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Archiv "Hilfsmittel: Unübersichtlichkeit treibt Preise" (15.06.2001)

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W

enn es um die Preise von Hilfs- mitteln geht, kann man ver- blüffende Erfahrungen ma- chen. So pflegte ein Experte einer nam- haften Krankenkasse die eigentlich simple Frage zu stellen: Was dürfen vier Kompressionssocken und vier Pelot- ten kosten? Die Befragten schätzten die Preise der kleinorthopädischen Hilfsmittel mit gesundem Menschen- verstand auf 11 bis 250 DM. Tatsäch- lich belief sich der vom Leistungser- bringer an die Krankenkasse ausgestell- te Kostenvoranschlag auf 1 700 DM.

Ein anderes Beispiel: Für eine Peronäus-Orthese, beste- hend aus einer Kunststoff-Schuh- einlage, einem daran befestig- ten Kunststoffteil und einem Klettband, um das Ganze am Bein hoch zu fixieren, werden 1 200 DM gefordert. Der ge- rechtfertigte Preis wäre viel- leicht 100 DM.

Kampf um Marktanteile

Der Hilfsmittelmarkt wird viel- fach als „Dschungel“ bezeich- net. Mehr als 50 000 verschiede- ne Produkte sind im Angebot:

Hörgeräte, Brillengläser, In- kontinenzhilfen, Rollstühle, Prothesen, Bandagen, Schuhe und vieles andere.

Die heterogene Gruppe der Erbringer dieser Leistungen – Orthopädietechni- ker, Sanitätshäuser, Optiker oder Hör- geräteakustiker – kämpft um ihre Marktanteile. Seit einigen Jahren drän- gen auch die Apotheken auf diesen Markt. Der Anteil der Ausgaben für Hilfsmittel in der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) belief sich im Jahr 2000 auf 3,51 Prozent (GKV ge- samt: 261,1 Milliarden DM) – kein

großer Sektor, aber einer mit hohen Steigerungsraten. Die Ausgaben der GKV für Hilfsmittel sind innerhalb des vergangenen Jahrzehnts von 5,75 (1991) auf 9,38 Milliarden DM (2000) gestie- gen (siehe Tabelle)– eine Entwicklung mit hoher Dynamik, die nicht nur mit einem gestiegenen Bedarf der Patien- ten oder demographischen Verände- rungen erklärt werden kann.

Die Vielzahl der Produkte und Lei- stungserbringer sowie die gesetzliche Vorgabe, dass die Krankenkassen auf Landesebene Verträge mit den Lei-

stungserbringern abschließen können (§ 127 SGB V), macht den Hilfsmittel- bereich sehr unübersichtlich. Diese In- transparenz sichert hohe Preise und macht den Marktteilnehmer (Hersteller, Händler und Handwerker) weniger an- greifbar als beispielsweise die kompakte Arzneimittelindustrie – zum Nachteil der Beitragszahler. Die Intransparenz be- günstigt auch schwarze Schafe unter den Leistungserbringern, Ärzten und Kran- kenkassen. So sorgte der im März aufge- deckte Korruptionsskandal unter Betei-

ligung der Betriebskrankenkassen Düs- seldorf und Jagenberg-Rheinmetall, ei- ner Rehabilitationsklinik und des Ab- rechnungszentrums VPS in Düsseldorf für Schlagzeilen. Der Schaden belief sich auf mehrere Millionen DM.

Im Hilfsmittelmarkt gebe es diverse Möglichkeiten, mit unlauteren Mitteln das Einkommen aufzubessern, verlaute- te aus informierten Kreisen. Die Be- weislage ist schwierig. Ob es sich um Einzelfälle oder organisierte Methode handelt – für alle gilt: Je größer die Un- übersichtlichkeit und das Maß der Ver-

flechtungen, desto eher ist Korruption möglich. Ein paar typische Szenarien:

❃Bei der Ausstellung einer Verord- nung handeln Arzt und Leistungser- bringer eine Prämie aus.

❃ Zwischen Krankenkassenmitarbei- ter und Leistungserbringer fließt Geld für Verträge.

❃ Sanitätsfachhändler haben ihr De- pot beim Arzt, der seine Patienten di- rekt damit versorgt.

Besonders in der Klein- und Großor- thopädie sind die Preise zum Teil völ-

Hilfsmittel

Unübersichtlichkeit treibt Preise

Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung für Hilfsmittel sind in den letzten zehn Jahren um knapp die Hälfte gestiegen. Der Markt ist intransparent.

´ TabelleC´

Ausgaben der GKV für Hilfsmittel in Milliarden DM

Jahr absolut je Versicherten

1991 5,752 81,17

1992 6,895 96,05

1993 6,906 95,86

1994 7,735 108,08

1995 8,434 117,63

1996 9,359 129,98

1997 8,797 122,69

1998 8,675 121,64

1999 9,017 126,38

2000 9,380 –

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Petra Bühring

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lig überhöht („Mondpreise“). Dass die Krankenkassen die Kostenvoranschläge dennoch absegnen, liegt an einem un- übersichtlichen veralteten Abrechnungs- verfahren. Es beruht auf der Bundes- prothesenliste, die noch aus den Zei- ten der Kriegsopferversorgung stammt.

Längst amortisierte Produkte wurden immer wieder mit Preisaufschlägen ver- sehen; hinzu kommt die teure handwerk- liche Leistung der Orthopädietechniker.

Die Klein- und Großorthopädie dient vielen Leistungserbringern zur Quer- subventionierung von Produkten, mit denen nicht mehr so viel zu verdienen ist: Rollstühle zum Beispiel, für die die Krankenkasse „nur“ eine Versorgungs- pauschale von rund 650 DM

im Monat bezahlt. Derartige Versorgungspauschalen gibt es seit 1996 – ein allgemein gelob- tes, weil wirtschaftliches Kon- zept. Das Versorgungspau- schalenmodell löste bei den meisten Kassen das Wieder- einsatzverfahren ab, bei dem die Kasse Eigentümer des Hilfs- mittels ist. Reparaturen oder Zurüstung stellte der Leistungs- erbringer der Kasse in Rech- nung, und die teure Lagerhal- tung lag ebenfalls in der Verant- wortung der Krankenkasse. Bei dem neuen Verfahren liegt das Risiko für Reparaturen, Zurü- stung und Service beim Lei- stungserbringer; für diese Lei- stungen erhält er eine Fallpau- schale. Dadurch verengte sich der Markt, denn die Gewinn- möglichkeiten in der Rehatech- nik sanken – Quersubventionie- rungen waren die Folge.

In der Klein- und Groß- orthopädie sind die überzoge- nen Preise am augenfälligsten.

Doch auch bei der Versorgung von Kindern mit Hilfsmitteln wird ordentlich zugelangt: Sind 3 700 DM für ein Dreirad, mit dem ein drei- bis fünfjähriges behindertes Kind sich ange- schoben fortbewegen kann, an- gemessen?

Den Krankenkassen ist das Problem bekannt: „Der Hilfs- mittelmarkt ist geprägt durch monopolistische Anbieterstruk-

turen und Intransparenz. Das macht überhöhte Preise und Unwirtschaftlich- keit möglich“, beklagt Susanne Esch- mann, Hilfsmittelexpertin beim Ver- band der Angestellten-Krankenkassen, Siegburg. Gleichzeitig seien den Kran- kenkassen keine adäquaten Instrumen- te übertragen worden, um eine wirt- schaftliche Versorgung zu steuern. Die Vielzahl der Produkte erschwere trans- parente Vergütungsvereinbarungen und den Qualitätsvergleich. Erschwerend für Vergütungsregelungen sei auch, dass die Einkaufspreise kaum offen gelegt werden. Einsparungen durch weltwei- te Beschaffungsmärkte oder Rationa- lisierung aufgrund technischen Fort-

schritts kommen den Kassen nicht zugute. Vergütungsvereinbarungen zu tatsächlichen Marktpreisen werden er- schwert.

Transparenz scheint nicht erwünscht

Um für mehr Transparenz zu sorgen, wurde mit dem Gesundheits-Reform- gesetz (GRG) 1989 ein Hilfsmittelver- zeichnis eingeführt. Dieses wird von den Spitzenverbänden der Kranken- kassen unter Federführung des IKK- Bundesverbandes erstellt. Rund 15 000 Produkte mit Herstellerangaben sind dort bisher unter 34 Produktgruppen zusammengefasst (siehe Kasten). Auf- fallend ist, dass die Produktgruppen 23 (Orthesen) und 24 (Prothesen) des Hilfsmittelverzeichnisses noch nicht fertig gestellt sind. Hier soll das Ver- zeichnis die intransparente Bundespro- thesenliste ersetzen. Die Spitzenverbän- de sind dabei auf Informationen der Lei- stungserbringer angewiesen, deren Ver- bände angehört werden. Doch die ver- schleppen und verzögern offensichtlich notwendige Informationen für die Fer- tigstellung der Produktübersicht. Vertre- ter des Sanitätsfachhandels bezeichnen dies als „Sabotageaktionen der Lobby des Handwerks“. An einer Transparenz ihrer Produkte sei ihnen nicht gelegen.

Ein Nachteil des Hilfsmittelverzeich- nisses ist, dass die Leistungserbringer sich nicht danach richten müssen. „Das Hilfsmittelverzeichnis ist keine Positivli- ste“, betont Carla Grienberger, Referen- tin für Hilfsmittel beim Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK), Ber- gisch Gladbach. Die Leistungserbringer können dem Patienten auch andere Pro- dukte anbieten, die nicht dort aufgelistet sind. Warum die Kosten durch die Kassen übernommen werden sollen, muss zwar dann begründet werden, ist aber möglich.

Der Einfluss der Krankenkassen auf die Versorgung der Patienten mit Hilfs- mitteln, und damit auf die Preise, ist ge- ring. Die Versorgung liegt in den Händen der Leistungserbringer, die eine Zulas- sung bei den Krankenkassen nach § 126 SGB V haben. Der behandelnde Arzt schreibt nur die Produktart auf das Re- zept, beispielsweise Rollstuhl wegen Be- wegungseinschränkung, mit dem der Pa-

Hilfsmittelverzeichnis

Übersicht der Produktgruppen

1. Absauggeräte 2. Adaptionshilfen 3. Applikationshilfen 4. Badehilfen 5. Bandagen 6. Bestrahlungsgeräte 7. Blindenhilfsmittel 8. Einlagen

9. Elektrostimulationsgeräte 10. Gehhilfen

11. Hilfsmittel gegen Dekubitus 12. Hilfsmittel bei Tracheostoma 13. Hörhilfen

14. Inhalations- und Atemtherapiegeräte 15. Inkontinenzhilfen

16. Kommunikationshilfen

17. Hilfsmittel zur Kompressionstherapie 18. Krankenfahrzeuge

19. Krankenpflegeartikel 20. Lagerungshilfen

21. Messgeräte für Körperzustände/-funktionen 22. Mobilitätshilfen

23. Orthesen 24. Prothesen 25. Sehhilfen 26. Sitzhilfen 27. Sprechhilfen 28. Stehhilfen 29. Stomaartikel 30. Schienen 31. Schuhe

32. Therapeutische Bewegungsgeräte 33. Toilettenhilfen

99. Verschiedenes

50. bis 54. und 98. Pflegehilfsmittelverzeichnis Das Hilfsmittelverzeichnis informiert über die Art und Qualität der Produkte sowie über die jeweiligen Indi- kationen. Der IKK-Bundesverband bietet das Verzeich- nis im Internet zum Downloaden an (www.ikk.de).

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K

rankenkassen stehen selten im Verdacht, Ärzte zu bevorzugen.

Da überrascht es schon, wenn der Bundesverband der Betriebskranken- kassen (BKK) und das Wissenschaftli- che Institut der AOK (WIdO) in ge- trennten Studien zu dem Ergebnis kom- men, dass die durch Empfehlung des HNO-Arztes ausgelöste Direktversor- gung mit Hörgeräten keine Qualitäts- einbußen, eine hohe Verbraucherzufrie- denheit und geringere Zuzahlungen mit sich bringt als die traditionelle Versor- gung über den Hörgeräteakustiker. Die Hörgeräteversorgung über den Arzt biete ein besseres Preis-Leistungs-Ver- hältnis als die traditionelle Versorgung über den Akustiker und sei somit die überlegene Alternative. Trotzdem wird derzeit erst jedes zehnte Hörgerät di- rekt über den HNO-Arzt

vertrieben. Die Informati- onsarbeit über alternative Versorgungs- und Bezugs- möglichkeiten für Hörgerä- te müsse unbedingt inten- siviert werden, fordern die beiden Kassenverbände.

Die 400 in der WIdO- Untersuchung befragten Versicherten bezahlten beim Hörgeräteakustiker durchschnittlich rund 1 200 DM je Hörgerät aus der eigenen Tasche hinzu; beim HNO-Arzt waren es nur rund 360 DM. Die Studie des BKK-Bundesverban-

des – die in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Verbrau- cherzentralen und Verbraucherver- bände erstellt wurde – basiert auf der Befragung von 3 825 Versicher- ten und kommt zu ähnlichen Ergeb- nissen: Die Versicherten leisteten beim

Hörgeräteakustiker eine durchschnitt- liche Zuzahlung in Höhe von 1 015 DM je Hörgerät und beim HNO-Arzt in Höhe von 591 DM. Vor dem Hinter- grund, dass in Deutschland jährlich mehr als 500 000 Hörgeräte verkauft und angepasst werden, ergäbe sich bei einer weiteren Verbreitung des ver- kürzten Versorgungswegs eine erheb- liche finanzielle Entlastung für die Versicherten, aber auch für die Ge- setzliche Krankenversicherung (GKV).

Das derzeitige GKV-Ausgabevolumen für die Hörgeräteversorgung beläuft sich auf mehr als 700 Millionen DM jährlich.

Die Hörgeräteakustiker sehen ihre Felle davonschwimmen. Jahrzehnte- lang waren sie die einzigen, die Schwerhörige mit Hörgeräten versor-

gen durften. Ein lukratives Geschäft:

Ein Preisvergleich für das Hörgerät VIVA 703 der Firma Siemens (siehe Tabelle) belegt die enormen Preis- unterschiede zwischen verschiedenen Hörgeräteakustikern – ein deutlicher Beleg dafür, dass diese aufgrund des

fehlenden Wettbewerbs ihre Preise nahezu willkürlich festlegen können.

Es sei kein Wunder, „dass der Hör- geräteakustiker in der Regel ein größeres Auto fährt als der HNO- Arzt“, kommentiert ein Insider die Einkommensverhältnisse, die sich of- fenbar herumgesprochen haben: Nach AOK-Recherchen stieg die Zahl der Hörgeräteakustiker zwischen 1994 und 1998 von 556 auf 1 600 – ein An- stieg um 188 Prozent!

Die verkürzte Versorgung ist rechtens

Als Reaktion auf die neue Konkur- renz durch die Direktanbieter be- schritten zahlreiche Hörgeräteakusti- ker – unterstützt durch ih- re Bundesinnung in Mainz – den Klageweg: Die ver- kürzte Versorgung ver- stoße gegen die ärztliche Berufsordnung, gegen das Wettbewerbsrecht und ge- gen die Handwerksord- nung. Die Klagen wurden allesamt abgelehnt.

Im Juni 2000 bestätigte auch der Bundesgerichts- hofes (BGH) in Karls- ruhe, dass es HNO-Ärzten nicht verboten ist, Hör- geräte über den verkürz- ten Versorgungsweg an ih- re Patienten abzugeben.

Die zusätzliche Geldquelle für die HNO-Ärzte – die ärztlichen Leistun- gen bei der Abnahme des Ohrab- drucks und der Anpassung des Hör- geräts können außerhalb des ge- deckelten GKV-Budgets abgerechnet werden – sei rechtens:

´ Tabelle CC´

Hörgeräte: Zuzahlung unterschiedlich hoch*

Anpassdauer Festbetragprivate ZuzahlungGesamtkosten

in Stunden in DM in DM in DM

Hamburg 4 727 692 1 419

Westfalen-Lippe 2 760756 1 516

Westfalen-Lippe 1 760826 1 586

Niedersachsen 5 7601 030 1 790

Hessen 1 7601 076 1 836

Hessen 5 7601 165 1 925

Hessen 1 7601 180 1 940

Niedersachsen 1,5 7601 215 1 975

* Festbetraggruppe 2: 727 bis 760 DM (je nach Bundesland unterschiedlich) Quelle: AOK

Hörgeräteversorgung

Der „Goldrausch“ ist vorbei

Zwei große Krankenkassenverbände setzen sich dafür ein,

dass die Informationsarbeit über alternative Versorgungs-

und Bezugsmöglichkeiten für Hörgeräte intensiviert wird.

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❃ HNO-Ärzte übten nicht das Handwerk eines Hörgeräteakustikers aus. Die von ihnen erbrachten Lei- stungen gehörten zum beruflichen Bereich des Arztes.

❃ Die Zusammenarbeit mit den Direktanbietern bedeute kein berufs- ordnungswidriges Verhalten, weil die Vergütung nicht als Provision für die Verordnung des Hörgerätes zu wer- ten sei, sondern als Pauschalbetrag für alle zusätzlichen Leistungen, die der Arzt bei der Zusammenarbeit mit der Firma erbringt.

❃ Der Umstand, dass der Arzt bei einer Entscheidung des Patienten für den verkürzten Versorgungsweg eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit er- halte und deswegen dazu neigen könnte, dem Patienten eine Versor- gung auf diesem Weg nahe zu legen, rechtfertige nicht, ihm die Zusam- menarbeit mit einem Direktanbieter allgemein zu verbieten. Ein Wettbe- werbsverstoß liege nicht vor.

Als abzusehen war, dass die Ge- richte nicht in ihrem Sinne urteilen würden, wendeten sich Lobbyisten

der Hörgeräteakustiker an die Politik.

So hatte der Bundesrat im November 2000 über einen Antrag des Landes Baden-Württemberg zu entscheiden, in dem gefordert wurde, die Tätigkeit von Ärzten und Gesundheitshand- werkern stärker voneinander abzu- grenzen. Die vom Antragsteller be- klagte zunehmende Praxis der Hilfs- mittelabgabe durch Ärzte sollte durch eine Ergänzung des § 126 SGB V un- terbunden werden. Initiator des An- trags war der baden-württembergi- sche Sozialminister Dr. rer. nat. Fried- helm Repnik (CDU). Der Bundesrat lehnte den Antrag ab. Im März 2001 war ein ähnlicher Antrag Anlass für eine Expertenanhörung im Gesund- heitsausschuss des Bundestages. In- itiator diesmal: der gesundheitspoliti- sche Sprecher der CDU-Bundestags- fraktion, Wolfgang Lohmann aus Lü- denscheid/Westfalen. Der Gesund- heitsausschuss lehnte den Antrag ab.

Warum sich CDU-Politiker so sehr für die Hörgeräteakustiker einsetzten, lässt sich nur mutmaßen. Tatsache ist, dass der Mitinhaber der Hörgeräte- kette Geers in Dortmund ein einfluss- reicher Parteifreund ist. Immerhin war Dr. jur. Volker Geers 1999 CDU-Kan- didat in der Stichwahl zum Oberbür- germeister in Dortmund. Zudem hat er über sein Rechtsanwaltsbüro für die Bundesinnung der Hörgeräteakusti- ker Prozesse zur Bekämpfung des ver- kürzten Versorgungswegs geführt.

Preise korrigieren

Unter Berücksichtigung des BGH-Ur- teils, der Entscheidungen auf politi- scher Ebene sowie des Rückenwindes von den Kassen ist damit zu rechnen, dass künftig weitere Firmen Hörgeräte auf dem verkürzten Versorgungsweg anbieten und der Anteil der Direktver- sorgung steigt. Die Hörgeräteakusti- ker werden sich (endlich) der Konkur- renz stellen und ihre Preise nach unten korrigieren müssen. Die Versicherten dürfen sich auf niedrigere Zuzahlun- gen freuen, den Ärzten bietet sich die Möglichkeit, eine neue Dienstleistung zu offerieren. Jens Flintrop

Die Versorgungswege

Hörgeräte werden auf verschiedenen Wegen vertrieben: Bei der traditionellen Versorgung verordnet der HNO-Arzt dem Patienten ein Hörgerät. Der Hörgeräteakustiker nimmt einen Ohrabdruck, wertet das Resthörvermögen aus, schlägt Geräte vor und passt diese an.

Bei der verkürzten Versorgung nimmt der HNO-Arzt ergänzend zu den Hörkenndaten einen Ohrabdruck und besorgt ein passendes Hörgerät bei einem Direktanbieter. Zwei Fir- men bieten als Direktanbieter Hörgeräte per Versandhandel (Sanomed Medizintechnik, Hamburg) beziehungsweise mit ergänzender Online-Feineinstellung (auric Hörsysteme, Rheine) an. Diese Direktanbieter fertigen das Hörgerät individuell nach den ärztlichen An- gaben und schicken es dann an den Arzt, der es dem Patienten einsetzt. Bei der Online- Versorgung wird abschließend in der Arzt- praxis eine Datenverbindung zwischen dem im Ohr des Patienten befindlichen Hörgerät und der Akustikfirma aufgebaut, um das Gerät entsprechend den Angaben des Kun- den nachzuregeln. Den zusätzlichen Arbeits- aufwand des Facharztes bei der Geräteabga- be (etwa eine Stunde) vergüten die Direktlie- feranten mit 150 DM bis 250 DM je Hörgerät.

tient den Leistungserbringer seiner Wahl aufsucht. Dieser hat die Aufgabe, ange- messen zu versorgen. „Die Krankenkas- sen haben somit keine Möglichkeit der Bedarfssteuerung, auch nicht hin zu ko- stengünstigen Anbietern“, kritisiert Su- sanne Eschenbach diesen Umstand.

Kein Einfluss auf Standard und Preis

Aber auch der Arzt hat keinen Einfluss auf Standard und Preis der Hilfsmittel, die er verordnet. Karl Wittow, Allge- meinarzt aus Hürth bei Köln, beklagt:

„Wir sind gezwungen, Dinge zu verord- nen, deren Preise und Produktbe- sonderheiten wir im Einzelnen nicht kennen.“ In seiner Praxis stellt er täg- lich mindestens zehn Rezepte für Kompressionsstrümpfe, Gehhilfen oder Rollstühle aus. Zwar muss er sich bei der Verordnung von Hilfsmitteln kei- ne Sorgen um Budgetüberschreitungen machen, denn anders als Arzneimittel werden Hilfsmittel außerhalb der sek- toralen Budgets bezahlt. Doch ärger- lich sei, dass „ich mit meiner Unter- schrift verantwortlich bin für etwas, worauf ich keinen Einfluss habe“.

„Ungenaue Verordnungen eröffnen den Leistungserbringern Tür und Tor für Angebote, die nicht immer dem not- wendigen Bedarf, sondern Gewinnin- teressen entsprechen“, erklärt Holger Schlicht, Leiter der Hilfsmittel-Kompe- tenzzentren der DAK, Hamburg. An- dererseits werde dem Arzt abverlangt, dass er sich technisch auskennt, doch bei der Vielzahl an Produktarten und -varianten sei das „sehr schwierig“. Die hohe Ausgabensteigerung im Hilfsmit- telbereich war für die DAK im vergan- genen Jahr der Grund, bundesweit fünf Hilfsmittel-Kompetenzzentren einzu- richten, die die Bearbeitung in den Be- zirksgeschäftsstellen ersetzen. Neu ist, dass dort auch Orthopädietechniker, Au- genoptiker, Hörgeräteakustiker, Kran- kenpfleger und andere tätig sind, die die Kostenvoranschläge mit Sachver- stand überprüfen können. Ein Sozial- versicherungsfachangestellter ist damit oft überfordert. Bereits in der Auf- bauphase des Jahres 2000 sei eine Ko- steneinsparung von 18 Prozent erzielt worden, berichtet Schlicht. Jeder vierte

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der 120 000 Kostenvoranschläge habe korrigiert werden müssen, weil mehr beantragt wurde, als „den Versorgungs- grundsätzen und dem tatsächlichen Be- darf entsprach“. So fragen sich die Ex- perten der Krankenkassen beispielswei- se, ob eine Mikroprozessor-gesteuerte Beinprothese, die in der Maximalaus- führung rund 50 000 DM kostet (einfa- che Ausführungen sind ab etwa 6 000 DM zu haben) tatsächlich notwendig ist.

Anhängige Gerichtsverfahren aufgrund von Patientenklagen setzen sich mit die- ser Frage auseinander.

Schlicht klagt auch über die Apothe- ken, die er für kostentreibend hält. Die dringen verstärkt in den Handel mit

Hilfsmitteln ein: 18 000 von 22 500 öffentlichen Apotheken haben im vergangenen Jahr mit der DAK abgerechnet.

„Die Apotheken kaufen möglichst teuer ein, um Gewinn zu machen.“ Sie rechnen einen Betrag ab, der sich aus dem Ein- kaufspreis zuzüglich ei- nes Aufschlags von 20 Prozent zusammensetzt.

Man brauche eine mög- lichst einfache Abrech- nungsregelung, da der Hilfsmittelmarkt so in- transparent ist, so die Begründung. Mit wenig Erfolg wurden mit dem Gesund- heits-Reformgesetz zur Kostendämpfung – neben dem Hilfsmittelverzeichnis – auch Festbeträge eingeführt. Nach Schät- zungen des IKK-Bundesverbandes sind derzeit rund 40 Prozent der Hilfsmittel über Festbeträge abgedeckt: Seh- und Hörhilfen, Inkontinenzhilfen, Stomaar- tikel, Einlagen, Hilfsmittel gegen Deku- bitus und zur Kompressionstherapie.

Aber auch hier fehlt die Übersichtlich- keit, da die Festbeträge landesweit fest- gesetzt werden. In Insider-Kreisen ist längst bekannt, wie man die Festbeträge möglichst hoch werden lassen kann: Die Leistungserbringer finden heraus, wann

und wo die Kassen die materielle Preis- festlegung machen, und schreiben ent- sprechend hohe Rechnungen. Eine bun- desweite Festbetragsregelung würden die Spitzenverbände der Krankenkassen be- grüßen, betont Carla Grienberger.

Das Bundesministerium für Gesund- heit verfolgt den Prozess der Ausgaben- steigerung. Pressesprecher Florian Lanz bezeichnet ihn als „problematisch“. Wirt- schaftlichkeitsreserven müssten konse- quent genutzt werden. So sollten mehr Kassen systematisches Hilfsmittelma- nagement betreiben und innovative Ver- sorgungswege, zum Beispiel Direktver- trieb, nutzen. Deutliche Effizienzsteige- rungen könnten erreicht werden, wenn mehr Krankenkassen Einzelverträge mit den Leistungserbringern vereinbaren würden, statt Verträge auf Landesver- bandsebene zu schließen. Der IKK-Bun- desverband fordert unmissverständliche Begrifflichkeiten im Gesetz und flexible- re Vertragssysteme. Die Anbietergrup- pen müssten nach ihren Kompetenzen ausgewählt und eingegrenzt werden so- wie die Versicherten mehr Verantwor- tung tragen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 1598–1602 [Heft 24]

Anschrift der Verfasserin:

Petra Bühring

Ottostraße 12, 50859 Köln

DÄ: Die Krankenkassen beklagen, ihnen seien keine adäquaten Instrumente übertra- gen worden, um eine wirtschaftliche Versor- gung mit Hilfsmitteln zu steuern. Sehen Sie das auch so?

Aubke: Nein, die Krankenkassen haben nach § 127 SGB V das Recht zur selektiven Ver- tragsgestaltung mit den Leistungserbringern.

Außerdem liegt hier der Sicherstellungsauftrag bei den Kassen. Es ist ihnen jedoch nicht gelun- gen, über eigene Verträge eine qualitative und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten.

Trotzdem wollen sie auch im vertragsärztlichen Bereich selektives Vertragsgestaltungsrecht er- halten. Das lehnen wir ab, denn Krankenkassen allein sind offensichtlich nicht in der Lage, die Gestaltungsverantwortung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit zu übernehmen.

DÄ: Die Kassenärzte sind mit der Vielzahl der Produkte und technischen Varianten über-

fordert, sodass die Verordnungen eher allge- mein gehalten sind und die darauf folgende Versorgungskette im Dunkeln bleibt. Was kann man ändern?

Aubke: Es ist äußerst unbefriedigend aus der Sicht des für die ambulante Versorgung verantwortlichen Arztes, dass ihm von den Krankenkassen keine ausreichende Trans-

parenz über die Hilfsmittelversorgung gege- ben wird. Bei Arzneimitteln ist der Druck sehr groß, so kostengünstig wie möglich zu ver- ordnen – bei Hilfsmitteln scheint die Wirt- schaftlichkeit keine Rolle zu spielen. Der Arzt müsste, entsprechend seiner Verantwortung für den Patienten, viel mehr in den Ver- sorgungsprozess mit Hilfsmitteln eingebun- den werden.

DÄ: Es gibt auch Vorwürfe gegen Ärzte, dass sie sich finanziellen Anreizen, beispiels- weise eine gezielte Verordnung auf Leistungs- erbringer XY auszustellen, nicht entziehen.

Aubke: Das sind Einzelfälle, was aber das individuelle ärztliche Fehlverhalten nicht ent- schuldigen soll. Wäre der Hilfsmittelmarkt nicht so unübersichtlich, gäbe es gar keine Möglichkeit, sich in diesem zwielichtigen An- reizsystem zu bewegen. Hier müssen wir an-

setzen. ✮

Nachgefragt

Dr. med. Wolfgang Aubke, Mitglied des Vorstands der Kas- senärztlichen Bun-

desvereinigung Foto:

Bernhard Eifrig

Im Hilfsmittellager des Sanitätshauses Stortz warten unter ande- rem gebrauchte Rollstühle auf ihren Wiedereinsatz. In der wirt- schaftlichen Variante gehören sie dem Sanitätshaus, das für die Versorgung eine Fallpauschale erhält. Foto: Eberhard Hahne

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