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Archiv "Armut und Gesundheit: Hilfe für die Schwächsten" (10.06.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 23–24

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10. Juni 2013 A 1141

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ur zwei Patienten sind bisher an diesem Mittwochnach- mittag in die Straßenambulanz im Caritasverband Hannover gekom- men. „Nicht immer ist es hier so leer. Manchmal sind die komplette Teestube und selbst der Gang über- füllt“, berichtet Dr. med. Ursula Lange, die medizinische Leiterin der Hannoveraner Straßenambu- lanz. Einer der beiden Patienten freut sich, dass er anscheinend heu- te keine Wartezeit hinnehmen muss, der andere setzt sich inzwischen in die Teestube, die für viele Woh- nungslose, kranke und hilfsbedürf- tige Menschen fast so etwas wie ein Zuhause geworden ist. Sie dient keineswegs nur als Wartezimmer, sondern gleichzeitig auch als regel- mäßiger Anlaufpunkt.

Gleich gegenüber der Teestube befindet sich das Behandlungszim- mer. Es ist zwar klein, aber funktio- nal und komplett eingerichtet. „An- fangs haben wir noch in Bussen Sprechstunden abgehalten. Das em - pfanden aber viele der Patienten als stigmatisierend. Inzwischen findet

die medizinische Versorgung in den Tagesaufenthalten und in den Woh- nungsunterkünften statt“, erläutert Lange. Und offenbar fühlen sich die Patienten dort gut aufgehoben. Je- denfalls erhalten die Mitarbeiter viel positive Resonanz: „Mir wird geholfen, ich bekomme sachdienli- che Hinweise. Zig Jahre habe ich eingezahlt, und jetzt bekomme ich nicht mal eine neue Brille. Hier kann ich wenigstens für meine not- wendigste Grundversorgung sor- gen“, meint einer der Patienten. Ein anderer „geht dahin, weil mich die Ärzte vorsichtig behandeln und ver-

binden. Weil ich sonst Angst vor Ärzten habe.“

Begonnen hat alles vor 14 Jahren auf Initiative der Ärztekammer Nie- dersachsen in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband Hannover. Die Initiatorin und damalige Ärztekam- merpräsidentin, Dr. med. Cornelia Goesmann, berichtet über die An- fänge des Projekts: „In Hannover fand in den Räumen der Ärzte - kammer Niedersachsen ein bundes- weiter Kongress zu Problemen von Armut und Wohnungslosigkeit statt, der neben Fragen von besonderen Gesundheitsproblemen obdachloser Menschen auch verschiedene Mo- dellprojekte zu deren medizinischer Hilfe vorstellte.“ Es habe sich ge- zeigt, dass Pioniere in verschiede- nen Großstädten schon Vorbildli- ches zur somatischen wie psych - iatrischen Versorgung derer, die auf der Straße leben, initiiert hatten. „In meiner Funktion als Gastgeberin der Ärztekammer Niedersachsen durfte ich die Nöte der Betroffenen und das Engagement der Helfer erleben und beschämt sehen, dass eine ärztliche Basisversorgung vor allem im Ballungsraum Hannover nicht gewährleistet war.“ Das Pro- jekt zu realisieren, sei dann einfa- cher gewesen, als sie gedacht habe.

Auf ihre Aufrufe in den Ärztekam- mer-Rundbriefen hätte sich eine ausreichende Anzahl engagierter Ärztinnen und Ärzte gefunden, die zum Teil bis heute an der Betreuung Wohnungsloser in Hannover teil- nehmen.

Ehrenamtliche Leistungen Und so werden seit 1999 in dem Projekt „Aufsuchende Gesundheits- fürsorge für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Men- schen in Hannover“ Menschen ver- sorgt, die durch individuelle oder gesellschaftliche Zugangsbarrieren die medizinischen Leistungen der Regelversorgung nicht in Anspruch nehmen. Neben den „klassischen“

Wohnungslosen werde die Versor- gung vermehrt von Menschen aus der „Armutsbevölkerung“ wahrge- nommen, berichtet Lange. Und das scheint ein bundesweiter Trend zu sein. Die ursprünglich für Obdach- lose gedachten Angebote werden ARMUT UND GESUNDHEIT

Hilfe für die Schwächsten

Engagierte Ärztinnen und Ärzte sorgen für eine medizinische Basisversorgung für Wohnungslose in Hannover.

Internistin Ursula Lange behandelt mindestens zwei- mal wöchentlich Menschen, die ihre Krankheiten oft lan- ge verkannt oder verdrängt haben.

Foto: picture allianceFoto: Caritas Hannover

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festem Wohnsitz in Anspruch ge- nommen. „Die Gruppe ist größer und heterogener geworden“, sagte der Vorsitzende des Vereins „Armut und Gesundheit“, Gerhard Trabert, Ende Mai der Deutschen Presse- Agentur. In die Wohnungslosen- Ambulanzen kommen dem Mainzer Obdachlosenarzt zufolge vermehrt Selbstständige, die ihre Privatversi- cherung nicht mehr zahlen können, oder auch EU-Mitbürger. Deshalb beschäftigte sich in diesem Jahr auch der 116. Deutsche Ärztetag in Hannover mit dem Thema Armut und Gesundheit. Es sei eine Schan- de, dass die Lebenserwartung in unserem reichen Land schichtenab- hängig immer noch um zehn Jahre differiere, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.

Frank Ulrich Montgomery. Ärzte könnten sozial benachteiligten Per- sonengruppen speziell Unterstüt- zung bei der Identifikation von Be- lastungsfaktoren und der Erschlie- ßung von Hilfsangeboten bieten.

Die Delegierten des Ärztetages for- derten, ein flächendeckendes Netz zur medizinischen Hilfe von Woh- nungslosen aufzubauen.

Dass Ärzte in diesem Bereich Engagement zeigen, verdeutlicht das Hannoveraner Projekt eindrücklich.

Ärztliche Leistungen und Verbands- material bei versicherten Patienten

und Patientinnen können aufgrund der Ermächtigung zur Institutsam- bulanz abgerechnet werden. Die Leistungen werden von den Projekt- beteiligten weitgehend ehrenamtlich erbracht, die Erträge fließen in das Projekt zurück. Um dieses kon- tinuierlich weiterentwickeln zu kön- nen, wird seit 2000 eine Evaluation des Versorgungsgeschehens durch- geführt. Die Versorgungssituation wird anhand von Dokumentations- karten erfasst, die bei jedem Be- handlungskontakt von den Ärzten und Ärztinnen, zum Teil mit Unter- stützung des Pflegepersonals ausge- füllt und zur Auswertung und Ana- lyse an das Zentrum für Qualität und Management, einer Einrichtung der Ärztekammer Niedersachsen, ge- schickt werden. Auf diesen Doku- mentationskarten werden neben Alter, Geschlecht, sozialer Hinter- grund und Versicherungsstatus auch die Grunderkrankungen des Patien- ten, der Anlass des Besuchs und die durchgeführten Therapien erhoben.

Überwiegend Männer

Seit dem Jahr 2000 wurden circa 21 000 Behandlungsfälle in den mobilen und ortsgebundenen Sprech- stunden versorgt*. Das Projekt wird überwiegend von Männern in An- spruch genommen (67 Prozent).

Der Anteil der behandelten Frauen ist von 23 Prozent im Jahr 2000 auf

33 Prozent im Jahr 2011 gestiegen.

Der Anteil der Arbeitslosengeld-II- Empfänger liegt bei 68 Prozent, der der Rentner und Rentnerinnen bei 20 Prozent und derer mit Migrati- onshintergrund bei 15 Prozent. Bei 62 Prozent der Fälle war primär ein organisatorischer Anlass (Kosten- übernahmen) Grund des Besuchs.

Behandlungsanlässe wie Verletzun- gen, Hauterkrankungen und in- fektiöse oder parasitäre Erkrankun- gen sind rückläufig. Dagegen gibt es einen steigenden Anteil an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atem- wegs-, Muskel- und Skeletterkran- kungen. Bei 63 Prozent der Fälle wurde mindestens eine Grunder- krankung angegeben. Die größte Rolle spielen dabei psychische Er- krankungen (33 Prozent), Suchter- krankungen (26 Prozent) und Herz- Kreislauf-Erkrankungen (20 Pro- zent). Viele Patienten sind im Dro- gensubstitutionsprogramm, viele haben bereits zahlreiche Entgiftun- gen hinter sich.

Da ist es für Ursula Lange von Vorteil, dass sie als Internistin lange in einem Methadonprogramm gear- beitet hat. Wenn man beispielsweise in einer Unterkunft Sprechstunde ab- halte, in der mehr als 150 Männer untergebracht sind, viele von ihnen langzeithafterfahren und psychisch auffällig mit einem hohen Gewalt - potenzial, dann sei das schon eine Herausforderung. Diese nimmt Lan- ge aber gern an, und sie möchte ihre Tätigkeit nicht mehr missen. Und wie ist sie dazu gekommen? Auch sie hatte sich von einem der Aufrufe von Goesmann angesprochen ge- fühlt und ist wie die meisten Ärzte, die in dem Projekt tätig sind, bereits im Ruhestand. Aber es gibt auch jun- ge Mitarbeiter. Einer von ihnen sei der jetzige Bundeswirtschaftsminis- ter Philipp Rösler gewesen, der es sich nicht nehmen ließ, bis zur Geburt seiner Zwillinge als Arzt für die me- dizinische Betreuung der Wohnungs - losen regelmäßig tätig zu sein.

Gisela Klinkhammer

*Zahlen entnommen aus: 10 Jahre Evaluation

„Aufsuchende Gesundheitsfürsorge für Woh- nungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in Hannover“. Daten und Fakten zur aktuellen und für die zukünftige Gesundheitsver- sorgung, Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen, 2011.

Neben den Wohnungslosen behandeln wir zuneh- mend Menschen aus der Armutsbevölkerung.

Ursula Lange, medizinische Leiterin der Straßenambulanz in Hannover

Foto: Eberhard Hahne

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