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Archiv "Gesundheitstraining — eine Form der „Selbstbeteiligung“" (30.10.1980)

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Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Die hohe soziale Belastung durch Krankheit, Frühinvalidität und Pro- duktionsausfall bedroht auch unse- re Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Es stimmt aber nicht und ist ungerecht, diese Folgen einer ho- hen sozialen Belastung vorwiegend den Ärzten zuzuschreiben.

Die Tendenz der letzten Jahre, daß die Gesundheit wiederzuerlangen bzw. zu erhalten den Patienten fi- nanziell nicht belasten dürfe und daß jeder alle Ansprüche auf die Fortschritte der Wissenschaft auf diesem Sektor — ebenso wie auf manchen anderen — habe, führt in einen gefährlichen Irrweg. Auch der von politischer Seite erhobene Vor- wurf, von einer Selbstzahlung der Versicherten würden nur der Arzt und der Arbeitgeber profitieren, wä- re leicht damit abgetan, wenn eine Selbstbeteiligung der Versicherten nicht mehr nur als ein Geldproblem bezeichnet würde.

Eine Selbstbeteiligung zur Kosten- senkung ist unseres Erachtens nur sinnvoll, wenn der heutige hochzivi- lisierte Mensch bestrebt wäre, die durch die Zivilisationsschäden und das Wohlstandsdenken ausgelösten eigenen Gesundheitsschäden einzu- sehen und selbst mit zu beheben.

Es sei eine Aufgabe der schulischen und Erwachsenenaus- und -fortbil- dung, darüber aufzuklären, daß der als Bewegungsgeschöpf geplante

Mensch, der in den zweieinhalb Mil- lionen Jahren seiner Homo-sapiens- Entwicklung im Kampf ums Dasein seine Muskeln wie früher als Noma- de, später als Bauer und Handwer- ker immer betätigen mußte, daß dies in den letzten drei Generationen von 70 000 nicht mehr der Fall war. Hier sollte eine Korrektur angesetzt wer- den, und zwar von jedem einzelnen selbst: Hierzu sollten gehören:

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Regelmäßige einfache Gymna- stik, Treppenlaufen und möglichst Wandern. Dies würde die Herz-Kreis- lauf-Schäden, die durch die 8-stün- dige Sitz- oder Stehtätigkeit bei der Arbeit und später zu Hause beim Fernseh-Sitzen maßgeblich durch den Bewegungsmangel mit ausge- löst wurden, schon beim Entstehen mindern. Kardiologen fordern, daß jeder Mensch jeden Tag sich einmal körperlich so anstrengen sollte, daß er eine Pulsfrequenz von 100 bis 150 für 6 bis 10 Minuten erreiche nach der Regel: Pulsfrequenz = 180 ab- züglich Lebensjahre.

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In der menschlichen Evolution haben, besonders in den Eis- und Zwischeneiszeiten verstärkt, wech- selnde Temperaturreize bei der Tä- tigkeit im Freien oder in ungenü- gend geheizten Werkstätten einen wichtigen Einfluß auf eine rasche und gute Blutzirkulation zwischen Körperkern und Körperschale aus- geübt. Nur dadurch konnte die für alle enzymatischen Lebensfunktio-

nen notwendige Temperaturkon- stanz im Körperinnern von 37° bis 38,5° garantiert werden. Die Klimati- sierung all unserer Lebens- und Ar- beitsräume hat diese lebensnotwen- dige Anpassung der Menschen an schon kleine Unterkühlungen, die oft gefährlicher sind als ein größerer Kälteeinbruch, verhindert. Darauf beruht es mit, daß die Erkrankungen der Atemwege, die sogenannten ba- nalen Erkältungskrankheiten an er- ster Stelle stehen, bei Mitgliedern der AOK mit 32 Prozent, ebenso bei der Bundeswehr mit einem Drit- tel aller Krankmeldungen und bei Schweizer Gemeindeschülern mit 37 bis 38 Prozent als Ursache für ein Fehlen in der Schule.

Systematisches Abhärtungstraining

Ein systematisches tägliches Ge- sundheits- und Abhärtungstraining konnte in einer Vier-Wochen-Be- handlung an Mitgliedern des Volks- wagenwerkes zu so günstigen Erfol- gen gebracht werden, daß deren Krankmeldungen und Fehltage über zwei Jahre um 52 bis 60 Prozent zurückgegangen waren, gegenüber den letzten zwei Jahren vor der Kur.

Ein derartiges Gesundheitstraining hatten wir mit einer Kneippkur be- gonnen. Dies wurde in einer Disser- tation in der „Bad Lauterberger VW- Kneippstudie" (Franke, Jungmann, Ohlsen) statistisch einwandfrei be- stätigt. Hierbei konnte auch ein schädliches Übergewicht, das bei uns schon jeder zweite Erwachsene und jedes fünfte Kind aufwies, durch eine Änderung der Lebens- und Ver- haltensweisen erheblich reduziert werden.

Wir konnten an 1200 sozialversi- cherten Landwirten nachweisen, daß die zu einer Gewichtsreduktion im Rahmen einer Kneippkur in unser Sanatorium eingewiesenen Land- wirte in vier Wochen bei den Män- nern: 3Z 4,9 kg im Mittelwert (max. bis 11 kg) und Frauen 7( — 3,3 kg (max.

9 kg) abnahmen bei voller körper- licher Leistungsfähigkeit und oh- ne Hungergefühle. Bei katamnesti-

Gesundheitstraining —

eine Form der „Selbstbeteiligung"

Kurt Franke

Eine Selbstbeteiligung der Patienten an den Krankheitskosten ist nicht nur über eine Geldzahlung möglich, sondern auch durch aktive Beiträge zum Gesundbleiben und -werden. Der Verfasser berichtet von einem Modellversuch eines Abhärtungstrainings und einer Über- gewicht-Reduktions-Effizienz.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2631

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Aufsätze • Notizen Gesundheitstraining

schen Nachfragen hatten nach zwei Jahren 51,3 Prozent der Männer und 56 Prozent der Frauen zu Hause die Gewichtsminderung beibehalten und zum Teil noch weiter verringert.

Wir erzielten in den vier Wochen, daß der übergewichtige Vielesser wieder ein normales inneres Sätti- gungsempfinden empfand statt der bisher vorwiegenden Außenreize der Kost.

Man könnte doch durch Appelle an ein Solidargemeinschafts-Denken erreichen, daß die Menschen selbst etwas mehr für ihre eigene Gesund- heit tun, zum Beispiel durch tägli- ches Bestimmen ihres Körperge- wichts festzustellen, ob sie am Tage vorher zu viel oder richtig gegessen hatten („Iß das Richtige"), ferner durch täglich zwei kleine hydrothe- rapeutische Wechseltemperaturrei- ze zur Abhärtung und zum Kreislauf- training, sowie durch die genannten Körperübungen.

Es wäre auch zu überlegen, Versi- cherten, die diese Selbstbeteiligung an ihrer Gesundheit durchführten und in der zweiten Lebenshälfte kaum die Krankenkassen in An- spruch genommen haben, durch ei- nen kleinen Bonus zu belohnen, um sie und ihre Angehörigen weiter zu motivieren.

Gestützt werden derartige Überle- gungen auch durch die Rechtspre- chung. Pressemeldungen zufolge hat zum Beispiel das Ob.landgericht Hamburg (Az 16. 11. 79) entschie- den: Ein Versicherter darf nach ein- dringlicher ärztlicher Belehrung über die Auswirkungen seines Eß- verhaltens die ungesunden Eßge- wohnheiten nicht fortsetzen. Die Versicherung zahlt nicht, wenn er sich deshalb erneut in stationäre Be- handlung begeben muß. Und: Ein Schweizer Raucher hat eine Kür- zung seiner Invalidenrente um zehn Prozent hinnehmen müssen; das Eidgenössische Versicherungsge- richt hat die Entscheidung der Inva- lidenversicherung jetzt ausdrücklich bestätigt. Das Gericht berief sich auf Schweizer Gesetze und auf ein Urteil des Schweizer Bundesgerichtes (BGD 104 IV 1). Danach können

Geldleistungen der Invalidenversi- cherung gekürzt oder entzogen wer- den, wenn ein Versicherter seine In- validität grobfahrlässig herbeige- führt oder verschlimmert hat. Als grobe Fahrlässigkeit gilt auch die Verletzung der Sorgfaltspflicht. Die- se Rentenkürzung kann bei einer Entziehungskur und Wohlverhalten wieder aufgehoben werden.

Die modernen Volkskrankheiten sind ohne eine aktive Mitarbeit der Versicherten nicht wirksam zu be- kämpfen (Häusler). Die Lebens- und Verhaltensweisen der Bevölkerung sind heute mit Ursache für die Hauptkrankheiten unseres Jahrhun- derts. Heute ist für viele das Krank- sein immer lohnender geworden, als gesünder zu leben (Ellwanger).

Eine derartige fast kostenlose häus- liche physikalische Therapie — im Gegensatz zu der oft kritisierten physikalischen Therapie mit teuren Apparaten — wäre ein wertvoller Bei- trag zur Kostendämpfung.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Kurt Franke Kirchberg 15

3422 Bad Lauterberg

SPRÜCHE

Was ist

Gesundheitspolitik?

„Es gibt keine Gesundheits- politik. Was ist das? Ich ken- ne auch keinen richtigen Ge- sundheitsminister! Wir ha- ben in der Bundesrepublik keinen."

Diplom-Volkswirt Wolfgang Mudra, stellvertretender Vor- sitzender der Arbeitsgemein- schaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (Mit- telrhein), Referent im Wirt- schafts- und Sozialwissen- schaftlichen Institut des DGB, bei einer Podiumsdis- kussion in Köln.

FORUM

Medizinische Informatik:

Wissenschaft oder das große

Unbehagen?

Zu dem Artikel

in Heft 47/1979, Seite 3095 ff.

Peter Reichertz

Ganz sicher hat G. Burkart recht, daß die Terminologie in der Medizi- nischen Informatik und in der Infor- matik allgemein sich von der Nor- malsprache entfernt, zumindest aber von der ärztlichen Fachspra- che, indem sie sich aus Kommunika- tionsgründen prägnante Begriffe schafft, welche für den Fachmann eine Fülle von Einzelheiten beinhal- ten, entsprechend einer diagnosti- schen Bezeichnung im klinischen Bereich. Dabei wird es gewiß schwer sein, eine Sprachgestaltung zu fin- den, die dem Kliniker voll verständ- lich bleibt, wenn es sich um Fachdis- kussionen handelt. Auch zwischen den einzelnen klinischen Disziplinen haben sich gewisse Sprachdifferen- zierungen entwickelt. Es wäre ein leichtes, nachzuweisen, daß Inter- nist, Chirurg und Psychiater eine deutlich voneinander verschiedene Sprache sprechen, welche hier viel- leicht in ihren gemeinsamen Antei- len dem klinischen Mediziner ähn- lich klingt und deswegen von ihm nicht von vornherein als fremd emp- funden wird. Bei dem Sprachge- brauch in der Medizinischen Infor- matik mit Begriffen aus der Informa- tik selbst, der Systemanalyse sowie der Biometrie und Statistik, ist dies anders, da hier andere Vorstellun- gen und Konzepte zur Anwendung kommen und naturgemäß mit den Begriffen bezeichnet werden, mit welchen sie in den jeweiligen Grundwissenschaften beschrieben

2632 Heft 44 vom 30. Oktober 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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