Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 48|
29. November 2013 A 2305 MEDIZINSTUDIUMGute Lehre kostet Geld
Wenn Studierende praxisorientiert unterrichtet werden sollen, braucht man Personal.
Hochschulvertreter fordern von Union und SPD mehr Geld für die Ärzteausbildung.
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ls die Universität Witten/Her- decke Anfang der 80er Jahre in der Medizinerausbildung neue Wege ging, wurde sie von vielen belächelt. Heute – 30 Jahre später – ist das anders. Die innovativen Lehrformen, die Witten schon früh angewendet hat, kommen an vielen Fakultäten zum Einsatz. Seit 2000 ist das Curriculum in Witten/Herde- cke als „Modellstudiengang“ aner- kannt. Nun wurde der Standort mit dem Fakultätenpreis des Hartmann- bundes ausgezeichnet (siehe auch„Preise“ in diesem Heft).
Gute Lehre ist aufwendig. Unter- richt in Kleingruppen ist personal- intensiver als eine Hauptvorlesung.
Daher fordern der Medizinische Fa- kultätentag (MFT), der Verband der Universitätsklinika Deutschlands und die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV) bessere Rahmen- bedingungen für die medizinische Lehre. „Die Chancen neuer Techni- ken der Wissensvermittlung und veränderter Studienor ganisation könnten wegen fehlender Mittel gar nicht ausgeschöpft werden“, kriti- sierte MFT-Präsident Prof. Dr. rer.
nat. Heyo Kroemer. KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann er- klärte, das Medizinstudium müsse sich dem Versorgungsgeschehen anpassen. Notwendig sei die Ein- bindung des ambulanten Sektors.
Tatsächlich sieht es danach aus, dass Union und SPD Teile dieser Forderungen in den Koalitionsver- trag aufnehmen werden. Die Ar- beitsgruppe „Gesundheit und Pfle- ge“ hat vereinbart, dass eine Konfe- renz der Gesundheits- und Wissen- schaftsminister von Bund und Län- dern einen „Masterplan Medizin- studium 2020“ entwickeln soll – für mehr Praxisnähe, eine zielgerichte- te Bewerberauswahl und zur Stär- kung der Allgemeinmedizin.
In Witten/Herdecke werden die Studierenden bereits heute frühzei-
tig in Hausarztpraxen unterrichtet.
Organisatorisch möglich ist das auch, weil die Zahl der Studienplät- ze an der privaten Hochschule über- schaubar ist: 42 pro Jahr. Allerdings ist gute Lehre auch unter anderen Rahmenbedingungen möglich und muss nicht unbedingt in einem Mo- dellstudiengang erfolgen. Das zeigt das Beispiel Greifswald. Der Stand- ort landete beim Fakultätenranking des Hartmannbundes auf Platz zwei. Es handelt sich um einen Re- gelstudiengang mit 180 Plätzen zum Wintersemester. Das Studium – insbesondere im klinischen Ab- schnitt – wurde aber von Grund auf
reformiert. Die klassische Semes- terstruktur wurde aufgehoben. Da- durch verteilen sich die Kurse auf das ganze Jahr, so dass mehr Unter- richt in Kleingruppen am Kranken- bett möglich ist. Zudem bleibt den Studierenden mehr Zeit für wissen- schaftliches Arbeiten.
Was ist ein gutes Medizinstudi- um? Sollten praktische Fertigkeiten im Vordergrund stehen? Oder me- thodisch-wissenschaftliche Kennt- nisse – nicht zuletzt, um Informatio- nen überhaupt beurteilen zu kön- nen? „Wir brauchen beides“, sagte der Greifswalder Studiendekan Prof. Dr. med. Rainer Rettig bei der Podiumsdiskussion „Modellstudi- engang versus Regelstudiengang – wohin steuert die ärztliche Ausbil- dung?“ im Anschluss an die Preis- verleihung. Auch für den Vorsitzen- den des Hartmannbundes, Dr. med.
Klaus Reinhardt, gehört neben ei- ner fundierten theoretischen Aus- bildung der praktische Unterricht dazu. Wichtig für den Arztberuf sei- en außerdem kommunikative Fähig- keiten. Ziel des Studiums müsse es vor allem aber auch sein, die Studie- renden für eine ärztliche Tätigkeit
zu motivieren.
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Dr. med. Birgit Hibbeler Derzeit bieten zehn der 37 Fakultäten einen „Modellstudien-
gang“ (§ 41 Approbationsordnung) an: Aachen, Berlin, Bochum, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Köln, Mannheim, Oldenburg und Witten/Herdecke. Eine strikte Trennung von klinischen und vorklinischen Fächern gibt es nicht, sondern es wird von Anfang an ein Praxisbezug hergestellt. Der Unterricht ist problemorientiert. Der Wissenschaftsrat wird 2014 ein Gutachten zu Modellstudiengängen vorlegen.
Innovative Lehrformen gibt es keinesfalls nur in Modell- studiengängen. Vielerorts haben sie Einzug in den Regel- studiengang gehalten.
MODELLSTUDIENGÄNGE
Problemorientier- tes Lernen in Kleingruppen ist ein wichtiger Baustein der Lehre in Mo- dellstudiengängen.
Foto: Universität Witten/Herdecke