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Archiv "Wirkungen und Indikationen von Placebo" (06.03.1975)

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Den meisten Menschen ist es ein tiefes Bedürfnis, bei gestörtem Wohlbefinden aktiv etwas gegen diese Störung zu unternehmen. Je nach Schwere des Falles werden Arzt oder Apotheker zu Rate gezo- gen. In weitaus den meisten Fällen wird die dann eingeschlagene The- rapie zur Wiederherstellung der Gesundheit führen. (Von chirurgi- schen Maßnahmen wird hier nicht gesprochen.) Alle Beteiligten sind zufrieden und freuen sich, daß die verordnete Behandlung geholfen hat. Bei kritischer Einstellung müs- sen wir fragen:

• Hat die Behandlung geholfen?

• Wäre die Krankheit auch ohne die Therapie vorübergegangen?

Ist ersteres der Fall, wäre zu fra- gen, ob eine in dem äußerlich oder innerlich applizierten Mittel enthal- tene bestimmte Substanz (Pharma- kon) die Wiederherstellung der normalen Funktionen bewirkt hat oder allein die Tatsache der Be- handlung wichtig, vielleicht ent- scheidend war.

Weil die Umstände leicht über- schaubar sind, mag als Beispiel die viel geübte Therapie einer Kon- tusion kritisch betrachtet werden:

In einer einschlägigen Anzeige in einer medizinischen Wochenzeit- schrift sind folgende Indikationen angegeben: Prellungen, Verstau- chungen, Verrenkungen, Zerrun- gen, Sport-, Haushalts-, Unfallver- letzungen, Hämatome, Schwellun- gen, Bewegungsschmerzen, rheu-

matische Beschwerden, Nerven- schmerzen. Die zahlreichen gleich- artigen Präparate werden als Gel oder Salbe abgegeben und enthal- ten häufig Heparin oder ein Hepari- noid, zumal sie auch gern bei Vari- zen und Thrombophlebitis empfoh- len werden. Fazit: Trotz der enor- men Umsätze dieser Präparate ist nicht mit einer pharmakologischen Wirkung des Heparins zu rechnen:

Heparin ist nämlich nicht imstande, unzerstört die Haut zu durchdrin- gen.

Dies ist ein Musterbeispiel für eine externe Placebotherapie, also eine Therapie mit einem pharmakolo- gisch unwirksamen Medikament.

Dabei wird das Placebo meistens durch angenehm empfundene (zum Beispiel Menthol) oder hyperämi- sierende Zusätze angereichert.

So wird der Heilungsvorgang nicht beschleunigt, aber der Patient hat das Gefühl, daß etwas dafür getan worden ist.

Im soeben angenommenen Falle einer Prellung könnte man kühlen- de Umschläge machen. Nachdem die früher so beliebte essigsaure Tonerde endlich aufgegeben wur- de, könnte man zunächst einfach Wasser empfehlen. Aber Wasser zu nehmen wäre für das Ansehen des Arztes gewiß nicht günstig. Er soll- te dafür wenigstens den angenehm duftenden Kamillentee empfehlen:

Kamillen haben zwar keine entzün- dungswidrige Wirkung, aber sie stehen allgemein im Ruf, sie zu be- sitzen.

Placebo wird ein Scheinme dikament genannt, das aus einer pharmakologisch un- wirksamen Substanz besteht.

Trotzdem lassen sich mit ihm teilweise starke Wirkungen erzielen, die ihre Grundlage in der psychischen Einstel- lung der behandelten Person haben; es handelt sich dabei um Suggestivwirkungen. Pla- cebo läßt sich für die Prü- fung von pharmakologisch wirksamen Arzneimitteln als Kontrolle verwenden, um un- spezifische Wirkungen aus- zuschalten. Placebo läßt sich ferner als Therapeutikum ein- setzen. Dabei kommt es sehr auf die Umstände an, unter denen es gegeben wird. Oft ist es besser, „unreine Place- bos" zu verordnen, denen et- was vom Zauber der Arznei anhaftet.

Also handelt es sich auch hier um eine Therapie mit einem Placebo.

An diesem einfachen Beispiel soll- te ein Problem gezeigt werden, das für jede ärztliche Therapie von gro- ßer Bedeutung ist.

Viele erfahrene Ärzte haben gewiß schon immer Maßnahmen getrof- fen, die ein kritischer Betrachter als suggestiv bezeichnen würde.

Erst in den letzten Jahrzehnten wurde der Versuch unternommen, eine derartige Therapie auf ihren wissenschaftlichen Gehalt zu un- tersuchen. Es war die Zeit, als man begann, die spezifisch pharmako- logische Wirkung von Arzneimitteln zu prüfen.

Einfacher Blindversuch

Paul Martini war der erste Kliniker, der systematisch damit begann, ei- nem Teil der Patienten Placebos zu geben. Dabei wußte der Arzt, wann welcher Patient ein Placebo be- kam; der Patient wußte davon nichts: „Einfacher Blindversuch". tD

Wirkungen und Indikationen von Placebo

Gustav Kuschinsky

Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Mainz

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 10 vom 6. März 1975 663

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Aktuelle Medizin

Placebo

Bei diesem Vorgehen zeigte sich bald, daß die Persönlichkeit des Arztes für den Erfolg der Therapie sehr bedeutungsvoll war. Deshalb wurde schon von Martini vorge- schlagen, Placebo-Patienten ein- mal mit positiver, ein anderes Mal mit negativer Suggestion zu behan- deln. Dabei wurde schon deutlich, was später wiederholt bei systema- tischen Untersuchungen bemerkt wurde:

• Die Persönlichkeit des Arztes beeinflußt die Placebowirkung!

Ein kontaktfreudiger Arzt, der Opti- mismus ausstrahlt, erzeugt viel bessere Placebo-Effekte als ein kontaktarmer, Pessimismus zeigen- der Kollege.

Doppelte Blindversuche

Damit die Wirkung des Medika- ments auf den Patienten nicht durch den Arzt oder das Pflegeper- sonal beeinflußt wird, wurde der doppelte Blindversuch gewählt.

Dabei wird von einer Vertrauens- person Pharmakon und Placebo in verschlüsselter Form dem Arzt in die Hand gegeben; er weiß nicht, welche von den in alternie- render Behandlung eingesetzten Chargen das Pharmakon enthalten.

Aufklärungspflicht

Soll eine Arzneiprüfung vorgenom- men werden, ist der Patient vom Arzt darüber aufzuklären und muß ihr zustimmen. Dies ist im Falle ei- ner bisher überhaupt zweifelhaften Wirkung eines Medikaments jeder- zeit im Vergleich mit Placebo mög- lich. Schwer erkrankte Patienten dürfen keine Placebos erhalten.

Muß bei einer schweren Krankheit, etwa bei Herzinsuffizienz oder Pneumonie, eine hochwirksame Substanz eingesetzt werden, ist selbstverständlich ein Vergleich mit Placebo nicht erlaubt. In sol- chen Fällen muß bereits durch vor- liegende Daten sehr wahrschein- lich sein, daß das neue Präparat

nicht schlechter, möglichst sogar besser ist als das herangezogene Vergleichspräparat, wie etwa Digo- xin oder Penicillin. Diese Ein- schränkung der „Placebo-Indika- tion" gilt aber nur für die Situatio- nen, in denen spezifisch wirksame Mittel bereits vorhanden sind, die den Zustand des Kranken entschei- dend bessern können. Andererseits kommt es vor, daß auch schwere Krankheitssymptome, die sich im vegetativen System abspielen, be- sonders Schmerzen, auf Placebo gut ansprechen. Dabei zeigt sich, daß die Reaktion auf Placebo stark von der Persönlichkeit des Patien- ten beeinflußt wird und daß sei- ne allgemeine Hilfsbedürftigkeit (Streß) die Reaktionsfähigkeit ver- bessert.

Die Persönlichkeit des Patienten als „Placebo-Reaktor"

Nicht alle Menschen reagieren auf Placebo. In zahlreichen Untersu- chungen wurde geprüft, welche Gruppen von Personen besonders gut auf Placebo reagieren. Dabei zeigte sich, daß Alter, Geschlecht und Intelligenz keine Rolle spielen.

Außerdem kann die Reaktionsfä- higkeit auf Placebo bei demselben Menschen von Periode zu Periode wechseln. Auch kann jemand bei Kopfschmerzen auf Placebo an- sprechen, bei rheumatischen Schmerzen aber nicht und umge- kehrt.

Man hat auch versucht, die Place- bo-Reaktoren mit psychotechni- schen Methoden zu charakterisie- ren: Dabei wurde Kontaktfähigkeit, gutes Anpassungsvermögen und Begeisterungsfähigkeit festgestellt.

In den USA befanden sich in dieser Gruppe auch mehr „Kirchgänger".

Bei den „Nichtreaktoren" über- wogen feindselige, aggressive Hal- tung gegenüber der Umwelt und Abneigung gegen autoritative Per- sonen.

Leider läßt sich diese Einteilung in der Praxis nicht immer aufrechter- halten, zumal die Placebo-Reak- tionsfähigkeit wechselt. Sie hängt

nicht nur von der Person des Arz- tes, sondern auch von der Umge- bung ab. So ist ein im Kranken- haus verabreichtes Placebo even- tuell wirksamer als das zu Hause eingenommene.

In diesem Zusammenhang ist fol- gende Krankengeschichte bemer- kenswert: Ein Patient litt seit 27 Jahren an Asthma. Deshalb schien er prädestiniert zur Erprobung neu- er Anti-Asthma-Mittel. Nach Ein- nahme eines neu eingeführten Mit- tels hatte er keine Anfälle mehr.

Der behandelnde Arzt ersetzte die- ses neue Pharmakon durch ein Placebo. Die Anfälle traten wieder auf und verschwanden erst wieder nach Ersatz des Placebos durch das neue Mittel. Dieser Wechsel wurde mehrmals mit demselben Ergebnis erprobt. Bei einer erneuten Beliefe- rung teilte die Herstellerfirma dem Arzt mit, sie habe zunächst nur ein Placebo geliefert, um eine Kontrol- le für das neue Anti-Asthma-Mittel zu bekommen! Hier unterschied sich eindeutig das Placebo des Arztes von dem der Firma.

Einfluß der subjektiv

empfundenen Hilfsbedürftigkeit Die Reaktionsfähigkeit auf Placebo ist um so größer, je mehr Hilfe der Kranke erwartet. Bei schweren Schmerzen, etwa nach Operatio- nen, wirkt eine Injektion von phy- siologischer Kochsalzlösung in halb so vielen Fällen schmerzstil- lend wie Morphin; aber mit Fort- schreiten der Heilung nimmt diese Placebowirkung ab.

Besonders bei den immer häufiger werdenden Angstzuständen, bei denen oft „Anxiolytika" gegeben werden, hat sich die besonders gute Wirkung von Placebo gezeigt. Hier handelt es sich um subjektiv stark empfundene Hilfsbedürftigkeit.

Pharmakologische Wirkungen von Placebo

Es ist unmöglich, einen allgemein- gültigen Prozentsatz von positiven

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Placebo-Reaktionen anzugeben.

Diese Zahl ist wesentlich von der Art der Krankheit abhängig. Mit dem Vorbehalt, daß es sich nur um sehr ungefähre Angaben handeln kann, sollen die folgenden, aus zahlreichen Versuchsreihen ge- wonnenen Zahlen aufgeführt wer- den.

Hypnotische Wirkung: Außer der bereits genannten sehr günstigen

„anxiolytischen" Wirkung von Pla- cebo ist besonders seine gute hyp- notische Wirkung zu nennen. Dabei ist allerdings die Aufmachung des Medikaments von Bedeutung. So war Placebo als Tabletten in 49 Prozent, als „Schlaftrunk" in 71 Prozent, als Schlafkapseln in schil- lernden Farben in 81 Prozent er- folgreich. Die Unterschiede konn- ten statistisch gesichert werden.

Angina pectoris: Die von den ver- schiedenen Untersuchern erzielten Ergebnisse schwankten zwischen 20 und 60 Prozent.

Kopfschmerzen: Sie wurden in 50 bis 70 Prozent gebessert.

Migräneanfälle: Sie konnten in etwa 33 Prozent gemindert, pro- phylaktisch sogar in etwa 50 Pro- zent der Fälle verhindert werden.

Magen-Darm-Kanal: Beschwerden in diesem Gebiet bilden sich durch Placebo in 50 bis 60 Prozent zu- rück. Besonders können die durch Anazidität hervorgerufenen Be- schwerden gebessert werden; das gilt vor allem auch für das pepti- sche Ulkus, dessen periodischer Verlauf und spontane Heilungsten- denz bekannt ist. In einer Periode von zehn Jahren wurden etwa 300 verschiedene Mittel gegen Ulkus gezählt; dies spricht nicht dafür, daß ein Medikament besonders brauchbar war.

Hypertonie: Beschwerden bei Hy- pertonie gehen häufig nach Verab- reichung von Placebo zurück. Das ist ein Effekt, der nur dann zu be- grüßen ist, wenn gleichzeitig auch etwas für die Senkung des Blut- drucks getan wird. Eine Blutdruck- senkung ist auch nach Placebo-

Gaben möglich. Der Effekt ist aber meist nicht ausreichend. Immerhin ließ sich in vergleichenden Unter- suchungen zeigen, daß eine Serie von Injektionen mit physiologischer Kochsalzlösung eine anhaltende Blutdrucksenkung bewirkte. Dies weist darauf hin, daß das Erlebnis der Injektion eindrucksvoller ist als die Einnahme von Placebo-Ta- bletten, die in der gleichen Ver- suchsreihe wesentlich weniger wirksam waren.

Rheumatische Beschwerden: In rund 50 Prozent der Fälle ist die Reaktion auf Placebo positiv.

Nebenwirkungen von Placebo Unerwünschte oder unerwartete Wirkungen von Placebo sind nicht selten. Relativ häufig wird eine ge- wisse Beeinträchtigung zentraler Funktionen, meist in Form von Be- nommenheit, von Müdigkeit und Schwächegefühl in den Gliedern festgestellt. Die für Placebo be- schriebenen Nebenwirkungen wur- den jeweils aus Kontrollen mit ver- schiedenen Pharmaka gesammelt.

Dabei stand die Art der angegebe- nen Nebenwirkungen in einer Be- ziehung zu den Wirkungen der ak- tiven Pharmaka. Dies mag daran liegen, daß die Patienten unterein- ander Kontakt hatten oder daß die Ärzte nach bestimmten Symptomen fragten. Wird nämlich eine Reihe von Symptomen „angeboten", wer- den mehr angegeben.

Weitere Wirkungen am Zentralner- vensystem können sich in Form von Schwindel, Mundtrockenheit, Nervosität, Schlaflosigkeit und Juckreiz äußern.

Der Magen-Darm-Kanal wird gleich- falls öfter betroffen: Leibschmer- zen, Obstipation, Nausea. Sogar Störungen der Leberfunktion sowie abnorme Werte für SGOT, alkali- sche Phosphatase, Serum-Bilirubin wurden vereinzelt registriert.

Wirkungsdauer von Placebo Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt, daß Placebo-Wir-

kungen nach einiger Zeit nachlas- sen. Man hat deshalb vorgeschla- gen, jeweils nach zwei Wochen das Placebo zu wechseln. Andererseits gibt es Menschen, die „ihr" Place- bo mit Erfolg weiter nehmen, ja so- gar in eine psychische „Abhängig- keit" geraten können.

Aufmachung von Placebos

Wie bereits erwähnt, spielt es eine wesentliche Rolle, ob Placebo in Form von Injektionen, Hypnotika oder als „Schlaftrunk" verabreicht wird; ferner haben gefärbte Kap- seln einen besseren hypnotischen Effekt als Tabletten.

Die Bedeutung

von gefärbten Dragdes

Dieser Frage ist Schindel direkt nachgegangen. Zunächst sollten die Patienten aus vier Farben ihre Lieblingsfarben auswählen, in der dann jeweils die Placebo-Kapseln gegeben wurden. Sie waren bei Schläfstörungen, Menstruations- und klimakterischen Beschwerden sowie Kopfschmerzen, anginösen Syndromen und Symptomen der vegetativen Dystonie mit kardiovas- kulären oder intestinalen Störun- gen gut wirksam. Für die Dauer von zwei Wochen war mit diesen Farb-Placebos ein besserer Effekt zu erzielen als mit Vitamintabletten als „Pseudo-Placebos". Bei Men- struationsbeschwerden wurden ro- te Placebo-Kapseln meist abge- lehnt, auch wenn Rot sonst die be- vorzugte Farbe war.

Auch andere Autoren haben sich mit der Wirkung von Farb-Placebos beschäftigt. Sie stellten fest, daß bei Angstzuständen Grün besser als Rot oder Gelb wirkte, während Depressive am besten auf Gelb rea- gierten.

Gefärbte Placebos bei Normalpersonen

Eine Gruppe von Medizinstudenten stellte sich zur Prüfung eines se- dierenden und eines stimulieren- den Medikaments zur Verfügung.

Sie wurde auf möglicherweise auf-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 6. März 1975 665

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Aktuelle Medizin Placebo

tretende psychische und körperli- che Symptome und Nebenwirkun- gen hingewiesen. Alle Teilneh- mer erhielten eine oder zwei rosa oder blau gefärbte Placebo-Kap- seln. Über die Hälfte der Studenten wiesen psychische, fast zwei Drittel physische Effekte auf.

~ Die Wirkungen waren dosisab- hängig, das heißt zwei Kapseln wirkten stärker als eine; zwei Stu- denten waren wegen der Schwere der nachteiligen Wirkungen in ern- ster Sorge!

~ Die blauen Kapseln führten häu- figer zu Sedierung.

~ Die rosa Kapseln führten häufi- ger zu Stimulation.

Dosisabhängigkeit von Placebo Placebo ist wirksamer, wenn zwei Einheiten statt einer gegeben wer- den. ln "Notfällen" könnten auch drei Stück gegeben werden. Bei je- der Verordnung muß auf die ge- naue Einhaltung der Dosierung aufmerksam gemacht werden.

Chirurgische Operationen als Placebo

Daß auch chirurgische Operatio- nen als Placebo-Effekt aufzufassen sind, ist schon lange vermutet wor- den. Als bekanntes Beispiel dafür sei die Unterbindung der Arteria mammaria interna zur Behandlung der Angina pectoris genannt. Der Erfolg ist zunächst frappant, aber leider nur vorübergehend und auch durch eine Scheinoperation zu er- zielen.

Ethische und juristische Fragen Wenn Placebo im Rahmen der Prü- fung eines Arzneimittels auf Wirk- samkeit verwendet wird, muß jeder an der Untersuchung Beteiligte über diese Tatsache aufgeklärt werden und zustimmen. Dann be- stehen weder ethische noch juristi- sche Bedenken. Über die Verant-

wortung für eventuell bei derarti- gen Prüfungen auftretende Schädi- gungen braucht nicht gesprochen zu werden. Der Arzt trägt in jedem Falle die Verantwortung. Wenn Pla- cebo als Therapeutikum eingesetzt wird, ist dagegen nichts einzuwen- den, wenn dem Patienten geholfen wird. Juristisch handelt es sich da- bei nicht um Betrug, weil absicht- lich kein rechtswidriger Vermö- gensvorteil erreicht wird.

Praktische Durchführung einer Placebo-Therapte

Bei einer Behandlung in Kranken- anstalten, Heilstätten, Sanatorien dürfte die Abgabe von Placebos keine Schwierigkeiten machen. Ein befreundeter Kollege verordnet mit Hinweis auf exakte Dosierung "SL 74" mit ausgezeichnetem Erfolg.

Dabei mag die Erinnerung an be- sonders gut ausgestattete Autos eine Rolle spielen. in der freien Praxis läßt sich die mitunter emp- fohlene Verschreibung von Sacch.

lact. und Kapseln schlecht durch- führen. Es würde sich bald herum- sprechen, daß die Ärzte unwirksa- me Substanzen verschreiben. Das Vertrauen in den Arzt würde verlo-

rengehen. Praktisch ist es nur sel- ten möglich, allein durch ein auf- klärendes Gespräch den Patienten davon zu überzeugen, daß er kein Medikament braucht. Da man auch keine iatrogenen Arzneischäden riskieren soll, ist folgendes Verfah- ren zweckmäßig:

~ ln der freien Praxis sollten "un- reine Placebos" verordnet werden.

"Unreine Placebos"

Sie können nur nützen, aber nicht schaden. Am besten sind dafür ge- eignet

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Vitaminpräparate mit wasser- löslichen Vitaminen

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Homöopathische Arzneimittel in beiden Fällen bleibt etwas vom Zauber der Arznei erhalten, auf den unter diesen Umständen kei-

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neswegs verzichtet werden kann.

Dies entspricht der Wirkung des oben erwähnten Kamillentees bei äußerer Applikation. Hier handelt es sich nur um Vorschläge.

Der Phantasie des Arztes sollen hier keine Grenzen gezogen wer- den. Es gibt bestimmte Patienten, die durchaus "Spritzen" vom Arzt erwarten. Sie sind mit "Tabletten"

nicht zufrieden. Für sie sollte mit dem Ziel der erfolgreichen Thera- pie an subkutane Injektionen ge- dacht werden. Die Empfehlung ei- ner bestimmten Substanz fällt hier schwer. Auch in der freien Praxis war schon lange Zeit gelegentlich einmal physiologische Kochsalzlö- sung subkutan oder Glukose intra-

venös gegeben worden.

Dies ist wohl ärztlich mehr zu ver- treten als gleichfalls als Placebo gegebene Frischzellenpräparate oder "Kälberspritzen" oder einmal wöchentlich ein Achtel Milligramm Strophanthin.

Indikationen von Placebo als Therapeutikum

Placebo ist als Therapeutikum nur indiziert, wenn:

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die Diagnose so weit wie mög- lich geklärt ist,

e

kein pharmakologisch wirksa- mes Mittel mit besserer Aussicht auf Erfolg zur Verfügung steht, 8 die Zeitdauer der Behandlung nicht unnötig verlängert wird,

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nur unschädliche Stoffe ver- wendet werden. Tödlich verlaufene anaphylaktische Schocks mit wis- senschaftlich unbegründeten Injek- tionen von Vitamin B1 oder Roßka- stanienextrakt sollten eine War- nung sein. Vitamin-B.-Injektionen sind anscheinend nur schwer aus der täglichen Praxis zu verdrän- gen.

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Mütter oder andere Angehörige von Kindern eine Arzneibehand- lung erwarten: "soziotroper Ef-

fekt". [>

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Oberstes Ziel des Arztes ist es, dem Kranken zu helfen. Wenn für diese Hilfe Placebo indiziert ist, sollte er nicht zögern, es einzuset- zen.

Literatur

Schindel, Leo: Placebo und Placebo-Effek- te in Klinik und Forschung. Arzneimittelfor- schung 17 (1967), 892 — Bourne, H. R.:

Das Placebo — eine ungenügend verstan- dene und vernachlässigte Maßnahme. In- ternist 13 (1972), 345 — Leitartikel: Drug or placebo? Lancet 1972, 2, 122

Anschrift des Verfassers:

Professor

Dr. med. Gustav Kuschinsky 65 Mainz

Obere Zahlbacher Straße 67

ECHO

Zu: „Ernährung und Pflanzen- schutzmittel" von Prof. Dr. Hans Jürgen Holtmeier in Heft 5/1975, Seite 273 ff.

Giftstoffe

in der Muttermilch

„Auf eine besorgniserregen- de Zunahme bestimmter Pflanzenschutz- und Schäd- lingsbekämpfungsmittel im menschlichen Körper hat der Stuttgarter Ernährungswis- senschaftler Professor Holt- meier in einem Bericht des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES hingewiesen. Alar- mierend sei vor allem die Vergiftung der Muttermilch bei diesen Chemikalien, die sich im Fettgewebe spei- chern. Schon 1973 sei bei Untersuchungen von Mutter- milch das über 20fache der zulässigen Dosis festgestellt worden. Ein Säugling könne dadurch mit der Muttermilch bis zur doppelten der für die- se Dauerernährung zulässi- gen Höchstmenge dieser Stoffe aufnehmen, hob Prof.

Holtmeier hervor ..." (Bre- mer Nachrichten und andere Tageszeitungen)

Die Appendizitis

In dem Aufsatz über die „Appendi- zitis" wurde mit Recht darauf hin- gewiesen, daß die Diagnose „Ap- pendizitis" nicht mit hundertpro- zentiger Sicherheit gestellt werden kann, daß aber alles getan werden müsse, um möglichst nahe an sie heranzukommen.

In den Jahren 1972 und 1973 sind an unserer chirurgischen Abteilung 83 Patienten mit der Diagnose „Ap- pendizitis" beziehungsweise „Ap- pendizitisverdacht" stationär auf- genommen worden. In 72 Fällen wurde die Diagnose „Appendizitis"

gestellt und die Operation ausge- führt.

Die restlichen Patienten, bei denen zumeist ein fieberhafter Infekt vor- gelegen hatte, konnten nach kurzer Zeit wieder entlassen werden.

Die meisten Operierten gehörten der ersten und zweiten Lebensde- kade an (23 beziehungsweise 38 Fälle), die Geschlechterverteilung war in etwa gleich.

Im Gegensatz zu den akuten 45 Fällen mit kurzer Anamnese (dar- unter 13 Empyeme und phlegmonö- se Prozesse) waren bei 27 Fällen mit wochen-, monate- oder jahre- langem chronisch-rezidivierendem Verlauf, die bisher unter Diagnosen wie Nabelkolik, Darmspasmen, Pseudoappendizitis gelaufen wa- ren, operativ häufig periappendiku- läre Verwachsungen und histolo- gisch subakute oder chronische Entzündungserscheinungen, teil- weise mit Zeichen früherer Schü- be, zu erkennen. Bei drei im Inter- vall operierten Patienten konnten histologisch zweimal Zeichen ab- gelaufener entzündlicher Prozesse

nachgewiesen werden; im dritten Fall fehlten sie.

Unter diesen chronisch-rezidivie- renden Fällen sind mir vor allem zwei zwölfjährige Knaben in Erin- nerung, die seit zehn Monaten be- ziehungsweise einem Jahr über re- zidivierende Bauchschmerzen („Nabelkoliken") klagten, nicht mehr turnen konnten und in der Schule nicht mehr recht mitkamen.

Bei dem einen war die innig mit dem Zökum verwachsene Appen- dix nach oben geschlagen, ihre Spitze auf Kleinfingerdicke erwei- tert und mit Eiter gefüllt. Im zwei- ten Fall wurde derselbe Befund er- hoben; die Appendix wies aller- dings nicht die übliche, sondern eine Länge von 16 Zentimeter auf.

Alle operierten Patienten, auch die beiden eben erwähnten Knaben, wurden laufend weiterbeobachtet:

Sie waren beschwerdefrei, konnten wieder turnen und das in der Schu- le Versäumte nachholen.

Es kann somit gesagt werden, daß

— zumindest in unserem Bereich

— bei chronisch-rezidivierenden Bauchschmerzen, besonders bei Kindern und Jugendlichen, in er- ster Linie an das Vorliegen einer Appendizitis zu denken ist.

Zur Absicherung der Diagnose ist die Prüfung der Blutkörperchen- senkungsreaktion unumgänglich, da sie sowohl bei chronisch-rezidi- vierender als auch unkomplizierter akuter Appendizitis nicht beschleu- nigt ist. Die Zahl der Leukozyten war eigentlich nur bei Phlegmonen und Empyemen beziehungsweise bei unmittelbar bevorstehender Perforation erhöht. Eine stärker beschleunigte Blutkörperchensen- Zu einem Beitrag von Prof. Dr. med. R. Pichlmayr, Dr. med. A. J. Coburg und Dr. med. K. Wiegrefe in Heft 26/1974, Seite 1901

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