Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
In der Bundesrepublik Deutschland werden heute bei Infektionskrank- heiten pro Jahr mehrere Millionen Packungen Sulfonamide verordnet.
Daneben enthalten viele Hustensäf- te und -tropfen Sulfonamide in Kombination mit Mukolytika und Antitussiva. Eine hohe Verschrei- bungsquote haben die Sulfonamid- Trimethoprim-Kombinationen — Handelsnamen unter anderem Bac- trim®, Eusaprim®, neuerdings auch Omsat®, Drylin®, Lidaprim®
— erreicht, und bei Harnwegsinfek- tionen werden Sulfonamid-Nitrofur- antoin-Kombinationen angewandt.
Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Betrachtung der thera- peutischen Wertigkeit von Sulfon- amiden und Sulfonamidkombinatio- nen aktuell. Die folgenden Anga- ben beziehen sich nur auf die ora- len Anwendungsformen.
Charakterisierung
der antibakteriellen Sulfonamide Sulfonamide dieser Klasse sind Derivate des Sulfonamids, das als Antimetabolit der p-Aminobenzoe- säure wirkt. Darstellung 1 zeigt schematisch die Grundlagen der antibakteriellen Wirkung aller Sul-
fonamide — Ausnahme ist das Ho- mosulfanilamid Mafenid, das be- vorzugt auf Redoxreaktionen in
Bakterien einwirkt.
Wirkungsintensität in vitro
Entsprechend diesem Wirkungsme- chanismus ist die antibakterielle Wirkung der Sulfonamidgruppe hinsichtlich Wirkungsspektrum und Wirkungstyp weitgehend uniform.
In der Wirkungsintensität lassen sich in vitro begrenzte Unterschie- de zeigen, deren therapeutische Relevanz jedoch nicht belegbar ist.
Die verschiedenen Derivate inner- halb der Sulfonamidgruppe unter- scheiden sich also weniger hin- sichtlich ihrer antibakteriellen Wir- kung als vielmehr in ihren phar- makokinetischen Eigenschaften.
Sie wirken bakteriostatisch und nur auf proliferierende Keime nach ei- ner lag-Phase von fünf bis sechs Keimgenerationen.
Tabelle 1 zeigt das antibakterielle Wirkungsspektrum. Empfindlich sind außerdem Actinomyces-Arten, Nocardien, Chlamydien (Trachom, Einschlußblennorrhoe, Lymphogra- nuloma inguinale) und Toxoplasma gondii.
Die für Antibiotika übliche und sinnvolle Angabe von minimalen Hemmkonzentrationen (MHK-Wer- ten) als Grundlage für Dosierungs- überlegungen ist bei Sulfonamiden problematisch: Sie müssen in vitro auf antagonistenfreien Nährmedi- en getestet werden. Antagonistisch wirken — neben p-Aminobenzoe- säure und Folsäure — einige Ami- nosäuren, Pyrimidine und Purine.
Diese Antagonisten sind im Ma- kroorganismus in wechselnder Konzentration vorhanden und redu- zieren die antibakterielle Aktivität der Sulfonamide. Eine quantitative Übertragung von — artefiziellen — In-vitro-Daten auf In-vivo-Verhält- nisse ist daher bei Sulfonamiden unzulässig.
Resistenzsituation
Resistenzentwicklungen primär sensibler Keime gegen Sulfonami- de erfolgen stufenweise nach dem Multiple-step-Schema. In den ana- lysierten Fällen — bei Enterokok- ken und Staphylococcus aureus — war bei resistenten Stämmen die endogene Syntheseleistung von p- Aminobenzoesäure erhöht. Andere Resistenzmechanismen sind mög- lich, unter anderem durch Übertra- gung von R-Faktoren bei Entero- bakterien.
In Tabelle 2 sind — unter Vernach- lässigung regionaler Unterschiede und als Durchschnittswerte — sul- fonamidresistente Stämme wichti- ger Keimspezies zusammenge- stellt. Besonders aufschlußreich sind diese Zahlen, wenn man sie mit Angaben zur Erregerhäufigkeit bei Meningitis, Harnwegsinfektio- nen und Atemwegsinfektionen kor- reliert (Tabelle 3).
Die Resistenzquoten zeigen deutli- che Parallelen zur regionalen Ver- ordnungshäufigkeit von Sulfonami- den: In einem urologischen Zen- trum in USA waren 1967/68 nach einer Periode breiter Anwendung von Sulfonamiden bei Harnwegsin- fektionen nur noch 2 Prozent der Escherichia-coli- und 4,5 Prozent der Klebsiella-Spezies sulfonamid-
Wirkungen, Nebenwirkungen und Indikationen der Sulfonamide
Hinrich Otten und Manfred Plempel
Die Sulfonamidgruppe ist heute in der Breite ihrer therapeutischen Anwendung bei Infektionen und Infektionskrankheiten stark einge- schränkt. Als Ursachen sind — von der Anwendungshäufigkeit ab- hängige — Resistenzentwicklungen der Keime und — bei gleichen Indikationsgebieten — wirkungsintensivere Antibiotika zu betrach- ten. Die breite und nur selten bakteriologisch kontrollierte Anwen- dung der Kombination Sulfamethoxazol/Trimethoprim sehen wir — trotz ihrer den Sulfonamiden überlegenen Wirkung — nicht ganz ohne Bedenken.
Definitionen und Erklärungen
von mikrobiologischen Fachausdrücken im Text
O MHK-Wert und minimale Hemmkonzentration
Die kleinste Konzentration ei- nes Wirkstoffes, ausgedrückt in mcg/ml Substrat, die eine völlige Hemmung der Keim- vermehrung herbeiführt.
O lag-Phase
Allgemein: Die Zeit, die ver- geht, bis eine bestimmte, zu erwartende Keimreaktion eintritt.
In diesem speziellen Fall: Die Zeit, die vergeht, bis nach der Zugabe eines Wirkstoffes zu einer Bakterienkultur die spezifische Hemmung der Keimvermehrung eintritt.
O Multiple-step-Schema der Resistenzentwicklung
Die mutative Resistenzent- wicklung primär empfindli- cher Keime gegen einen Wirkstoff erfolgt langsam und stufenweise innerhalb von etwa 10 bis 20 Keimgenera- tionen.
• Resistenz durch R-Fakto- ren
Übertragung von Resistenzei- genschaften von einem Bak- terium auf andere sowohl in- nerhalb einer Spezies als auch zwischen verschiede- nen Keimspezies. Häufig bei Staphylokokken (Plasmide) und in derGruppe der Entero- bakterien (Escherichia coli, Pseudomonas, Klebsiella,
Enterobacter).
Die übertragbaren Resistenz- eigenschaften sind in selb-
ständigen Partikeln geneti- schen Materials — den R- Faktoren und Plasmiden — gespeichert, die sich in den Zellen autonom vermehren können. Durch R-Faktoren entsteht die „infektiöse" Resi- stenz, bei der sensible Keime durch Resistenzfaktoren aus anderen Keimen „infiziert"
und resistent werden.
O Synergismus
Die antibakterielle Wirkung einer Kombination zweier Wirkstoffe ist signifikant hö- her als die Addition der Wir- kungen beider Wirkstoffe al- lein.
O Sequentialwirkung
Ein für die Kombination von Sulfonamiden mit TMP neu- eingeführter — inzwischen auch bei anderen Wirkstoff- kombinationen angewandter
— Begriff, der die unmit- telbar aufeinanderfolgende Einwirkung von zwei Wirk- stoffen auf eine und die glei- che Stoffwechsel-Reaktions- kette umschreibt.
Für den SM/TMP-Wirkungs- mechanismus (Abbildung 1) bedeutet dies, daß das Sul- fonamid durch Interferenz mit der strukturanalogen p-Ami- nobenzoesäure einen Teil der zelleigenen Folsäuresyn- these hemmt, das Trimetho- prim — im nächsten Reak- tionsschritt — die Bildung von Tetrahydrofolsäure aus der noch gebildeten Folsäure blockiert. Durch Sequential- wirkungen ist eine fast voll- ständige Hemmung komple- xer Reaktionsketten möglich.
empfindlich. Die drastische Redu- zierung der Sulfonamidverordnung bis zum Jahr 1972/73 ließ die Emp- findlichkeitsanteile bei Escherichia coli wieder auf 36,5 Prozent und bei Klebsiella auf 85 Prozent an- steigen (3).
Keine wesentlichen Empfindlich- keitsreduzierungen sind bisher bei Actinomyceten, Nocardien, Chla- mydien und Toxoplasma gondii eingetreten.
Innerhalb der Sulfonamidgruppe besteht komplette Parallelresistenz mit Ausnahme des Homosulfon- amids Mafenid.
Pharmakokinetische Eigenschaften Sulfonamide werden nach oraler Gabe — mit Ausnahme der schwer resorbierbaren Spezialpräparate — rasch und zu > 90 Prozent der Do- sis aus Magen und Duodenum re- sorbiert. Maximale Serumkonzen- trationen werden zwei bis vier Stunden nach Gabe erreicht. Sie liegen bei üblicher Dosierung zwi- schen 40 und 200 — im Mittel bei 100 — mcg/ml. Tabelle 4 zeigt die Einteilung der Sulfonamide und ihre übliche Dosierung nach ihrem Eliminationsverhalten.
Bei dem geringen Dosierungsspiel- raum der Sulfonamide ist ihre Ge- webegängigkeit nicht optimal — der Verteilungsquotient Gewebe/
Serum liegt zwischen 0,2 (relativ niedrige Gewebekonzentration) und 0,8 (relativ hohe Gewebekon- zentration); Iiquorgängige Sulfon- amide haben einen Verteilungs- quotienten Liquor/Serum von > 0,2 bis 0,5. Die Gewebegängigkeit wird weiter eingeschränkt durch Meta- bolisierungsvorgänge in der Le- ber, die z. B. zu Acetylderivaten und Glucuroniden führen.
Mikrobiologisch aktiv ist nur der jeweilige nicht metabolisierte und nicht eiweißgebundene Anteil der Sulfonamide in Gewebe und Kör- perflüssigkeiten. Bei Metabolisie- rungsquoten im Blut von durch- schnittlich 10 bis 20 Prozent und
Tabelle 1: Wirkungsspektrum der Sulfonamide
Keimspezies Charakterisierung
Pneumokokken
Streptokokken — mit Ausnahme der Enterokokken —
Neisserien
Haemophilus influenzae Escherichia coli
Shigellen Staphylokokken Clostridien Corynebakterien Enterokokken
Bacterium-proteus-Spezies Klebsiellen
Aerobacter
Pseudomonas aeruginosa Pasteurellen
Salmonellen Spirochäten Rickettsien Mykobakterien
Pilze — mit Ausnahme einiger Blastomyces-Spezies
Viren
Primär sensibel, meist von der exogenen Zufuhr von p-Amino- benzoesäure abhängig
mäßig sensibel in verschiede- nen Graden bis zum Grenzbe- reich der Empfindlichkeit, meist zur endogenen p-Aminobenzoe- säure-Synthese befähigt
Primär resistent, meist auf die exogene Zufuhr von Folsäure angewiesen
Tabelle 2: Orientierende Angaben zur Sulfonamidresistenz wichtiger Keimspezies
Keimspezies Anzahl resistenter Stämme in 90
Pneumokokken < 10
Streptokokken < 10
Staphylokokken 10-25
Enterokokken > 50
Neisserien > 50
Haemophilus influenzae < 10
Escherichia coli > 50
Pseudomonas aeruginosa > 50
Bacterium-proteus-Spezies 10-25
Klebsiellen 10-25
Enterobacter 10-25
Aktuelle Medizin Sulfonamid-Therapie
Serumeiweißbindungen von 40 bis 60 Prozent (Grenzwerte 7 bis 99 Prozent) ergibt sich, daß bei Par- enchyminfektionen nur in der Gruppe der sensiblen Keime (Ta- bellen 1 und 2) eine ausreichende therapeutische Wirkung möglich ist. Bei akuten, unkomplizierten Harnwegsinfektionen — zum Bei- spiel Zystitiden — kann noch der Anteil an freiem Sulfonamid im Harn therapeutisch kalkuliert wer- den. Er beträgt — innerhalb 24 Stunden — bei Langzeitpräpara- ten ca. 10 Prozent, bei Mittelzeit- präparaten etwa 20 Prozent und bei Kurzzeitsulfonamiden > 35 Pro- zent der Dosis. Das Indikationsge- biet der Kurzzeitsulfonamide ist damit weitgehend auf akute Harn- wegsinfektionen festgelegt.
Nebenwirkungen der Sulfonamide Die Gesamt-Nebenwirkungsquote bei der Anwendung von Sulfonami- den beträgt etwa 5 Prozent (Grenz- werte 1 bis 15 Prozent) in einem durchschnittlichen Patientengut.
Der größere Teil davon sind aller- gische Reaktionen mit Hautverän- derungen, vorwiegend Exanthe- men, Fieber, Schüttelfrost, Blutbild- veränderungen und Photosensibili- sierung. Schwere Reaktionen — zum Beispiel exfoliative Dermato- sen — sind sehr selten.
Parallelallergien zu Antidiabetika, Diuretika und Blutdrucksenkern auf Sulfonamidbasis sind möglich und sollten in der Anamnese besonders beachtet werden.
Die nicht allergischen Nebenwir- kungen sind meist leicht und zwin- gen nur selten zum Therapieab- bruch. Sulfonamidbedingte Nieren- und Leberschäden sind — wenn die Kontraindikationen Ausscheidungs- störung und Leberparenchymschä- digung beachtet werden — ebenso selten wie Hämatopathien. Auf eine ausreichende Diurese — zum Bei- spiel durch genügend Flüssigkeits- zufuhr — sollte während der Be- handlung geachtet werden, speziell bei Anwendung von Kurz- und Mit- telzeitsulfonamiden.
traktes in 0/0 Enterobacter
Enterokokken Escherichia coli Haemophilus influenzae Klebsiellen Meningokokken Pneumokokken Bacterium- proteus-Spezies
Pseudomonas aeruginosa Staphylokokken Streptokokken
<1
<1
4 (1,5-6)*) 20 (1-27
[— 70])
<1 33 (5-37) 18 (8-45) 0,9-1,3
3-4,5 4 (3-18)
5 ( 2-15) 16 ( 4-21) 48 (25-72)
2 (< 1-20)
13 (4-28)
8 (3-31) 3 (< 1-15)
<1
14 ( 3-26) 4 ( 1-17) 27 (15-39) 2 ( 1-7 ) 28 (15-42) 2 ( 1-6 ) 2 ( 1-7 ) 14 (10-23) 1,5 (< 1-6) 0,9-1,3 6 (1-14)
*) bei der Neugeborenen-Meningitis bis zu 90 Prozent
Tabelle 4: Ordnung und Dosierung von Sulfonamiden nach Halbwertzeiten
Sulfonamid- Halbwertzeit Dosierungsrichtgrößen
gruppe (in Stunden) für Erwachsene
im Blut der Aus- Tages- Dosie- Erhaltungs- scheidung dosis runge- dosis
im Urin in g Intervall in g in Std.
Kurzzeit- sulfonamide Mittelzeit- sulfonamide Langzeit- sulfonamide Ultralangzeit- sulfonamide
weniger weniger 4 (— 6) etwa 6 (3—) 4
als 8 als 16 pro Tag
8— 16 16-24 2 (— 3) (8—) 12 1-2 pro Tag 24— 48 48-72 1 (— 1,5) 24 0,5 (— 1) pro Tag 72-144 mehr als 2 initial 168 1-1,5 (— 2)
120 pro Woche
Tabelle 5: Wirkungsspektrum und Wirkungsintensität von Trimethoprim
Keimspezies Orientierende MHK-Werte in
mcg/ml Substrat Pneumokokken
Streptokokken Enterokokken Staphylokokken
Haemophilus influenzae Escherichia coli
Klebsiellen
Bacterium-proteus-Spezies Salmonellen
Shigellen
0,1-4
0,5-8
Heutige Sulfonamid-Indikationen Wenn wir trotz dieser günstigen Nebenwirkungssituation die heuti- gen Sulfonamidindikationen sehr kritisch stellen, so deshalb, weil diese Wirkstoffklasse durch die fortschreitende Entwicklung neuer Antibiotikaderivate mit höherer Wirkungsintensität, geringerer Re- sistenzquote, günstigeren pharma- kokinetischen Eigenschaften und ebenso niedrigen Nebenwirkungs- quoten therapeutisch einge- schränkt ist.
Sulfonamide können mit gutem Therapieeffekt angewandt werden bei
Aktinomykose und Nokardiose
• Ulcus molle, Trachom und Ein- schlußkonjunktivitis
• akuten, unkomplizierten Zystiti- den — soweit die Erreger sensibel sind.
Diese dritte Indikation ist fakultativ
— wir würden eine gezielte Anti- biotikatherapie vorziehen.
Resistenzsituation
und bakterielle Empfindlichkeit Bei allen anderen bakteriellen In- fektionen einschließlich des Respi- rations- und Urogenitaltraktes soll- te eine Sulfonamidtherapie Son- derfällen vorbehalten bleiben, zu- mindest sollte sie, entsprechend der Resistenzsituation, nach bakte- riologischen Empfindlichkeitsbe- stimmungen erfolgen. Ein solcher Sonderfall kann die Rheumapro- phylaxe sein oder die gezielte und kontrollierte Langzeitbehandlung einer chronischen Harnwegsinfek- tion mit nachgewiesenem, sicher sulfonamidempfindlichen Erreger, oder auch die langfristige Suppres- sionsbehandlung bei chronischen Bronchitikern. Eine regelmäßige Resistenzprüfung vorhandener Kei- me ist in diesen Fällen besonders notwendig.
Alternativ sollte auch in diesen Fäl- len eine Antibiotikatherapie in Be- tracht gezogen werden.
SO2NH-R
+ Pteridin + Glutaminsäure
+ Enzym Folsäuresynthetase
Sulfanilamid
Kompetitiver Antagonist der p-Aminobenzoesäure Hemmung der
Folsäure-Bildung Stoffwechselstillstand Bakteriostase
H N r-1110.-
Darstellung 1: Wirkungsmechanismus von Sulfonamiden und Trimethoprim
Purinbasen
.** ig Pyrimidinbasen
DNS RNS Tetrahydrofolsäu re
rF
+ Enzym- olsäu rered u ktase FolsäureTrimethoprim
Blockierung der Folsäurereduktase Hemmung der
Tetrahyd rofolsäu re-Bildung Stoffwechselstillstand Bakteriostase mit Aus- hungerungstod durch Thymidinmangel
OCH3 OCH3 OCH3 NH2
H N CH2
Proteinbildung Bakterien-Wachstum
und Vermehrung Aktuelle Medizin Sulfonamid-Therapie
... überraschend erfolgreich Die häufig geübte Sulfonamidpro- phylaxe bei grippalen Infekten hal- ten wir für unnötig und eher schäd- lich — auch aus epidemiologi- schen Gründen. So bleibt für die Sulfonamide nur noch ein relativ schmales Reservat in der Therapie von Infektionen. In diesem können sie jedoch — auch heute noch — erfolgreich angewandt werden.
Die Sulfonamid-Trimethoprim- Kombination (SM/TMP)
Trimethoprim (TMP), ein Pyrimidin- derivat, steht als Chemotherapeuti- kum nur in Kombination mit Mittel-
zeitsulfonamiden, zum Beispiel Sulfamethoxazol (SMZ, Gantanol®) zur Verfügung. Ihren antibakteriel- len und einigen pharmakokineti- schen Eigenschaften entsprechend sind beide Wirkstoffe im Verhältnis 1:5 (TMP:SMZ) in den Zuberei- tungsformen kombiniert.
Das antibakterielle Wirkungsspek- trum von TMP ist in Tabelle 5 dar- gestellt. Häufig resistent sind Neis- serien, Clostridien, Haemophilus pertussis, meist Bacteroides, Pseu- domonas-Spezies und Spirochä- ten, ebenso Mykobakterien, Pilze
und Viren.
Der Wirkungsmechanismus von TMP ist in Abbildung 1 dargestellt
und besteht in der Hemmung der Reduktion von Folsäure zu Di- be- ziehungsweise Tetrahydrofolsäure.
Er greift damit etwas später in den gleichen Syntheseprozeß ein wie die Sulfonamide.
In der Kombination mit Sulfameth- oxazol ergeben die Wirkungsme- chanismen beider Wirkstoffe in vi- tro und bei den Keimen, die gegen beide Präparate empfindlich sind, synergistische Sequentialeffekte, die bei einigen Keimspezies bis zur Bakterizidie führen können. Diese Steigerung der keimspezifischen Wirkungsintensitäten ist jedoch — auch innerhalb einer Bakterienspe- zies — von wechselnder Größe
und abhängig von dem — in vitro DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 45 vom 4. November 1976 2871
Tabelle 7: Häufigkeit von Nebenwirkungen bei SMZ/TMP-Therapie in Prozent der Behandlungsfälle
Hautreaktionen Thrombozyto- Leukopenie Intestinal-
penie störungen
Grenzwerte
0,8-13,3 1,3-11,4 2,5-12,9 0,6-17
Mittelwerte
2,5 4,4 5,4 6,1
Tabelle 6: Anzahl resistenter Stämme wichtiger Keime gegenüber SMZ/TMP
Keimspezies Resistenzanteil in 90
Staphylococcus aureus < 10
Streptokokken 10-25
Enterokokken > 50
Bacterium-proteus-Spezies 15-35
Escherichia coli < 10
Neisseria gonorrhoeae 30
Klebsiellen 25
Haemophilus influenzae 25
Enterobacter 25
Salmonellen 1-2
Tabelle 8: Erfolgschancen einer SMZ/TMP-Therapie
Therapieerfolge in Vo Akute Harnwegs-
infektionen
Chronische Harnwegs- infektionen
Chronische Harnwegs- infektionen mit Obstruktionen Bronchitis akut und akute Schübe chronischer Prozesse
70—> 95%
60— 80%
50%
55— 95 0/0
und in vivo am Orte des Infektes gegebenen — Konzentrationsver- hältnis beider Wirkstoffe, das bei 20:1 Sulfamethoxazol:Trimethoprim optimal ist. Pharmakokinetische oder infektbedingte Verschiebun- gen dieses Konzentrationsverhält- nisses können Wirkungsreduzie- rungen bedingen.
In Tabelle 6 sind orientierende Da- ten zur Häufigkeit von Resistenzen gegenüber der SMZ/TMP-Kombina- tion bei wichtigen Keimspezies an- gegeben.
Die pharmakokinetischen Eigen- schaften der Kombinationspartner (TMP:SMZ) hinsichtlich intestinaler Resorption (> 90 Prozent), Serum- halbwertzeit (— 10:11 Stunden), Serumbindung (65:50 Prozent) und Serumkonzentration (2-3 : 40-60 mcg/ml) sind gut aufeinander ab- gestimmt. Keine optimalen und teil- weise problematische Verhältnisse
— besonders hinsichtlich der anti- bakteriellen Sequentialwirkung — ergeben sich durch die unter- schiedliche Gewebeverteilung bei- der Wirkstoffe: Der SMZ-Vertei- lungsquotient Gewebe — Serum liegt bei 0,2, der des TMP bei 0,7- 1, wobei in Lungengewebe und Knochen Speichereffekte auftreten können.
Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und Creatinin-Clea- rance-Werten < 30 ml/min sind für TMP Dosisanpassungen notwendig, die in der fixen Kombination auch das SMZ betreffen und die Gewe-
be- und Serumkonzentrationsver- hältnisse von SMZ:TMP nachhaltig verändern können.
In Tabelle 7 sind Art und Häufigkeit der unter SMZ/TMP-Therapie auf- tretenden Nebenwirkungen zusam- mengestellt.
Störungen durch Folsäuremangel Regelmäßige Blutbildkontrollen un- ter längerfristiger und wiederholter Therapie sind angezeigt. Selten mögliche Störungen durch Folsäu- remangel sind durch Folinsäurebe-
2874 Heft 45 vom 4. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle Medizin
handlung auszugleichen. Bei auf- tretenden Hautausschlägen oder sonstigen Zeichen von Überemp- findlichkeitsreaktionen ist die Me- dikation unverzüglich abzusetzen.
Eine gleichzeitige oder alternieren- de Behandlung mit Hexamethylen- Tetramin-haltigen Präparaten oder Tees sollte vermieden werden.
Die Indikationsschwerpunkte der SMZ/TMP-Kombination lassen sich nach der umfangreichen klinischen Literatur auf Harnwegs- und Atem- wegsinfektionen fixieren, wobei die Kombination in den USA zur Zeit nur für Harnwegsinfektionen zugelassen ist.
In Tabelle 8 sind die Erfolgschan- cen bei diesen Infektionen unter kontrollierten Bedingungen zusam- mengestellt. Unter allgemeinen Praxisbedingungen — bei meist nur vermuteter Erregerspezies und unbekannter Erregerempfindlich- keit gegen SMZ und TMP — sind die Erfolgszahlen ungünstiger.
Die SMZ/TMP-Kombination kann zur Zeit — neben bewährten Anti- biotika vor allem aus der ß-Lac- tamring-Gruppe — als ein Mittel der ersten Wahl gewertet werden bei
• Zystitis
• Pyelonephritis — solange eine parenterale Therapie nicht notwen- dig ist
• akuter und chronischer Bronchitis
• Prostatitis.
Keine therapeutisch ausreichende Wirkung — auch bei diesen Indika- tionen — ist zu erwarten bei Infek- tionen durch Pseudomonas aerugi- nosa und Enterokokken sowie — aufgrund sekundärer Resistenzent- wicklungen — auch bei einem Teil der hämolysierenden Streptokok- ken. Empfindlichkeitstestungen sind — besonders bei längerfristi- ger Behandlung — empfehlenswert und bei der Suppressionstherapie chronischer Atem- und Harnwegs- infektionen notwendig. Die bei un- kontrollierter Anwendung beste- hende Gefahr zunehmender Resi-
Sulfonamid-Therapie
stenzbildung geht aus der Angabe hervor, daß bei Bronchitikern ge- fundene Haemophilus-influenzae- Stämme nach mehrfacher Anwen- dung der SMZ/TMP-Kombination zu > 80 Prozent resistent waren. — Die Anwendung fixer Kombinatio- nen von Wirkstoffen aus verschie- denen chemischen Gruppen mit unterschiedlichen pharmakokineti- schen Eigenschaften — besonders bei Organfunktionsstörungen — ist problematischer als eine geziel- te Monotherapie. Dies sollte auch dann nicht übersehen werden, wenn günstige In-vitro-Daten und befriedigende therapeutische Wir- kungen in einzelnen Indikationsge- bieten vorliegen.
Literatur beim Verfasser
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Hinrich Otten Claudiusweg 10 5600 Wuppertal-1 Dr. Manfred Plempel Pahlkestraße 5 5600 Wuppertal-1
—ECHO
Zu: „Akupunktur zur Schmerz- therapie" von Prof. Dr. Dr. med.
Horst F. Herget in Heft 38/1976, Seite 2373 ff.
Akupunktur-Behandlung
„Bei der Schmerzbehandlung mit Nadeln der Akupunktur sind an der Universitätsklinik Gießen bei mehr als der Hälf- te von 148 Patienten positive Ergebnisse erzielt worden.
Wie der Mediziner Professor Herget in der jüngsten Aus- gabe des DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATTES über diesen ein- jährigen Versuch berichtet, wurden die Patienten beson- ders ausgewählt: Nur be- stimmte Erkrankungen wur- den nach genauer Vordia- gnostik behandelt, und die bisherige Therapie mußte er- folglos geblieben sein ..."
(Ludwigsburger Kreiszeitung)
IN KÜRZE
Diagnostik
Störungen im pharyngo-oro-fazia- len Bereich sind bei zerebral be- wegungsgestörten Kindern auch dann noch ein Problem, wenn die- se unter intensiver Physiotherapie eine weitgehend normale Grob- motorik erworben haben. Bei bis- her neun Kindern mit mittelschwe- ren bis leichteren Formen von Athetosen und Ataxien wurden nun an der Kinderklinik Innsbruck Ap- parate erfolgreich angewendet, die schmerzlos und ohne Eigenspan- nung lose im Mund liegen und wie eine Schaukel weitgehend physio- logische muskuläre Impulse über- tragen. Der „Aktivator" besteht aus einem Zungenschild, der zwischen Zunge und den lingualen Flächen der Schneidezähne liegt, und vesti- bulären Pelotten, die den Mundvor- hof zwischen Lippen und Vorder- flächen der Schneidezähne weitge- hend ausfüllen. he (Haberfellner, H., Bossiwall, B.:
Münch. med. Wschr. 118 [1976], 879-882)
Bei der akuten Hirnkreislaufstö- rung sprechen keine Symptome mit Sicherheit für eine intrazerebrale Blutung oder eine zerebrale Isch- ämie. Die Symptomatik der intraze- rebralen Blutung ist in 70 Prozent der Fälle durch dramatische Ini- tialerscheinungen gekennzeichnet, die der zerebralen Mangeldurch- blutung bei 20 Prozent der Patien- ten im akuten Stadium, insbeson- dere bei einem Teil der Patien- ten mit einer akuten Thrombose der Aorta carotis interna und des Hauptstamms der Aorta cerebri media. Prodromalerscheinungen in Form von flüchtigen Paresen, Sen- sibilitätsstörungen, Sprachstörun- gen oder sonstige flüchtige neuro- logische Ausfallserscheinungen sind bei Patienten mit intrazerebra- ler Blutung in der Vorgeschichte meist unbekannt. Bei zerebraler Mangeldurchblutung werden sie im Krankengut einer Neurologischen Klinik bei 40 Prozent gefunden. he (Herrschaft, H.: Internist 17 [1976], 16-31)