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ür die Deutsche Krankenhausgesell- schaft e.V. (DKG), Düsseldorf/Ber- lin, ist eine „weitergehende“ Öff- nung der Krankenhäuser für ambulante Funktionen sowie die Ingangsetzung der Integrationsversorgung der Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsre- form. Noch vor Abschluss der Koali- tionsverhandlungen hat die DKG in einem am 9. Oktober in Berlin vorge- stellten „Sofortprogramm“ „dringende Rechtsanpassungen im Krankenhaus- sektor“ verlangt. Die Krankenhausträ- ger erheben den Anspruch, eine zentra- le Rolle als „Health Care-Zentrum“ zu übernehmen, das die gesamte Versor- gungskette organisiert.Im Zuge der Gesundheitsreform müssten sowohl zentrale Vorschriften im Sozialgesetzbuch V (SGB V) revidiert als auch das Fallpauschalengesetz zumin- dest im Hinblick auf die Konvergenzpha- se und den Terminplan überarbeitet wer- den. Durch eine Ergänzung von § 140 a ff.SGB V müssten die Krankenhäuser ei- nen gesetzlichen Anspruch zur Beteili- gung an Disease Man-
agement-Programmen (DMP) erhalten. Dies sei ein idealer Ansatz- punkt zu einer sekto- renübergreifenden Ver- sorgung. Die (politi- schen) Forderungen nach mehr Effizienz, Zielge-
nauigkeit und einem sparsamen Mittel- einsatz sowie einer qualitativ besseren Patientenversorgung erforderten gera- dezu, „die starren Grenzen der Lei- stungsbereiche aufzubrechen“, betont DKG-Präsident Dr. jur. Burghard Rocke. Ein integrativer Reformansatz setze voraus, dass die Krankenhäuser ins Zentrum der Versorgung gerückt wür- den. Das Potenzial der sektorenübergrei-
fenden Versorgung müsse besser als bis- her genutzt werden. Die Krankenhäuser sollten als Institution für ambulatorische Leistungserbringung weiter geöffnet werden („Institutsambulanzen“).
Die Verknüpfung der DMP mit dem Risikostrukturausgleich wird von der DKG abgelehnt, weil dies die Kranken- kassen danach trachten ließe, die Pro- gramme in erster Linie
aus wettbewerblichen und finanziellen Grün- den aufzulegen und mög- licherweise im Rahmen von Einkaufsmodellen se- lektiv zu Dumpingprei- sen zu vereinbaren.
„Dringenden Handlungsbedarf“ sieht die DKG bei der Personalkostenfinan- zierung und bei der Umstellung des bis- her dreigeteilten Abrechnungssystems auf diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG). Um einen „Personalkollaps“ im Krankenhaus zu verhindern, müssten die Personalkosten durch die Kostenträ- ger vollkostendeckend finanziert und die Arbeitszeitbedin- gungen verbessert wer- den. Falls das EuGH- Urteil vom 3. Oktober 2000 auch in der deut- schen Krankenhauspra- xis im Maßstab 1 : 1 an- gewendet werden sollte, gehe dies nur bei einer vollen Refinanzierung dieser Zusatzko- sten (geschätzte Höhe: 2 Milliarden Eu- ro pro Jahr). Weil die Tariferhöhungen im Rahmen des Bundesangestelltenta- rifvertrages (BAT) um bis zu über 60 Prozent über der Krankenhausbudget- anpassung liegen, blieben mehr als 30 Prozent in den Budgets unberücksich- tigt; eine ständige Unterfinanzierung und das Auseinanderklaffen von Budget
und Kosten („BAT-Schere“) führe zu ei- ner Auszehrung und zu einem Abbau kaum noch vorhandener Reserven, zu einer Tarifflucht, zu Personalengpässen und einem inhumanen Arbeitsstress.
Deshalb plädiert die DKG für eine hun- dertprozentige Finanzierung aller linea- ren BAT-Erhöhungen und zusätzlicher Kosten, die aus krankenhausspezifi- schen Tarifverträgen und aus der Alters- versorgung resultieren. Fast jedes zweite Krankenhaus könne eine freie Stelle im klinikärztlichen Dienst nicht mehr oder nur unter großen finanziellen Anstren- gungen früher besetzen. Noch prekärer sei die Situation in den neuen Bundes- ländern. Hier seien sogar drei Viertel al- ler Krankenhäuser betroffen.
Die im Fallpauschalengesetz vorge- sehenen Mittel in Höhe von 100 Millio- nen Euro für zusätzlich erforderliche Arztstellen im Jahr 2003 seien nur „ein Tropfen auf einen heißen Stein“. Dieser „Notgro- schen“ könne das Perso- nalproblem kaum lösen.
Die DKG befürwor- tet eine stufenweise Ein- führung des DRG-Sy- stems. Die zweijährige Konvergenzphase sei aufgrund der Er- fahrungen anderer Länder viel zu kurz.
Die Umstellung des Finanzierungssy- stems sollte erst nach vier Anpassungs- schritten frühestens zu Beginn des Jah- res 2008 wirksam werden. Es sei illu- sionär,sämtlichestationären Leistungen in das Fallpauschalensystem zwängen zu wollen. Strukturelle Fehlentwicklungen seien so programmiert. Die vorläufige Übernahme des australischen Systems berge die Gefahr, dass Ungenauigkeiten zementiert werden. Es sei bereits jetzt absehbar, dass beispielsweise die Geria- trie, die neurologische Frührehabilitati- on und die Strahlentherapie nur ungenü- gend im Fallpauschalensystem berück- sichtigt werden könnten. Die Selbstver- waltung solle auf Orts- und Regional- ebene Regelungen für Problembereiche treffen, insbesondere für seltene Erkran- kungen und Spezialfälle. Diese könnten nicht oder nicht ausreichend durch das bundeseinheitliche Preissystem abge- bildet werden. Für gesetzliche Ausnah- metatbestände müsse eine Schieds- amtsregelung vorgesehen werden, for- dert die DKG. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
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A2746 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4218. Oktober 2002
Krankenhäuser
Griff nach der
„Versorgungskette“
Deutsche Krankenhausgesellschaft
präsentiert in Berlin ein „Sofortprogramm“.
„Ein sinnvoller integrativer Reformansatz
setzt voraus, dass die Krankenhäuser ins Zentrum der Versorgung
gerückt werden.“
Dr. Burghard Rocke, DKG-Präsident
„Die Politik muss endlich die steigenden
Patientenzahlen zur Kenntnis nehmen.“
Jörg Robbers, DKG-Hauptgeschäftsführer