• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Internistenkongress: Leitlinien müssen regelmäßig hinterfragt werden" (11.04.2008)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Internistenkongress: Leitlinien müssen regelmäßig hinterfragt werden" (11.04.2008)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A774 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1511. April 2008

M E D I Z I N R E P O R T

D

ie Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ist 1882 von Wissenschaftlern gegrün- det worden, „damit die Praktische Heilkunde nicht dem Untergang an- heimfalle“. Das vor 116 Jahren er- klärte Ziel war auch als eine Abgren- zung zu den Naturwissenschaften ge- dacht, die mit ihrem stetig wachsen- den Einfluss die Innere Medizin zu bedrohen schienen. Bei der diesjähri- gen Tagung betonte ihr Vorsitzender, Prof. Dr. med. Wolfgang Ertl (Würz- burg), dass „die Innere Medizin als praktische Heilkunde heute mehr denn je ein Fach der Zukunft ist“.

Der internistische Patient sei schon heute eher die Regel als die Ausnahme, und dieser Trend werde wegen der längeren Lebenserwar- tung und zunehmender Multimorbi- dität der älteren Menschen anhalten.

Dadurch bestimme häufig nicht mehr das einzelne Krankheitsbild die Prognose, Lebensqualität und Therapie, sondern die Summe der Erkrankungen und Komorbiditäten.

„Die schwierige Entscheidung ist häufig nicht, welche Therapie ge- wählt, sondern worauf verzichtet werden soll“, sagte Ertl.

Überflüssiger Konflikt mit der Allgemeinmedizin

Die ökonomischen Anreize, die im Gesundheitsversorgungssystem ge- setzt würden, entsprächen bei der Lösung solcher Aufgaben in keins- ter Weise dem Bedarf. Die konser- vativen Fächer in den Kliniken ge- rieten durch das Vergütungssystem der Fallpauschalen (DRGs, Diagno- sis Related Groups) in Gefahr, ihrem Auftrag nicht mehr nachkom- men zu können. „DRGs geschickt nutzen heißt, Leistung zu fragmen-

tieren, statt im Rahmen eines Kran- kenhausaufenthalts des Patienten dessen Komorbiditäten zu diagnos- tizieren und zu behandeln“, sagte Ertl. Dieser klassische Ansatz der Inneren Medizin sei betriebswirt- schaftlich unklug geworden.

Gleichwohl sei dieser Ansatz aus Sicht des Patienten und des Arztes sinnvoll. Der Internist müsse sich ein breites Wissen in der Inneren Medizin erwerben und erhalten, aber er könne – entsprechend einer Defi- nition des Internisten durch die EU- Kommission – auch subspezialisiert sein. „Die Notwendigkeit der Allge- meinen Inneren Medizin wird von den Spezialfächern nicht infrage ge- stellt“, machte Ertl in Wiesbaden deutlich, die DGIM lebe mit ihren Schwerpunktgesellschaften im Kon- sens. „Ein in meinen Augen über- flüssiger Konflikt mit der Allge- meinmedizin drohte zur Abschaf- fung des Facharztes für Allgemeine Innere Medizin zu führen.“

Schwerpunkte des Kongresses waren die molekulare Medizin, die Bedeutung klinischer Studien, der Umgang mit Leitlinien sowie ge- schlechtsspezifische Unterschiede innerer Erkrankungen und seltene Krankheiten. Molekularbiologische Methoden und kontrollierte klini- sche Studien hätten die Medizin re- volutioniert und Risikofaktoren als wesentliche Voraussetzung für die Primärprävention definiert. Eine leitliniengerechte Therapie sei er- folgreicher als Behandlungen, die nicht den Leitlinien entsprächen, sagte Ertl. Die DGIM fordere aber, in Leitlinien stärker Besonderheiten der Gesellschaft und des Gesund- heitssystems zu berücksichtigen.

Auf seltene Erkrankungen, die etwa

vier Millionen Menschen in Deutschland beträfen, seien Leitlini- en gar nicht anzuwenden.

Auch beim einzelnen Patienten mit einer häufigen Krankheit müsse die Bedeutung einer Leitlinie immer wieder hinterfragt werden. So erfor- dere die Studienlage bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz, die vom plötzlichen Herztod durch Rhythmusstörungen bedroht seien, die Implantation eines Defibrilla- tors, obwohl innerhalb von fünf Jah- ren nur zehn Prozent aller implan- tierten Geräte für den Patienten le- bensrettend seien. „Bisher hilft hier keine klinische Stratifizierung wei- ter“, sagte Ertl.

Individuelle Genvarianten als Basis für Therapieoptimierung

Hier liege eine wichtige Aufgabe für die Grundlagenforschung, beson- ders über Möglichkeiten der Mole- kulargenetik, die Therapie und vor allem die Prävention zu individua- lisieren. Eine bedeutende For- schungsfrage für die Innere Medizin sei: „Gibt es spezifische biologische Grundlagen für einzelne internisti- sche Erkrankungen und für Multi- morbidität?“

Am Beispiel der Herzerkrankun- gen wurde bei der DGIM deutlich, wie man derzeit nach Antworten auf solche Fragen sucht. Bei den meis- ten Fällen von Herzinsuffizienz handelt es sich um ein komplexes Syndrom multifaktorieller Genese, beispielsweise Hypertonie, korona- re Herzkrankheit, Kardiomyopathie und Adipositas, die mit genetischen Faktoren zusammenwirken.

Häufige genetische Varianten, wie etwa im Gen des Angiotensinkon- versionsenzyms (ACE) oder Beta-

INTERNISTENKONGRESS

Leitlinien müssen regelmäßig hinterfragt werden

Leitlinien, Herzerkrankungen und seltene Erkrankungen waren

Schwerpunkte auf der 114. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft

für Innere Medizin in Wiesbaden.

(2)

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1511. April 2008 A775

M E D I Z I N R E P O R T

adrenorezeptors, welche das Anspre- chen auf eine Therapie mit Beta- blockern beeinflussen und das Re- modeling bei Herzinsuffizienz, haben auf der Populationsebene einen star- ken Effekt auf das Gesamtrisiko für eine Herzinsuffizienz – zumal ver- schiedene Genvarianten interagieren.

Auch für subklinische Vorstufen einer manifesten Herzinsuffizienz – wie der linksventrikulären Hypertro- phie (LVH) – sind solche Risikogene nachgewiesen worden. Molekular- biologische Methoden wie die Analy- se des gesamten Genoms mit DNA- Chips könnten in nächster Zeit ver- mutlich dazu beitragen, solche gene- tischen Risiken klar zu identifizieren.

Für den einzelnen Patienten könnte dies zu einer Optimierung herkömmlicher Therapiestrategien oder der Anwendung neuer Behand- lungsformen führen, wie Priv.-Doz.

Dr. med. Stefan Kaäb (München) am Beispiel des Vorhofflimmerns deutlich machte. Es gebe derzeit sie- ben Genloci beziehungsweise Kan- didatengene, die mit einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern assozi- iert seien.

Eine Familienstudie an mehr als 5 000 isländischen Patienten weise darauf hin, dass das Risiko für Vor- hofflimmern um den Faktor 4,7 er- höht ist, wenn ein Elternteil vor dem 60. Lebensjahr die Rhythmusstö- rung entwickelte. Mit einer Präva- lenz von etwa einem Prozent in der Gesamtbevölkerung sei Vorhofflim- mern die häufigste Herzrhythmus- störung und mit einem deutlich er- höhten Risiko für Schlaganfälle assoziiert, sagte Kaäb. In der Alters- gruppe der über 60-Jährigen liege die Prävalenz bei sechs Prozent.

Frauen mit Vorhofflimmern hät- ten ohne orale Antikoagulation ein fast doppelt so hohes Risiko für Schlaganfall oder ein peripheres thrombembolisches Ereignis wie Männer (Circulation 2005; 112:

1687 ff., und JACC 2007; 49: 572 ff.).

Eine differenziertere Therapie von Herzerkrankungen sollte künf- tig auch geschlechtsspezifische Un- terschiede stärker berücksichtigen, machte Prof. Dr. med. Vera Regitz- Zagrosek (Charité – Universitäts- medizin Berlin) deutlich. So habe der arterielle Hypertonus als Risiko-

faktor für die LVH und für einen Schlaganfall bei Frauen eine höhere Bedeutung als bei Männern. Physio- logisch sei die linksventrikuläre Masse bei Männern größer als bei Frauen. Mit zunehmendem Körper- gewicht steige jedoch vor allem bei Frauen das Risiko, eine LVH zu ent- wickeln, bei einer arteriellen Hyper- tonie sei der Unterschied noch aus- geprägter.

Unterschiede gebe es auch bei der Medikamentenverträglichkeit.

So hätten Frauen ein erhöhtes Mor- talitätsrisiko unter einer Digitalis- therapie als Männer, was offenbar auf einer stärkeren Akkumulation des Medikaments (erhöhte Serum- spiegel) bei relativ eingeschränkter Nierenfunktion beruhe. Und ACE- Hemmer lösten bei Frauen häufiger Reizhusten aus als bei Männern.

Die Forschung auf dem Gebiet der Inneren Medizin dürfe international nicht den Anschluss verlieren, mahn- te Ertl. Während die Grundlagen- forschung schon international aner-

kannt sei, gälten klinische Untersu- chungen bislang als „Pharmafor- schung zweiter Klasse“, sagte Ertl.

Klinische Studien hätten bislang ge- ringe öffentliche Förderung gefun- den und unterlägen darum auch nicht der Qualitätskontrolle standardisier- ter Begutachtungen. Ein Programm

„Klinische Studien“, das gemeinsam vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragen werde, sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Kritisch beurteilt die DGIM die Stichtagsregelung des Stammzellge- setzes. Stammzellen werden bei vie- len internistischen Erkrankungen er- probt, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt. In Deutschland dürfen nur vor dem Jahr 2002 entstandene Zelllinien verwendet werden (derzeit 21). Das behindere die wissenschaft- liche Arbeit, sagte Ertl, zumal noch unklar sei, in welche Richtung sich die Forschung entwickeln werde. I Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

Jugendliche sind unzureichend über die Gefahr informiert, sich bei ungeschütztem Geschlechts- verkehr mit Hepatitis-B-Viren (HBV) zu infizieren.

Dies belegt eine Untersuchung, für die Priv.-Doz.

Dr. med. Heiner Wedemeyer (Hannover) im Rah-

men des Internistenkongresses mit dem 5 000 Euro dotierten Präventionspreis der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) geehrt wurde. Hierfür waren 1 262 Schüler der achten Klassen aus Gymnasium, Real- und Hauptschulen befragt worden. Je nach Schulform kennen zehn

bis 20 Prozent der Befragten die Viruskrankheit gar nicht. Die überwiegende Zahl der Schüler hat- te zwar schon von einer HBV-Infektion gehört.

„Die Hepatitis B als sexuell übertragbare Erkran- kung (STD) ist jedoch nur etwa der Hälfte der Schüler bekannt", sagte Wedemeyer. Etwa ein Drittel der Schüler weiß, dass Kondome vor einer HBV-Infektion schützen. Und Mädchen kennen ihren Impfstatus besser als Jungen.

„Dieses Resultat ist sehr interessant und ent- täuschend zugleich und macht einmal mehr deutlich, wie wichtig Aufklärung für Jugendliche über dieses Krankheitsbild ist“, betonen die Juroren der DGIM in ihrem Urteil. Zudem be- stätigten die Ergebnisse, dass Impfkampagnen notwendig seien.

Hepatitis B ist die häufigste durch Viren über- tragene Erkrankung: Weltweit sind etwa 350 Mil- lionen Menschen infiziert – in Deutschland tragen 250 000 bis 650 000 das Virus dauerhaft in sich.

Die Ansteckung erfolgt über Blut, Speichel und Sperma. Zwei Drittel der Virusträger zeigen keine Symptome. Hepatitis B ist die bedeutendste Ursa- che für chronische Lebererkrankungen. Impfun- gen bieten einen wirksamen Schutz. zyl

PRÄVENTIONSPREIS

Hepatitis B wird als STD unterschätzt

Das Hepatitis-B-Virus setzt sich zusammen aus Virushülle, Nukleokapsid und viralem DNA-Genom.

Foto:Gilead Sciences

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wenn für die Versorgung am Einsatzort auch nur 15 Minuten benötigt werden, bleiben für den Transport zur Ziel- klinik maximal 30 Minuten.. Da es sich hierbei um Rahmenbe- dingungen

Für diese Krankheiten fehlten nicht nur Leitlinien, „es findet auch wenig Austausch zwischen Grundlagen- forschung und klinischen Fragestel- lungen statt“. Der DGIM-Vorsit-

Die herausgebenden Autoren können zwei Lagern zugewiesen werden: Berndt Birkner als nieder- gelassener Gastroenterologe und Malte Ludwig als angiologischer Chefarzt einer Klinik

Sie kommt zu dem Schluß, daß Männer in der Re- gel den Tod als ein Geschehen von „außen“ erfahren, wohin- gegen für Frauen das Leben und der Tod eng mit ihrer Psy- che,

Selbst für einen medizinisch interessier- ten Laien erscheint Netter’s Innere Medizin sinnvoller als alle medizinischen Lexika, die man sich im Laufe seines Lebens zulegt. Auch

Bei mes- enchymalen Geschwulsten ist auf- grund des makroskopischen Befun- des und auch in einer intraoperati- ven Schnellschnittuntersuchung die Dignität des Tumors nicht immer

Unter die sogenannten sub- stanzspezifischen unerwünschten Wirkungen, die sich als nicht durch die eigentliche Pharmakonwirkung der Hemmung des Konversionsen- zyms erklären

Kolkmann verwies darauf, daß die Entwicklung von medizinischen Leitlinien, die insbesondere von den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften forciert wird, auch