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A1884 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002
B R I E F E
damit suggeriert, dass die Flächendesinfektion nicht nur unnötig, sondern sogar
„verwerflich“ sei.
Darüber hinaus wird die Tätigkeit und das Ansehen der Kommission für Kran- kenhaushygiene und Infek- tionsprävention beim Robert Koch-Institut diskreditiert, die seit 1976 im Auftrag des damaligen Bundesgesund- heitsamtes – und nunmehr durch das Infektionsschutz- gesetz auch gesetzlich man- datiert – die Aufgabe hat, Empfehlungen zur Präventi- on nosokomialer Infektionen einschließlich der dafür er- forderlichen betrieblich-or- ganisatorischen und baulich- funktionellen Maßnahmen zu erstellen. Im Weiteren wird der Eindruck erweckt, als würde sich ein seriöser Hygieniker nicht für die An- wendung und Prüfung von Desinfektionsverfahren ein- setzen. Zudem wird durch diese Darstellung in dem je- dem deutschen Arzt zugäng- lichen DÄ die Einschätzung gefördert, dass Desinfekti- onsmaßnahmen nicht nur unnötig, sondern sogar abzu- lehnen seien. Der Verfasser bezieht sich bei seinen Aussa- gen bemerkenswerterweise auf Veröffentlichungen, die aus den Jahren 1977 bis 1986 stammen.
Im Ergebnis eines umfassen- den „Risk Assessment“ gibt es kaum Zweifel am Stellen- wert der Flächendesinfektion als einer Basismaßnahme zur Verhütung von nosokomia- len Infektionen und insbe- sondere zur Kontrolle der dramatisch zunehmenden Antibiotika-resistenten Mi- kroorganismen im Kranken- haus. Durch Anwendung le- diglich von Reinigungsmittel (Tensid) und Wasser kommt es nachgewiesenermaßen zur Ausbreitung Antibiotika-re- sistenter, relevanter nosoko- mialer Infektionserreger wie Pseudomonas aeruginosa, Serratia, Klebsiella etc. Dem wird auch durch die zurzeit in Bearbeitung befindlichen US-amerikanischen Richt- linien zur Desinfektion und Sterilisation in Gesundheits-
einrichtungen mit Stand vom 20. Februar 2002 mit der Empfehlung zur routinemä- ßigen Flächendesinfektion (www.cdc.gov/ncidod/hip/
dsguide/dsguide.pdf) Rech- nung getragen und damit die deutsche Strategie bestätigt.
Darüber hinaus befasst sich zurzeit die Kommission für Krankenhaushygiene und In- fektionsprävention beim Robert Koch-Institut mit ei- ner Aktualisierung der ent- sprechenden Empfehlung, in der eine routinemäßige Des- infektion speziell der patien- tennahen Bereiche für un- verzichtbar angesehen wird.
Diese Empfehlung wird in Kürze veröffentlicht. Die Desinfektionsmittel-Kom- mission sieht es daher mit größter Sorge, wenn durch derartige wissenschaftlich nicht begründete Publikatio- nen im renommierten DÄ mit der Überschrift „The- men der Zeit“ Vorstellungen verbreitet werden, die zu ei- ner dem heutigen Kenntnis- stand nicht mehr entspre- chenden falschen Gefähr- dungsbeurteilung und einem möglichen Unterlassen not- wendiger Hygienemaßnah- men in der deutschen Ärzte- schaft, mit nicht absehbaren Folgen für die Patienten, aber auch die Ärzte/Ärztin- nen, beitragen . . .
Prof. Dr. M. Exner,Hygiene-Institut, Sigmund-Freud-Straße 25,
53105 Bonn
Wirklich verschwendet?
Als Hygiene-Praktiker muss ich diesen Artikel relativieren:
Mit einer Reinigung wird Keimreduktion um den Fak- tor 102 erreicht, durch Des- infektion 104–105. Bei Keim- zahlen von 108 pro ml Spei- chel und 1 012/g Stuhl ist es bei Infizierten und mit multi- resistenten Erregern Besiedel- ten sinnvoll, eine möglichst große Keimreduktion anzu- streben. Der Autor ver- schweigt, dass zum Beispiel Spanien, Frankreich, Italien und die USA (!) erheblich höhere Raten (bis 30 Prozent) an multiresistenten Erregern haben. Dies ist allerdings nicht
nur auf das jeweilige Hygiene- regime zurückzuführen.Auch in Amerika wird die Flächen- desinfektion wieder zuneh- mend propagiert, wenn man aktuelle Literatur anschaut.
(Survival of enterococci and staphylococci on hospital fabrics and plastics, Neely A. N., Maley, M.P., J. Clin.
Microbiol. 38, 2000: 724–726).
Das Fehlen von validen Untersuchungen für den Des- infektionserfolg erlaubt nicht den Schluss, keine Desin- fektion sei besser. Sich Ge- danken über Umwelt und All- ergiepotenzial zu machen ist wichtig.Aber nur sorgfältig er- hobene und seriös präsentierte Daten, frei von persönlichen Animositäten, überzeugen.
Priv.-Doz. Dr. med. A. Schwarzkopf, Mangelsfeld 4, 97708 Bad Bocklet
Nutzlose Diskussionen
Von einer „unverantwortli- chen Verschwendung“ ist in der Überschrift zu lesen. Wie groß ist sie wirklich, die Ver- schwendung?
Für eine Station unserer Päd- iatrie, die regelmäßig wisch- desinfiziert wird, habe ich ein- mal nachgerechnet: Zur Des- infektion der neun Patienten- zimmer mit insgesamt 498 m2 werden täglich 8 Liter Desin- fektionslösung angesetzt. Da mit 0,5 prozentiger Lösung gearbeitet wird, werden pro Tag 40 ml Desinfektionsmit- telkonzentrat verbraucht. Bei unseren Einkaufspreisen (72 Euro für 10 Liter Konzen- trat) ergeben sich pro Tag 0,29 Euro; macht übers Jahr 105,85 Euro. Allerdings: Dies sind keineswegs ausschließ- lich desinfektionsmittelbe- dingte „Zusatzkosten“, denn die Reinigungsmittel würde es ja auch nicht umsonst ge- ben. Die großen Dienstlei- stungsunternehmen kalkulie- ren generell, dass 95 bis 98 Prozent der Kosten für die Aufbereitung der Fußböden und sonstigen Oberflächen im Krankenhaus auf Personal, Organisation und Verwaltung fallen. Materialkosten für Reinigungs- und Desinfekti- onsmittel machen maximal 4 Prozent aus.
Die angemahnte „Ver- schwendung“ liegt also weni- ger bei den Finanzmitteln als bei der Zeit, die mit der Dis- kussion um die Flächendesin- fektion vergeudet wird.
Dr. med. Frank-Albert Pitten, Institut für Hygiene und Umwelt- medizin, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Hainstraße 26,
17487 Greifswald-Eldena
Arzttum
Die Strukturen im Gesundheitswe- sen sind dringend überholungsbe- dürftig:
Ausbildung statt Ausbeutung
Die Reformierung des Medi- zinstudiums in Deutschland ist schon lange überfällig. An- statt einfache Dinge praxis- nah zu vermitteln, präsentie- ren Dozenten Details ihrer wissenschaftlichen Studien.
Studenten werden in den we- nigen Praktika wie unwissen- de Vollidioten vor den Pati- enten behandelt, was ledig- lich der Pflege der Hierarchie dient. Die medizinische Pro- motion verkommt zum rei- nen Formalismus. Promoti- onsthemen werden ohne ent- sprechende Betreuung verge- ben. Das führt zu medizini- schen Dissertationen, die in anderen naturwissenschaftli- chen Fachgebieten nicht ein- mal als Diplomarbeit aner- kannt würden. Meine Frau und ich kennen das Gefühl, für monatlich 2 300 DM 60 Stunden pro Woche zu ar- beiten, sowohl als promovier- ter Arzt (AiP) als auch als Sprachenlehrerin vor zwei Jahren. Da bleibt kein Spiel- raum zum Aufziehen von Kindern. Es ist demütigend, für viel Arbeit wenig Geld zu verdienen, während Verwal- tungsangestellte oder ärztli- che Chefs das Zwei- bis Zehn- fache bekommen. Die Medi- zin hat offenbar kein primä- res Interesse an guter Ausbil- dung beim Nachwuchs, sie scheint lediglich willenlose Arbeitssklaven zu benötigen.
Dr. med. Jan und Oda Rüdiger, Meininger Straße 12, 99092 Erfurt