Z
um Zeitpunkt der Erst- diagnose eines Harnbla- senkarzinoms haben et- wa 70 Prozent der Patienten einen oberflächlichen (Stadi- en Tis, Ta und T1), 30 Prozent einen muskelinvasiven Tu- mor. Aufgrund der schnellen Metastasierung ist beim muskelinvasiven Karzinom die radikale Zystektomie die Therapie der Wahl. Im Ge- gensatz dazu werden bei oberflächlichen Harnblasen- tumoren organerhaltende transurethrale Resektionen (TUR) bevorzugt. Die Hei- lungsrate nur durch TUR liegt bei etwa 40 Prozent.Da besonders die ober- flächlich wachsenden Tumo- ren häufig rezidivieren, wird
in Amerika seit Jahren eine Rezidivprophylaxe mit atte- nuierten Bacillus-Calmette- Guerin-Präparaten (BCG- Präparaten) durchgeführt.
Diese spezifische Immunthe- rapie hat sich trotz überzeu- gender Daten aus zahlrei- chen klinischen Studien in Deutschland noch nicht durchsetzen können.
Bei BCG handelt es sich um das künstlich attenuierte Mykobakterium, das 1922 erstmals als Lebendvakzine zur Tuberkulose-Schutzimp- fung eingesetzt wurde. In Deutschland ist der Immun- modulator zur Therapie des Blasenkarzinoms seit 1992 im Handel (ImmuCyst®, Cyto- Chemia). Die BCG-Suspen- sion wird nach der Tumorre- sektion in die Blase instilliert und nach zwei Stunden aus- geschieden. Die Instillation erfolgt einmal pro Woche, sechs Wochen lang. Nach ei- ner sechswöchigen Pause wird die Instillation einmal pro Woche über drei Wochen wiederholt. Dieses Thera- pieschema wird alle sechs Monate bis zum 36. Monat fortgeführt. Kontraindiziert ist die BCG-Therapie bei
traumatischer Katheterisie- rung, nicht abgeheilten Ver- letzungen der Blasenschleim- haut, akuten Infekten der Harnwege, beeinträchtigter Immunabwehr, Fieber unkla- rer Genese sowie aktiver Tu- berkulose.
Aktivierung der T-Zellen
Die besondere Eigen- schaft des Mykobakteriums, eine granulomatöse Entzün- dung im Organismus hervor- zurufen, wird im Rahmen der BCG-Behandlung als wirksa- mes Prinzip genutzt. Durch die intravesikale Instillation wird nicht nur die Bildung von Zytokinen induziert, es wer- den auch ganz spezifische zy- totoxische Mechanismen akti- viert, die gegen die Blasenkar- zinomzellen gerichtet sind. Es gibt erste Hinweise darauf, daß BCG von den Blasenkar- zinomzellen und von Makro- phagen aufgenommen wer- den. Durch die Antigenprä- sentation von BCG auf der Makrophagenoberfläche wer- den T-Zellen und Gamma- Delta-T-Zellen aktiviert. Die- se Zellen sind sodann in der Lage, Blasenkarzinomzellen gezielt zu bekämpfen. BCG, das selbst keine direkte zyto- toxische Wirkung besitzt, bin- det besonders stark an schwachdifferenzierte, mali- gne Blasenkarzinomzellen.
Wie Prof. D. L. Lamm (Morgantown, USA) auf ei- ner Konsensus-Konferenz in Lübeck betonte, ist die BCG- Therapie der Therapie mit Zytostatika – wie zum Bei- spiel Thiotepa, Mitomycin C oder Doxorubicin – überle- gen. In einer Studie der Southwest Oncology Group konnte gezeigt werden, daß
Patienten mit Ta- oder T1- Übergangszellkarzinomen, die mit BCG behandelt wur- den, nur in 19,5 Prozent der Fälle von Rezidiven betrof- fen waren. Die Tumorrezi- divrate unter Mitomycin C betrug demgegenüber 32,6 Prozent. Die Studie wurde wegen der deutlichen Über- legenheit von BCG aus ethi- schen Gründen vorzeitig ab- gebrochen. Neuere Auswer- tungen der Studie zeigen die Verdopplung des medianen rezidivfreien Überlebens in der BCG-Gruppe (44 Mona- te im Vergleich zur Chemore- zidivprophylaxe 22 Monate).
Besonders bei risikoträch- tigen Carcinoma in situ (Cis) erwies sich BCG als wirksam.
In einer Langzeitstudie spra- chen 70 Prozent der Cis-Pati- enten auf die BCG-Therapie, aber nur 34 Prozent auf eine Chemotherapie an. Nach fünf Jahren waren noch 45 Prozent der BCG-Gruppe karzinom- frei, im Vergleich zu 18 Pro- zent der Chemotherapierten.
Auch auf die Dauer der Behandlung ging Lamm ein.
In einer Untersuchung an 218 Patienten mit Carcinoma in si- tu konnte er zeigen, daß eine mehrjährige Erhaltungsthera- pie mit BCG (Basistherapie von sechs Instillationen plus wöchentliche Instillationen über drei Wochen nach dem 3., 6., 12., 18., 24. und 36. Mo- nat) der herkömmlichen Ba- sistherapie (sechs Instillatio- nen, einmal pro Woche) signi- fikant überlegen ist. So konn- te die Rezidivfreiheit nach 3,2 Jahren durch die Erhal- tungstherapie von 50 Prozent bei Basistherapie auf 83 Pro- zent erhöht werden.
Nach Lamm ist daher bei oberflächlichen Harnblasen- karzinomen die spezifische Immuntherapie mit BCG als Therapie der Wahl anzuse- hen. Auf eine operative Ent- fernung der Blase hätte er in den meisten Fällen verzichten können. Dies trifft auch für das niederdifferenzierte Harn- blasenkarzinom Typ T1G3 zu, für das bis heute die Zystekto- mie als Mittel der Wahl gilt, da der Tumor schnell wächst und
rezidiviert. EB
A-3138 (78) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 47, 22. November 1996
V A R I A AUS UNTERNEHMEN