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Archiv "Armut und Gesundheit: Soziale Dimension von Krankheit vernachlässigt" (26.03.1999)

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A-756 (28) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 12, 26. März 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

cht Prozent der Bevölkerung in den neuen und 13 Prozent in den alten Bundesländern gal- ten 1995 als arm. Dr. phil. Andreas Mielck, einer der engagiertesten So- zialwissenschaftler zum Thema Ar- mut in Deutschland, stellt zur Ausein- andersetzung mit Armut und Gesund- heit fest: „Sogar in der Sozialmedizin und in der Medizinischen Soziologie wird diesem Thema wenig Aufmerk- samkeit gewidmet.“ In jüng- ster Zeit nehmen zwar Berich- te und Analysen zu, die Be- schäftigung mit dem Thema ist dennoch marginal und unzu- reichend.

Eine eindeutige Armuts- definition existiert nicht. Ge- nerell wird zwischen absoluter Armut, die die physische Exi- stenz bedroht, und relativer Armut unterschieden. Defini- tionsversuche relativer Armut in den Industrieländern orien- tieren sich meist an der finan- ziellen Ausstattung („Ein- kommensarmut“ siehe Ka- sten). Da eine formale Heran- ziehung des Einkommens je- doch die Komplexität dieses gesellschaftlichen Status nicht ausrei- chend wiedergibt, wurde das so- genannte Lebenslagekonzept ent- wickelt. Es interpretiert Armut als ein mehrdimensionales Geschehen im Sinne einer Kumulation von Unter- versorgungslagen unter anderem in den Bereichen Wohnen, Bildung, Ar- beit, Arbeitsbedingungen, Einkom- men und Versorgung mit technischer und sozialer Infrastruktur.

In den letzten Jahren hat sich der Trend von der Altersarmut zur Kinder- armut verlagert. Die stärksten Zunah-

men sind bei Kindern unter sieben Jah- ren zu verzeichnen. In Westdeutsch- land wächst jedes achte und in Ost- deutschland jedes fünfte Kind in Haus- halten auf, die von Armut betroffen sind. In der Erklärung „Für eine Zu- kunft in Solidarität und Gerechtigkeit“

des Rates der Evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage heißt es unter anderem: „Armut ist

mehr als nur Einkommensarmut. Häu- fig kommen bei bedürftigen Menschen mehrere Belastungen zusammen, wie etwa geringes Einkommen, ungesi- cherte und zudem schlechte Wohnver- hältnisse, hohe Verschuldung, chroni- sche Erkrankungen, psychische Pro- bleme, langandauernde Arbeitslosig- keit, soziale Ausgrenzung und unzurei- chende Hilfen. Eine der schlimmsten Auswirkungen von Armut ist der Ver- lust der eigenen Wohnung.“

Bevölkerungsgruppen, die beson- ders von Armut betroffen sind, haben

ein signifikant erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Den Zusam- menhang zwischen sozialer Lage und Krankheit haben zahlreiche sozial- und naturwissenschaftliche Untersu- chungen belegt. In einer Erklärung des 99. Deutschen Ärztetages von 1996 heißt es: „Über den Zusammenhang von Krankheit und sozialer Lage gibt es gesicherte Erkenntnisse. Kranke, Behinderte und sozial Schwache brauchen besonders den Schutz der Sozialversicherung.

Weitere Einschnitte in das bewährte System der Kran- kenversicherung, ausufernde Selbstbeteiligung und weite- ren Sozialabbau in anderen Bereichen lehnen wir deshalb ab.“ Eine Studie der Univer- sität Marburg zu Armutsle- bensläufen in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, daß bei Erwachsenen vorwiegend eine soziale Selektion vor- liegt, das heißt, chronisch schlechte Gesundheit erhöht das Risiko von Armut. Dage- gen gibt es bei Kindern Hin- weise auf einen Kausationsef- fekt, das heißt, wer in Armut aufwächst, hat als Erwachsener eine schlechtere Gesundheit.

Konkrete Zusammenhänge zwi- schen dem sozialen Status und Krank- heiten konnten unter anderem für koronare Herzkrankheiten und Schlaganfall (zwei- bis dreifach er- höhtes Risiko), Krebs- und Leberer- krankungen (Leberzirrhose) festge- stellt werden. Arbeiter haben eine doppelt so hohe Sterblichkeit wie Akademiker. Eine Untersuchung von Angestellten ergab, daß die Sterblich- keit bei einem jährlichen Einkommen

Armut und Gesundheit

Soziale Dimension von Krankheit vernachlässigt

Die Armut in Deutschland nimmt zu. Die Folgen für die Gesundheit werden in der sozial- und gesundheits- politischen Diskussion jedoch noch immer vernachlässigt.

A

Gerhard Trabert

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von 30 000 DM ungefähr doppelt so groß ist wie bei einem Einkommen von 60 000 DM. Zudem liegen Un- tersuchungen zur Korrelation von

„Armutsrisikogruppen“ (Arbeitslo- se, Wohnungslose, Alleinerziehende, Kinder, Ausländer) und Krankheit vor.

Der Bundesanstalt für Arbeit zufolge sind derzeit rund 4,2 Millio- nen Menschen in Deutschland ar- beitslos. Verschiedene Studien bele- gen, daß Arbeitslosigkeit mit einem

erhöhten Erkrankungsrisiko korre- liert (Tabelle).Prof. Dr. Thomas Kie- selbach, Sprecher der Wissenschaftli- chen Einheit „Arbeit, Arbeislosig- keit und Persönlichkeit“ der Univer- sität Bremen, wies schon 1986 auf die erhöhte Erkrankungsquote von Ar- beitslosen hin. Arbeitslose leiden vor allem an psychischen und psychoso- matischen Krankheiten. Bei den psy- chosomatischen Beschwerden domi- nieren Ängste, Schlaflosigkeit und depressive Symptome. 1996 litten zwischen 20 und 60 Prozent aller Ar- beitslosen unter seelischen und kör- perlichen Erkrankungen. Ein erhöh- tes Risiko besteht vor allem, an Herz- Kreislauf-Krankheiten (um 50 Pro- zent erhöht) und Krebs zu erkran- ken. Ein um mehr als das Doppelte erhöhtes Risiko besteht, Unfälle oder einen gewaltsamen Tod (zum Teil suizidal) zu erleiden. Erkran- kungen der Verdauungsorgane, zum Beispiel Magen- und Duodenalge- schwüre, treten signifikant häufiger auf.

Langzeitarbeitslose sind beson- ders betroffen. Im Vergleich zu Kurz- zeitarbeitslosen haben sie eine deut- lich erhöhte Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungsquote. Zu- dem beschreiben Langzeitarbeitslose signifikant häufig suizidale Phasen.

Suizidversuche und vollzogene Selbst- tötungen sind generell häufiger bei arbeitslosen Menschen. Selbsttö-

tungsversuche finden sich bis zu 20mal häufiger als bei vergleichbaren Gruppen von Erwerbstätigen. Eine Analyse von AOK- und Befragungs- daten von Dr. E. Schach aus dem Jahr 1994 hat ergeben, daß die Sterblich- keit bei Arbeitslosen um das 2,6fache höher ist als bei Erwerbstätigen.

Arbeitslose nehmen im Vergleich zu Erwerbstätigen seltener medizini- sche Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheitsförderungsmaßnahmen wahr. Dies trifft auch auf ihre Kinder zu. Krankheit ist allerdings auch ein bedeutender Faktor, der zu Arbeitslosigkeit führen kann.

Nach einer Un- tersuchung von G. Zimmermann von 1985 erfolgt rund ein Drittel aller Kündigungen aus Krankheitsgründen.

Der Verlust der eigenen Woh- nung gilt als eine der schlimmsten Auswirkungen von Armut. Nach den neuesten Daten der Bundesarbeitsge- meinschaft Wohnungslosenhilfe leb- ten 1997 rund 860 000 Menschen ohne Wohnung in Deutschland. 200 000 dieser Betroffenen werden zu den al- leinstehenden Wohnungslosen ge- zählt. Der Frauenanteil liegt bei zirka 20 Prozent und steigt jährlich. Ebenso steigt der Anteil Jugendlicher und Kinder sowie wohnungsloser Men- schen in den neuen Bundesländern.

Wissenschaftliche Studien zur Gesundheitssituation wohnungsloser Menschen bestätigen einen hohen Krankheitsstand (90 Prozent sind

dringend behandlungsbedürftig) und eine unzureichende medizinische Ver- sorgung. Haupterkrankungen sind:

Herz-Kreislauf- und Haut-Erkrankun- gen sowie akute Infektionen und Er- krankungen der Atmungs- und Ver- dauungsorgane. Diskrepante Unter- suchungsergebnisse liegen zur Präva- lenz psychiatrischer Erkrankungen, einschließlich Alkoholismus, vor. Al- koholismus und seine Folgeerkran- kungen sowie psychiatrische Erkran- kungen spielen jedoch generell eine wichtige Rolle. Untersuchungen zur Mortalität bei wohnungslosen Men- schen deuten darauf hin, daß das durchschnittliche Sterbealter zehn bis 15 Jahre unter dem der Normalbevöl- kerung liegt. Ähnlich wie bei der Ur- sachenanalyse von Arbeitslosigkeit scheint der Krankheitsstatus eine wichtige, aber bislang vernachlässigte Komponente zu sein, die zu Woh- nungslosigkeit führt.

Alleinerziehende als

„Armutsrisikogruppe“

40 Prozent der von Einkommens- armut Betroffenen sind Allein- erziehende. Signifikant häufig anzu- treffende Beschwerden bei haupt- sächlich alleinerziehenden Frauen sind Kopfschmerzen, Rückenschmer- zen, Schlaflosigkeit, Kreislaufproble- me, Menstruationsbeschwerden, Ma- generkrankungen sowie Erkrankun- gen der Atmungsorgane und psychi- sche Verhaltensauffälligkeiten, vor al- lem Depressionen. Alleinerziehende Frauen würden nach einem Gesund- heitsbericht des Landes Berlin gern

A-758 (30) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 12, 26. März 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Arbeitslose im Vergleich zu Beschäftigten

Sterblichkeit erhöht um 20 – 90 % körperliche Erkrankung erhöht um 30 – 80 % psychische Leiden erhöht um ca. 100 %

Gesundheitszufriedenheit negative Bewertung 3x häufiger

Quelle: Rosenbrock, 1997

Einkommensarmut besteht

1 nach einer Empfehlung der Europäischen Union bei 50 Pro- zent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens eines Landes („soziokulturelles Existenzminimum“); bei 40 Prozent des Durch- schnittseinkommens spricht man von „strenger Armut“; bei zirka 60 Prozent des Durchschnittseinkommens vom „armutsnahen Bereich“.

1bei Sozialhilfebedürftigkeit, und zwar bei „laufender Hilfe zum Lebensunterhalt“ im Unterschied zu Hilfe in besonderen Lebenslagen, die ebenfalls unter Sozialhilfe fällt.

Als Äquivalenzeinkommen gilt das Einkommen eines Haushaltes, gewichtet nach dem jeweiligen Bedarf seiner Mitglieder. Kindern wird ein niedrigerer Bedarf zugeordnet als Erwachsenen.

Tabelle

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mehr für ihre Gesundheit tun, was je- doch aufgrund fehlender zeitlicher und finanzieller Ressourcen sowie feh- lender Koordinierung der Gesund- heitsangebote nicht möglich sei. Um gesundheitsbezogenes Handeln zu er- möglichen, müßten die medizinischen Versorgungsstrukturen der besonde- ren Lebenssituation Alleinerziehen- der angepaßt werden. Ver-

schiedene Studien belegen, daß alleinerziehende Frauen Krankheiten nicht rechtzei- tig behandeln lassen. Sie nehmen häufiger als Ver- gleichsgruppen rezeptfreie Medikamente zur Selbstbe- handlung ein (insbesondere Schmerz- und Schlafmittel sowie stimmungsaufhellen- de Medikamente), die teil- weise erhebliches Suchtpo- tential beinhalten.

21 Prozent der in Ar- mut lebenden Menschen in Deutschland sind jünger als 16 Jahre. Verschiedene Un- tersuchungen belegen den Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und kindli- chen Erkrankungen. Eine Untersuchung zum Zusam- menhang zwischen sozialer Lage und Gesundheitszu- stand bei Kindern und Ju- gendlichen, die Prof. Dr.

Klaus Hurrelmann und Dr.

Andreas Klocke im Auftrag der Weltgesundheitsorgani- sation an der Gesundheits- wissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld durchgeführt haben, kommt zu dem Ergebnis, daß sich der Gesundheitszustand, das

Wohlbefinden sowie die psychische Gesundheit in sozialer Armut leben- der Kinder in erschreckendem Maße verschlechtern. Die Wissenschaftler fassen zusammen: „Schon für Kinder gilt die Formel: Armut macht körper- lich und seelisch krank.“ Hier spielen vor allem Infektionskrankheiten, Asthma bronchiale, Zahnkrankheiten sowie Kopf-, Magen- und Rücken- schmerzen eine wichtige Rolle. Mehr als 30 Prozent der Kinder arbeitsloser Eltern, die an einer Studie des Ge- sundheitsamtes Göttingen teilnah- men, wiesen einen unzureichenden

Impfschutz auf, Vorsorgeuntersu- chungen wurden nicht in Anspruch ge- nommen (so lag die Teilnahmequote an der U9-Vorsorgeuntersuchung bei Kindern aus Familien ohne eigenes Einkommen bei 27 Prozent, während insgesamt die Teilnahmequote bei 61 Prozent lag). Die Perspektivlosigkeit vieler Arbeitsloser scheint sich in einer

unzureichenden Gesundheitsfürsorge für die Kinder auszuwirken.

Von den Einkommensarmen sind rund 30 Prozent Ausländer. Haupter- krankungen sind hier psychosomati- sche und psychiatrische Erkrankun- gen, Infektionskrankheiten (insbe- sondere Tbc), Erkrankungen der Ver- dauungsorgane (Ulcera ventriculi et duodeni) und Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates. Vor allem die Tuberkuloseinzidenz und -prävalenz sind deutlich erhöht. Der Anteil der Neuerkrankungen bei den Migranten liegt dreimal höher als in

der Gesamtbevölkerung. Die Mütter- sterblichkeit sowie die Beteiligung nichtdeutscher Kinder im Alter von fünf bis 14 Jahren an Verkehrsunfäl- len sind signifikant erhöht. Des weite- ren treten früher und häufiger chroni- sche Erkrankungen auf. Speziell bei Migranten und Asylanten stellen die physischen und psychischen Folgen von Verfolgung und Trau- matisierung ein erhöhtes Erkrankungsrisiko dar. Auf- grund von Verständigungs- problemen und dem Um- stand, daß nur selten ein Dolmetscher zur Anamnese hinzugezogen wird, kommt es häufig zu Fehldiagnosen oder einer verzögerten ad- äquaten Diagnose mit ent- sprechend unzureichenden beziehungsweise falschen therapeutischen Maßnah- men. Ramazan Salman vom Ethno-Medizinischen Zen- trum Hannover kommt zu dem Schluß: „Obwohl seit mehr als drei Jahrzehnten Millionen von Migranten in der Bundesrepublik leben, ist den Problemen ihrer Le- bensqualität und vor allem ihrer Gesundheit wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.“

Warum wird trotz die- ser alarmierenden Fakten so wenig für die adäquate medizinische Versorgung der von Armut betroffenen Menschen getan? Zu lange sind epochale Einflüsse auf die Gesundheitssituation sozial benachteiligter Men- schen nicht berücksichtigt worden. Dazu gehören auch wirt- schaftliche Modernisierungsprozesse mit der Folge deutlich erhöhter Ar- beitslosigkeit oder sozialpolitische Umstrukturierungen. Eine wichtige Rolle spielt daneben die geringe ge- sellschaftspolitische Lobby von ar- men Menschen. Allzu oft wird Armut mit persönlichem Versagen gleichge- setzt. Die Gesundheitspolitik igno- riert die spezifische Krankheitsbela- stung armer Menschen (sie müssen aufgrund der erhöhten Morbiditätsra- te häufig mehr Geld für Zuzahlungen aufwenden) und orientiert strukturel- A-759 Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 12, 26. März 1999 (31)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Für Wohnungslose gibt es bereits vereinzelt niederschwellig angelegte medizini-

sche Versorgungsangebote. Foto: Gerhard Trabert

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le Entscheidungen immer noch an Versicherten, die sich in einer stabilen ökonomischen Situation befinden.

Das Prinzip des Solidarausgleichs im Gesundheitswesen wird immer stärker zugunsten eines wettbewerbs- wirtschaftlichen Modells nach US- amerikanischem Vorbild abgebaut.

Individuelle risikobezogene Versiche- rungsmodelle werden mit dem Hin- weis auf die Notwendigkeit eines pri- vatwirtschaftlichen Leistungsange- bots propagiert – wohl wissend, daß sich in Ländern mit einem solchen Versicherungswesen die medizinische Versorgung von sozial benachteiligten Menschen verschlechtert.

Die Zunahme von Armut, das dadurch erhöhte Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko und das Wissen

um strukturelle Barrieren und indivi- duelle Hemmungen, die die Betroffe- nen daran hindern, etablierte Ge- sundheitseinrichtungen aufzusuchen, erfordern neue Versorgungsstrate- gien:

1 niederschwellig angelegte me- dizinische Sprechstunden an den Treffpunkten und Einrichtungen, wo sich die Betroffenen aufhalten (zum Beispiel an sozialen Beratungsstellen, sozialen Brennpunkten oder öffentli- chen Institutionen wie Kindergärten und Grundschulen), eingebettet in ein interdisziplinäres Versorgungskon- zept, das Sozialarbeit und Medizin

verbindet und die traditionellen

„Komm-Strukturen“ in der ärztlichen Praxis durch „Geh-Strukturen“ im Sinne aufsuchender Hilfe ergänzt.

1 Zusammenarbeit und Vernet- zung mit regionalen Gesundheitsein- richtungen (zum Beispiel Kranken- häuser, Beratungsstellen, Arztpra- xen). Eine intensive Kooperation mit den örtlichen Gesundheitsämtern sollte aufgebaut werden (Neuorien- tierung der Aufgabenbereiche). Nut- zung bestehender institutioneller und personeller Ressourcen.

1 (Re)Integration der medizini- schen Betreuung und Versorgung von sozial benachteiligten Menschen in die medizinische Regelversorgung.

1 Reform der Ausbildung von Ärzten sowie von Sozialarbeitern und

Sozialpädagogen, um sozialmedizini- sche Aspekte stärker berücksichtigen zu können.

1 Öffentlichkeitsarbeit.

1 Einbeziehung der Betroffenen in Entscheidungsprozesse.

Bei der medizinischen Versor- gung von wohnungslosen oder dro- genabhängigen Menschen gibt es be- reits Modelle, die diesen Erfordernis- sen teilweise entsprechen. Die Erfah- rungen sind durchweg positiv. Die Be- troffenen nehmen die Sprechstunden zunehmend wahr. Diagnostik und Therapie können somit frühzeitig einsetzen und ein Fortschreiten von

Krankheiten verhindern. Stationäre Behandlungen können häufig abge- wendet und damit auch Kosten ge- spart werden. Eine Reintegration in das bestehende Versorgungssystem wird über solche niedrigschwelligen Angebote erleichtert. Viele dieser medizinischen Angebote bleiben je- doch rudimentär, was ihre praktische Umsetzung oder ihre gesundheitspo- litische Integration betrifft.

Verbesserung der Aus- und Fortbildung

Neben der Versorgung der Be- troffenen muß eine Reform der medi- zinischen Ausbildung stehen, die pra- xisnah auf den Kontext Armut und Gesundheit ausgerichtet ist. Ebenso muß das Fortbildungsangebot für Ärzte verbessert werden. Interdiszi- plinäre Zusammenhänge zwischen Sozialarbeit und Medizin müßten mehr in den Vordergrund rücken.

In seiner Untersuchung „Die Noth im Spessart“ (1852) schreibt Ru- dolf Virchow, der „Vater“ der moder- nen Pathologie: „Bildung, Wohlstand und Freiheit sind die einzigen Garan- tien für die dauerhafte Gesundheit des Volkes.“ Fast 150 Jahre später treffen diese Worte im Zuge wachsen- der Armut und eines Neoliberalismus (wie man ihn heute versteht), der den gleichen und freien Zugang der von Armut Betroffenen zur medizini- schen Versorgung einschränkt, in ver- stärktem Maß zu. Die mittlerweile 12 Jahre alte Ottawa-Charta der Weltge- sundheitsorganisation zur Gesund- heitsförderung fordert, „die Gesund- heit und ihre Erhaltung als wichtige gesellschaftliche Investition und Her- ausforderung zu betrachten“.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-756–760 [Heft 12]

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers Dr. med. Dipl. Soz. päd.

Gerhard Trabert Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.

Karolingerstraße 7, 55130 Mainz

A-760 (32) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 12, 26. März 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Als „Armutsrisikogruppe“ gelten Alleinerziehende, hauptsächlich Mütter. Oft fehlt es an zeitlichen und finanzi- ellen Ressourcen, um mehr für die eigene Gesundheit und die der Kinder zu tun. Foto: Jens Küsters

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