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Archiv "Wie typisch sind atypische Mykobakterien?" (22.09.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Wie typisch sind

atypische Mykobakterien?

Stefan H E Kaufmann

ekannt sind sie schon seit langem;

ihre Bedeutung für die Medizin wird aber erst in letzter Zeit deut- lich. Gemeint sind die atypischen Mykobakterien, die bereits 1885 er- wähnt und 1889 als Krankheitserreger verdäch- tigt wurden. Heute wissen wir, daß zur Gruppe der atypischen Mykobakterien eine Vielzahl apathogener und fakultativ pathogener Arten gehört, die in unserer Umgebung ubiquitär ver- breitet sind, und mit denen der Gesunde meist fertig wird, ohne ein klinisches Krankheitsbild zu entwickeln. Mit der Zunahme immunge- schwächter Patienten steigt jedoch auch die Zahl atypischer Mykobakteriosen an. Hier ist an erster Stelle AIDS zu nennen, bei dem atypische Mykobakterien — besonders M. avium/intracel- lulare (MAI) — zusammen mit Pneumocystis ca- rinii, Zytomegalieviren und M. tuberculosis die häufigsten Sekundärinfektionen verursachen.

Aber auch bei allen anderen Formen von Im- mundefekten — besonders bei Haarzell-Leuk- ämien — treten Infektionen mit atypischen My- kobakterien oft auf.

Grundlagen für die Einteilung

Mitte der fünfziger Jahre stellte Runyon eine noch häufigbenutzte Klassifikationder atypischen Mykobakterien in vier Gruppen auf, die im Prinzip auf der Wachstumsgeschwindigkeit und Pigment- bildung beruht. Inzwischen sind 54 verschiedene Arten bekannt, und, wenn möglich, sollte heute die Speziesbestimmung auf der Grundlage bio- chemischer Charakteristika erfolgen. Bei immu- nologisch normalen Personen sind atypische My- kobakteriosen selten und treten meist als Superin- fektionen auf. Betroffen sind in erster Linie Lun- ge, lokale Lymphknoten und Haut.

M.kansasii ist für den größten Teil atypi- scher Mykobakteriosen der Lunge bei Personen mit gutem Immunstatus verantwortlich. M.mari- num ist häufig in beheizten Schwimmbädern und Aquarien zu finden und kann bei Benutzern Hautläsionen hervorrufen („Schwimmbad-Gra- nulom"). Ulzerierende Läsionen entstehen

nach Infektionen mit M.ulcerans, dessen Vor- kommen aber weitgehend auf die Tropen be- schränkt ist („Buruli-Ulkus"). M.scrofulaceum ist der häufigste Erreger zervikaler Lymphade- nitiden bei Kleinkindern.

M.avium und M.intracellulare stellen zwar zwei distinkte Arten dar. Sie sind jedoch schwie- rig zu differenzieren und zeigen ein ähnliches Pathogenitätsmuster, so daß sie häufig als MAI- Komplex zusammengefaßt werden. Sie blieben bis zum Aufkommen von AIDS weitgehend un- beachtet. Seit AIDS hat sich das Bild jedoch drastisch gewandelt, und es ist der MAI-Kom- plex, der die atypischen Mykobakterien in das Bewußtsein zahlreicher Ärzte gerufen hat.

AIDS und

atypische Mykobakterien

MAI sind die bei AIDS-Patienten mit Ab- stand am häufigsten vorkommenden atypischen Mykobakterien. Die amerikanische Gesund- heitsbehörde CDC wies in 212 Mykobakterien- positiven Isolaten von AIDS-Patienten in 177 Fällen (83 Prozent) MAI, in 20 Fällen (9 Pro- zent) M.tuberculosis, in vier Fällen (2 Prozent) M.scrofulaceum und in zwei Fällen (1 Prozent) M.kansasii nach. In einer anderen Untersu- chung litten von 136 untersuchten AIDS-Patien- ten 29 an M.tuberculosis und 19 an MAI-Infek- tionen. Obwohl die Lunge das primär befallene Organ darstellt, kommt es häufig zu disseminier- ten Krankheitsbildern.

Die Zahl der an Mykobakteriosen leidenden AIDS-Patienten schwankt zwar, es ist aber un- bestritten, daß während später Stadien der Krankheit ein hoher Prozentsatz an Mykobakte- rien-Infektionen leidet. In einer New Yorker Studie waren etwa 20 Prozent der Blutkulturen von AIDS-Patienten MAI-positiv, und bei der Hälfte der Verstorbenen wurden MAI nachge- wiesen. Da die Immundefizienz im wesentlichen die Zahl der Erkrankungen und weniger das In- fektionsrisiko erhöht, illustrieren diese Daten, wie weit verbreitet atypische Mykobakterien sind und wie häufig wir mit ihnen in Kontakt kommen können.

A-2600 (60) Dt. Ärztebl. 85, Heft 38, 22. September 1988

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Verbreitung

von Mykobakterien

Atypische Mykobakterien sind ubiquitär in Wasser, Erde und Staub vorhanden. Sie sind nicht nur gegen Temperatur- und pH-Schwan- kungen, sondern auch gegen Chlor äußerst resi- stent und können daher auch im Leitungswasser vorkommen. In einer großen Bostoner Klinik waren in fast 7 Prozent aller klinischen Materia- lien MAI nachzuweisen (ohne allerdings mit dem klinischen Bild in Beziehung zu stehen).

Umgebungsuntersuchungen erbrachten den re- gelmäßigen Nachweis von MAI im Leitungswas- ser in 5 von 12 untersuchten Kliniken.

Es verwundert nicht, daß bei dieser weiten Verbreitung die meisten Menschen mit atypi- schen Mykobakterien in Kontakt kommen und — sobald das Immunsystem versagt — daran er- kranken können. Obwohl die Lunge das primär betroffene Organ darstellt, ist anzunehmen, daß die Infektion auch über den Gastrointestinal- trakt erfolgt.

Immunologie

Die Immunantwort gegen atypische Myko- bakterien und Tuberkelbakterien dürfte im Prinzip ähnlich verlaufen und lediglich quantita- tive Unterschiede aufweisen. Mykobakterien haben sich den Makrophagen als bevorzugten Lebensraum ausgesucht, eine Zelle, die eigent- lich dazu da ist, eingedrungene Krankheitserre- ger zu bekämpfen. Unter dem Einfluß spezifi- scher T-Lymphozyten werden Makrophagen so aktiviert, daß sie ihre intrazellulären Nutznießer mehr oder weniger gut eliminieren können. Am Ort der mykobakteriellen Vermehrung entste- hen Granulome, in denen sich die Abwehrkräfte konzentrieren. Während aber Tuberkelbakte- rien in ruhenden Makrophagen gut und selbst in aktivierten Makrophagen noch zu einem gewis- sen Grad überleben können, erliegen atypische Mykobakterien bereits schwach aktivierten Ma- krophagen und können am ehesten bei zellulä- rem Immundefekt überleben. Aufgrund unge- nügender T-Zellaktivität unterbleibt die Ausbil- dung geordneter Granulome, und es kommt le- diglich zu diffusen Makrophagenansammlun- gen. So gelingt es nicht, die Dissemination der Keime zu verhindern.

Chemotherapie

M. kansasii spricht auf Ethambutol, Strepto- mycin, Ethionamid, Rifampicin und Isoniazid meist an, und Dreier-Kombinationen mit Ri- fampicin sind in der Regel erfolgreich. Dagegen sind die Keime des MAI-Komplexes gegen die

herkömmlichen Tuberkulostatika weitgehend resistent. Dies scheint mit der Undurchlässigkeit der wachshaltigen Zellwand zusammenzuhän- gen, die eine Permeation chemotherapeutischer Substanzen in das Zytoplasma erschwert.

Hoffnung wird auf neuere Gyrasehemmer ge- setzt sowie auf die im experimentellen Stadium befindlichen Chemotherapeutika Rifabutin, ein Rifamycin-Derivat mit besseren Permeationsei- genschaften, und Clofazimine, das aus der Lepra- therapie stammt. Aber selbst Chemotherapeuti- ka mit erwiesener In-vitro-Wirksamkeit gegen MAI zeigen im Patienten nicht immer die erhoffte Wirkung. Da die Differentialdiagnose von M.tu- berculosis und MAI zeitraubend ist, empfiehlt das CDC, bei AIDS-Patienten beim Nachweis säure- fester Stäbchen bis zur endgültigen Diagnose eine Behandlung mit Isoniazid, Rifampicin, Ethambu- tol/Pyrazinamid einzuleiten. Ein vom CDC emp- fohlenes Behandlungsschema für MAI besteht dann aus Rifabutin, Isoniazid, Ethambutol und Clofazimine

Schlußbemerkungen

Mykobakterien stellen die häufigsten bakte- riellen Infektionen bei HIV-Infizierten dar. Ent- sprechend der epidemiologischen Situation scheinen entweder M.tuberculosis oder MAI zu überwiegen. Die außerordentlich hohe HIV-In- zidenz bei Tuberkulose-Patienten Zentralafrikas wirft die Frage auf, ob AIDS lediglich eine prä- disponierende Rolle für Infektionen mit Myko- bakterien zukommt oder ob diese nicht auch den klinischen Ausbruch der HIV-Infektion begün- stigen — etwa über Transaktivierung HIV-infi- zierter Zellen.

Literatur

1. Anon: Diagnosis and management of mycobacterial infection and disease in persons with human T lymphotropic virus type III/lymphadenopathy-associated virus infection. MMWR 35 (1986) 448-451

2. Bartmann, K. (Ed.): Antituberculosis drugs. New York, Springer, 1988

3. Centers for Disease Control: Diagnosis and management of mycobacterial infection and disease in persons with human im- munodeficiency virus infection. Ann. Intern. Med. 106 (1987) 254-256

4. Du Moulin, G. C.; Stottmeier, K. D.: Waterborne mycobacte- ria: an increasing threat to health. ASM News 52 (1986) 525-529

5. Good, R. C.: Opportunistic pathogens in the genus mycobac- terium. Ann. Rev. Mikrobiol. 39 (1985) 347-69

6. Hahn, H.; Kaufmann, S. H. E.: Role of cell mediated immun- ity in bacterial infections. Rev. Inf. Dis. 3 (1981) 1221-1250 7. Schlossberg, D. (Ed.): Tuberculosis (2nd Ed.) New York,

Springer, 1988

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Stefan H. E. Kaufmann Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Immunologie der Universität Ulm Oberer Eselsberg • 7900 Ulm

Dt. Ärztebl. 85, Heft 38, 22. September 1988 (61) A-2601

Referenzen

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