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Archiv "Die Zukunft des Korporativismus: Wettbewerbselemente für das KV-System" (08.09.2006)

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T H E M E N D E R Z E I T

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A2294 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 36⏐⏐8. September 2006

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er Korporativismus ist tot – lang lebe der Korporativismus.“ Mit dieser Maxime könnte man die aktuelle gesundheits- und ordnungspo- litische Diskussion überschreiben. Kor- porativismus ist in der Definition des Sachverständigenrates ein Allokations- system, das auf Vereinbarungen beruht, die Organisationen als private Verbän- de oder Körperschaften des öffentli- chen Rechts schließen. Die korporative Koordination stellt neben dem Markt- und Preismechanismus und der öffentli- chen Planung einen gesamtwirtschaftli- chen Mechanismus dar, um den Einsatz der verfügbaren Ressourcen aufeinan- der abzustimmen (Allokation).

Nachdem in der wirtschaftspoliti- schen und gesundheitsökonomischen Diskussion der Korporativismus als we- nig innovativ und ineffizient abqualifi- ziert wurde, scheint sich nunmehr seine Renaissance anzudeuten.

So enthält das Gutachten 2005 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen im Kapitel 2 eine durchaus differenzierte Sicht des Korporativismus. Letztlich kommt der Sachverständigenrat am En- de der Diskussion zu der Aussage, dass

„gesamtwirtschaftliche Aspekte nicht dafür sprechen, die korporative Koordi- nation und mit ihr die KVen abzuschaf- fen . . .“, sondern wettbewerbliche Ele- mente einzuführen. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt auch der Ge- sundheitsökonom Professor Eberhard Wille in einem Artikel über Steuerungs- konzepte für die Gesetzliche Kranken- versicherung (GKV). Offensichtlich scheint sich unter führenden Ökonomen die Meinung herauszubilden, dass die korporative Koordination weiterhin im

Gesundheitswesen einen im Vergleich durchaus erfolgreichen und zukunfts- trächtigen Allokationsmechanismus dar- stellt. Nach der lange in den Wirtschafts- wissenschaften und der Politik bestehen- den Dominanz des Neoliberalismus, der die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme in reinem Wettbewerb und Deregulierung sah, wird vielfach wieder differenziert argumentiert.

Immer mehr Staatseinfluss

Jeder Ökonomiestudent weiß spätestens nach dem ersten Semester, dass ein Preissystem zur Pareto-optimalen Allo- kation führt. Dieses Modell setzt voll- kommenen Wettbewerb voraus. Dieser ist im Gesundheitswesen insbesondere durch die Informationsasymmetrie zwi- schen Konsumenten (Patient) und Pro- duzenten (Arzt) nicht gegeben; dane- ben spricht zumindest in Deutschland die soziale Wertekultur für eine Korrek- tur von Marktergebnissen und für eine Verteilung von Gesundheitsleistungen, unabhängig von Marktprozessen und Zahlungsfähigkeit der Patienten. Aus der ökonomischen Theorie folgt, dass der Korporativismus zu keiner Pareto- optimalen Allokation führt. Dies gilt aber für jedes reale System. Deshalb stellen Ökonomen in solchen Situatio- nen immer die Frage nach dem „2nd best“, der besten Alternative: Können andere Allokationssysteme bessere Er- gebnisse erzielen, oder kann der Korpo- rativismus in der Bundesrepublik des Jahres 2006 modernisiert werden?

Analysiert man die realen Steuerungs- prozesse, wie sie das Sozialgesetzbuch (SGB) V vorgibt, fallen sofort die um-

fangreichen Einfluss- und Steuerungs- möglichkeiten des Staates auf. Politik und Gesundheitsbürokratie haben in den letz- ten Jahren ihren Einfluss massiv ausge- weitet, sodass die Korporativismusakteu- re – in der Terminologie des SGB V die

„Gemeinsame Selbstverwaltung“ – in vielen Bereichen wesentliche Entschei- dungsbefugnisse haben abgeben müssen.

Dies betrifft vor allem das gesetzliche Diktat der Beitragssatzstabilität und die Anbindung der Ausgaben an die Grundlohnsummenentwicklung. Insofern sind viele der von Wille aufgeführten Schwachstellen des Korporativismus auf unsystematische Eingriffe des Gesetzge- bers zurückzuführen. Letztlich wäre es deshalb ein lohnender Ansatz, den Kor- porativismus zu seinen Stärken hin zu entwickeln. Dies allein ist unter den ge- genwärtigen politischen Rahmenbedin- gungen Illusion. Insofern ist die Kritik am gegenwärtigen Zustand des Korporativis- mus ernst zu nehmen, der in Teilen durch Inflexibilität und mangelnde Effektivität gekennzeichnet ist. Starre Budgets mit unzureichenden Qualitäts- und Lei- stungsanreizen im niedergelassenen und teilweise auch im Krankenhausbereich führen dazu, dass der niedergelassene Arzt Leistungen und Qualität an die Rah- menbedingungen anpasst: Er agiert im ökonomischen Sinne als Mengenanpas- ser. Höhere Qualität und medizinischer Mehrbedarf werden nicht honoriert.

Wegen der gesetzlichen Finanzie- rungsvorgaben (Grundlohnsummenan- bindung) hat die gemeinsame Selbstver- waltung nur marginalen Einfluss auf die Höhe der Ausgabenbudgets. Die Zulas- sung als niedergelassener Arzt (Markt- eintritt) ist durch Gesetz geregelt und trotz formal bestehender Bedarfspla-

Die Zukunft des Korporativismus

Wettbewerbselemente für das KV-System

Lange Zeit wurde Marktwirtschaft pur propagiert. Jetzt erlebt die Steuerung

des Gesundheitswesens durch Vereinbarungen zwischen Organisationen und

Körperschaften eine Renaissance – zumindest bei den Ökonomen.

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nung dem Zugriff der Vertragspartner entzogen, sofern eine effektive Steue- rung der Marktteilnehmer erwartet wird.

Zwar kann man diese Situation allein dem Korporativismus als Versagen anla- sten, de facto sind dies allerdings Auswir- kungen von erratischen und kurzsichti- gen gesetzgeberischen Eingriffen, die letztlich das System destabilisiert und ei- ne Regulierungsspirale (Kostendämp- fungsgesetze) ausgelöst haben.

Wissenschaftler ziehen inzwischen aus den real existierenden Mängeln nicht mehr die Konsequenz einer kom- pletten Deregulierung und damit Ab- schaffung des Korporativismus, son- dern kommen nach intensiver Diskussi- on alternativer Steuerungssysteme zu der Auffassung, dass verstärkt wettbe- werbliche Elemente in das System ein- geführt werden müssten. In der Sprache des Sachverständigenrates lautet diese Empfehlung so:

„Um die Inflexibilitäten aufzubre- chen, die der korporativen Koordinati- on anhaften, bietet sich eine Integration von dezentralen Wettbewerbsprozes- sen in Form von selektiven Vertragsver- handlungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern an.“

Wettbewerb im Korporativismus

Mit dieser Empfehlung löst der Sach- verständigenrat das Dilemma auf, das bei einer Abschaffung von kollektiv-vertrag- lichen Regelungen entstünde:Wer garan- tiert in einem wettbewerblichen System die gleichmäßige Sicherstellung der ärzt- lichen Versorgung inklusive Notdienst?

Daran haben die Partner der selektiven Verträge in aller Regel kein Interesse, wie die bisherigen Beispiele der Inte- grierten Versorgung (IV) zeigen. Es kann aber weder im Interesse von Politik noch Ärzten und am wenigsten im Interesse der Patienten sein, dass sich hochinnova- tive Inseln medizinischer Spitzenversor- gung in einem Umfeld von Unterversor- gung entwickeln. Wie sollen kleine und auch mittelgroße Krankenkassen inno- vative Versorgungsmodelle selektiv mit einzelnen Ärzten oder Arztgruppen in Mecklenburg oder im Westerwald ab- schließen, wenn sie dort nur über eine ge- ringe Anzahl von Versicherten verfügen?

Dieses Dilemma lässt sich zufriedenstel- lend und zu vertretbaren Kosten offen- kundig nur durch Integration von selekti- ven Verträgen in ein flächendeckendes Kollektivvertragssystem mit Kassenärzt- lichen Vereinigungen lösen. Dieses neue Kollektivvertragssystem wird sich vom ursprünglichen Kassenarztrecht der 50er-Jahre unterscheiden, indem selekti- ve Verträge in begrenztem Umfang ne- ben Kollektivverträge treten. Damit er- hält der Korporativismus ein sozialpoli- tisch akzeptables Wettbewerbselement, das Innovationsdruck im System erzeugt.

Die Rolle der KV

Im Korporativismus neuer Prägung wer- den Kassenärztliche Vereinigungen nicht überflüssig, sondern sind weiterhin tra- gender Bestandteil. Ihre Funktion wird aber in einem Neo-Korporativismus eine andere sein. Da die Krankenkassen rechtlich nicht mehr verpflichtet sind, al- le Versorgungsverträge exklusiv mit ei- ner Kassenärztlichen Vereinigung abzu- schließen, wird sich auch das KV-System im Wettbewerb um neue, qualitätsorien- tierte und effiziente Versorgungsangebo- te bemühen. Diese Prinzipien sind be- reits im gültigen SGB V in Form der Inte- grierten Versorgung angelegt.

Um die Einheitlichkeit und Sicher- heit einer flächendeckenden gesund- heitlichen Versorgung zu gewährleisten, muss der Umfang der selektiven Ver- träge begrenzt bleiben. Gleichzeitig muss der KV das Recht eingeräumt werden, ebenfalls Partner von selektiven Verträ- gen im Wettbewerb zu werden. Nur so kann wirksam Konkurrenz etabliert werden, um die optimalen Allokativei- genschaften eines Preissystems nach- zubilden. Ohne KV-Beteiligung würde sich der Wettbewerbsdruck allein auf Teilmärkten entwickeln. Die Teilnahme des KV-Systems an integrierten Model- len ist gesamtwirtschaftlich besonders wichtig, wenn größere Anteile als bisher für die Integrierte Versorgung, das heißt für selektive Verträge, aus der Gesamt- vergütung herausfallen. Übersteigen die selektiven Verträge eine kritische Gren- ze, bricht wegen fehlender Ärzte und Finanzmittel die Fähigkeit des KV-Sy- stems zusammen, eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen.

Das KV-System als wichtiger Be- standteil einer kooperativen Koordi- nation ist ebenso wie die Kollektiv- vertragspartner aufseiten der Kranken- kassen wandlungs- und anpassungsfähig, sofern die Politik die Rahmenbedingun- gen richtig setzt. Bereits die Konkurrenz durch die auf maximal ein Prozent der Gesamtvergütung begrenzten derzei- tigen Integrationsmodelle hat bewirkt, dass das KV-System für diesen Bereich Lösungen entwickelt. Die Kassenärztli- chen Vereinigungen haben, obwohl sie kein Vertragspartner sein dürfen, eigen- ständige Vertragsmuster für die eigenen Mitglieder entwickelt sowie Angebote, diese Verträge im Auftrag der Vertrags- partner umzusetzen. Viele Beispiele zeigen, dass erst durch die Mitwirkung von Kassenärztlichen Vereinigungen IV-Modelle erfolgreich wurden. Auch Krankenkassen akzeptieren das organi- satorische und fachliche Know-how des KV-Systems zur Umsetzung nicht nur der Kollektivverträge, sondern auch der selektiven Verträge.

Wettbewerb und Korporativismus sind in diesem Modell keine Gegensätze, sondern können sich ergänzen und zu ei- ner effizienteren Allokation führen als reiner Wettbewerb oder reiner Korpora- tivismus. Wenn auch ursprünglich vom KV-System stark kritisiert, setzt sich nunmehr in vielen KVen die Erkenntnis durch, dass ein Neo-Korporativismus der Weg der Zukunft sein kann. Dies setzt allerdings voraus, dass die KVen den bereits eingeleiteten Umstrukturie- rungsprozess hin zu Dienstleistungsor- ganisationen für die eigenen Mitglieder, aber auch zu Dienstleistungsanbietern für die Konzeption und Umsetzung von selektiven Verträgen weiterentwickeln.

Inwieweit ein solches Modell zum Erfolg führt, hängt wesentlich davon ab, dass der Gesetzgeber sich auf seine ursprüng- liche Aufgabe zurückzieht, die geeigne- ten Rahmenbedingungen zu setzen und deren Einhaltung zu überwachen. Sy- stemfremde Finanzierungsvorgaben und Einzelregulierungen durch Politik nach Kassenlage sind unvereinbar mit effizi- entem Korporativismus. Erst nach Rücknahme des Staatseinflusses kann ein Wettbewerbskorporativismus seine Überlegenheit auch in der Realität zeigen. Dr. rer. soc. Thomas Kriedel Vorstand Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe T H E M E N D E R Z E I T

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