Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 14|
8. April 2011 A 731B
undesgesundheitsminister Philipp Rösler hat den vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf für ein Hygienegesetz als „Meilenstein auf dem Weg zu besseren Hygienestandards“ bezeichnet. Geplant sei, das Gesetz noch vor der Sommerpause zu verabschie- den. Ob es wirklich den Anfang einer neuen Ära mar- kieren wird mit deutlich weniger Infektionen in Kran- kenhäusern und Praxen, die ambulant operieren, in Mas- senunterkünften und Rehabilitationseinrichtungen – Zahlen dazu werden erst in ein, zwei Jahren vorliegen.Es wären neue Konzepte denkbar gewesen für die Verbesserung der Hygiene, bei denen Mitarbeiter in das Qualitätsmanagement mit enger Rückkoppelung über die Ergebnisse eingebunden sind. Der Entwurf enthält solch neue Konzepte nicht: Im Wesentlichen soll die Hygiene durch juristische Aufwertung der Empfehlun- gen von Gremien wie der Kommission für Kranken- haushygiene und Infektionsprävention verbessert wer- den. Sie soll ebenso wie eine neue Kommission „Anti- mikrobielle Resistenzlage und Therapie“ (ART) den Stand der medizinischen Wissenschaft feststellen – rechtsverbindlich für Ärzte und von allen relevanten Einrichtungen umzusetzen. Das wäre in der Tat ein wichtiger Schritt. Die Länder würden ermächtigt, Rege- lungen zur Einhaltung der Empfehlungen zu schaffen.
SPD und Bündnis90/Die Grünen fordern, deutlich mehr schon auf Bundesebene zu regeln. Dazu gehören Vorga- ben für ein generelles Screening von Risikopatienten auf Methicillin-resistente Stämme von Staphyolococcus aureus (MRSA) bei Klinikaufnahme. Bei Akuteinwei- sungen ist das sinnvoll, bei elektiven Eingriffen aber führt ein zeitnahes Screening durch niedergelassene Ärzte möglicherweise auch zum Ziel. Allerdings könnte die Möglichkeit des Screenings in allgemeinerer Form ins Gesetz aufgenommen werden. Denn außer MRSA machen zunehmend andere Bakterien mit neuen Multi- resistenzgenen oder Viren den Kliniken zu schaffen.
Die geplante Implementierung der Kommission ART lediglich als „Placebo“ einzustufen, wie es die Grünen tun, ist voreilig. „Es wird für die Effektivität
der Arbeit der Kommissionen wesentlich darauf an- kommen, wie sie besetzt werden“, meint Prof. Dr. med.
Winfried Kern, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Mögliche Interessenkonflikte mit Herstellern von Arzneimitteln oder Medizinprodukten sollten transparent gemacht, die Arbeit von Kommissi- onssprechern finanziell honoriert werden, um die Un- abhängigkeit zu gewährleisten. Und selbstverständlich sollte die ART-Kommission interdisziplinär besetzt sein, inklusive Experten aus der Veterinärmedizin, um das Problem der Resistenzentwicklung von Erregern durch den Selektionsdruck des Antibiotikagebrauchs in der Nutztierhaltung im Blick zu haben.
Etwa jede vierte von 400 000 bis 600 000 jährlichen Hospitalinfektionen wäre vermeidbar. Täglich sterben in Deutschland vier bis zwölf Menschen an einer ver- meidbaren nosokomialen Infektion. Das ist inakzepta- bel. Das geplante Gesetz muss dazu beitragen, die Zah- len deutlich zu senken, wenn es ein Meilenstein werden soll. Viel Zeit lassen darf man sich mit seiner Umset- zung nicht. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer globalen Ausbreitung resistenter Infektionserre- ger in einer postantibiotischen Ära ohne Option einer kausalen Therapie. Solch panresistente Stämme gibt es bereits, zum Beispiel von Acinetobacter. Und sie sind in Deutschland längst angekommen.
HYGIENEGESETZ
Meilenstein oder Placebo?
Nicola Siegmund-Schultze
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Medizin- und Wissenschaftsjournalistin