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Archiv "Arzttum: Verwaltungsmedizin" (16.03.2001)

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P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 11½½16. März 2001 AA669

E

in schlechter Mensch bin ich. Einer von denen, die ihr Leben lang nur belohnt wurden. Brustgestillt, satte Kindheit in einer Mittelstandsfamilie, gute Schule mit Klassenreise nach Rom. Eine kämpferische Pubertät mit einem Ladendiebstahl und vier Joints.

Abitur ohne Mühe, und dem Biolehrer eine Stripperin in den Bio-Kurs der zwölften Klasse geschickt. Das Medi- zinstudium von den Eltern bezahlt, einschließlich WG-Zimmer. Eine vom Leben belohnte Freundin (und noch ei- ne während meines Auslandsstipendi- ums in Yale). Und jetzt das . . .

Halt! Ich bin nicht krank (Aids, mul- tiple Sklerose oder ähnliche gesund- heitliche Schicksalsschläge, die mitun- ter den Ausschluss aus dem Verein

„Gesellschaft“ bedeuten), habe weder suizidalen Lie- beskummer noch Schulden durch übermäßiges Telefo- nieren mit dem Handy.

Ich habe einfach einen Beruf angefangen und jam-

mere Ihnen jetzt etwas vor. Klar, das wissen Sie auch: Der Arztberuf ist schwer. Viel Arbeit und Stress. Ständig Entscheidungen zwischen Leben und Tod. Wenig Schlaf und harte Chefs. Lo- gisch, dass so einer wie ich anfängt zu jammern. Aber Sie irren. Ich bin nicht Arzt – und werde es wohl auch nie wer- den: Ich bin AiP.

Eigentlich darf ich gar nicht arbeiten, denn der Status des AiP gleicht einem Berufsverbot. Da ich keine vollständige Berufszulassung habe, erfüllt schon das morgendliche Blutabnehmen auf der Station den Straftatbestand der Körper- verletzung. Genau genommen der „ge- fährlichen Körperverletzung“, denn ich hantiere ja mit spitzen Gegenständen.

Während dieser Runde gewohnheits- mäßiger Delinquenz reichen mir sowohl Schwestern als auch Patienten die ersten Unterlagen zu, die ich im Laufe des Ta- ges bearbeiten muss: Fahrtkostengeneh- migungen, Krankenhaustagegeld-Be- scheinigungen, Bestätigungen für Le- bensversicherungen und Aufenthaltsbe- stätigungen für die Krankenkassen. Ich lege das Zeug in die Ecke der Station, in der ich den Papierkram erledige.

Dann mache ich erst mal Visite. Da der andere AiP, mit dem ich mir die Sta- tion eigentlich teile, für den Chef eine Studie betreut und abgezogen wurde, bin ich allein und muss, der Ärzte- schwemme sei Dank, den Stationsalltag allein bewältigen. Ich weiß zwar nicht so recht, ob mein Visitensystem richtig ist, aber bis jetzt habe ich die Patienten immer durchgeschleust. Ich gehe rein, frage, wie es geht, tue so, als ob ich aus der kurzen Untersuchung etwas ma- chen oder gar richtige Entscheidungen fällen kann, sage einige aufmunternde Worte und gehe wieder. Unzufriedene Patienten werden an den Oberarzt ver- wiesen, der „sicher morgen“ kommt.

Ich schreibe Anordnungen und Medi- kamente auf, die dem Chef gefallen.

Nun, ich weiß nicht, warum diese gege- ben werden sollen und nicht andere.

Hinterfragen ist bei meinem Chef töd- lich. Zumindest möchte ich meinen Job behalten.

Mein Chef sagt zu uns AiP immer:

„Wenn ich etwas über Medizin wissen will, frage ich doch auch nicht den Pförtner.“ Den Spruch verstehen Sie nicht, stimmt’s? Ich habe auch lange ge- grübelt. Allmählich habe ich gemerkt, dass unser Chef die Zeichen der Zeit erkannt hat. Er weiß, dass er zu einer aussterbenden Berufsgruppe gehört:

den Ärzten. Er hilft uns, dies zu verste- hen und zu akzeptieren. Er nimmt uns dieses die Erkenntnis verhindernde Gefühl der Berufung, er nimmt es uns und macht den Beruf zum Job.

Wozu sollen wir noch echte Medizin erlernen, wenn die Zukunft doch so viele Fachleute für Verwaltungsmedi- zin benötigt? Dafür sind wir doch per- fekt: Ein bisschen vorgebildet und ad- äquat (also schlecht) bezahlt. Dass ich nicht eher draufgekommen bin!

Und Sie? Wollen Sie, dass ich weiter meinen Tagesablauf vor Ihrem geisti- gen Auge abspulen lasse? Also, die

Scheine von vorhin müssen ausgefüllt werden. Anforderungen für Routine- untersuchungen müssen geschrieben werden, Totenscheine, Versicherungs- papiere, Kostenübernahmeanträge . . . Gut – Sie haben Recht. Zwischendurch darf ich einen vorgefertigten Anamne- sebogen ausfüllen (für eine eigenstän- dige Patientenbefragung sind wir nicht qualifiziert genug), darf Infusionen an- legen, die ich (nach Rücksprache) in der Patientenkurve verordnet habe.

Außerdem darf ich sonst noch so eini- ges machen, wozu die Krankenschwe- stern keine Lust mehr haben und für das sich kein anderer im Krankenhaus gefunden hat.

Auch die Patienten haben die Zei- chen der Zeit längst erkannt. Die Schlauen fragen nach dem Oberarzt. Die anderen las- sen mich zumindest ihre Krankenhaustagegeld- und Kuranforderungen erledi- gen. Patienten, die krank- heitsbedingt keinen Ver- waltungsservice mehr von mir einfor- dern können, verlege ich auf eine ande- re Station. Ich hoffe immer, dass dort ein AiP arbeitet, der meinen Stand der Erkenntnis noch nicht besitzt. Wenn der dann anruft und den Patienten zurück- verlegen will, verweise ich ihn an mei- nen Oberarzt (den man natürlich nie er- reicht). Ich werde ein guter Fachmann für Verwaltungsmedizin!

Aber wie Sie ja wissen, bin ich doch nicht zufrieden. Nein, ich beschwere mich nicht über meine Bezahlung. Ich habe versucht, mich weiterzubilden, mich nach Dienst mit Patienten zu be- schäftigen, sie sorgfältig zu untersuchen und nach ihren Symptomen zu befra- gen. Ich habe Ärzte bezahlt, damit sie mir grundlegende Fertigkeiten in mo- dernen Untersuchungsmethoden ver- mitteln. Aber wozu? Ich kann das alles nicht anwenden! Meine Zeit bleibt aus- gefüllt von Akten, Formularen und der Organisation von Verwaltungsvorgän- gen. Mein Erfolgserlebnis: ein ordentli- cher, abgearbeiteter Schreibtisch am Ende des Tages. Das ist mir nicht ge- nug. Bin ich wirklich ein schlechter Mensch? DDrr.. mmeedd.. MMaarrttiinn SSttuullaa

GLOSSE

Arzttum

Verwaltungsmedizin

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