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s wird ernst – ernster, als es Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihre engen Berater wohl für möglich gehalten hätten. Die beliebte- sten Sündenböcke der Gesundheitspoli- tik, die Kassenärztliche Bundesvereini- gung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), wollen sich nicht mehr länger prügeln lassen. Die „Kartel- le und Monopole“, die nach der gängigen Lesart der Politik jeg- lichem Fortschritt im Gesund- heitswesen entgegenstehen und dazu noch nicht einmal in der Lage sind, die „reichlichen“ Ho- norare unter den Vertragsärzten angemessen und gut zu vertei- len, sind es leid. Die kassenärzt- lichen Organisationen wollen ihre Mitglieder – rund 130 000 niedergelassene Ärzte – befra- gen, ob sie noch erwünscht sind.Der Vorsitzende der KBV, Dr. med. Andreas Köhler, hatte in der jüngeren Vergangenheit wiederholt betont, dass sich die KVen keineswegs als Selbst- zweck verstünden: „Wir stehen zu unseren gesetzlich vorge- schriebenen Aufgaben, aber nur solange die dafür geltenden Rah- menbedingungen verantwortungsvolles ärztliches Handeln ermöglichen.“
Wenn der Gesetzgeber die ärztlichen Körperschaften allerdings zwinge, ge- gen die Interessen der eigenen Mitglie- der zu handeln, müsse man sich wehren.
Köhler: „Wenn es nicht anders geht, auch damit, dass wir das KV-System infrage stellen.“
Eine solche Ankündigung sollte den führenden Gesundheitspolitikern ei- gentlich recht sein. Sie waren es, die im- mer wieder die Sinnhaftigkeit und Hand- lungsfähigkeit der Kassenärztlichen Ver- einigungen in Zweifel gezogen haben.
Wie wenig der Gesetzgeber seit der Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition im Jahr 1998 von den KVen hält, lässt sich nicht nur an den gebets- mühlenartigen Wiederholungen der
„Kartell-Vorwürfe“ ablesen.Die bewuss- te Ausgrenzung der KVen aus dem Ver- tragsgeschäft mit der Integrationsversor- gung und die Förderung der Einzel- und
Gruppenverträge zwischen Krankenkas- sen und Ärztegruppen außerhalb des Kollektivvertrages sind gesetzgeberische Maßnahmen, die den Sicherstellungs- auftrag der KVen wirksam aushöhlen.
Dennoch reagierte das Bundesge- sundheitsministerium hochgradig ner- vös auf die Ankündigung Köhlers, die Kassenärzte befragen zu wollen, ob sie weiterhin zum KV-System stehen. Das Bundesgesundheitsministerium wollte den KBV-Vorsitzenden „im Rahmen einer aufsichtsrechtlichen Beratung“
sogar dazu zwingen, eine solche Befra- gung bei der Vertreterversammlung der KBV am 24. März in Berlin noch
nicht einmal zu diskutieren, geschwei- ge denn in die Wege zu leiten. Köhler ließ sich jedoch nicht einschüchtern.
Die KBV-Delegierten diskutierten und beschlossen ein Referendum unter den Vertragsärzten und -psychothera- peuten.
Danach soll jeder einzelne Vertrags- arzt und Psychotherapeut erklären, ob er den KVen weiterhin das Mandat zum Erhalt des derzei- tigen vertragsärztlichen Sy- stems auf der Basis von Kol- lektivverträgen zubilligt. Die Grundbedingungen hierfür sollen der Schutz des Patien- ten-Arzt-Verhältnisses, der Er- halt der Freiberuflichkeit, die feste Vergütung für ärztliche Leistungen und der Abbau von Bürokratie sein.
Was die Politik daran nervös macht, liegt auf der Hand: Soll- ten sich die Vertragsärzte mehr- heitlich gegen das KV-System aussprechen, müsste der Ge- setzgeber gegebenenfalls be- weisen, dass die Regelversor- gung auch ohne die Kassenärzt- lichen Vereinigungen funktio- niert. Das ist alles andere als einfach.
Stehen die Kassenärzte andererseits zu ihren KVen, ist deren politisches Ge- wicht nachhaltig gestärkt – vor allem vor dem Hintergrund der anhaltenden Pro- teste der ärztlichen Basis gegen die aktu- elle Gesundheitspolitik.
Köhler und mit ihm alle anderen führenden KV-Vertreter sind jeden- falls nicht mehr länger bereit, sich von der Politik derart knebeln zu lassen, dass eine Interessenvertretung der Ver- tragsärzte nicht mehr möglich ist. Es kann sein, dass die Politik die Daumen- schrauben in der Vergangenheit zu sehr angezogen hat. Josef Maus P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 14⏐⏐7. April 2006 AA891
Zukunft des KV-Systems
KBV will die Kassenärzte befragen
Das Bundesgesundheitsministerium reagiert hochgradig nervös auf das
vorgesehene Referendum unter den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten.
Die Kernfrage lautet: Sind die KVen und die Kollektivverträge noch erwünscht?
Seite an Seite, aber nicht immer einer Meinung: Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt und KBV-Chef Andreas Köhler.
Foto:Georg J.Lopata