Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 20|
20. Mai 2011 A 1101 KRANKENHAUSHYGIENEJährlich 30 000 tödliche Infektionen
Die Regierung möchte die Hygienevorschriften verschärfen. Vielen reichen die Vorschläge nicht.
Z
u eng gefasst, zu uneinheitlich, zu wenig verpflichtend – so lautet die Kritik der Experten bei der Anhörung zum Infektions- schutzgesetz im Deutschen Bun- destag am 9. Mai. Bis zu 30 000 Pa- tientinnen und Patienten sterben je- des Jahr an Infektionen, die sie sich in deutschen Krankenhäusern, Re- habilitationskliniken oder in Praxen zuzögen, warnen die Deutsche Ge- sellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), die Gesellschaft für Hy- giene, Umweltmedizin und Präven- tivmedizin sowie der Bundesver- band der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes .Mit ihren Zahlen ziehen sie die Daten in Zweifel, die dem Gesetz- entwurf der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP (17/5178) zur besseren Vermeidung von Kran- kenhausinfektionen zugrunde lie- gen. Danach erkranken in Deutsch- land jährlich nämlich „nur“ etwa 400 000 bis 600 000 Patienten an nosokomialen Infektionen; für 7 500 bis 15 000 Patienten verlaufen diese tödlich.
Diese Zahlen müssten dringend korrigiert werden, meint Prof. Dr.
med. Martin Exner, Präsident der DGKH. Die DGKH gehe sicher von 20 000 bis 40 000 Todesfällen im Jahr durch Krankenhauskeime aus. Die Diskrepanz ihrer Zahlen zu denen im Gesetzentwurf erklären sich die Organisationen damit, dass
die Bundesregierung noch immer von einer Prävalenzstudie aus den 90er Jahren ausgeht, nach der sich lediglich 3,5 Prozent der Patienten im Krankenhaus infiziert hatten.
Zudem seien in Rehabilitationskli- niken oder in Praxen für ambulante Operationen erworbene Infektionen nicht einbezogen worden.
Auch die Erwartung der Regie- rungskoalition, durch geeignete Maßnahmen 20 bis 30 Prozent der Krankenhausinfektionen zu ver- meiden, geht nach Ansicht des Lei- ters der Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Essen, Prof.
Dr. med. Walter Popp, „völlig an der Realität vorbei“. Neueren Un- tersuchungen zufolge könnten bei konsequentem hygienischem Han- deln bis zu 100 Prozent der Fälle vermieden werden.
Noch immer habe die Hygiene nicht den notwendigen Stellenwert erhalten, meinen viele Experten.
Ein großes Manko sei die mangeln- de Ausbildung. „Zum Teil werden an deutschen Universitäten Medi- zinstudierende nur zwei Stunden in Hygiene unterrichtet“, klagt Exner.
Bund und Länder müssten gemein- sam durch eine Änderung der Ap- probationsordnung beziehungswei- se der Einrichtung von Lehrstühlen die Voraussetzungen für eine aus- reichende Ausbildung schaffen.
Die Deutsche Krankenhausgesell- schaft (DKG) rechnet vor, wie groß
der künftige Personalbedarf wäre:
„Die Krankenhäuser würden etwa 270 hauptamtliche Krankenhaus - hygieniker, 1 800 hygienebeauftragte Ärzte sowie 1 300 Hygienefachkräf- te benötigen“, erklärt DKG-Haupt- geschäftsführer Georg Baum. Qua - lifiziertes Personal sei jedoch auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar.
Die Kosten dafür beliefen sich auf 400 bis 500 Millionen Euro jährlich, ohne dass es einen Ausgleich gebe.
Auch der Opposition geht der Gesetzentwurf nicht weit genug:
Bündnis 90/Die Grünen fordern bundeseinheitliche verpflichtende Hygienestandards und die Einfüh- rung eines Screenings auf multire- sistente Erreger vor der stationären Aufnahme von Risikopatienten.
Die Linke plädiert für eine Melde- pflicht für Infektionen mit multire- sistenten Keimen und die Möglich- keit für die Gesundheitsämter, Ver- stöße zu bestrafen. Zudem fordern Grüne und Linke, Antibiotika in der Tierhaltung zu beschränken.
Zustimmung erfährt die geplante Einrichtung der neuen Kommission
„Antiinfektive Resistenzlage und Therapie“ sowie die Einführung ei- ner Vergütungsregelung im ver- tragsärztlichen Bereich für Behand- lungen von Patienten vor stationä- ren Aufenthalten. Mitte Juni soll das Gesetz abschließend beraten
werden. ■
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Foto: Caro