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Archiv "Versorgungsforschung: Fallbeispiel Schizophrenie – Hohe soziale Kosten" (14.07.2003)

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A

m Beispiel der Schizophrenie lässt sich exemplarisch verdeutlichen, wie Therapeuten und die Politik von Cost-Benefit-Analysen und epide- miologischem und gesundheitsökonomi- schem Sachverstand profitieren können.

Allerdings sind diese bisher noch kaum auf fruchtbaren Boden gefallen, wie eine Untersuchung des Hannoveraner Ge- sundheitsökonomen Prof. Dr. rer. pol.

Matthias Graf von der Schulenburg und Prof. Dr. med. Eckart Rüther, Universität Göttingen, in einem Gutachten belegt.

Zwar zählt die Schizophrenie nicht zu den großen Volkskrankheiten – weltweit erkrankt daran nur ein Prozent der Bevölkerung –, jedoch ist die Krank- heit überdurchschnittlich kosteninten- siv, bindet Ressourcen und erfordert pharmakologische Innovationen, um ei- nen Therapiefortschritt zu bewirken. Je früher interveniert wird, desto größer sind die Chancen auf Heilung oder Lin- derung, desto eher verbessert sich die Langzeitprognose bei der Schizophre- nie. Sofortige therapeutische Interventi- on sei erforderlich, so der Psychiater Rüther, anlässlich des Hauptstadtkon- gresses am 26. Juni in Berlin. Bereits nach drei Tagen müsse mit der Rehabili- tation begonnen werden, die sich nach einer akuten Episode bis zu sechs Mona- ten erstrecken könne.

Kostenträchtige Krankheit

Schizophrenie ist im Vergleich zu ande- ren Erkrankungen teuer. Von der Schu- lenburg hatte 1998 ermittelt, dass die di- rekten Behandlungskosten der Schizo- phrenie durchschnittlich bei umgerech- net 14 204 Euro liegen, beim Schlaganfall immerhin noch bei 11 415 Euro und beim Diabetiker vom Typ 2 durchschnittlich

3 576 Euro. Gesamtwirtschaftlich ist al- lerdings wegen der weitaus größeren Zahl der Erkrankten das Krankheitsbild des Diabetes kostenträchtiger als die Schizophrenie.

Bei der Behandlung von Psychiatrie- Patienten kommt die Besonderheit hin- zu, dass diese Patientengruppe sowohl ambulant fachärztlich als auch stationär langfristig sowohl in Spezialeinrichtun- gen des betreuten Wohnens, in Heimen und in Pflegeeinrichtungen als auch durch niedergelassene Fachärzte betreut wird. Umso mehr wäre es hier erfor- derlich, um die Ko-

operation und die finanzielle Konti- nuität zu gewährlei- sten, die sektoralen Budgets aufzuhe- ben, so die Forde- rung der Experten.

1999 wurden in Deutschland 74 129 an Schizophrenie erkrankte Patien- ten durch niederge- lassene Psychiater behandelt, 18 617 Patienten wurden durch Institutsam-

bulanzen versorgt, 14 286 nahmen Ein- richtungen des betreuten Wohnens und dort psychiatrische Versorgung in An- spruch, vielfach auch in Kombination von Institutsambulanzen und des be- treuten Wohnens. 5 201 Patienten befan- den sich ausschließlich im betreuten Wohnen oder in der Institutsambulanz.

13 980 Patienten wurden in Pflegehei- men durch Psychiater versorgt, 5 129 in Pflegeheimen und Institutsambulanzen und 4 532 Patienten stationär als Lang- zeitpatienten versorgt und betreut. Die- se relativ kleine Gruppe ist innerhalb der

Schizophrenen-Patienten die teuerste

„Klientel“. Betreut ein niedergelassener Psychiater durchschnittlich nur zwei Schizophrene, so ist dadurch bereits sein ganzes Arzneimittelbudget ausge- schöpft. Die Folge: Es kommt zu kolle- gialen Ringüberweisungen und zu Dreh- türeffekten in den Krankenhäusern und zwischen den Sektoren.

In Kosten-Nutzen-Analysen chroni- scher Erkrankungen ist es fruchtbar, zwischen direkten und indirekten sowie intangiblen Kosten und Nutzen zu diffe- renzieren. Bei der Schizophrenie erge- ben sich durchschnittlich folgende Ko- sten: Ambulant tätige Psychiater: 2 959 Euro, Institutsambulanzen: 3 588 Euro, betreutes Wohnen: 21 738 Euro, Lang- zeitpflege: 22 725 Euro, stationäre Be- handlung und Aufenthalt in Fachkran- kenhäusern: 33 061 Euro, Rehabilita- tion: 40 901 Euro Durchschnittskosten.

Die Kosten der Erkrankung belasten außer der Gesetzlichen Krankenversi- cherung auch die gesetzliche Renten- und die Pflegeversicherung. Ursächlich dafür ist die relativ hohe Frühverrentung

bei noch jungen Patienten. So werden 14,7 Prozent aller unter vierzigjährigen Schizophrenen in Deutschland früh ver- rentet. Dies entspricht einem weltweiten Trend. In Deutschland erkranken jähr- lich 6 000 Menschen an Schizophrenie.

Das Durchschnittsalter liegt bei Män- nern bei 39 Jahren, bei Frauen bei 42 Jah- ren. Der abgezinste Barwert für den rechnerischen Rentenausfall wurde mit durchschnittlich 560 000 Euro je Patient errechnet (Schnabel und Clooth, 2002).

Jährlich zahlen die Rentenversiche- rungsträger 1,3 Milliarden Euro Renten T H E M E N D E R Z E I T

A

A1924 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 28–2914. Juli 2003

Versorgungsforschung

Fallbeispiel Schizophrenie:

Hohe soziale Kosten

Günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis innovativer Medikamente der neuen Generation

Grafik

Direkte Kosten der Schizophrenie in Euro

45 000–

40 000–

35 000–

30 000–

25 000–

20 000–

15 000–

10 000–

5 000–

0–

Psychiater Instituts-

ambulanz Betreutes

Wohnen Langzeit-

pflege Stationär Rehabili- tation 2 959 3 588

21 738 22 725

33 061

40 901

Quelle: Matthias von der Schulenburg et al., 1998

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an früh verrentete Schizophrenie-Pati- enten. Der dadurch entstehende Ein- nahmen-Ausfall für die Rentenversiche- rungsträger und der Steuerausfall wer- den auf zwei Milliarden Euro je Jahr ge- schätzt. Ziel ist es deshalb, die Frühver- rentung, die Erwerbs- und die Berufsun- fähigkeitsrenten so weit wie möglich hin- auszuschieben.

Es zeigt sich, dass Arzneimittelinno- vationen und echte Therapie-Fort- schritte den Krankheitsverlauf bei an Schizophrenie Erkrankten verbessern.

Während bis zum Jahr 1980 noch typi- sche Neuroleptika eingesetzt wurden, sind seit Anfang der Achtzigerjahre die so genannten atypischen Antipsychoti- ka (Neuroleptika) stark im Kommen.

Die echten medikamentösen Innova- tionen sind in ihrer Erforschung und Entwicklung bis zur Marktreife über- durchschnittlich teuer, stellte Rüther fest. Nach Angaben der pharmazeuti- schen Industrie kostet ein neu ent- wickeltes Medikament im Durchschnitt eine Milliarde US-Dollar, im Bereich der Psychiatrie sogar bis 1,8 Milliarden US-Dollar.

Als „NICE-Guidelines“ bei der The- rapie von an Schizophrenie Erkrankten ergibt sich folgendes Fazit: Durch die Aufnahme der Atypika als Mittel der ersten Wahl steigen zwar die Medika- mentenkosten, mittelfristig wird aber die Therapie aufgrund von Einsparun- gen durch die Reduzierung von Rück- fällen und der Ersparnisse bei der sta- tionären Therapie und Versorgung we- niger teuer. Immer noch weist die An- tipsychotika-Therapie in Deutschland im internationalen Vergleich einen Nachholbedarf auf. So haben Hamann und andere 2002 ermittelt, dass in den USA der Anteil der Atypika an den Neuroleptikaverordnungen im Durch- schnitt 60 Prozent beträgt, in Italien 40 Prozent, in Deutschland liegt die Rate dagegen unter 25 Prozent.

Als Haupthemmnisse bei der Versor- gung von chronisch Erkrankten und Schizophrenie-Kranken stellte Rüther fest: den fehlenden transsektoralen Ausgleich zwischen gesetzlicher Kran- ken-, Renten- und Pflegeversicherung, die zu starre Abschottung der Lei- stungssektoren und die zu geringe in- tersektorale Kooperation der therapeu- tischen Akteure. Dr. rer. pol. Harald Clade

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 28–2914. Juli 2003 AA1925

Zusammenarbeit der klinischen und methodischen Fachge- sellschaften wird als besonders wichtig angesehen.

E

ine weit über das bisherige Niveau hinausgehende finanzielle Förde- rung der Versorgungsforschung fordern die in der Ständigen Kongress- kommission „Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF)“ zu- sammengeschlossenen 24 medizini- schen Fachgesellschaften. Der Nutzen einer solchen Forschungsförderung bestehe darin, dass man Versorgungs- probleme in der Medizin und deren Ursachen besser versteht und dass darauf aufbauend zielgerichtet syste- matische Problemlösungen erarbeitet werden können. Zu wenig sei dar- über bekannt, was bei der Umset- zung von medizinischen Konzepten in die Alltagsversorgung geschieht, wel- che Wirksamkeit neue Gesundheits- technologien in der Alltagspraxis ent- falten.

Prof. Dr. Holger Pfaff, Sprecher des Zentrums für Versorgungsforschung an der Universität zu Köln und mit der Koordination der Kongresskom- mission betraut, wies darauf hin, dass die derzeit für diese Forschung zur Verfügung stehenden Geldmittel – ge- messen am zu erwartenden Nutzen – zu knapp bemessen seien. So konzen- triere sich die Deutsche Forschungsge- meinschaft auf die Förderung der me- dizinisch-wissenschaftlichen Grundla- genforschung, auch von den Kranken- kassen und vom Bundesministerium für Forschung und Bildung würden keine ausreichenden Mittel zur Ver- fügung gestellt. Die Pharmaindustrie sei bisher zurückhaltend, obwohl die zurzeit in der Diskussion stehende

„vierte Hürde“ bei der Arzneimittel- zulassung eine Art von Versorgungs- forschung darstellt.

Das gemeinsame Vorgehen ei- ner Vielzahl von klinischen und me-

thodischen Fachgesellschaften in der Ständigen Kongresskommission DKVF zeigt, dass die Notwendigkeit erkannt wurde, konkrete Versor- gungsprobleme – wie zum Beispiel in der Diabetiker-Versorgung – fach- übergreifend anzugehen. Dergestalt wird Versorgungsforschung von den beteiligten Fachgesellschaften defi- niert als eine problemorientierte For- schung, welche die Kranken- und Ge- sundheitsversorgung und ihre Rah- menbedingungen

– beschreibt und analysiert, – darauf aufbauend Versorgungs- konzepte entwickelt,

– deren Umsetzung begleitend er- forscht und

– unter Alltagsbedingungen eva- luiert.

Memorandum geplant

Anlässlich des 2. Deutschen Kongres- ses für Versorgungsforschung, der vom 28. bis 30. September in Hamburg zum Thema „Psychosoziale Versor- gung in der Medizin“ stattfinden wird, wollen die Fachgesellschaften ein Me- morandum zur Versorgungsforschung vorlegen und damit auch einen An- stoß geben für konkrete Forschungs- aktivitäten.

Dass der Gedanke der Versor- gungsforschung bereits auf fruchtba- ren Boden gefallen ist, wird in der Entschließung des 106. Deutschen Ärztetages zum Leitantrag des Vor- standes der Bundesärztekammer im Mai deutlich. Dort heißt es: „Unab- dingbar ist der Aufbau einer soliden Versorgungsforschung im deutschen Gesundheitswesen, die auch den in- ternationalen Vergleich einschließt, ebenso wie die Evaluation aller inno- vativen Maßnahmen zur Steuerung und Evaluierung. Die Ärzteschaft ist bereit, sich am Aufbau dieser Versor- gungsforschung in Deutschland zu beteiligen.“ Thomas Gerst

Fachgesellschaften wollen

Versorgungsforschung vorantreiben

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