein die „Gefährlich- keit" solcher Zustände und da- mit auch die Straßenverkehrs- gefährdung zu hoch angesetzt wurde, wobei diese Einschät- zung sich auf einzelne, spekta- kuläre Fälle stützte, die in der Literatur tradiert wurden. Em- pirische Untersuchungen, die eine eher — gegenüber dem durchschnittlichen Verkehrs- teilnehmer — mindere Gefähr- dung des Straßenverkehrs er- wiesen, wurden dagegen kaum zur Kenntnis genommen.

Unstrittig ist heute, daß wäh- rend einer akuten psychoti- schen Erkrankung Fahreig- nung nicht besteht. Die mit der Psychose verbundenen Denk- und Konzentrationsstö- rungen, die Ablenkung durch psychotisches Erleben, der un- ter Umständen stark erhöhte Angstpegel sowie eventuelle Nebenwirkungen der neurolep- tischen Behandlung sprechen gegen eine Teilnahme am mo- torisierten Straßenverkehr, die in der Regel vom Patienten zu diesem Zeitpunkt auch nicht angestrebt wird.

Notfalls kann und sollte der be- handelnde Arzt auf den Kranken entsprechend einwirken.

Anders verhält es sich bei ei- nem gut remittierten Zustand, der nach heutigem Kenntnis- stand häufig schon nach rela- tiv kurzer Behandlungsdauer eintritt. In diesem Fall ist exakt zu prüfen, ob nervenärztlicher- seits noch Einschränkungen der Fahreignung vorliegen.

Gegenstand dieser Prüfung ist der aktuelle neurologische und psychiatrisch-psychologi- sche Befund unter Berücksich- tigung etwaig vorhandener Restsymptome, Reaktionstem- po und Wendigkeit, Stand der medikamentösen Behandlung einschließlich Prüfung der Vi- gilanz, Abklärung eventuell vorbestehender Persönlich- keitsvariablen als zusätzlichen Risikofaktor (vergleiche Heinz, G. und R. Tölle: Zur Beurtei- lung der Fahreignung nach abgelaufener endogener Psy- chose. Nervenarzt 46 [1975]

355).

Entsprechend dem Untersu- chungsergebnis wird es in der Regel gelingen, den Patienten eingehend zu beraten und eventuell auch darüber hinaus die Angehörigen in die Bera- tung einzubeziehen.

p

roblematisch erschienen in r der ersten und zweiten Auf- lage des Gutachtens die Anga- ben über einzuhaltende Fri- sten, bis nach einer abgelaufe- nen Psychose Fahreignung wieder angenommen werden könne. Die dort genannten Fri- sten konnten wissenschaftlich nicht begründet werden und widersprechen vielfacher prak- tischer Erfahrung. So sollte zum Beispiel nach einer zwei- ten psychotischen Episode (in- nerhalb von zehn Jahren nach der ersten) drei bis fünf Jahre lang zugewartet werden. Das würde bedeuten, daß auch ein unfallfreier Kraftfahrer nach

1454 (70) Heft 20 vom 14. Mai 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

günstigem Verlauf einer zwei- ten depressiven Phase oder ei- ner anderen psychotischen Welle und vollständiger Gene- sung mehrere Jahre lang ohne Grund auf sein Auto verzich- ten müßte.

Die dritte Auflage des Gutach- tens bringt hier Änderungen.

Zwar enthält auch dieser Text noch solche Fristen, daneben aber auch konkrete Ausfüh- rungen über Ausnahmen und weitere Einzelheiten. So heißt es in Kapitel 2.1:

„Besonders günstige Umstän- de (zum Beispiel monopolar verlaufende erste depressive Phase) rechtfertigen nach psychiatrischer Begutachtung für die Erlaubnisklassen 1, 3, 4 und 5 je nach den Umständen auch schon früher als sechs Monate nach Abklingen der akuten Krankheitserscheinun- gen eine positive Beurteilung.

Dies gilt auch bei Wiederer- krankungen in der Zehnjahres- frist ..."

Damit ist nun die schon lange geforderte Differenzierung bei der Beurteilung der Fahreig- nung nach endogener Psy- chose unter Berücksichtigung der Einzelheiten des Befundes, des Verlaufes und der Behand- lung möglich geworden. Vor allem können eventuell erfor- derliche Wartezeiten oder Ka- renzfristen besser als bisher auf den Einzelfall abgestimmt werden.

Dieser Hinweis ist auch des- halb wichtig, weil immer wie- der festzustellen ist, daß psychiatrisch weniger erfahre- ne Ärzte in Gesundheitsämtern oder Führerscheinuntersu- chungsstellen sich zu eng an vermeintlich bindende Richtli- nien halten. Tatsächlich han-

delt es sich um Empfehlungen, wie ja auch die Schrift des Bundesverkehrsministeriums ein „Gutachten" ist und nicht den Charakter einer Verfügung hat.

Anzufügen ist in diesem Zu- sammenhang ein Hinweis auf weitere administrative Verän- derungen, die sich in der letz- ten Zeit zumindest in zwei

Bundesländern ergeben haben in bezug auf die Weitergabe von Daten über Zwangseinwei- sungen in psychiatrische Kran- kenhäuser an Straßenverkehrs- behörden.

Uieierorts war es bisher Pra- xis, Informationen über Ein- weisungen nach dem Landes- unterbringungsgesetz direkt an Führerscheinämter weiter- zugeben. Aufgrund der Einwei- sungsdaten wurde unter Um- ständen sofort der Führer- schein eingezogen. Als Be- gründung wurde lediglich das Faktum der Einweisung in ein Psychiatrisches Krankenhaus angegeben. Es wurden weder ärztliche Stellungnahmen ein- geholt noch die Notwendigkeit des Führerscheinentzuges überhaupt geprüft. Zur Wie- dererlangung der Fahrerlaub- nis mußte der Patient ein fach- ärztliches Gutachten beibrin- gen und selbst bezahlen.

Diese Praxis ist in Nordrhein- Westfalen und Hessen nicht mehr zulässig. Mit Rücksicht auf das Datenschutzgesetz über informelle Selbstbestim- mung des Bundesverfassungs- gerichts vom 15. Dezember 1983 wurde in beiden Bundes- ländern festgelegt, daß Mittei- lungen an die Straßenver- kehrsämter nur noch in beson- ders begründeten Fällen erfol- gen dürfen, „wenn Fahrun- tüchtigkeit oder ein begründe-

ter Anhalt für die Fahruntüch- tigkeit einer Person gegeben ist und die Person trotz Auf- klärung darauf besteht, das Kraftfahrzeug weiter zu füh- ren" (Verfügung des Ministers für Arbeit, Gesundheit und So- ziales des Landes Nordrhein- Westfalen vom 16. März 1984).

Diese Mitteilung solle gegebe- nenfalls durch den behandeln- den Arzt erfolgen, wobei nicht verschwiegen wird, daß die- sem eine derartige Mitteilung nicht abverlangt, sondern nur empfohlen werden kann (ver- gleiche R. Tölle: Spektrum 4/1984). Eine entsprechende Regelung wurde für Hessen getroffen. Es ist zu hoffen, daß durch diese Neuregelungen in Zukunft seltener als bisher die Fahreignung ohne begründe- ten Anlaß in Frage gestellt wird.

Zu beziehen ist das Gutachten

„Krankheit und Kraftverkehr"

des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin, bearbeitet von H. Lewrenz und B. Friedel (Bonn 1985), durch die Firma Köllen Druck, Schöntalweg 5, 5305 Alfter-Oedekoven, zum Preis von 9,80 DM.

Anschriften der Verfasser:

Professor Dr. med.

Gunter Heinz

Ärztlicher Direktor des Psychiatrischen Krankenhauses und der Klinik für gerichtliche Psychiatrie 3559 Haina (Kloster) Professor Dr. med.

Rainer Tölle

Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität Albert-Schweitzer-Straße 11 4400 Münster

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 20 vom 14. Mai 1986 (71) 1455

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