24
Tibet.
Von W. Grube.
Die tibetischen Studien, ohnehin nicht viele Vertreter zählend,
haben durch den Tod A. ScMefner's *) einen herben und, zur Zeit
wenigstens, unersetzlichen Verlust erlitten. Abgesehen von den
überaus zahlreichen und werthvollen Arbeiten Schiefner's auf dem
Gebiete der uralaltaischen und der kaukasischen Sprachen , war
doch die Sprache und Literatur Tibet's dasjenige Gebiet, welches
er mit Vorliebe pflegte und auf welches er sich, zumal in den
letzten Jahren, immer mehr und mehr concentrirte. Seiner rast¬
losen wissenschaftlichen Thätigkeit verdanken wir eine ganze Reihe
höchst Schätzenswerther Beiträge zu der Geschichte, der Literatur
und den Lehren des nördlichen Buddhismus; aber auch die Kennt¬
niss der tibetischen Sprache selbst hat durch seine bahnbrechenden
„tibetischen Studien" eine wesentliche Förderung erhalten. Schiefner
war der Wenigen Einer, die da im Stande sind, ein so ausge¬
dehntes Gebiet zu umspannen , ohne bei der Vielseitigkeit ihres
Forschens die wissenschaftliche Gründlichkeit und Tiefe ausser
Acht zu lassen, und ist ihm auf diese Weise ein dauernder Platz
in der Geschichte der Wissenschaft gesichert, so nicht minder ein
liebevolles und dankbares Andenken in den Herzen derer, denen
es vergönnt gewesen ist, ihm persönlich nahezustehen. In unser
Berichtjahr gehören von Schiefner's letzten Arbeiten die für die
buddhistische Literaturgeschichte wichtige Ausgabe und Ueber¬
setzung von Vasubandhu's Gäthäsangraha und die .ausführlichen
Mittheilungen aus einer bisher unbekannten Londoner Handschrift ») ;
1) F. Wiedemann. Zum Gedächtniss an F. A. Schiefner. Rede gohalten am 11. Decemher 1879 in der Sitzung dor Kaiserl. Ak. d. Wiss.: Kuli, de l'Ac.
Imp. d. Sc. de St.-Petersb. XXVI, 30-44 (auch separat 20 pp. 8.) - - AU/r.
Weher. Franz Anton von Schiefnor: TR. XII, 143. — F. Font. Prof Schiefuer:
lAnt. IX, 111-113. — F. Teza. Antonio Schiofner : Nuova Antologia XLIX, 148-149.
2) A. Schiefner. Uobor Vasubandhu's Gäthäsaingraha : Bull. etc. XXV, 69-94 = Mei. As. VIII, 559-593.
3) Ders. Ueber eine tibetische Handschrift des India Office in London:
ebd. XXV, 321-333 = Mei. As. VIII, 623-640.
Grube, Tibet. 25
den Abschluss einer dritten im Drucli befindlichen Arbeit hat der
unermüdliche Porscher nicht mehr erleben sollen.
Lewin's Grammatik der tibetischen Umgangssprache *) ist Ref.
leider nicht zu Gesichte gekommen; natürlich muss jeder Beitrag
zu diesem noch so wenig durchforschten Gebiete mit Preuden be¬
grüsst werden. Die Oriental Series der Palaeographical Society
bietet diesmal auch tibetische Schriftproben '').
Von geographischen Arbeiten dürfte die neue, stark vermehrte
Auflage der von MarkJiam ") herausgegebenen Reiseberichte Boales
und Mannimfs auch für den Philologen von Interesse sein. Des¬
godins' ') ethnographische Bemerkungen werden mit ihrer vor¬
sichtigen Skepsis auch für denjenigen beachtenswerth sein , der
ihnen nicht überall beizustimmen veirmag.
4) 'Ih. H. Lewin. A Manual of Tibetan, being a Guide to the Colloquial Speech of Tibet, in a Series of Progressive Exercises, prepared with the assi¬
stance of Yapa Ugyen Gyatsho. XI, 176 pp. 4. Calcutta 1879. (London:
Trübner: £ 1 Is.)
5) The Pala'ographical Society. Facsimiles of Ancient Mss. Oriental Series.
Edited by W. Wright. P. IV. No. 45. 46.
6) Narratives of tho Mission of George Bogie to the Toslni Lama, and of tho Journey of Thomas Manning to Lhassa. Witli Notos, an Introduction , and Lives of Mr. Bogle and Mr. Manning. Also an Appendix , containing Letters of Fathers Gruobor, Desidcri, and Horace do la Penna, describing their Travels in Tibet. By Clements It. Markham. Published by Direction of H. M.'s Se¬
cretary of Stato for India. Second Edition. CLXI, 314 pp. 8. With Maps and Illustrations. 21s.
7) A. Desgodins. Lo Thibet. Notos othnographiques : Ann. do l'Extr.
Or. II, 129-135 mit einer Karto, vgb 10-12,
26
Mandschu, Mongolisch, Samoj edisch.
Von W. Grube.
Wenn gerade das Mandschu sich seit längerer Zeit einer
besonderen Bevorzugung von Seiten der europäischen Gelehrten
zu erfreuen hat, so dürfte der Grund dafür weniger in seiner
sprachlichen Beschaffenheit, als vielmehr in dem Umstände zu
suchen sein, dass dasselbe dem Sinologen ein wichtiges Hülfsmittel
zum Verständniss chinesischer Texte an die Hand giebt. Wir be¬
sitzen bereits eine beträchtliche Anzahl von Grammatiken dieser
Sprache, unter denen wohl noch immer die von IT. G. v. d. Gabelemtz verfasste, obwohl eine Erstlingsarbeit, die erste Stelle einnimmt.
Auch in diesem Jahre haben wir das Erseheinen einer neuen
Mandschugrammatik von Zacharow ') zu begi-üssen, welche an Um¬
fang alle ihre Vorgängeiinnen weit übertrifft, was sich rücksichtlich
des Inhaltes leider nicht behaupten lässt. Es ist hier nicht der
Ort, um auf die Einzelheiten des Buches einzugehen, und es sei
daher nur bemerkt, dass dasselbe ja allerdings in einigen wenigen
Punkten die bisherigen Grammatiken in dankenswerther Weise
ergänzt, aber im Ganzen imd Grossen bezeichnet es doch nur einen
sehr geringen Poifschritt in unserer Kenntniss der Mandsehusprache.
Einen Auszug aus dem Romane Kin-ping-mei hat G. v. d.
Gabelentz ^) aus dem Mandschu übersetzt. Der genannte Roman
gehört, ungeachtet seiner zahlreichen Lascivitäten , zu den besten
Produkten der chinesischen Belletristik, und als eine getreue Schil-
deining des gesellschaftlichen und sitthchen Lebens in China ist
derselbe von hohem Interesse.
Quellenangaben zu den 1875 von Rochet übersetzten Sentences,
maximes et proverbes mantchoux et mongols hat Teza») im Appendix
seines bei der indischen Literatur zu erwähnenden Laghucanakyam zusammengestellt.
1) IT. 3axapoei. PpaMMaTHKa MaHBiacypcKaro asHKa. CaHKTneiepfiypr'b
1879. vm, 322, 2 pp. 8. Rh. 2.
2) Georg von. der Galjeleidz. Kin-ping-mei. Les aventures galantes d'un epicier. Roman realisto, traduit pour la premifere fois du Mandchou: Rev.
or. ot am. UI, 169-197.
3) Laghucanakyam, ed. Teza, 30-32.