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(1)Ibn al-Kattäni's Kitäb at-Tasbihät und das Problem des „Hispanismus&#34

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(1)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-Tasbihät und das Problem

des „Hispanismus" der andalusisch-arabischen

Dichtung

Von Gregor Schoeler, Gießen

Die vorliegende Arbeit ist aus einer Bespreehung des Buchs von

Wilhelm Hoenerbach : Dichterische Vergleiche der Andalus-Araber^ her¬

vorgegangen, das eine reich kommentierte Übersetzung des Kitäh at-

TaSbihät min aS'är ahi al-Andalus des Ibn al-Kattäni (st. um 1029)

ist. Da zwei bereits erschienene Besprechungsaufsätze über dieses Buch

von M. Ullmann" imd F. Vibe"'' sowie eine im Druck befindliche

Rezension von W. Heinrichs' sich eingehend mit den Übersetzungen

Hoenerbachs auseinandergesetzt haben und da weiterhin das letzte Heft

dieser Zeitschrift eine Arbeit von P. Kunitzsch über die Sternnamen bei

Ibn al-Kattäni* enthält, kann im folgenden von einer Erörterung aller

im engeren Sinne philologischen Fragen abgesehen werden. Zur Sprache

kommen werden vielmehr bestimmte literaturwissenchafthche Probleme,

die einmal der Text selbst aufgibt und die zum andern vom Über¬

setzer im Vorwort und in den Einleitungen zu den verschiedenen Zyklen

des Werks angesprochen worden sind. Dementsprechend gliedern sich

die folgenden Ausführungen in zwei Teile : Im ersten Teil werden einige

Bemerkungen zu literaturgeschichtlichen Voraussetzungen und Eigenart

der TaSbihät-Werke ganz allgemein und zum Charakter von Ibn al-

Kattäni's Sammlung im besonderen gemacht; im zweiten Teü wird

das Problem des sog. „Hispanismus" der andalusisch-arabischen Dich¬

tung — der von Ibn al-Kattäni zusammengestellten sowie der späteren —

diskutiert werden.

I.

Zu den Wandlungen, die die arabische Dichtung in der zweiten

Hälfte des 9. Jhts. n.Chr. erfährt, wo die Brotgeber der Dichter nicht

mehr nur die Herrscher, sondern vor allem auch die „Sekretäre"

1 S. Literaturverzeichnis.

" S. ebda. 2a S. ebda.

' Erscheint in OLZ.

* S. Literaturverzeichnis.

(2)

44 Gregor Schoeler |

(kvUäb) sind und wo die Bühne der poetischen Darbietungen nicht

mehr nur die große Audienz (maglis 'ämm) der Kalifen und Wesire,

sondern immer mehr auch die intimere ,, schöngeistige" Sitzung {maglis

al-uns) eines kätih oder sonst eines kunstbegeisterten Wohlhabenden |

ist, gehört einmal die Entstehung einer neuen poetischen Form und

zum anderen die Ausbildung einer neuen ,, phantastischen" Bilderspra¬

che*. Bei der Form handelt es sich um das kurze beschreibende Ge¬

dicht; die neue Sprache ist dadurch charakterisiert, daß in ihr über¬

reichlich komplizierte bildhafte Entwicklungen, Metaphern und — vor j

allem — Vergleiche erscheinen. Am auffälligsten tritt diese Bilder¬

sprache in der beschreibenden Dichtung hervor (die deshalb häufig auch

mit dem Hendiadyoin al-wasj wat-taSbih bezeichnet wird), u.zw. so¬

wohl in den selbständigen Stücken als auch in deskriptiven Qaslden-

Partien. Aber aueh in anderen dichterischen Themen und Gattungen

wird sie — wenn wohl auch weniger häufig — verwendet. Zwei der

wichtigsten Vertreter dieser neuen Poesie sind Ibn ar-Rümi (st. 896)

und Ibn al Mu'tazz (st. 908).

Auf die skizzierte Entwicklung reagierten alsbald drei Gruppen

arabischer Literaten und Wissenschaftler: Die ersten beiden — sozu¬

sagen die direkt betroffenen — sind die Dichtungstheoretiker und die

Anthologisten ; die dritte Gruppe wird, so seltsam das zunächst er¬

scheinen mag, durch die arabischen Philosophen, die die Aristotelische

Poetik übersetzt und kommentiert haben, vertreten. — Die Reaktion

der Dichtungstheoretiker besteht darin, daß sie nun — wie Ta'lab

(st. 904) — den Vergleich als eines der „Fundamente" (qawä'id, usül)

der Dichtung oder — wie Qudäma b. Ga'far (st. um 950) — als eiues

der ,, Hauptanliegen der Dichter" (a'läm min agräd aä-Su'arä') be¬

zeichnen und behandeln, ihn also gewissermaßen zu einer eigenen

„Gattung" der arabischen Poesie erheben*. — Die Sammler arabi¬

scher Dichtung schaffen nun eine neue Art von Anthologie: Zu den

Zusammenstellungen nach Themen und Motiven (ma'äni) tritt die

(nach dem primum comparationis geordnete) Sammlung poetischer Ver¬

gleiche, das TaSbihät-Weik. Darüber wird sogleich unten ausführlich

zu reden sein. — Die Philosophen schließlich, allen voran der Ari¬

stoteles-Übersetzer Abü Bisr Mattä b. Yünus (st. 940) tragen — na¬

türhch unbewußt — ihr Verständnis von Dichtung, nach dem diese

,,in eine Unmenge von Bildern und bildhaften Assoziationen zerfallt

und von ihnen nie genug haben kann"', in ihre Interpretation des

* Vgl. Grunebaum: Kritik, S. 45—49.

" Vgl. Schoeler: Einteilung, S. 10—16.

' Um eine Formulierung Hausers, der so den literarischen Manierismus

charakterisiert hat, zu verwenden; s. Ursprung, S. 290.

(3)

Ibn al-Kattani's Kitäb at-TaSbihät und das Problem des „Hispanismus" 45

Poesie Verständnisses des griechischen Philosophen hinem. So konnte

sich Abü Bisr unter dem Begriff „Nachahmung" {mimesis), mit dem

Aristoteles das Wesen der klassischen griechischen Dichtung (und über¬

haupt aller Kunst) zu bestimmen versuchte — also einer Dichtung,

die mehr oder weniger ,,eine Poesie ohne Tropen" ist, eine Poesie,

,,die ein einziger großer Tropus ist"* — nichts anderes vorstellen als

einen bildhaften Ausdruck ; folghch übersetzte er mimesis (bzw. dessen

syrisches Äquivalent) meist mit dem Hendiadyoin tasbih wa-muhäkät

(,, Vergleich und Nachahmung")*. Konsequenterweise gilt den arabischen

Philosophen die bildhafte Ausdrucksweise und zumal der Vergleich als

das poetische Mittel schlechtliin, wobei sie sich in Übereinstimmung mit

Aristoteles glaubten, in Wirklichkeit aber ein Charakteristikum der

arabischen Dichturig ihrer Zeit in den Blick bekommen hatten.

Die erste Sammlung poetischer Vergleiche ist das K. at-TaSbihät

des Ibn Abi *Aun (st. 934)*°, der ein Freund Ibn ar-Rüml's, ein

Bewunderer Ibn al-Mu'tazz' und ein Zeitgenosse Abü Bisr's war. In

der Einleitung zu seinem Werk sagt der Verfasser gerade heraus, daß

es seiner Ansicht nach nur drei (erwähnenswerte) Kategorien von

Dichtung gebe: das ,, kursierende Sprichwort" {al-mntal os-säHr), die

,, seltene Metapher" [al-isli'ära al-gariba) und der ,, schlagende und un¬

gewöhnhche Vergleich" (at-taäbih al-wäqi' an-nädir). Alles andere ist

nach Ibn Abi 'Aun ,, mittelmäßige oder niedrige Rede" {kaläm wasat

au dün) ; die bedeutendste und schwierigste der drei von ihm aufge¬

zählten Kategorien sei der Vergleich**. — An dieser Stelle darf auf eine

erstaunliche Übereinstimmung der Ansicht des Anthologisten mit der

Ansicht eines Philosophen hingewiesen werden : Avicenna stellt in seinem

Poe<«fc-Kommentar die,,sch wache" {battäl), ,, einfache" (sädig) usw. Dich¬

tung derjenigen gegenüber, in der ,, Kunstfertigkeit" {san'a; in etwa =

rhetorische Figuren) und ,, Nachahmung" (muhäkät = Vergleiche,

Tropen) sind oder die so ,, allgemein anerkannt {mashür) wie ein ge¬

prägtes Sprichwort {matal)" ist*".

Der Verfasser des zweiten erhaltenen TaSbihäl-^eTk&, das etwa 100

Jahre nach Ibn Abi 'Ann's Buch geschrieben wurde, ist ein Andalu-

sier: der sonst als Ai'zt, Philosoph, Literat und — Mädchenhändler

bekannte Ibn al-Kattäni. Seine Vergleichssammlung ist auch deshalb

« Goethe: Sprüche in Prosa, Nr. 235. Zitiert nach Hauseb: Ursprung,

S. 290.

» Vgl. Heinrichs: Dichtung, S. 121—123.

*" S. Literaturverzeichnis.

" Ibn Abi 'Aun, S. 1—2; Übers, bei Grunebaum: Literary Views, S. 225—

226.

12 Aristütälis: Fann aS-Si'r, S. 195.

(4)

46 Gbesob Schoeleb

bedeutend, weil sie zugleich die erste auf uns gekommene Anthologie

hispano-arabischer Dichtung überhaupt ist. (Der frühere Ibn 'Abd

Rabbihi [st. 940] zitiert iu seinem 'Iqd al-farid, abgesehen von eigenen

Versuchen, nur orientalisch-arabische Dichtung!) Ihre Wichtigkeit wird

noch dadurch erhöht, daß die nächstälteste erhaltene Anthologie

andalusischer Dichtung, Abü 1-WaIid al-Himyarl's (st. nm 1048)

K. al-badi' ji wasf ar-rabi'^^, ungleich der Vorgängerm, kerne „alle

Lebensbereiche umfassende poetische Systematik"** ist, sondern, wie

schon der Titel sagt, ausschließhch der Naturdichtung gewidmet ist. »

Es ist daher nur zu begrüßen, daß wir zwei Editionen des Werks^s

sowie eine vollständige deutsche Übersetzung besitzen.

Leider teilt uns Ibn al-Kattäni, ungleich Ibn Abi 'Aun, seine

literarischen Ansichten nicht mit. Er hat nicht einmal eine Einleitung

zu seinem Werk geschrieben. Seine eigene Leistung besteht, wenn man

einmal von der Sammlung und Ordnung des Materials absieht, nur

in der gelegentlichen Beigabe von lexikahscheii Anmerkungen. Sein

Buch besteht aus drei Teilen und 66 nach dem primum comparationis

geordneten Kapiteln, die vom Übersetzer sinnvollerweise zu sechs

Zyklen zusammengefaßt worden sind: 1. Atmosphärische Vorgänge,

2. Die Natur, 3. Wein und Musik, 4. Das erotische Thema, 5. Land

und Meer, Jagd und Krieg, 6. Objekt- und Charakterdichtung.

Wenn uns Ibn al-Kattäni über den Grund zur Abfassung seines

Werkes und über seine literarischen Ansichten auch ün Dunkeln läßt,

so können wir aus Anlage und Charakter des Buches doch einiges er¬

schheßen. Schon die Tatsache allein, daß der Verfasser ein K. at-

TaSbihät zusammengestellt hat, zeigt, daß er dieselbe Auffassung

von der herausragenden Bedeutung des Vergleichs in der Dichtung ge¬

habt hat wie Ibn Abi 'Ann; die enge Anlehnung an das Vorbild läßt

weiterhin vermuten, daß ,,Ibn al-Kattänl ... eine west-östliche Kon- \

frontation im Sinne gehabt" hat**. Damit steht der Literat in einer

Entwicklung, die mit Ibn 'Abd Rabbihi begonnen hatte und sich dann '

mit Abü 1- Walid al-Himyari, Ibn Suhaid (st. 1035) und Ibn Hazm i

(st. 1063) fortsetzt und deren Tendenz es ist, der Kunst der „Orientalen" i

gleichwertiges Eigenes an die Seite zu stellen, mit ihnen zu wetteifern

und sie womöglich zu überbieten. AbO 1-WalId al-Himyari spricht das

in der Einleitung zu seinem Werk (und auch immer wieder in den ^

Kommentaren zu den Versen) offen aus: ,,Die Orientalen ... finden

>

*' S. Literaturverzeichnis.

** Hoenebbach, S. xiii. |

*' S. Literaturverzeichnis.

1' Hoenebbach, S. 2. \

(5)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-TaSbihät und das Problem des „Hispanismus" 47

nicht, von ihnen selbst, Vergleiche in diesen Beschreibungen, wie ieh

sie von meinen Landsleuten gefunden habe!"*'

Die Tendenz, mit dem Osten zu wetteifern, zeigen nicht nur die

Sammler der andalusischen Dichtung des 10. und beginnenden 11. Jhts. ;

sie geht deuthch genug auch aus der Dichtung dieser Epoche selbst

hervor. Davon wird im ersten Abschnitt des anschließenden zweiten

Teiles dieser Arbeit die Rede sein.

II.

In diesem und den folgenden Abschnitten wird das Problem des sog.

„Hispanismus" der andalusisch-arabischen Dichtung erneut diskutiert

werden. Es handelt sich dabei um die Frage, ob die auf iberischen

Boden verpflanzte arabische Dichtung Charakteristika aufweist, die sie

von der orientalischen absetzen und sie in die Nähe der europäisch-

spanischen Dichtung, namentlich der des siglo de oro, rücken. Es ver¬

steht sich, daß es im Rahmen auch eines ausführlichen Aufsatzes nicht

möglich ist, das Problem erschöpfend zu behandeln. Auch muß ich

eingestehen, daß ich die hispano-arabische Poesie auf unsere Frage hin

nur in zwei Gattungen (Liebes- und Naturdichtung) und auch da nur

stichprobenweise durchgesehen habe und daß ich, was das Studium der

großen spanischen Dichter des 16. /17. Jhts. betrifft, über eine erste

Einarbeitung nicht hinausgekommen bin. Dennoch glaube ich, durch

die Verfolgung des sogleich zu charakterisierenden Verfahrens zumin¬

dest eine vorläufige Antwort geben zu können.

Ich gliedere im folgenden das Gesamtproblem in fünf Einzelprobleme

und handele diese nacheinander ab. Der besseren Überschaubarkeit

halber eröffne ich jeden Abschnitt mit der Formulierung einer These,

in der die wesenthchen Ergebnisse des jeweils nachfolgenden Teils der

Untersuchung kurz zusammengefaßt vorweggenommen werden. In den

einzelnen Abschnitten bin ich im allgemeinen so vorgegangen, daß ich

zunächst die wichtigsten der bisher vertretenen Ansichten referiere

und bespreche und (außer in Abschnitt 1) diese dann an einigen

wenigen ausgewählten Texten nachprüfe, um sie zu bestätigen, zu er¬

gänzen, zu modifizieren oder auch zu widerlegen. Besondere Berück¬

sichtigung erfahren dabei die von Hoeneebach vertretenen Thesen.

1. Die andalusische Dichtung des 10. Jhts. unterscheidet sich im

Grundsätzlichen nicht von der ostarabischen Dichtung dieser Epoche.

Sie ist ein typischer Fall von ,, Provinzkunst", d.h. einer Kunst, die

" Abü 1-Walid, S. 2. Übers, auch bei Hoenebbach, S. XV—XVI.

(6)

48 Gbbqob Schoeleb

diejenige der Metropole (in unserem Fall Bagdads und des irakisch¬

syrischen Raums überhaupt) bewußt und programmatisch nachahmt.

„Die andalusische Dichtung des 10. Jhts. ist, wie die gesamte andalu¬

sische Kultur dieses Zeitraums, noch weitgehend vom Osten abhängig."

Diese These ist spätestens seit H. P^Ri;s' grundlegendem Werk La Poisie

andalouse en arahe classique^^ communis opinio der Forschung. Zur

Erklärung hatte P^eJis daran erinnert, daß die Umaiyadenemire, nach¬

dem sie sich im Jahre 929 auch formell von Bagdad losgesagt und

den Kalifentitel angenommen hatten, nun aus Repräsentationsgründen

in verstärktem Maße Künstler aus dem Osten anzogen; man wollte

in Cördoba hinter der bisherigen Metropole natürlich nicht zurückstehen.

So blickte man nach dem traditions- und ruhmreichen Osten, dem man

vorläufig noch nichts Gleichwertiges zur Seite zu stellen hatte; nach

dem Irak und Syrien, wo alle großen arabischen Dichter herstammten.

Namentlich der östlichen Hauptstadt, Bagdad, galt es nachzueifern;

und das nicht nur auf dem Gebiet der Literatur und Kunst, sondern

in allen kulturellen Bereichen*'. Peeäs erinnert weiter daran, daß die

Hofhaltung der Kalifen zu Cordoba, der gute Ton, die Etikette, von

Bagdad abgeguckt waren; daß man sich mit Wissenschaftlern und

Sängern aus dem Orient umgab usw.""

Die neuere Forschung hat sieh nun nicht damit begnügt, den Charak¬

ter der Andalus-Dichtung des 10. Jhts. aus der kulturellen Gesamtsitua¬

tion und allenfalls aus theoretischen Äußerungen der Dichter und Kritiker

zu deduzieren (was Pj^e^s, dessen Buch hauptsächlich die hispano-ara¬

bische Dichtung des 11. Jhts. behandelt, im Wesentlichen getan hatte),

sondern sie hat sich auch daran gemacht, diese These an den Texten

selbst nachzuprüfen. Der Zufall hat es gewollt, daß ün Jahre 1973 drei

Arbeiten, eine amerikanische (von J. T. Moneoe), eine russische (von

A. B. KuDELEsr) und eine deutsche (die hier besonders zu berücksich¬

tigende von W. Hoeneebach) erschienen sind, die sich mit diesem

Problem befassen. Bemerkenswerterweise sind alle drei Arbeiten zu

analogen Ergebnissen gelangt.

MoNEOE hat in semem Aufsatz Hispano-Arabic Poetry during the

Caliphate of Cördoba^^ u.a. darauf hingewiesen, daß Ibn 'Abd Rabbihi

in seinem 'Iqd außerordentlich häufig Stücke östlicher Dichter zitiert

imd darauf eine Imitation aus der eigenen Feder folgen läßt; daß

*' S. Literaturverzeichnis.

" Vgl. PÄEi:s S. 40.

20 Ebda. — Eine wichtige Ergänzung zu Peräs Ausführungen stellt der

Aufsatz von Tebes : Algunos Aspectos .. ., s. Literaturverzeichnis, dar.

2' S. Literaturverzeichnis.

(7)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-ToMnhät und das Problem des „Hispanismus" 49

er sich dabei gelegenthch sogar rühmt, sein Vorbild übertroffen zu

haben"", und daß noch Ibn Darräg al-Qastalll, dessen Leben z.T.

schon his 11. Jht. fällt (st. 1030)"', wie Ibn 'Abd Rabbihi sich

veranlaßt sah, mit östhchen Vorbildern zu wetteifern"*. Und auch

Kudelin"*, der sich besonders intensiv mit dem erwähnten Ibn Dar¬

räg, dem ,, Mutanabbi des Andalus" auseinandergesetzt hat, weist auf

die lange Dauer und die nicht zu überschätzende Wirkung des östlichen

Einflusses in Spanien hin; er betont allerdings einerseits, daß dieser

Einfluß über das 10. Jht. hinausreichte, andererseits, daß es sich bei

der Imitation der ostarabischen Dichtung nicht um sklavische Nach¬

ahmung, sondern um ein Rivahsieren mit Vorbildern, ein ÜbertrefFen-

Wollen, ein Varüeren von Vorlagen"* handelt. Kudelin weist in diesem

Zusammenhang u.a. auf eine Qaside Ibn Darräg's hin, die auf An¬

regung des Hägib al-Mansür entstand und in der der Dichter ein

Lobgedicht des Abü Nuwäs nachahmt, indem er dessen Metrum, Reim

imd Hauptthema aufgreift"'.

Daß die von Ibn al-Kattäni zitierten, fast alle dem 10. Jht. ange¬

hörenden Dichter des islamischen Westens im Grundsätzhchen, aber

auch in vielen Einzelheiten, mit dem östlichen übereinstimmen, daß

sie ,, nicht nur 'abbasidische Vergleichsbüder ... nachzuahmen und wo¬

möglich zu übertreffen sich bemühn", sondern daß sie ,,auch noch ge¬

wisse altarabische Beobachtungen spiegeln""*, dies zu beweisen, ist die

Hauptaufgabe, die sich Hoeneebach in seinen ausführlichen Kommen¬

taren zu den einzelnen Kapiteln von Ibn al-Kattäni's Buch gestellt

hat. So werden in den Kapiteleinleitungen, und im ersten Teü des

Werks zusätzlich noch in Fußnoten, dem andalusischen Material öst¬

liche Gegenstücke aus Ibn Abi 'Aun's K. at-Tasbihät, aus Abü Hiläl

al-'Askari's Diwän al-ma'äni, aus anderen Anthologien und aus der

Sekundärhteratur (grundsätzlich aber nieht aus Original-Diwänen) ge¬

genübergestellt, um das ,, äußerst enge Verhältnis der arabischen Dich-

"" Monroe: Hisp.-Ar. Poetry, S. 129.

"' Über ihn handelt Blachäre in einem Aufsatz, s. Literaturverzeichnis.

Dieser Aufsatz berücksichtigt noch nicht den inzwischen erschienenen, von

Makki edierten Diwän, a. Literaturverzeichnis, und ist deshalb zum größten

Teil veraltet.

"* Monroe: Hisp.-Ar. Poetry, S. 138.

"* Ich kann Kudelins in Russisch geschriebenes Buch nur in der dankens¬

werten ausführlichen Besprechung Canabds, s. Literaturverzeichnis, be¬

nutzen.

2« Canard: Rez. Kudelin, S. 316, 318.

2' Ebda., S. 318. — Es handelt sich imx Ibn Darräg, Nr. 78; Abü Nuwäs I,

S. 219.

28 Hoenebbach, S. 2.

4 ZDMG 129/1

(8)

50 Geegob Schoeleb

tung innerhalb Spaniens zu derjenigen außerhalb dieses Landes" zu

belegen"*.

Das von Hoeneebach beigebrachte, durch seinen Umfang beeindruk-

kende Vergleichsmaterial beweist in der Tat, daß die andalusische

Dichtung des 10. Jhts. in Thematik, Motivik und Bildersprache von

der orientalischen weitgehend abhängig ist.

Es kann also als ein von der theoretischen wie von der praktischen

Seite abgesichertes Forschungsergebnis gelten, daß wir mit der hispano¬

arabischen Dichtung des 10. Jhts. einen typischen Fall dessen vor uns

haben, was die Literatur- und Kunstsoziologie als ,, Provinzkunst" be¬

zeichnet (wobei man sich an der Ungenauigkeit des Begriffs, auf die

Dichtung nach 929 übertragen, wo der Andalus ja keine ,, Provinz"

mehr ist, nicht zu stoßen braucht). ,, Provinzkunst" ist nach A. Hauser

dadurch definierbar, daß sie ,,in einer ständigen Abhängigkeit vom

Geschmack der Großstadt bleibt und folghch von einem gewissen

Minderwertigkeitsgefühl nie ganz loskommt"; ,,sie eifert (der Kunst

des Kulturzentrums) ... bewußt (und) programmatisch ... nach"'";

ihr Publikum sind meist die vom Zentrum sich lostrennenden Feudal¬

herren'*.

2. Wenn man der hispano-arabischen Poesie des 10. Jhts. eine gene¬

relle Abhängigkeit von der ostarabisehen zuspricht, so bedeutet das

nicht, daß die Dichtung der bedeutenderen Andalusier dieser Epoche —.

etwa die Ibn Darräg al-Qastalli's — nicht bestimmte individuelle

Eigentümhchkeiten (in Stil, Motivik) aufweisen kann. Es bedeutet auch

nicht, daß sich nicht gewisse Besonderheiten von geringerer Trag¬

weite — vor allem im stilistischen, aber durchaus auch im gattungs¬

mäßigen Bereich — aufzeigen lassen, durch die sich die andalusische

Poesie dieses Zeitraums als Ganzes von der orientalischen unter¬

scheidet. Es bedeutet vielmehr, daß es dieselben poetischen Gesetze

sind, die die westlichen und östhchen Araber zu befolgen bestrebt sind

und daß es dieselben (östlichen) ,, Klassiker" sind, denen man im

Westen wie im Osten nacheifert.

Bei aller Abhängigkeit von östlichen Vorbildem lassen zumindest die

bedeutenderen andalusischen Dichter des 10. Jhts. doch gewisse Eigen¬

tümlichkeiten erkennen. Welches Ausmaß diese Eigentümhchkeiten

haben können, soll an einer bestimmten Gruppe von Gedichten des

Ibn Darräg al-Qastalll veranschaulicht werden.

2» Hoenebbach, S. 6.

"> Hauseb: Methoden, S. 322.

" Ebda., S. 323.

(9)

Ibn al-Kattäni's Kitäb ai-TaSblhät und das Problem des „Hispanismus" 51

Es handelt sich um acht Blumengedichte aus dem Diwän^^, die

gelegentlich schon die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen

haben''. Sie handeln von Lilie (zwei Stücke), gelber Narzisse, Dichter¬

narzisse, Levkoje (hiri), Ringelblume (hiri asfar), Rose und Seerose (je

ein Stück). Das erste ist streng genommen kein Blumengedicht, sondern

eine Lobqaside (auf den 'Amiriden al-Muzaffar b. al-Mansür) mit einer

Gelage-, Garten- und Blumenschilderung als Prolog. Seme ersten 13

Verse lauten in wörthcher Übertragung wie folgt'* :

1. Organisiere für uns auf dem Boden (Variante: im Garten) den Feld¬

zug eines Generals und berufe dazu alle, die helfen, und laß dich selbst da¬

zu berufen!

2. Bring zur Kavallerie der Liebe die Charakteranlagen der jugendli¬

chen Leidenschaft und knüpfe dem Heer der Unterhaltung die Fahnen der

freudigen Erregung !

3. Rufe die Truppen der Freuden und führe mit ihnen zu den Gärten

— wo du doch der beste Reiter bist —

4. ein Heer, dessen Trommeln seine Lauten und dessen Hörner die Flöten

sind, die die Rohrpfeifen unterstützen !

5. Schwinge Lanzen von den frohen Botschaften der Wünsche imd zücke

Schwerter von dem, was von den Trauben alt geworden ist ( = dem Wein),

6. und errichte Wurfmaschinen von Flaschen, deren Steine Phiolen und

erlesene Gespräche (?; iiuhab) sind,

7. für Festungen aus Lilien, deren Gebäude die Hände des Frühlings auf

Stengeln errichtet haben,

8. deren Ziimen aus Silber sind und deren Verteidiger um den Emir

herum Schwerter aus Gold haben,

9. seines Befehls gewärtig, nachdem er aus dem Gebäude heraus gestie¬

gen ist und die Wange eines Beobachtenden ausgestreckt hat,

10. wie der Emir von Lüna Ausschau gehalten hat, als 'Abdalmalik

(al-Mu?affar b. al-Man§ür) ihm nahte in einem lärmenden Heer.

11. Wenn du dort die Ebenbilder von Statuen (=Frauen) erbeutet hast,

so gibt es hier Häuser von Moschus ( = Blumen); so mach denn Beute

und plündere

12. Geschenke des (Monats) Sa'bän, der dir sein Antlitz enthüllt hat,

als Ersatz für die Rosen ( = die Frauen), die der (Monat) Ragab geschenkt

hat.

13. Nimm sein Geschenk, nachdem er es dir in Menge gebracht hat, bis

zur Zeit des Fastens, wenn es auferlegt wird.

'2 Ibn Darräg, Nr. 15—22.

" Vgl. vor allem Monboe: Risälat, S. 9—10; weiterhin Eckeb, S. 154-—

157. — Blachäbe: Sä'id, S. 32—34 behandelt analoge Stücke von Ibn

Darräg's Zeitgenossen Sä'id al-Bagdädi.

" Ibn Darräg, Nr. 15. Gekürzt auch in Abü 1-Walid, S. 133. — Teil-

übersetzimgen : Päbäs, S. 177f. (mit Worterklärungen); Monbob: Äisöiai,

S. 9—10; Schmidt, S. 51 f. Moneoe und Schmidt haben das Gedicht auch

kurz interpretiert.

(10)

52 Gbegob Schoeleb

Im ersten Vers des Gedichts erscheint das Gelage, das der Dichter

abzuhalten bittet, durch eine absolute Metapher in den Feldzug eines

Generals, des mamdüh's der Qa?Ide, umgedeutet. Indem Ibn Darräg

im folgenden die substantivischen Elemente, die dem Themenzusam¬

menhang des Gelages und des Gartens (in dem das Gelage stattfindet)

zugehören, ziemlich konsequent in Metaphern umsetzt, die der Bild¬

sphäre des Kampfes entstammen, bedient er sich des Kunstmittels der

metaphora continuata. (Der Garten selbst wird auffallenderweise zwei¬

mal direkt genannt.) Formal sind die verwendeten Metaphern über¬

wiegend identifizierende Genitivmetaphern (Heere der Freuden, Fahne

der freudigen Erregung usw.).

Die Lilien des Gartens werden in der Weise in die Umdeutung mit

einbezogen, daß die Blüte der Blume zu einer Festung wird, die von

den „Wurfmaschinen der Flaschen" beschossen wird (Vers 6 und 7);

ihre Staubgefäße werden zu Verteidigern, die den Stempel, der als

Kommandant der Festung metaphoriert erscheint, umgeben (Vers 8).

Diese Situation wird nun mit der des Emirs von Lüna verglichen, den

der mamdvh der Qaside kurz zuvor erfolgreich belagert hatte (Vers 10).

Durch dieses Verfahren gehngt es dem Dichter, die Ruhmestat des

letzteren, obwohl sie bereits vergangen ist, im Bilde noch einmal zu

vergegenwärtigen, u.zw. in einem Bilde, dessen Substrat Dichter und

Publikum bei der Rezitation des Grcdichts vor Augen haben. Auch in

Vers 11 (und dann noch in Vers 12) wird die im vorangegangenen

Vers etablierte Beziehung von Büd (,, Feldzug" = Gelage) und vorüber¬

gehend als sekundäres Bild fungierendem neu eingeführtem Thema (der

tatsächlich vom Hägib durchgeführte Feldzug) aufrecht erhalten, indem

die Beute der tatsächlichen Razzia (,,Ebenbüder von Statuen" = kon¬

ventionelle Metapher für Frauen) mit einer nur im Büde existierenden

Beute („Moschushäuser" = Metapher für Blumen) vereint erscheint.

Vers 12 bringt dann noch einmal eine neue Verschränkung der drei

Ebenen: Hier wird ein Element des neuen Themas (die Frauen) in

ein Element des ursprünglichen Themas (eine Blume, u.zw. eine Rose)

metaphorisch umgesetzt und mit den dem primären Themenzusammen¬

hang angehörenden tatsächlichen Blumen, den Lüien, vereint.

Übernommen ist das Schema des Gedichts : Gelage- einschheßlich Gar-

tenschüderungen leiten auch im Osten häufig die Lobqaside ein'*.

Auch das das Qa$idenvorspiel beherrschende stüistische Mittel, die meta¬

phora continuata, verwenden östliche Dichter in ähnlichem Zusammen¬

hang". Neu ist dagegen der Inhalt des Büdes, namentlich die weit

'* Vgl. Schoeleb: Naturdichtung, S. 133ff. (al-Buhturi) ; S. 177fF. (Ibn

ar-Rüml) usw.

"Ebda., S.136, Vers 28—30 (al-Buhturi); S. 201ff. (Ibn ar-Rümi).

(11)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-TaSbihät und das Problem des „Hispanismus" 53

ausgesponnene Metapher von den Festungen der Lilien". Sie stellt daher

auch einen Ruhmestitel der Andalusier auf dem Gebiet der „litera¬

rischen Erfindung" {ihtirä') dar. Abü 1-Walid al-Himyari, der Ibn Dar¬

räg's Lilienbeschreibung ganz besonders rühmt, zitiert beistimmend

folgenden Ausspruch des Dichters 'Ubäda b. Mä' as-Samä': ,, Niemals

wurde im Andalus in einem dichterischen Motiv {ma'nä) so etwas er¬

funden, wie es al-Qastalli bezüglich der Lilie erfunden hat"'*. Wir haben es hier offenbar mit einem Höchstmaß hispano-arabischer ,, Originalität"

zu tun! (Was dabei unter ,, Originalität" zu verstehen ist, zeigt der

Umstand, daß die hochgerühmte Metapher zwar ,,neu erfunden" ist,

jedoch ganz nach dem Geschmack der Orientalen und im Sinne ihrer

Kunstauffassung. )

Neu ist an Ibn Darräg's Qaside aber auch — und das werden die

andalusischen Kritiker mit im Auge gehabt haben — der feine Ge¬

danke, das Thema des Prologs in einen Bildzusammenhang zu ver¬

wandeln, der dann seinerseits mit einer Ruhmestat des Gepriesenen

vergleichbar ist.

Die übrigen Blumengedichte Ibn Darräg's bestehen nur aus fünf bis

acht Versen. Die folgende Narzissenbesehreibung'* (andalusisch-arabisch

bahär = ostarabisch nargisl) ist geeignet, die Charakteristika der ganzen

Gruppe zu exemplifizieren :

1. Du wurdest geladen; so höre denn auf den, der zur Unterhaltung

einlädt ! Das Wetter ist dir freimdlioh ; so trink denn und laß es dir gut gehn !

2. Dies ist der Freudenbote des neuen Frühlings, der uns verkündet, daß

jener sich genähert hat :

3. Eine Narzisse, die durch starkriechenden Moschus, seltsame Gefetalt

und wunderbares Naturell gefällt ;

4. Stengel von Smaragd, die uns Silber hervorgebracht haben, das mit

Gold in Blüte steht.

5. Wemi sie mit Fäden aus Seide zusammengebunden werden und vor

dir stehen wie Puppen,

6. so haben sie recht, die Zecher anzublicken, nachdem deren „Markt"

durch die Beeten lebhaft wurde,

7. und Gott um ein langes Leben für 'Abdalmalik (al-Muzaffar) zu bitten,

den Herrn der Araber ;

8. denn wonn seine Wohltaten nicht wären, würden sie nicht gefallen,

und werm seine gute Wesensart nicht wäre, wären sie nicht schön.

Das Gedicht unterscheidet sich diesmal von seinen ostarabischen Vor¬

bildern kaum durch seine blumenbeschreibenden Motive. Es läßt sich

" Es findet sich weder bei Ibn Abi 'Aun, noch boi Abü Hiläl

al-'Askari, noch bei an-Nuwairi.

38 Abü 1-Walid, S. 160.

8» Ibn Darräg, Nr. 16.

(12)

54 Gbegok Schoeleb

leicht aufzeigen, daß Ibn Darräg seine Bilder und Motive übernommen

bzw. leicht varüert hat*". Ein mchtiger Unterscliied besteht aber darin

daß der Dichter die kurze Narzissenbeschreibung (sowie auch alle ana¬

logen Gedichte) durch ein paar panegyrische Verse abschließt, was inx

Osten unbekannt ist. Dort waren nämlich in der Hauptsache folgende

Möglichkeiten der Natur Schilderung vertreten: 1. das kurze selbständige Blumen- und Frühluigs- (selten : Garten-)gedicht (Vertreter : Ibn ar-Rümi,

Ibn al-Mu'tazz, as-Sanaubari), 2. das lange selbständige Blumen-, Garten-

und Frühlingsgedicht (Vertreter: as-Sanaubari), 3. das Garten- und

Frühlingsbild (in das eine Blumenbeschreibung mit einbezogen sein

kann) als Vorspiel der langen Lobqaside (Vertreter: Abü Tammäm,

Ibn ar-Rümi, as-Sanaubari). — Im Andalus tritt nun zu diesen Mög¬

lichkeiten das kurze Blumengedicht mit panegyrischem Abschluß. Ibn

Darräg ist nicht sein einziger Vertreter; wir besitzen analoge Stücke

auch von seinem Zeitgenossen Sä'id b. al-Husain al-Bagdädi (st. 1026)

(alle an al-Muzaffar gerichtet)** und von zahlreichen Dichtern in Abü

1-WaIid al-Himyari's Anthologie. Von den letzteren hat es einer sogar

fertig gebracht, die Beschreibung einer Bohnenblüte mit dem Lobpreis

eines Gönners zu verbinden*".

Wie diese neue Varietät der Blumendichtung aufgekommen ist, läßt

sich wünschenswert genau aufzeigen. Ibn 'Idäri berichtet nämlich*', daß

der 'Amiride al-Muzaffar ganz besonders die ,, Blumenstücke" (qita'^

nüwäriya) liebte und seine Dichter aufzufordern pflegte, solche zu im¬

provisieren. Ibn 'Idäri bringt darauf sechs Gedichte von Sä'id und

zwei von Ibn Darräg**. — Der Charakter der Stücke erklärt sich also

wie folgt: Das Sujet war vom Auftraggeber, al-Muzaffar, vorgegeben;

mit dem panegyrischen Abschluß konnte der Dichter seinem Gönner

eine Reverenz erweisen (die letzterer freilich auch erwartet haben wird) ;

die Kürze der Gedichte schheßlich ergibt sich aus dem Umstand, daß

es sich um Improvisationen handelt.

Das plötzliche Auftauchen und die Behebtheit des Themas im An¬

dalus um die Jahrtausendwende hat die bisherige Forschung aus dem

Geschmack der Cordobeser Bevölkerung und zumal der höfischen Kreise

der Hauptstadt an der ,, verstädterten Natur" herzuleiten versucht. Die-

*° In einem Binladmigsgedicht al-Buhturi's finden sich die meisten von

Ibn Darräg verwendeten Motive, s. Schoeleb : Naturdichtung, S. 297.

"Ibn 'Idäri 3, S. 18ff. Übers, von Blachäee: Ää'id, S. 32—34 sovsde

von EcKEB, S. 151—154.

*2 Abu 1-Walid, S. 154. Man kann es Blachäeb kaum verdenken, werm

er angesichts derartiger Themenkombinationen von einem „genre hybride

et faux" spricht (SäHd, S. 32).

" Ibn 'Idäri 3,'S. 18 ff.

Die Nrn. 20 und 21 des Diwans, leicht gekürzt.

(13)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-TaSbihät und das Problem des „Hispanismus" 55

ser Geschmack zeige sich auch im Bau von Gärten und Palastanlagen**. —

Dem ist insoweit zuzustimmen, als eine modische Blumen- und Garten¬

dichtung in der Tat ohne die Vorliebe von Dichter und Publikum für

wirkliche Blumen und Gärten nahezu undenkbar ist. Die literarische

Mode dürfte sich jedoeh schwerlich direkt aus dem Bestreben erklären,

vorgefundene Wirklichkeit widerzuspiegeln. Es liegt hier viel näher,

an die Tatsache zu eriimern, daß die Ausbildung der Naturdichtung

zur eigenen Gattung, die einige Jahrzehnte früher in Syrien erfolgt war

(durch as-Sanaubari), im ganzen arabischen Kulturraum eine Woge

der Imitation auslöste. — Damit hat sich aber einerseits die These

von der generellen Abhängigkeit der andalusischen Dichtung von der

ostarabischen wieder bestätigt, andererseits konnte einmal eine Eigen¬

art der ersteren von geringerem Umfang aufgezeigt und durch die be¬

sonderen Verhältnisse in Spanien erklärt werden.

*

Das K. at-TaSbihät ist eine nach Themen geordnete Anthologie. Die

arabischen Anthologisten zitieren aber, dem Charakter der arabischen

Poesie entsprechend, in der Regel nur Gedichtpartien und kleinere Vers¬

gruppen. Aus ihnen kann mithin meist keine Information über den

Aufbau eines Gedichts, thematische Übergänge, Ort und Funktion eines

Themas im Zusammenhang eines Gesamtgedichts gezogen werden. —

Hier wird denn auch eine Grenze von Hoenerbachs Methode deut¬

lich. Denn Hoenerbach hatte ja, um die enge Verbindung der frühen

andalusischen Dichtung mit der ostarabischen aufzuzeigen, ausschlie߬

lich Ibn al-Kattäni's Vergleichsbuch einerseits und orientalisch-arabische

Anthologien andererseits verwendet. So ist es ihm zwar gelungen, die

Ähnlichkeit der hüben und drüben verwendeten Vergleiche und Motive

zu zeigen; dagegen hat er alle Eigenheiten andalusischer Dichtung, die

sich erst bei der Untersuchung vollständiger Gedichte zeigen, nicht in

den Blick bekommen. Es ist freilich zu bedenken, daß ^vir nur einen

vollständigen Diwän eines Dichters aus dem 10. Jht. besitzen : den des

Ibn Darräg al-Qastalli.

3. Auch die hispano-arabische {qasid-) Dichtung** des 11. und der

späteren Jahrhunderte ist grundsätzhch und zuallererst „arabische"

*^ Monroe: Risälat, S. 10.

*« Die Strophendichtung bleibt aus der folgenden Betrachtung grund¬

sätzlich ausgeschlossen. Hier sei dazu jedoch soviel gesagt, daß auch ihre

Eigentümlichkeiten, sieht man einmal von der neuen formalen und metri¬

schen Struktur ab, vor allem im stilistischen, nicht aber im thematischen und motivischen Bereich liegen.

(14)

56 Gregor Schoeler

Dichtung. Wie überall, orientiert man sich auch in Spanien weiterhin

an den östhchen ,, Klassikern". Nichtsdestoweniger weist die Poesie zu¬

mal der Großen dieser Epoche bestimmte Eigenständigkeiten auf, u.zw.

Eigenständigkeiten von größerer Tragweite als sie bei den Dichtern des

10. Jhts. festzustellen waren. Die Besonderheiten liegen nach wie vor

vor allem auf stilistischem Gebiet. Ibn Zaidün und Ibn Hafäga ver¬

wenden Bilder und Figuren z.T. in anderer, raffinierterer, in den besten

Fällen auch in sinngemäßerer Weise als ihre östlichen Vorbilder.

Während P]SRi:s der andalusischen Dichtung des 10. Jhts. grundsätz¬

liche Abhängigkeit von der orientalisehen zugesprochen hatte, sieht er

in der andalusischen Dichtung des 11. Jhts., zumal in der unter den

Duodezfürsten (ab etwa 1030) blühenden, mächtige ,, europäisierende"

Tendenzen. Der französische Gelehrte bestreitet keineswegs, daß die

spanischen Dichter den orientalischen vieles verdanken, daß sie ihre

Bilder und Ideen den östlichen entlehnen; doch haben sie das alles

,,den inneren Tendenzen ihres Temperaments folgend umgewandelt, und,

indem sie dieses taten, der westlichen Optik angepaßt"*'. In zeitbe¬

dingter Deutung führt Pi:Bi;s die (angeblich) europäische Mentalität und

Sensibilität der Andalusier letztlich auf die im 11. Jht. auf der iberischen

Halbinsel sieh vollziehende Rassenmischung (mit Übergewicht der ibero-

romanischen Rasse) zurück, deren Ergebnis die Herausbildung des spa¬

nischen Volkes war**. Als Erklärung für die Tatsache, daß die ent¬

stehende spanische Nation sich in dieser Zeit noch nicht voll zu ok-

zidentalisieren vermochte, daß ihre ,, rassischen Bestrebungen" sich nicht

ganz durchsetzen konnten, verweist er auf die unbeschränkte Herrschaft

und den prägenden Einfluß der arabischen Sprache**. — Wir werden

auf PÄßts' Standpunkt unten S. 70ff. in anderem Zusammenhang nocli

einmal zurückkommen.

P^Eiis' Ansichten sind indessen nicht lange unwidersprochen geblieben.

In einem bemerkenswerten Besprechungsaufsatz, der bereits im Jahre

1936 erschienen ist, hat E. GakcIa Gömez gegenüber der These, daß

sich die andalusische Kultur im 11. Jht. von der orientalischen fast

vollständig gelöst und unabhängig gemacht habe, die Gegenthese auf¬

gestellt, daß der östliche Einfluß während des 11. Jhts. so groß wie

je gewesen sei*".

Das Interesse daran, die — vorhandene oder nicht vorhandene —

Eigenständigkeit der hispano-arabischen Dichtung des 11. Jhts. nach-

" PÄRÄs, S. 477f.

" Ebda., S. 475.

" Ebda., S. 477.

" GABcfA G<3mez: Obra, S. 218.

(15)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-ToMnliät und das Problem des „Hispanismus" 57

zuweisen, hat bis heutzutage angehalten. Außer den schon erwähnten

Studien von Monroe und Kudelin (die über das 10. Jht. hinausreichen)

muß hier vor allem das Buch von R. Schedjdlin über al-Mu'tamid**

erwähnt werden; ferner eine weitere Arbeit von Monroe*" sovde die

Dissertation von W. Schmidt über die andalusische Naturdichtung*'» **.

Alle diese Arbeiten stützen ihre Ergebnisse auf Textanalysen ; Scheind-

LIN legt seiner Strukturanalyse das gesamte erhaltene Werk eines ein¬

zelnen Dichters zugrunde; Monroe gibt anhand von ausgewählten Bei¬

spielen einen Überblick über die Entwicklung der gesamten hispano¬

arabischen Dichtung (und Kultur) bis 1492; und Schmidt geht von

einem Kapitel in Abü 1-Walid al-Himyari's Anthologie sowie von den

berühmtesten Naturgedichten der Andalus-Araber aus. Es muß hier

genügen, die allgemeine Tendenz, die alle diese Arbeiten zeigen, in

wenigen Sätzen zu charakterisieren: Die andalusischen Dichter des 11.

Jhts. verwenden z.T. neue stilistische Mittel (Scheindlin, Schmidt),

zeigen sich bisweilen auch von neuen philosophischen Ideen beeinflußt

(Monroe über Ibn Hazm und Ibn Zaidün). Bei aller Eigenständigkeit

bleibt die Beziehung zum Osten jedoch eng. Namentlich das Bestreben,

die Orientalen zu überbieten, bleibt lebendig (Monroe, Kudelin);

Originalität kann sich nach Ansicht der Dichter und Kritiker gerade

in der Nachahmung zeigen (Monroe, Kudelin).

Um diese Ansichten nachzuprüfen, sollen im folgenden je zwei Gedichte

zweier Großer aus dem 11. Jht., Ibn Zaidün's und Ibn Hafäga's, be¬

handelt werden. Die Gedichte sind bewußt so gewählt, daß sich an ihnen

bestimmte stilistische Charakteristika ihrer Verfasser besonders gut auf¬

zeigen lassen.

Die Gedichte Ibn Zaidün's (st. 1071)** lassen sich in ,,ofiizielle" und ,, private" einteilen (um eine literatursoziologischen Klassifizierung Ibn Rasiq's** zu verwenden). , .Offiziell" sind die Lob-, Trauergedichte usw.,

die für bestimmte festliche Anlässe gearbeitet sind und in der maglis

'ämm des Machthabers vorgetragen wurden. In ihnen erweist sich der

Dichter als ,, Neuklassiker", indem er überwiegend die traditionelle mehr-

^* S. Literaturverzeichnis.

'2 Die Einleitung zu Hispano-Arabic Poetry. A Student Anthologie, s.

Literaturverzeichnis.

S. Literaturverzeichnis.

Auch der Aufsatz von Sobh, s. Literaturverzeichnis, geht auf die

zur Rede stehende Problematik ein imd gelangt zu analogen Ergebiüssen

wie die Arbeiten der genarmten Verfasser.

Über ihn liegt eine (veraltete) Monographie von Coun, s. Literatur¬

verzeichnis, vor. Vgl. dazu den Besprechungsaufsatz von Massä, s. Litera¬

turverzeichnis .

" Ibn Rasiq I, S. 199.

(16)

58 Geegob Schoeleb

teilige Qa^idenform verwendet. Als wichtigste Gruppe der „privaten"

Gedichte Ibn Zaidün's gelten die gazaliyät an seine Geliebte Walläda.

Es handelt sich dabei um „private" Dichtung im aller engsten Sinne

des Wortes; so hat Ibn Zaidün die beiden sogleich zu besprechenden

Stücke — beides Bitten um Wiedererlangung der Gunst Walläda's —

als Briefe konzipiert und nach Ausweis der Überlieferung auch an die

Geliebte abgesandt". Das berühmtere der beiden — und zugleich wohl

das berühmteste Gedicht Ihn Zaidün's überhaupt — ist die große, aus

50 Versen bestehende nüniya. Hier nur die ersten sieben Verse des Ge¬

dichts** :

1. Die Trennung ist zum Ersatz für unser Beisammensein geworden, imd

unser (gegenseitiges) Meiden hat die Stelle der Süße imserer Begegnung

eingenommen .

2. Fürwahr! Nach Anbruch des Abschiedmorgens (svbhu l-baini] ist ein

Todesgeschick zu uns gekommen (sahbahanä) ; dann hat uns unser Todes¬

bote aufgrund des (uns verhängten) Schicksals {lil-haini) die Todesbot¬

schaft gebracht.

3. Wer benachrichtigt {man mvhligu. . .) die, die uns durch ihren Abschied

in eine Trauer kleiden, die trotz der (langen) Zeit nicht abgenutzt wird,

aber uns abnutzt (lä yabll wa-yublinä),

4. daß die Zeit, die uns fortwährend lachen ließ durch den vertrauten

Umgang in ihrer Nähe, uns nun wiederum weinen läßt?

5. Die Feinde wurden dadurch gereizt, daß wir uns gegenseitig die Liebe

zu trinken gaben ; da wünschten sie, daß wir daran ersticken möchten, und

das Schicksal sprach : Amen !

6. Da löste sich, was durch unsere Seelen zusammengeknüpft war; und

es wurde abgeschnitten, was durch unsere Hände zusammengefügt war.

7. Wir waren in einer Lage, daß man unsere Trennung nicht zu fürchten

brauchte; und heute sind wir in einer Lage, daß man unsere Begegnung

nicht hoffen kann.

Das Gedicht ist jüngst ausführlich von Kudelin** und Monroe*'»

interpretiert worden. Kudelin hat den Aufbau des gazal untersucht

und festgestellt, daß in ihm vier (übrigens ganz konventionelle) anti¬

thetische Motive immer wiederkehren, sich kreuzen und sich aneinander

stoßen : Trennung — Wiedervereinigung und gegenwärtiger Augenblick —■

vergangene Zeit. Dabei überwiegen am Anfang die negativen, am Schluß

die positiven Motive, so daß die Qaside zunächst die Verzweiflung des

Liebenden, schheßlich seine Hoffnung auf eine erneute Begegnung zum

" Ibn Zaidün, S. 139 und 141.

^8 Ebda., S. 141—148. Vollständige Übersetzung bei Moneoe: Anthologie,

S. 178—183.

5" Canaed : Rez. Kudelin, S. 320—322.

«" Monroe: Hisp.-Ar. Poetry, S. 148—154.

(17)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-Tasbihät und das Problem dos „Hispanismus" 59

Ausdruck bringt. — Monroe hat u.a. den „wissenschaftlichen" Hinter¬

grund des Gedichts herausgearbeitet und in ihm philosophische Ideen

der Ihwän a^-Safä' und Avicenna's über die reine Liebe finden wollen,

die die traditionellen 'udritischen Motive überlagern. Jedenfalls ergibt

die Verarbeitung dieser Ideen in dem Gedicht neue Antithesen : Seele —

Körper, Geistiges — Körperliches usw. ; und so betont auch Monroe,

daß der tibäq die am meisten verwendete Figur des Gedichts ist.

In der richtigen Einschätzung der Bedeutung der Antithese scheint

mir der Schlüssel für das Verständnis des ganzen Gedichts zu liegen.

Diese die ganze Qaside wahrhaft beherrschende Figur ist unzweifel¬

haft durch Art und Rang des Themas und der Darstellung gerecht¬

fertigt; sie drückt Sinn und Gehalt des Gedichts, das ja die vergangene,

wieder herbeigesehnte, glückliche Zeit des Beisammenseins mit der gegen¬

wärtigen, weggewünschten, unglücklichen Zeit der Trennung kontrastiert,

auch im sprachlich-stilistischen Bereich aus; sie ist — kurz gesagt —

Symbol geworden.

Die ältere Forschung hat der Liebesdichtung Ibn Zaidün's wegen ihrer

(angeblich) übertriebenen Rhetorik Manierismus vorgeworfen (wobei

der Begriff natürlich pejorativ gemeint ist)**. Versteht man aber — mit

H. Friedbich — Manierismus als eine Kunst der Hypertrophie der

Stilmittel bei einer entsprechenden Atrophie der Gehalte*"» so hat

man sich zu fragen, ob hier, trotz der auf den ersten Blick überreich

erscheinenden Verwendung einer tjrpisch manieristischen Figur, berech¬

tigterweise überhaupt noch von Manierismus die Rede sein kann.

Vergegenwärtigen wir uns die Situation, aus der heraus das Gedicht

entstanden ist. Ibn Zaidün wollte durch es die Gehebte, die sich von

ihm abgewandt hatte, überreden, zu ihm zurückzukehren. Bei einer hoch¬

gebildeten Frau wie Walläda, die selbst Dichterin war und einen li¬

terarischen Salon hielt, brauchte man es mit einer kunstlosen Herzens-

ergießung gar nicht erst zu versuchen ; wenn überhaupt etwas, so konnte

nur ein ,,nach allen Regeln der Kunst" gearbeitetes Gedicht eine Um-

stimmung bewirken. Daher der selbstverständliche Rückgriff auf die

Topik und die Häufung der Figuren. Das — wenn der moderne Aus¬

druck gestattet ist — künstlerische Problem, das sich für Ibn Zaidün

ergab, lag vor allem darin, die Topoi und Figuren zum Vehikel für den

Ausdruck seiner individuellen Gefühle und Wünsche zu machen. Diese

Aufgabe ist in der nüniya — innerhalb der damals gültigen poetischen

Gesetze — in ganz ,, origineller" W^eise gelöst.

" Mass]5;, S. 188.

«2 FEiEDnicii, S. 546 und S. 597.

Zur Anwendbarkeit des Begriffs ..Manierismus" auf die arabische

Dichtung vgl. Heinbichs: „Manierismus" ■ .., s. Literaturverzeichnis.

(18)

60 Gregor Schoeler

In einem anderen gazal an Walläda kommen die Gefühle des Dichters

indes doch unmittelbarer zum Ausdruck. Allerdings handelt es sich auch

hier um ein „nach den Regeln der Kunst" gearbeitetes Gedicht**.

/

f 1. Ich gedenke dein in az-Zahrä' voller Sehnsucht, während der Horizont

heiter ist und das Antlitz der Erde glänzt

2. und während die Brise in ihren Spätnachmittagsstunden sanft ist, sls

ob sie von Mitleid für mich ergriffen worden wäre, so daß sie aus Er¬

barmen sanft wurde,

3. und während der Garten lächelt und dabei sein silbernes Waeser (als

seine Zähne) zeigt, so als ob du die Halsketten zerrissen hättest, so daß

der oberste Teil der Brust sichtbar wird.

4. Nun zerstreue ich mich mit Blumen, die das Auge auf sich ziehen,

in denen der Tau schwimmt, so daß sie ihre Hälse neigen ;

6. als ob ihre Augen, werm sie meine Schlaflosigkeit sehen, über das

weinten, was in mir ist, so daß die Tränen naßschimmernd schwimmen.

6. Rosen leuchten in ihrem sonnenbestrahlten Beet, so daß davon der

Vormittag für das Auge noch mehr glänzt.

7. Eine duftende, schlaftrunkene Seerose hatte (nächtens) begonnen, mit

ihr zu wetteifern, der der Morgen (erst) die Pupillen geöffnet hat.

8. All das erweckt in mir die Erirmerung an meine Sehnsucht zu dir

(eine Sehnsucht), derentwegen die Brust nicht umhin kann, eng zu werden.

(Es folgen noch sechs Verse.)

In diesem gazal spricht der Dichter die Sehnsucht nach der Geliebten

mehrere Male ganz offen aus (Vers 1 und 8 in dem von uns wieder¬

gegebenen Teil). Auslösendes Moment ist eine bestimmte Landsehaft in

einer bestimmten Stimmung, die in den Versen 1—7 mit vielen Einzel¬

heiten beschrieben wird.

Die Natur stellt — auf einer ersten, realen Ebene — eine Erinne¬

rungen evozierende Macht dar; dabei ist sie in ihrer Heiterkeit Mit¬

klang, Analogie der seelischen Beschaffenheit der beiden Liebenden

in der Vergangenheit, zugleich aber Gegenklang der seelischen Be¬

schaffenheit des Dichters in der Gegenwart. Auf dieser ersten Ebene

wirkt ein Naturgegenstand darüber hinaus auch auf den Gemütszu¬

stand des Liebenden ein: Die Blumen in Vers 4 ,, zerstreuen" ihn,

helfen ihm über sein Leid hinweg.

In der Hauptsache ist diese Funktion der Natur jedoch einer ande¬

ren, phantastischen, durch dichterische Umdeutung entstandenen Ebene

vorbehalten. Hier ist die Natur Sympathisantin, Trösterin des Dichters

(Vers 2 und 5). — Das Mittel, durch das die Umdeutung zustande

kommt, ist die phantastische Ätiologie (hxisn at-ta'lil) (die hier noch

durch die Vergleichspartikel eingeführt wird).

Ibn Zaidün, S. 139. — Teilweise Übersetzvmg von Schmidt, S. 77f.,

mit Interpretation.

(19)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-Tasbihät und das Problem des „Hispanismus" 61

Nicht nur auf der phantastischen Ebene, die Belebung der Natur

voraussetzt, sondern auch auf der realen Ebene erscheint die Natur

durchweg als belebt; sowohl adjektivische (Vers 1 und 7) als auch verbale

(Vers 2 und 3) und substantivische Metaphern (Vers 4, 5 und 7) bringen

die Personifizierung zustande.

Die in dem Gedicht verwendeten Motive und Bilder sind keineswegs

neu. Die Natur als Erinnerungen evozierende Macht, als Trösterin des

Menschen, als durch und durch belebtes Wesen: all das hatte es im

Osten vor Ibn Zaidün bereits bei Ibn ar-Rümi gegeben**. „Originell"

ist dagegen die Verwendung der Natur als Mit- und Gegenklang mensch¬

lichen Gefühls, obgleich sich auch hierfür im Orient, vor allem bei as-

Sanaubari**, (freilich noch recht unvollkommene) Vorbilder finden lassen.

Neu und in der arabischen Dichtung wohl einmalig ist jedoch, wie der

Dichter die verschiedenen Funktionen der Natur hat zusammenwirken

lassen, wie er sie ineinandergeschoben und sich gegenseitig hat ergänzen

lassen. (Vgl. dagegen Ibn ar-Rümi, der in seinen Gartengedichten stets

eine reale, nicht-umgedeutete Natur auf den seelischen Zustand des

Menschen einwirken läßt; z.B. ,,Wenn ich will, zerstreut mich [!] das

Hören [von Tönen], wie sie Tauben singen auf Zweigen, die im Flüster¬

ton sprechen"*'.)

Es erscheint passend, an dieser Stelle zu der Besprechung eines

Gedichts von Ibn Hafäga (st. 1139) überzugehen. Mit Ibn Hafäga sind

wir bei einem Dichter angelangt, dessen Schaffen zum größten Teil

schon in die Almoravidenzeit fällt. Diese Epoche der andalusischen

Dichtung ist, bedingt durch das Verschwinden der zahlreichen Höfe der

prunkliebenden Kleinfürsten, durch einen Niedergang der höfischen

Dichtung gekennzeichnet.

Ibn Hafäga war kein Hofpoet. In seinem Diwän spielen die ,,ofiizi-

ellen" Gattungen nur eine untergeordnete Rolle. Der Dichter, der den

Beinamen ,,der Gärtner" (al-gannän) erhielt, lebte auf seinem Land¬

gut bei Alcira das Leben eines begüterten Privatmanns, der sich mit

der Pflege seiner Gärten, mit Gelagen und mit Poesie zu beschäftigen

die Muße hatte. So ist es nicht verwunderlich, daß die ,, privaten",

,, leichten" Dichtgattungen, die Gelage-, die Liebesdichtung, die poe¬

tischen Korrespondenzen und — vor allem — die Naturdichtung im

Mittelpunkt seines Schaffens stehen.

In der Vorrede, die er zu seinem Diwän geschrieben hat, berichtet

Ibn Hafäga, daß er in seinen Jugendgedichten die Orientalen as-Sarif

ar-Radi, Mihyär ad-Daüami und 'Abdalmuhsin as-Süri nachgeahmt habe

«* Vgl. Schoelek: Naturdichtung, S. 234.

" Ebda., S. 334ff.

" Ebda., S. 222, Vers 2.

(20)

62 Gregor Schoeleb

und bringt auch eine ganze Reihe von Beispielen für diese seine Nach¬

ahmungen (alles Liebesgedichte)** — Beweis genug dafür, daß die ost¬

arabische Dichtung auch noch im Spanien des späten IL Jhts. als vor¬

bildlich empfunden wurde! (In einem späteren Stadium seines Sehaf¬

fens hat der Dichter jedoch seinen eigenen Stil gefunden, der als hafägi

bekannt geworden ist.)

Das im folgenden zu behandelnde Gedicht ist ein gazal. Thematisch

steht es mit den beiden oben besprochenen Gedichten Ibn Zaidün's in

engem Zusammenhang. Doch dürften selbst bei flüchtigem Überlesen

die vor allem stilistischen Unterschiede nicht zu übersehen sein. Anders

als bei Ibn Zaidün's Walläda-Gedichten wissen wir hier von keinerlei

aktuellem Anlaß (und es braucht einen solchen auch gar nicht gegeben

zu haben)*':

1. Wie manche Nacht verbrachte ich, während es war, als ob sie aus

der schwarzen Dichte deines Haares bestand,

2. und während sich die Wolke meiner Tränen in ihr ergoß und die

Blume des Gedenkens an dicli betaut war.

3. In ihr ließ ich, als ich weinte, die Karneole deiner Wange ( = meine

Tränen aus Blut, die so rot wie deine Karneol-Wangen sind) auf die Perlen

deines Mundes ( = meine Tränen, die wie die Perlen deiner Zähne sind) folgen.

4. Um deinetwillen schluckte ich Tränen, die das Feuer deiner Trennung

rot gefärbt hatte,

5. so daß es war, als ob die Granatäpfel deiner Brust geplatzt wären,

so daß die Kerne darin sichtbar wurden (=meine Tränen). —

6. Die Finsternis wie mancher Nacht habe ich durch die Stirn deines

Vollmondes (= Gesichts) zerteilt,

7. als ich in ihr mit einer Porlo ( = mit dir) spielte, die im Schmuck¬

kasten deines Frauengemachs wohlbewahrt war,

8. in der die Anemonen deiner Wangen betaut waren und in der der

Wind deines Wohlgeruchs wehte,

9. nachdem der Tau deiner Perlen ( = Tränen) um die beiden Seiten

der Lilien deines Halses geflossen war,

10. wo (jeder) Tropfen eine Träne war, die an der Wange des Pokals

deines Weines ( = an deiner Wange [?]) floß,

11. während der Wind des Rausches von dir wehte, so daß er den

Zweig deiner Gestalt bog,

12. und während eine Woge vom Zittern deines Gesäßes sich am Ufer

deiner Hüfte brach.

Das Gedicht, sicher eines der kunstvollsten, das die arabische Literatur

aufzuweisen hat, verdiente durch eine ausführliche Strukturanalyse er¬

schlossen zu werden. Im folgenden kann nur versucht werden, seine

wesentlichsten Merkmale herauszustellen.

«« Ibn Hafäga, S. 6 und S. 12—18.

•» Ebda., Nr. 72.

(21)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-TaSbihät und das Problem des „Hispanismus" 63

Das gazal gliedert sich deutlich in zwei ungefähr gleichgroße Teile.

Im ersten Teil spricht der Dichter von den Nächten der Trennung von

der Geliebten (Vers 1—5); im zweiten Teil stellt er dem die glücklichen

Nächte des Beisammenseins mit ihr gegenüber (Vers 6—12). — Der

erste Vers des ersten Teils charakterisiert die „schwarzen" Nächte selbst;

die folgenden Verse dieses Teüs deuten das Weinen und die Tränen des

Dichters immer wieder von neuem um. Der erste Vers des zweiten Teüs

(Vers 6) handelt wiederum von den — diesmal durch die Gegenwart

der Geliebten „hellen" — Nächten; in den folgenden Versen steht die

Schilderung der Geliebten ganz im Mittelpunkt.

Wichtigstes Kunstmittel des Gedichts ist die Bildersprache, nament¬

lich die Metaphorik. Außerordentlich häufig treten mehrere Bilder in

einem Vers auf, die durch ,, harmonische Büd wähl"'" miteinander ver¬

knüpft sind. Ganz eigenartig ist, ^vie der Dichter im ersten Teil als

Büdspender — sowohl bei der Charakterisierung der Nacht als auch bei

der Umdeutung der Tränen — überwiegend Körperteüe der Geliebten

verwendet. Diese Körperteile werden z.T. ihrerseits unter einem Bilde —

meist in der Form der identifizierenden oder auch attributiven Genitiv¬

metapher — vorgestellt. Die sekundären Bildspender sind Edelsteine

oder Naturgegenstände. Als Beispiel diene Vers 3, der an Sachlichem

nur dies bringt, daß der Liebende geweint hat. Diese Information wird

durch eine büdhafte Entwicklung präzisiert, aus der sich rückschließen

läßt, daß der Dichter auf seine Tränen (aus ,, Wasser") Tränen aus Blut

hat folgen lassen. Die Tränen werden — unau.sgesprochen — zunächst

in die Zähne der Geliebten umgedeutet (tertium comparationis bei dem

der Metapher zugrunde liegenden Vergleich ist der Glanz bzw. die Farbe

und die Form); die ,, Zähne" der Geliebten werden alsbald durch die

weitere (attributivische Genitiv-) Metapher ,, Perlen deines Mundes" ab¬

gebildet und unter dieser Form endgültig ausgedrückt. Analog verfährt

der Dichter mit seinen ,, Tränen von Blut": Sie werden — primär und

unausgesprochen — in die Wange der Gehebten umgedeutet — tertium

comparationis ist hier nur die Farbe —, sekundär und endgültig dann

durch die identifizierende Genitivmetapher ,, Karneole deiner Wange"

ausgedrückt. Letztere Metapher ist harmonisch gewählt zur ersten Me¬

tapher ,, Perlen deines Mundes".

Noch komplizierter geht der Dichter in Vers 5 vor. Hier wird die

identifizierende Genitivmetapher von den Granatäpfeln der Brüste der

Gehebten ,, naturalisiert", d.h. umgeschaltet zu wirklichen Granatäpfeln,

von denen der Dichter sagen kann, daß sie geplatzt sind, so daß der

rote Inhalt sichtbar geworden ist. Letzterer ist aber Metapher für die

'» Vgl. Ritteb, S. 25 und S. 44.

(22)

64 Geegob Schoeleb

Bluttränen des Liebenden. So wird deren Erscheinen in phantastischer

Weise durch das Aufbrechen von Granatäpfeln und das Hervortreten

von deren rotem Inhalt begründet — Granatäpfeln und Granatapfel¬

beeren, die nur durch das Wörtlich-Nehmen der Metapher für die Brüste

der Geliebten zustande gekommen sind.

Zum zweiten Teil des Grediehts sei hier nur ganz summarisch fol¬

gendes gesagt. Bildspender bei den Metaphern für Körperteile und Reize

der Geliebten ist hier ganz vorrangig die Natur (Stirn = Vollmond;

Wangen = Anemonen; Duft = wehender Wind; Tränen = Tau; Rausch

= wehender Wind; Gestalt = Zweig; Zittern des Gesäßes = Woge;

Hüfte = Ufer); hinzu kommen, wie im ersten Teil, Edelsteine (Ge¬

liebte = Perle; Tränen = Perlen). Die letzten Beispiele zeigen, daß ein

Bild (Perlen) in dem Gedicht für ganz unterschiedliche Gregenstände

(Zähne, Tränen, die Geliebte) eintreten kann.

Es ist nicht zu übersehen, daß das Hauptthema des ersten Teils,

die Tränen, auch hier wieder im Mittelpunkt des dichterischen Interesses

stehen (Vers 8—10). Diesmal handelt es sich freilich nicht um die Tränen

der Trauer des Liebenden, sondern um die Freudentränen der Geliebten.

Die durchgängige Verwendung von harmonischer Bildwahl (Vers 7, 8

9, 11, 12) sowie die Bewegungsformen ausdrückenden metaphorischen

Entwicklungen der letzten beiden Zeilen verdienen einen besonderen

Hinweis.

Wir sagten oben, daß die Metaphorik das wichtigste Kunstmittel des

Gedichts sei. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, daß der Dichter

da, wo er von der Trennung von der Geliebten spricht, für die Me-

taphorierung seiner Tränen stets auf Körperteile der Geliebten zurück¬

greift. Hier erhält die Metaphorik doch ganz offenbar die Funktion,

das Eins-Sein des Liebenden mit der Geliebten — trotz der Trennung - .

zu versinnlichen. Und man geht vielleicht nicht zu weit, wenn man die

Umdeutung der Körperteile und Reize der Geliebten in Naturgegenstände

und -phänomene im zweiten Teil des Gedichts, wo von der Vereinigung

der Liebenden die Rede ist, mit der Naturauffassung des Dichters zu¬

sammenbringt, nach der die Natur eine ,, Natur für den Menschen" ist.

1. Eine dichte Wolke'*, deren Hemd die beiden Hände eines kunstvollen,

Platzregen sendenden (Windes) mit Fransen versehen haben, so daß sie den

ersten Regen fallen läßt,

2. die die nächtliche Reise zurückgelegt hat, während der Blitz eine

schlagende (oder: flimmernde) Peitsche in der Hand der Finsternis war und

der Wind der Rücken eines zuverlässigen Reittiers,

'* hamlla; körmte auch mit ,,ein bewachsener Grund" übersetzt werden.

Die oben akzeptierte Übersetzung scheint mir jedoch den besseren Sinn zu

geben.

(23)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-TaSbihät und das Problem des „Hispanismus" 65

3. eine berauschte, die sich in einer vergoldeten, zitternden Schärpe wiegt

und die schwarze Gewandsäume nach sich zieht,

4. die weiße Drachmen von Blüten geprägt hat, die die Fingerspitzen

der Zweige dir gereicht haben,

5. so daß ich da, wo ein kleiner Bausch mich torkeln ließ, in einem

bestickten, wohlverwahrten Gewand des Frühlings einlierstolzierte,

6. während die Erde Gesichter weißer Schönheiten entschleierte und aus

Augen von Quellen blickte'".

Das Naturgedicht darf als charakteristisch für Ibn Hafäga gelten'*.

Sowohl thematisch: der ,,Sanaubari des Westens" beschreibt, ungleich

seinem (angeblichen) östlichen Vorbild, nur selten Kunstgärten und

Gartenblumen ; ihn interessieren vor allem parkartige Landschaften und

Baumgärten mit Gewässern, im Sonnenschein und während des Ge¬

witters. Als auch in der Naturauffassung : bei dem andalusischen Dich¬

ter erscheinen Landschaft, atmosphärische Erscheinungen und Natur¬

geschehen durchweg als belebt, handelnd, alles wird in Beziehung zu¬

einander gesetzt; häufig wird auch der Mensch in das Geschehen mit

einbezogen. Und schließlich auch stilistisch : Personifizierung, bestimmte

Spielarten von Metaphern und harmonische Bildwahl sind die wichtigsten

dichterischen Mittel Ibn Hafäga'scher Naturpoesie.

Hauptthema des oben videdergegebenen Gedichts ist eine Wolke. Diese

ist ein sich bewegendes, in dauernder Wandlung begriffenes, gemäß

ihrem ständig wechselnden Gegenüber immer neue Funktionen anneh¬

mendes belebtes Wesen. So ist sie in Vers 2 eine Reisende; in Vers 3

eine berauschte, stolz in ihren Gewändern einherschreitende Frau; in

Vers 4 ■—-in dem, nach den horizontalen, eine vertikale Bewegung be¬

schrieben wird — prägt sie ,, Münzen" (von Blüten) auf den Baum¬

zweigen. Damit ist ein neuer, phantastischer Zusammenhang hergestellt

zwischen der atmosphärischen Erscheinung und dem Naturgegenstand

auf der Erde, bei dem der Dichter nun kurz verweilt. Der Baum ist

ebenfalls ein belebtes Wesen, das auf seinen Fingerspitzen die Drachmen,

die es von der Wolke erhalten hat, an den Menschen weiterreicht. So

ist schließlich auch der Mensch in das Naturgeschehen mit einbezogen ;

er tritt, direkt, zu dem Baum und damit, indirekt, auch zu der Wolke

in Beziehung. In Vers 5 bleibt der Dichter bei dem Menschen •— wir

erfahren nun, daß er von sich selbst spricht. Er hat sich, leicht be¬

rauscht, ins Freie begeben. Sein leichtes Torkeln wird in dem Augen¬

blick, wo er mit der Frühlingslandschaft in Berührung kommt, zu einem

wiegenden Einherstolzieren, denn die Natur — wohl der Blütenbaum,

'2 Ibn Hafäga, Nr. 184.

'3 Mein Urteil gründet sich auf das Studium folgender Gedichte: Nr. 19,

177, 221, 221 m (S. 351), 222.

5 ZDMG 129/1

(24)

66 Gregor Schoeleb

unter dem er sich befindet — bedeckt ihn mit ihrem bestickten Ge¬

wand — gedacht ist wohl an das grüne Laubwerk des Baumes mit

den farbigen Blüten. — In diesem Vers erscheint die Natur nächst¬

möglich an den Menschen herangebracht; der nächste Schritt (den Ibn

Hafäga freilich nicht tut) wäre ein Verschmelzen beider. Die Natur,

deren Gegenstände leben und die sich in aufeinander bezogener Aktion

befinden, wendet sich nun dem Menschen zu und erzeigt ihm ihre

Sympathie. — Daß das dichte Laub eines Baumes, imter den ein

Mensch tritt und in dem er sich verbirgt, als sein Gewand erscheint,

setzt freihch eine Umdeutung des tatsächlichen Sachverhaltes voraus.

Doch ist diese Umdeutung maßvoll und zahm; die Übereinstimmung

mit der Sache ungesucht und keineswegs erzwungen, da neben der äußeren

Analogie auch eine gefühlsmäßige vorhanden ist : das Sich-bedeckt- oder

Sich-geborgen-Wissen.

Damit sind wir bei dem wichtigsten Merkmal der Naturauffassung

Ibn Hafäga's angelangt. Sowohl Ibn ar-Rüml, der größte Naturdiehter

des Ostens, als auch Ibn Hafäga begreifen die Natur als belebtes, han¬

delndes Wesen. Anders als bei Ibn ar-Rümi, wo die Naturphänomene

als solche, d.h. ohne umgedeutet zu werden, aufeinander und auf den

Menschen einwirken, wo der Wind mit den Zweigen spielt, wo der eine

Zweig dem anderen ein Geheimnis zuflüstert, wo der Duft der Blumen

den Menschen belebt und die kühle Brise seine Liebesgluten heilt'*,

erfahren die Dinge bei Ibn Hafäga eine Umdeutung und reagieren in

der Schau des Dichters erst dadurch aufeinander und auf das Ich des

Menschen. Daher die direkten Ausdrücke für die Naturgegenstände

bei Ibn ar-Rümi; daher die vielen substantivischen Metaphern bei Ibn

Hafäga. Die Einwirkung der Natur geht bei dem Andalusier nicht so tief

wie bei dem Iraker: Ein vorübergehendes Sich-verbunden-Wissen hier

steht einem Gefühl der Tröstung, Belebung, Befreiung dort gegenüber.

Im letzten Vers des Gedichts wird schließlich, nach dem Himmel

(oben), dem Blütenbaum und dem Menschen (im Zwischenbereich), auch

die Erde (unten) in das Naturgeschehen mit einbezogen. Selbstverständ¬

lich ist auch sie belebt: Sie entschleiert ,, weiße Gesichter" •— die

(absolute) Metapher steht wohl für Blumen — und blickt aus Augen

{'uyün) von Quellen (ebenfalls 'uyün) ; die identifizierende Genitivmeta¬

pher gibt zusätzhch noch eine ungesuchte, auch durch die Etymologie

sich rechtfertigende Paronomasie ab.

Um ein wichtiges Stilistikum von Ibn Hafäga's Naturdichtung heraus¬

zustellen, betrachten wir abschließend etwas eingehender Vers 2. Hier

fällt die Verwendung zweier prädikativer Metaphern auf, die die im

'« Vgl. Schoeleb: Naturdichtung, S. 221—234.

(25)

Ibn al-Kattäni's Kitäb at-Tasblhät und das Problem des „Hispanismus" 67

Subjekt direkt genannten Naturerscheinungen definieren und gleichzeitig

in Bezug zueinander bringen (harmonische Bild wähl): der Blitz ist eine

Peitsche in der Hand der Finsternis, und der Wind ist der Rücken

eines Reittiers. (Als ,, Reiterin" war zuvor die Wolke eingeführt worden.)

Ibn Hafaga verwendet die prädikative Metapher definitorischen Charak¬

ters sehr häufig in seinen Gartengedichten. Besonders gerne konstruiert

er aus mehreren solcher harmonisch gewählter Metaphern elliptisch einen

menschlichen Körper oder einen Körperteil (der dann häufig als ge¬

schmückt erscheint) :

3. Die Blüten sind ein Geschmeide, die Äste Haare, der Baumstanom ein

Arm imd der Kanal ein Armi'ing'*.

3. Ich kokettierte mit ihm (sc. dem Garten), während die Margerite Mund,

die Myrte Locke und das Veilchen Sohönheitsmal war".

7. Der bewachsene Grund, dessen Blumen ein (Zähne zeigender) Mund

und dessen Brise eine Zunge war, hatten die Geheinmisse der Gärten ver¬

breitet".

(In den letzten beiden Beispielen „naturalisiert" der Dichter das von

ihm in besagter Weise konstruierte Bild: So kann er vorgeben, er „ko¬

kettiere" mit dem ,, Frauengesicht" [==dem Garten]; bzw. die „Zunge"

[=die Brise, der Duft] des ,, Mundes" [=Blume] hätte die Geheim¬

nisse der Gärten verbreitet.)

Die östhchen „Klassiker" wenden diese Spielart der Metapher imd

diesen Typ von BegrifiFsharmonie in der Naturdichtung (und wohl auch

sonst) selten an ; ein Beispiel ist der Sanaubari-Vers :

6. Die Erde ist (im Frühling) ein Hyazinth und die Luft eine Perle

und die Pflanzen Türkise und das Wasser Kristall'*.

Ein Fall, wo, wie bei Ibn Hafaga, die Metaphern zu einem mensch¬

lichen Körper addiert werden, ist mir nieht bekannt.

*

Durch den kurzen Forschungsbericht (s. oben S. 56f.) und durch un¬

sere Interpretationen dürfte klar geworden sein, von welcher Art die

Eigenständigkeiten sind, mit denen wir in andalusischer Dichtung des

11. und der späteren Jahrhunderte zu rechnen haben. Zweierlei muß

'S Ibn Hafäga, Nr. 221.

'« Ebda., Nr. 70.

" Ebda., Nr. 177.

'* Sanaubari, Nr. 34. — Übers, bei Schoblek: Naturdichtung, S. 303.

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