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Zum Citralaksana.
Von J. Kirste.
In der im tibetischen Tanjur stehenden Abhandlung über Malerei
(herausgegeben und übersetzt von B. Laufer, Leipzig, 1913), die
auf ein indisches Original mit dem Titel citralaksana zurückgeht,
findet sich eine Legende über den ürsprung der Malerei , § 30 if.,
6 zu der ich mir einige Bemerkungen erlauben möchte. Der erste
Maler erhielt den Namen nagnajit „Bezwinger des Nackten", d. h.
nacb der Tradition der preta „Totengespenster", da er nämlich durcb
die bildliche Darstellung eines solchen denselben in seine Gewalt
bekommt, eine mit der orientalischen Auffassung von der magischen
10 Bedeutung von Nachbildungen , wozu im weiteren Sinne auch die
Personennamen gehören, durchaus übereinstimmende Vorstellung.
Da Laufer selbst (S. 138) darauf aufmerksam macht, so verstehe
ich nicht, weshalb er nagnajit im Sinne von „Nacktkünstler" anf¬
fassen will (S. 5 f ), als Benennung eines Malers , der den mensch-
16 liehen Körper in seiner Nacktheit studiert habe und dem es ge¬
lungen sei denselben darzustellen. DaB man dem Kompositum diese
Bedeutung beilegen könne, möchte ich vom indischen Standpunkte
aus bezweifeln, und ferner muß man doch billig fragen , wieso die
Malerei, die Kunst der Farbenwirkung, sich aus dem Studium der
20 Stellungen des einem ungeübten Auge gewiß einfarbig erscheinen¬
den menschlichen Körpers sollte entwickelt haben, wenngleich Laufer
(S. 31) dies für möglich hält. Zieht man in Betracht, daß die
Reliefs der buddhistischen Kunst, deren Anfänge in die ersten Jahr¬
hunderte V. Chr. zurückreichen, bemalt waren (Poucher, L'art greco-
26 bouddbique. Paris 1905. S. 198), so wird man, glaube ich, viel
eher geneigt sein, die indische Malerei aus dem Bemalen von Statuen
hervorgehen zu lassen , die ursprünglich den plumpen , bemalten
Holzfiguren unserer Kinderspielzeuge nicht unähnlich gewesen sein
dürften, bei denen die Farbe als Hilfsmittel der Verähnlichung auf-
3(1 getragen wird. Wenigstens erinnert die noch jetzt in Tibet übliche
Malmethode, von der die von Ribbach (Vier Bilder des Padmasam¬
bhava. Hamburg, 1917) veröfifentlichten bunten Tafeln eine an¬
schauliche Vorstellung geben, sehr an unsere kolorierten Bilderbogen
und es ist deshalb im höchsten Grade bedauerlich, daß Fpucher in
Kirste, Zum Citralaksana. 271
seiner „Iconographie bouddbique' (Paris, 1905) die farbigen Originale
durch unfarbige Reproduktionen ersetzt hat, obgleich die Farbe in
der buddhistischen Götterlehre eine hervorragende Rolle spielt , ja
manche Gottheiten' sich nur durch die Farbe von einander unter¬
scheiden, i
Daß es nun plastische Darstellungen von Göttern schon in
sehr alter Zeit in Indien gab, dafür liefert m. E. der Rigvedavers
IV, 24, 10 einen deutlichen Beweis. Er lautet (vgl. Laufer, S. 19):
ka imam daiabhir mamendraih krinäti dkenubhih
yadä vfträni jarighanad athainam me punar dadat. lo
„Wer kauft diesen Indra von mir um zehn Kühe?
Wenn er die 'Vftra erschlagen hat, dann soll er ihn
mir wiedergeben.'
Schon Bollensen (Ludwig, Der Rigveda, Bd. V, S. 91) war der An¬
sicht, daß es sich hier um ein Götterbild handeln könne*), doch ie.
ist oflFenbar nicht von einem eigentlichen 'Verkauf die Rede, sondern
nur von einem Ausleihen, da das Bild, nachdem es seine Schuldig¬
keit getan hat, wieder zurückgegeben werden muß. Wie dies zu
verstehen sei, erhellt aus dem Kommentar zu dem Sütra Päninis
V, 3, 99: jivikärthe cäpanye. „Das Suffix kan tritt bei Worten 20
die eine Nachbildung bezeichnen nicht an , wenn es sich um den
Lebensunterhalt dreht außer beim Handelsbetrieb.* Dazu die KäSikä:
devalaködinäm Jivikärthä devapraiikftaya ucyante „Die Götter¬
bilder werden als zum Lebensunterhalte der Tempeldiener usw.
dienend bezeichnet', was von HaradattamiSras Padamanjari, dem 25
Kommentar zu Kälikä, noch weiter mit den Worten erläutert wird :
yäh pratimäh pratigrhya gj-häd grham bhik^amänä atanti tä evam
ucyante, tä hi jivikärthä bhavanti. devalakä api ta eva bhilc^a-
vobhipretäh. „Die Götterbilder, mit denen die Bettler von Haus
zu Haus ziehen, die heißen so, denn sie dienen zum Lebensunter- 30
halt. Unter den Bettlern sind auch die Tempeldiener zu verstehen'.
Daraus ergibt sich also, daß herumziehende Leute, vor allem die
Tempelhüter, den Gläubigen für einige Zeit die heiligen Statuen,
gegen Entgelt natürlich, überließen, denn verkaufen durften sie
dieselben ja nicbt, da sie nicht ihr Eigentum waren. Während **
Worte, die Nachbildungen bezeichnen, sonst das Suffix ka erhalten,
also z. B. aävaka, ustraka, rathaka, war dies bei den heiligen
nicht der Fall und man nannte also auch eine Figur, die Siva vor¬
stellte iiva, nicht iivaka. Genau so würde es ja auch einem
gläubigen Christen anstößig erscheinen , wenn Jemand eine Statue *o
der heil. Maria „Mariechen' nennen würde, denn das Verkleinerungs- 1) Die Ansiclit Oldenberg's (Abh. Gött. Ges. Wiss. XI, 1909, S. 289), daß dieser Vers die Matcanwendang (les ganzen Liedes enthalte und bedeute:
„Der Sfinger kann Uber , seinen Indra' disponieren', verstehe icb nicht, da es doch nur 4inen fiberirdisohen Indra gibt. Eben deshalb mufi es sich um einen irdischen handeln.
2 1 *
275 Kirtte, Zum CitralakfaHa.
suffix hat immer etwas herabsetzendes in sicb. Das Sütra ist schon
öfter besprochen worden (Weber, Ind. Stud. XIII, 344; Kielhorn,
WZKM. I, Sff".: Ludwig, Festgr. Roth 57) wegen der Bemerkung des
Mahäbhäsya: mauryair hirariyärthihhir arcäh prakalpitäk ,Von
s den geldbedürftigen Maurya wurden Götterbilder verfertigt". Soll
man hier unter dem Eigennamen die diesen Namen führende Dynastie
verstehen, die vom 4. bis 2. Jahrhundert v. Chr. herrschte? Man
wird sich kaum dazu entschließen, denn die Staatskassen dürften
durch den Verkauf solcher Erzeugnisse schwerlich- gefüllt worden
10 sein. Dann bleibt aber m. E. nichts übrig, als unter maurya die
Untertanen oder Zeitgenossen dieses Herrscherhauses zu begreifen
und sich die Sache so zurechtzulegen, daß, als infolge der Be¬
günstigung des Buddhismus durch jenes Herrscherhaus eine Menge
brabmanischer Bettler brotlos wurden , dieselben sich durch Ver¬
ls kauf von Götterbildern an die dem alten Glauben treugebliebenen
einen Lebensunterhalt zu verschaffen suchten. Patanjali f&hrt dann
fort: bhavet täsu na syät. yäs tvetäh sampratipüjärthäs täsu
bhavisyati. »Gut, bei diesen soll (die Regel) nicht gelten, wohl
aber bei solchen , die jetzt zur Verehmng dienen". Mit andern
so Worten : eine unter den Mauryas hergestellte Statue von ^iva nannte
man divaka, weil sie nicht zur unmittelbaren Verehrung bestimmt
war, während eine zu Patanjalis Zeit angebetete äiva hieß.
Pataüjali berichtet uns nun aber auch von wirklichen Gemälden,
nämlich unter dem Värttika 15*) zu P. III, 1, 26, eine Stelle, die
25 ebenfalls schon von Weber (Ind. Stud. XIII, 354, 489) besprochen
wnrde. Und zwar handelt es sich da um veritable Schlacbtenbilder,
auf denen der Kampf zwischen den Anhängern des Kamsa und des
Kfsna dargestellt war. Vielleicht dürfen wir solche Bilder auch
schon für die Zeit Pänini's annehmen , wenn nämlich die in der
80 Kääikä zu P. V, 3, 100 stehende kärikä in so hohe Zeit zurück¬
gehen könnte. Sie lautet :
arcäsu püjanärthäsu citrakarmadhvajesu ca
ive pratikrlau lopah kano devapathädisu
,Bei Götterstatuen, die zur Verehrung dienen, bei Gemälden und
35 Fahnen , bei devapatha usw. tritt an das (Wort für) Abbild im
Sinne der Ähnlichkeit das Suffix kan nicht an." Man benannte
also eine Statue Öivas mit dem Originalworte , ebenso ein Porträt
Arjunas und sagte „Affe" nicht ,iÄffchen", wenn ein solches Tier
auf eine Fahne gemalt oder gezeichnet war.
40 Was den Titel citralaksana betrifft , so findet sich ein Werk
dieses Namens weder in Aufrecht's Catalogus Catalogorum, noch
in den mir zugänglichen später erschienenen Verzeichnissen von
Handscbriften. Wohl aber bemerkt Aufrecht (Bd. I, 187), daß ein
1) Die von Kielliorn aufgenommene Lesart kaihsakarfanyai ca verstehe ich nicht.
2 1 ♦
Kirtte, Zum CäralaJesana. 273
citraaütra in Dämodaragnptas kuftanimata § 123 erwähnt wird,
von Meyer in seiner Übersetzung (Lehren einer Kupplerin, Leipzig
[ohne Jahr]) mit „Malerei* wiedergegeben. Warum dieser Gelehrte
aber das im daäakumSracarita in der lustigen Szene von dem ent¬
laufenen Freudenmädchen im Kapitel Apahäravarman vorkommende
citrä durch , Vertrautheit mit Gemälden* übersetzt (Dandin's D89a-
kumäracaritam , Leipzig [ohne Jahr] , S. 206) ist mir nicht recht
verständlich. Einer indischen Aspasia ist doch wohl eher etwas
Stümpern im Malen, als kritisches Kunstverständnis zuzutrauen.
In Laufer's Buch (S. 162, Z. 13) ist utkülaniküla zu lesen. i
Zeittohr. der D. UorgenV. Oei. Bd. 74 (1920). 18
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Bemerkungen zu den Psalmen der Bene Qörah.
Von Franz Fraetorius.
42. 43. Das Gedicht besteht aus drei Stropben, deren jede
zunächst acht Fünffüßer enthält; diesen folgt ein Kehrvers, oder
vielmehr zwei in Doppeldreiern gehende Kehrverse.
V. 2, der den ersten Fünffüßer enthält, verstößt in der über¬
lieferten Gestalt durchaus gegen die metrische Form. Klar ist, daß
das erste aSrn-ZV zu streichen ist ;' zweifeln aber kann man ,. ob' auch
das zweite Sirn zu streichen sei , oder die ihm folgenden beiden
Worte D'ifi'bi* "ibs. Ich möchte mich für die erstere Möglichkeit
entscheiden und als ursprüngliche Gestalt des Verses etwa
mni-bN V ""«jDJ. . _ pr .. CM. T ipiEN-bNI.. . ... bn6<3X- j ansetzen. Es ist ja begreiflich, daß die in dieser ursprünglichen
Gestalt des Verses nur kurz durch Präpositioneil angedeuteten Be¬
ziehungen von einem Glossator verbal verdeutlicht worden sind,
obwohl diese Beziehungen an sich deutlich genug waren und außer¬
dem noch durch v. 3 sofort hell beleuchtet wurden. An Joel 1, 20
denkfend, schrieb ein Leser a'iyn an den Rand, und dieses sHyn drang
dann an zwei Stellen in den Text ein.
V. 3 enthält den zweiten und dritten Fünffüßer. "'fi hsC; ist T .. ;
metrisch unmöglich. Dafür entweder das bereits von Anderen vor¬
geschlagene i^n bsb, wie der Glossator von v. 9 vielleicht gelesen
hat; oder ""ti'bNb (nicht ■'n'bxb), wie im Kehrverse.
Der viei'te und fünfte Fünffüßer sind in v. 4 enthalten. In
V. 5 stecken die letzten drei Fünffüßer der Strophe. Auch abgesehn
von n'n'üN IJSa bietet dieser masoretische Vers in der überlieferten
Gestalt noch manchen Anstoß. mVn, vermute ich, ist ein aus mni
verändertes, nicht fertig ausgeschriebenes D'^fibt*: ,An Jahwe will
ich (bei all dem Unerfreulichen der Gegenwart) denken'; also ganz
entsprechend dem ^f^STN v. 7 .Und ich will meine Seele auf ihn