A 220 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 6|
12. Februar 2010HONORAR 2010
Freie Leistungen sorgen für Unmut
Die Honorare für die haus- und fachärztliche Basisversorgung sinken vielerorts, weil sogenannte freie Leistungen wie Akupunktur, Langzeit-EKG oder Psychotherapie besser bezahlt werden. Die KVen suchen deshalb nach neuen Begrenzungen.
E
r habe „noch nie eine Vergü- tungsreform durchgeführt, bei der es so viele Gewinner gab“, hat Dr. med. Andreas Köhler dieser Tage im Interview mit der „Welt“ be- tont. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) verwies auf die Endabrech- nungen des ersten und zweiten Quartals 2009: „Versprochen hat uns die Politik eine Honorarsteigerung von 2,5 Milliarden Euro gegenüber 2007. Jetzt werden es fast 3,4 Milli- arden Euro sein.“ Für 2010 habe man mit den Kassen eine weitere Steigerung von 1,7 Milliarden Euro ausgehandelt. Aber: „Die Gewinner schweigen – aus Furcht, dass man ihnen die Gewinne wieder nimmt.“Die Furcht ist nicht unbegründet.
Mittlerweile melden sich wieder mehr Verlierer der Reform zu Wort.
Ihr Hauptärgernis hat stellvertretend für viele Dr. med. Axel Brunngraber, Hausarzt in Hannover und engagiert bei der Freien Ärzteschaft, beschrie- ben: „Wir werden nunmehr über ei- nen schwerwiegenden Absturz unse- rer pauschalierten Honorare ab dem ersten Quartal 2010 informiert.“
In vielen KVen wurden die Re- gelleistungsvolumen (RLV) zum neuen Jahr erneut gekürzt. Zwar ist unbestritten mehr Geld für ärztliche Honorare vorhanden, doch werden aus der morbiditätsorientierten Ge- samtvergütung auch sogenannte freie Leistungen finanziert, für die es keine Mengenbegrenzungen gibt. Damit verkleinert sich die Ho- norarsumme, die für die RLV und damit für die Basisversorgung zur Verfügung steht. Weil zum Teil sehr viel mehr freie Leistungen, wie bei- spielsweise Akupunktur, dringende Besuche oder Psychosomatikleis- tungen abgerechnet werden als zuvor, steht weniger Geld für alles andere zur Verfügung.
Der KBV ist das Problem bekannt.
„Wir werden noch in diesem Jahr im Bewertungsausschuss Beschlüsse fassen, die vor allem die Regelversor- gung stützen“, hatte Köhler Anfang Dezember angekündigt. Geplant sei, freie Leistungen außerhalb der RLV als „qualifikationsgebundenes Zu- satzvolumen“ zu steuern, also zu begrenzen. Doch noch gibt es keine Einigung mit den Krankenkassen.
Die schleichende Absenkung der RLV verschärft aber die Unzufrie- denheit, die die Honorarreform von Anfang an begleitete, weil es als Folge von zuvor regional sehr unterschiedlich gesteuerten Fall- werten und Fallzahlen auch Verlie- rer gibt. „Gerade die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein-Westfalen müs- sen die Erfolgsmeldungen aus Ber- lin als zynisch empfinden“, sagte Dr. med. Thomas Kriedel, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe, vor kurzem.
Der Vorstand der KV Nordrhein, Bernd Brautmeier, stimmte ihm zu:
„Unsere Haus- und Fachärzte haben nach der Honorarreform die nied-
rigsten Fallwerte pro Patient. Mit anderen Worten: Für die Behand- lung eines Patienten werden in an- deren Bundesländern bis zu 35 Pro- zent mehr gezahlt.“
Wer die Gewinner sind, teilen die KVen nicht mit. Ersten Analy- sen der KV Nordrhein im Sommer 2009 zufolge profitierten zunächst auch dort zwei Drittel der Ärzte von der Honorarreform. Allerdings war damals auch schon klar, dass über- all in Deutschland mancher Gewin- ner sein zusätzliches Honorar nicht mit der Basisversorgung erzielt, sondern durch freie Leistungen oder Angebote, die außerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtver- gütung bezahlt werden, zum Bei- spiel Präventionsleistungen.
Das KV-Blatt Berlin hat den jüngsten Honorarproblemen im Fe- bruar die Titelgeschichte gewidmet.
Auch in der Hauptstadt steht dem- nach für die Versorgung im ersten Quartal 2010 nicht weniger Geld zur Verfügung als im ersten Quartal 2009, nur: Die RLV-Fallwerte sind um durchschnittlich 15 Prozent gesun- ken. Ein Grund dafür ist, dass die re- levanten Fallzahlen um zehn Prozent gestiegen sind. Allein dies begründe, so das KV-Blatt, rund zwei Drittel des Fallwertverlusts. Weiteres Geld für die RLV fehlt, weil es für freie Leistungen benötigt wird.
Die Vertreterversammlung fasste deshalb den Beschluss, das Honorar- volumen für die freien Leistungen zu begrenzen und so die RLV-Fall- werte zu stabilisieren. Eine ähnliche Entscheidung hat die KV Nordrhein in Abstimmung mit den Kassen be- reits mit Geltung für das vierte Quar- tal 2009 getroffen. Dort waren die Ausgaben für freie Leistungen im ersten Halbjahr 2009 um 14 Prozent
gestiegen. ■
Sabine Rieser Das Glas ist doch
nur halb voll:
Wenn es um die Regelleistungs - volumen geht, ist das keine Aussage eines Pessimisten, sondern die Folge der Honorarreform.