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Archiv "Chronische Schäden unterschätzt" (04.03.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 9

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4. März 2011 145

M E D I Z I N

DISKUSSION

Todesfolge nicht ausgeschlossen

Die vorliegende Veröffentlichung ist ein wichtiger Beitrag zu einer „Berufssportart“, bei der es darum geht, den Geg- ner durch eine vorsätzliche Körperverletzung (Todesfolge nicht ausgeschlossen) kampfunfähig zu machen. Als Lite- raturbeitrag sei die Internationale Consensus-Stellungnah- me zu „Concussion in Sport“ aufgeführt (1). Darin werden alle wichtigen Aspekte erläutert und Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie angeführt. Diese (Gehirn-)Er- schütterung betrifft auch andere Sportarten wie zum Bei- spiel Football (American Football) mit ähnlichen Spätfol- gen bei einigen Sportlern, selten Baseball und Eishockey (Puck-Verletzungen) mit eher akuten Traumata, zum Bei- spiel Herzerschütterung. Die Analyse der Autoren wirft darüber hinaus erneut die Frage auf, inwieweit diese

„Sportart“, die leider sehr medienwirksam aufbereitet wird, noch aus medizinischer und ethischer Sicht erlaubt sein darf. Die Gladiatoren aus dem alten Rom lassen grü- ßen. Zu fragen ist schließlich, ob zur Vorsorge bei allen Boxern eine genetische Testung (ApoE4-Polymorphis- mus) empfohlen werden soll, um die besonders gefährde- ten Sportler frühzeitig aus dem „Sport“ heraus zunehmen.

DOI: 10.3238/arztebl.2011.0145a

LITERATUR

1. McCrory P, Meeuwisse W, Johnston K, Dvorak J, Aubry M, Molloy M,Can- tu, R: Consensus statement on concussion in sport. 3rd International Con- ference on concussion in sport held in Zurich, Nov. 2008. Clin. J. Sport Medicine 2009; 19: 185–200 and J Clin Neuroscience 2009; 16:

755–63.

2. Förstl H, Haass C, Hemmer B, Meyer B, Halle M: Boxing: acute complica- tions and late sequelae, from concussion to dementia. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(47): 835–9.

Prof. Dr. med. Herbert Löllgen, FACC Internistische-Kardiologische Praxis Bermesgasse 32 b, 42897 Remscheid E-Mail: Herbert.Loellgen@gmx.de Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Wann kommt es zu Dauerschäden?

Zur Rolle der Allelvariante ε4 des Apolipoproteins E (APOE) kann ergänzt werden, dass Jordan et al. (1) bereits 1997 in einer Studie an Boxsportlern ein hohes Enzephalo- pathie-Risiko bei Trägern des APOE ε4 Merkmals de- monstrierten. Später fand man auch bei Unfallopfern he-

raus, dass die Prognose der Hirnverletzungen verhältnis- mäßig ungünstig ist, wenn der APOE ε4-Genotyp vorliegt (2).

Die biologische Bedeutung von APOE schließt unter anderem den Lipidtransport in das ZNS und eine Beteili- gung an der Nervenregeneration nach Verletzungen ein.

Der Genotyp ε4 erwies sich als ungünstig für „Re- pair“-Prozesse. Bei Trägern dieses Genotyps besteht also eine mangelhafte Erholungsfähigkeit des Gehirns und da- mit eine besondere Disposition zur Boxer-Enzephalopa- thie. Allerdings wurden auch andere genetische Faktoren in diesem Zusammenhang genannt (3).

Was ergibt sich hieraus für die Praxis?

Schon heute ist ein genetisches Screening möglich, um besonders Enzephalopathie-gefährdete Personen beim Boxsport herauszufinden. Hierfür würde die Bestimmung des APOE-Genotyps ausreichen. Neuronenspezifische Enolase(NSE)- oder S100B-Verlaufskontrollen wären zu- dem denkbar. Ein solches Vorgehen impliziert allerdings ethische Fragen grundsätzlicher Art:

Dürfen Sportverbände ihre Mitglieder zu genetisch/

biochemischen Screenings zwingen?

Dürfen Athleten mit auffälligem Genotyp (und/oder auffälligem Verlauf der Destruktionsmarker NSE und S100B) vom Boxsport ausgeschlossen werden?

Gibt es speziell bezogen auf diesen Bereich ein Recht auf Nichtwissen?

Gibt es ein „Recht auf Selbstschädigung“?

Grundsätzlich wäre es an der Zeit, im Zusammenhang mit dem Boxsport über diese Fragen einmal nachzuden-

ken. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0145b

LITERATUR

1. Jordan BD, Relkin NR, Ravdin LD, et al.: Apolipoprotein E epsilon4 asso- ciated with chronic traumatic brain injury in boxing. JAMA 1997; 278:

136–40.

2. Ariza M, Pueyo R, del Matarin M, et al.: Influence of APOE polymorphism on cognitive and behavioural outcome in moderate and severe traumatic brain injury. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006; 77: 1191–3.

3. Wilson M, Montgomery H: Impact of genetic factors on outcome from brain injury. Br J Anaesthesia 2007; 99: 43–8.

4. Förstl H, Haass C, Hemmer B, Meyer B, Halle M: Boxing: acute complica- tions and late sequelae, from concussion to dementia. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(47): 835–9.

Prof. Dr. med. Hilmar Prange

Konrad-Adenauer-Straße 40, 37075 Göttingen E-Mail: hilmarprange@gmx.de und hprange@gwdg.de Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Chronische Schäden unterschätzt

„Die Übersichtsarbeit „Boxen – akute Komplikationen und Spätfolgen“ liefert wertvolle Beiträge zu den aku- ten Folgen und der Gefährdung beim Profi- wie Ama- teurboxen. Dennoch scheint sie mir die chronischen zu dem Beitrag

Boxen – akute Komplikationen und Spätfolgen:

Von der Gehirnerschütterung bis zur Demenz

von Prof. Dr. med. Hans Förstl, Prof. Dr. rer. nat. Christian Haass, Prof. Dr. med.

Bernhard Hemmer, Prof. Dr. med. Bernhard Meyer, Prof. Dr. med. Martin Halle in Heft 47/2010

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4. März 2011

M E D I Z I N

Schäden beim Profiboxen zu unterschätzen. Im Rah- men meiner Dissertation „Die Schizophrenien nach Schädel-Hirn-Trauma“ Bochum 2006 habe ich die Ar- beit von Mendez (1995) zitiert, die bei etwa der Hälfte 224 zufällig ausgewählten ehemaligen britischen Profi- boxern irgendeine Hirnschädigung fand, auf die es kli- nisch Hinweise gab, wie dass 40 % an Gleichgewichts- störungen, Dysarthrie oder einem Alkoholabusus litten.

Chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) im mittleren oder späten Stadium bestand bei 17 %. 50 bis 60 % der Berufsboxer hatten im CCT cerebrale oder ce- rebelläre Atrophien oder Ventrikelvergrößerungen, be- sonders des dritten Ventrikels. Auffallend ist ferner der im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung signifikant hö- here Anteil von Boxern mit einem Cavum septi pelluci- di (bis 23 % vs. bis 5,4 %). Cordeiro und de Oliveira (2001) bestätigen in einem Literaturreview die Befunde von Mendez (1995). DOI: 10.3238/arztebl.2011.0145c

LITERATUR

1. Mendez MF: The neuropsychiatric aspects of boxing. Int-J-Psychiatry- Med 1995; 25(3): 249–62.

2. Cordeiro Q, de Oliveira AM: Sintomas parkinsonianos, cerebelares, psicó- ticos e demenciais em ex-pugilista. Arq Neuropsiquiatr 2001; 59(2-A):

283–5

3. Lindemann W: Die Schizophrenien nach Schädel-Hirn-Trauma und deren neuropathophysiologische Mechanismen. Dissertation Ruhr-Universität- Bochum 2006 (grundsätzlich im online-Dissertationsverzeichnis der Ruhr-Universität zu finden, oder auf meiner Homepage www.wolfganglin demann.net/html/dissertation.html)

4. Förstl H, Haass C, Hemmer B, Meyer B, Halle M: Boxing: acute complica- tions and late sequelae, from concussion to dementia. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(47): 835–9.

Dr. med. Wolfgang B. Lindemann Seestraße 21c, 22607 Hamburg

E-Mail: wolfgang.lindemann@ruhr-uni-bochum.de Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Schlusswort

Herr Lindemann weist in seiner Zuschrift zu Recht darauf hin, dass wir zurückhaltende Angaben zu den gravieren- den Risiken des Boxens gemacht haben und dass in ande- ren Arbeiten durchaus über höhere Schädigungsraten be- richtet wurde. Die Reviewer des Manuskripts haben uns zu einer eher konservativen Darstellung angehalten und wir hatten uns auf die relevanten Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre beschränkt. Seit Annahme unseres Bei- trags sind einige neue Studien erschienen, die auf weitere Risiken hinweisen:

Eine Absenkung und Verzögerung des zerebralen Aufmerksamkeitspotenzials (P300) (1)

sensorische Defizite (2)

ausgedehnte funktionelle Hirnveränderungen mit ei- nem Hypometabolismus im Bereich von Parietallappen, Gyrus cinguli posterior, Frontalkortex und Cerebellum (die drei erstgenannten Strukturen sind auch bei der Alz- heimer Krankheit funktionell und neuropathologisch be- troffen) (3)

eine Erhöhung des Parkinson-Risikos mit der Zahl der Kämpfe (Studie an Thai-Boxern) (4).

Löllgen und Prange sprechen nochmals ethische Pro- bleme an, die sich aus dem Wissen um die grundsätzlich erhöhten Risiken (gezielte Hirnverletzung), um besondere Risikofaktoren ( APOE ε4 sowie die Destruktionsmarker NSE und S100B) und potenzielle Schutzmaßnahmen er- geben (wie etwa Genotypisierung, Kopfschutz, Kampf- verbot etc.). Grundsätzlich stellen sich die Fragen:

Mit welcher Berechtigung vorsätzliche Körperver- letzung von Strafe frei gestellt und als sportlich vorbild- haft präsentiert werden darf

ob öffentlich-rechtliche Sendeanstalten mit Gewalt- verherrlichenden Darbietungen ihrem Auftrag gerecht werden

ob die Kosten von Gebührenzahlern und der Solidar- gemeinschaft der Kranken- und Pflegeversicherten getra- gen werden müssen

weshalb Ärzteverbände in der Bundesrepublik zum Boxproblem bisher nicht offiziell Stellung genommen ha- ben.

Die Resonanz auf unseren Beitrag war nicht einhellig positiv. Ein früherer Box-Profi wies zum Beispiel auf die besondere Relevanz der spezifischen Komsorbidität im Profiboxen hin, die wir unberücksichtigt gelassen hatten (Alkohol- und Drogensucht, Folgen der Promiskuität;

ZDF.deSport, „Boxen macht Boxern kein Kopfweh“).

DOI: 10.3238/arztebl.2011.0146

LITERATUR

1. Di Russo F, Spinelli D: Sport is not always healthy: executive brain dys- function in professional boxers. Psychophysiology 2010; 47: 425–34.

2. Vent J, Koenig J, Hellmich M, et al.: Impact of recurrent head trauma on olfactory function in boxers: a matched pairs analysis. Brain Res 2010;

1320: 1–6.

3. Provenzano FA, Joran B, Tikofsky RS, et al.: F-18FDG-PET-imaging of chronic traumatic bain injury in boxers: a statistical parametric analysis.

Nuclear Med Comm 2010; 31: 952–7.

4. Lolekha P, Phanthumchinda K, Bhidayasari R: Prevalence and risk factors of Parkinson’s disease in retired Thai traditional boxers. Movement Disor- ders 2010; 12: 1895–901.

5. Förstl H, Haass C, Hemmer B, Meyer B, Halle M: Boxing: acute complica- tions and late sequelae, from concussion to dementia. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(47): 835–9.

Prof. Dr. rer. nat. Christian Haass*

Prof. Dr. med. Bernhard Hemmer Prof. Dr. med. Bernhard Meyer Prof. Dr. med. Martin Halle Technische Universität und

*Deutsches Zentrum Neurodegenerative Erkrankungen, München Prof. Dr. med. Hans Förstl

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Technische Universität München

Ismaningerstraße 22, 81675 München E-Mail: hans.foerstl@lrz.tu-muenchen.de

Interessenkonflikt

Prof. Förstl erhielt finanzielle Unterstützung von den Firmen Eisai, General Electric Lundbeck, Pfizer, Merz Janssen, Novartis, AstraZeneca, BMS, GSK, Lilly, Nutricia, Sanofi Aventis, Schwabe, Servier und anderen.

Prof. Haass, Prof. Hemmer, Prof. Meyer und Prof. Halle erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

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