Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 4616. November 2007 A3211
S T A T U S
Zweck empfiehlt es sich, beim Prü- fungsausschuss zu beantragen, Ein- sicht in die das Verordnungsvolu- men dokumentierenden Original- rezepte zu gewähren. In der Ver- gangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass das Verordnungsvolu- men auf Basis einer fehlerhaften Datengrundlage ermittelt wurde.
Im Rahmen der Begründung kommt es vor allem darauf an, Pra- xisbesonderheiten schlüssig darzu- legen, die die Überschreitung der Richtgröße im Verordnungsbereich rechtfertigen. Hierzu enthalten viele Richtgrößenvereinbarungen Wirk- stoff- und Indikationslisten über Verordnungen, die im Rahmen ei- ner Richtgrößenprüfung als Praxis- besonderheit zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Listen können und sollten bei dem Prü- fungsausschuss angefordert und mit den eigenen Verordnungen ab- geglichen werden. Darüber hinaus kann eine Praxisbesonderheit unter Umständen damit begründet wer- den, dass das Patientengut der be- troffenen Praxis von demjenigen ei- ner Durchschnittspraxis innerhalb der Arztgruppe wesentlich ab-
weicht. Aufschluss darüber, wie sich die Leistungen und das Patientengut der durchschnittlichen Vergleichs- praxis zusammensetzen, geben un- ter anderem die Frequenzstatistik der Kassenärztlichen Vereinigun- gen sowie die Informationen des Zentralinstituts für die Kassenärzt- liche Versorgung (Internet: www.zi- berlin.de). Voraussetzung ist aber auch hier, dass das Patientengut die
überdurchschnittlichen Verord-
nungskosten verursacht hat. Ein Ansatzpunkt für eine Praxisbeson- derheit kann ferner die Verordnung innovativer Medikamente sein, die bisher nicht zum Leistungsspek- trum der betroffenen Arztgruppe gehörten, nunmehr aber dem aner- kannten Stand der Medizin entspre- chen.
Im Ergebnis sind die in Betracht kommenden Praxisbesonderheiten vielfältig und können hier nicht ab- schließend dargestellt werden. Er-
forderlich ist immer eine Prüfung im Einzelfall. Ob im Rahmen der Richtgrößenprüfung darüber hin- aus auch „kompensatorische Eins- parungen“ Berücksichtigung finden können, ist bisher nicht geklärt.
Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen die Verordnungen von Arz- neimitteln zu Einsparungen in an- deren Bereichen geführt haben. Ein Beispiel ist etwa die Durchführung einer kostenintensiven ambulanten Behandlung, um eine (teurere)
Krankenhauseinweisung zu ver- meiden. Solange die Frage der Berücksichtigung kom- pensatorischer Einsparungen noch nicht abschließend geklärt ist, ist es sinnvoll, in der Begründung even- tuell vorliegende „kompensatori- sche Einsparungen“ darzulegen.
Maßnahmen im
Richtgrößenprüfverfahren Nach Eingang der Stellungnahme beziehungsweise Ablauf der Stel- lungnahmefrist entscheidet der Prüfungsausschuss über die festzu- setzenden Maßnahmen. Dies kön- nen insbesondere die Einstellung des Verfahrens, der Ausspruch ei- ner Beratung des Arztes über die Wirtschaftlichkeit, die Festsetzung eines Regresses oder die Vereinba- rung einer individuellen Richtgröße sein. Bei letzterem vereinbaren der Prüfungsausschuss und der Arzt ei- ne individuelle Richtgröße, an der sich der Arzt künftig messen lassen muss. Im Gegenzug verzichtet der Prüfungsausschuss auf die Festset- zung eines Regresses. Der Ab- schluss solcher Vereinbarungen sollte genau überlegt sein. Wird nämlich eine solche Vereinbarung geschlossen, kann der Arzt später nicht mehr einwenden, die bei ihm eventuell bestehenden Praxisbe- sonderheiten seien nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Das kann sich vor allem dann als problematisch erweisen, wenn der Arzt künftig auch die individuell vereinbarten Richtgrößen nicht einhalten kann. Das Problem eines
RECHTSREPORT
Hinauskündigungsklausel:
Drei Jahre sind ausreichend
Eine sogenannte Hinauskündigungsklausel ist dann nicht sittenwidrig, wenn sie allein dazu dient, Ärzten einer Gemeinschaftspraxis inner- halb einer angemessenen Frist die Prüfung zu ermöglichen, ob sie zu einem neuen Praxispart- ner Vertrauen gefasst haben. Das hat der Bun- desgerichtshof (BGH) entschieden.
Zwar sind nach der ständigen Rechtspre- chung Regelungen, die es einer Gesellschaft er- lauben, ein Mitglied ohne sachlichen Grund aus- zuschließen, grundsätzlich wegen Verstoßes ge- gen die guten Sitten nach § 138 Absatz 1 Bür- gerliches Gesetzbuch nichtig. Sonst könnte ein Gesellschafter aus Sorge, der Willkür der zur Ausschließung berechtigten Gesellschafter aus- geliefert zu sein, nicht frei von seinen Gesell- schaftsrechten Gebrauch machen. Im Extremfall würde er sich womöglich den Vorstellungen der anderen beugen.
Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Wenn es sich bei dem Zusammenschluss um Ärzte han-
delt, die regelmäßig auf ihre Zulassung als Ver- tragsarzt angewiesen sind und in dieser Eigen- schaft besonderen öffentlich-rechtlichen Be- schränkungen bei der Gestaltung ihres berufs- rechtlichen Zusammenwirkens ausgesetzt sind, kann ein wichtiger Grund für die Aufnahme einer solchen Klausel vorliegen. Denn für Gesellschaf- ter, die einen unter Umständen weitgehend un- bekannten Partner aufnehmen, können daraus erhebliche Gefahren entstehen. Im allgemeinen stellt sich erst nach gewisser Zeit heraus, ob die Partner harmonieren, insbesondere hinsichtlich der besonderen ethischen Anforderungen des Arztberufs.
Eine Prüfungszeit von zehn Jahren, wie sie im Gesellschaftsvertrag vereinbart wurde, der dem BGH zur Prüfung vorlag, ist jedoch sittenwidrig.
Das Hinauskündigungsrecht kann nur für kurze Zeit rechtlich anerkannt werden. Nach Auffas- sung des Gerichts sind hier bei der Gemein- schaftspraxis von Fachärzten für Innere Medi- zin/Nephrologie drei Jahre als angemessen an- zusehen. (Urteil vom 17. Mai 2007, Az.: II ZR
281/05) RA Barbara Berner