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Archiv "Gesundheitsstatistik als politische Waffe mißbraucht" (12.02.1976)

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Horst Fassl

Fortsetzung und Schluß

11. Säuglingssterblichkeit:

Thesen der „Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Ärzte Deutschlands"

(S. 14): „Nicht besser sieht der Vergleich der Säuglingssterblich- keit aus. In der Bundesrepublik starben 1971 rund 18 000 Säuglinge innerhalb des ersten Lebensjahres.

Bezieht man die Zahl der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder auf 1000 Lebendgeborene, so findet man in den verschiedenen Ländern folgende Häufigkeiten:

Bundesrepublik 23,2

Schweden 11,1

Niederlande 12,1

Japan 12,4

Frankreich 13,3

Schweiz 15,1

England 18,0

DDR 18,0

USA 19,2

Bei so günstigen Verhältnissen wie in Schweden würden in der Bun- desrepublik pro Jahr 10 000 Kinder weniger sterben: Jeden Tag ster- ben in der Bundesrepublik also fast 30 Kinder, die leben würden, wenn das Gesundheitswesen ihres Vaterlandes das Niveau anderer europäischer Industrienationen er- reichen würde."

Stellungnahme

Noch mehr als bei der Müttersterb- lichkeit erfordert der objektive Ver-

gleich von Säuglingssterbeziffern die nüchterne Auseinandersetzung mit dem statistischen Quellenma- terial').

Seit 1950 ist die Säuglingssterb- lichkeit in allen Vergleichsländern stetig zurückgegangen. Ursache ist die abnehmende Zahl der Sterbe- fälle an Infektionskrankheiten, Lun- genentzündungen, entzündlichen Magen- und Darmkrankheiten und chronischen Ernährungsstörungen

— typische Todesursachen in Län- dern niedrigen Lebensstandards (3, 67, 71, 92, 102, 112, 120, 121). Immer noch bestehen internationale Un- terschiede in der Häufigkeit man- gelhaft bezeichneter Todesursa- chen (44, 59, 125, 126).

Auffallend ist, daß sich im Be- richtsjahr hohe, mittlere und niedri- gere Säuglingssterbeziffern sowohl in Ländern finden, die ihr Gesund- heitssystem nach dem „Versiche- rungskonzept (Schicke [85])" orga- nisieren (wie z. B. Dänemark, die

1) Definitionen:

Säuglingssterblichkeit: Sterbefälle im Alter unter einem Jahr*)

Neugeborenensterblichkeit: Sterbefälle im Alter bis unter vier Wochen*) Postneonatale Sterblichkeit: Sterbefälle von vier Wochen bis unter einem Jahr*) Spätfötale Sterblichkeit: Fetale Sterbe- fälle (Totgeburten nach mindestens 28 Wochen Tragzeit einschließlich der Tot- geburt unbekannter Tragzeit*)

Perinatale Sterblichkeit: Spätfetale Ster- befälle (Totgeburten) und Sterbefall un- ter einer Woche*)

*) bezogen auf 1000 Lebendgeborene

Kommission über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 19. Oktober 1973 nimmt dazu Stellung, wie folgt: „Die Behandlung, Betreuung und Be- wahrung von Suchtkranken ist...

in der Bundesrepublik insgesamt unzureichend... Den stationären Einrichtungen, die der Entgiftung und mittelfristigen Entziehung die- nen, müssen... Beschäftigungsein- richtungen für zeitweilig oder dau- ernd behinderte Suchtkranke zuge- ordnet werden." Im Klartext heißt das: Trinkerasyle und Arbeitshäu- ser zur gegebenenfalls langfristi- gen Internierung. Man muß sich in diesem Zusammenhang wohl auch wieder der halb vergessenen Mög- lichkeit zur Entmündigung von Trinkern erinnern*). Denn tatsäch- lich ist die langfristige Beschrän- kung der persönlichen Freiheit, bei absoluter Abstinenz, die aussichts- reichste reale Therapie für diese sonst hoffnungslos Verlorenen.

Schutz des Süchtigen vor seinem Todfeind Alkohol vereint sich hier mit dem Schutz der Gesellschaft vor antisozialen Entwicklungen.

Der Behinderte hat dabei die Mög- lichkeit, durch leistungsgerechte Arbeitsentlohnung zu seinem und seiner Familie Unterhalt selbst bei- zutragen. Langfristig, in einem hö- heren Lebensalter, kann es er- fahrungsgemäß doch noch zu einer echten Nachreifung und Festigung der Persönlichkeit kommen. Der Aufbau einer Institution solcher Art unter geeigneter Trägerschaft er- schiene mir als für ein psychiatri- sches Lebenswerk lohnend; Zeit- geist und Umstände waren dafür bislang noch nicht günstig.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Erich 0. Haisch Psychiatrisches

Landeskrankenhaus Reichenau 775 Konstanz

*) §6 Abs. 3 BGB: Entmündigt werden kann, wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen ver- mag, oder sich oder seine Familie der Gefahr des Notstands aussetzt, oder die Sicherheit anderer gefährdet.

Gesundheitsstatistik

als politische Waffe mißbraucht

Behauptungen einer extremen ärztlichen Oppositionsgruppe — analysiert und widerlegt an Hand der Beispiele

„Müttersterblichkeit" und „Säuglingssterblichkeit"

(2)

Tabelle 3: Säuglingssterbefälle auf 1000 Lebendgeborene nach Staaten 1950-1971

„Arbeitsgem.

unabhängiger Ärzte"

WESTEUROPA 1950 1955 1960 1965 1970 1971 1971

Belgien 53.5 40.7 31.2 23.7 21.3 19.8 Bundesrepublik

Deutschland 55.5 41.5 33.8 23.9 23.6 23.3 23.2 Frankreich') 52.0') 38.6') 27.4 1 ) 18.1 16.4 14.4 13.3 Luxemburg 45.7 38.9 31.5 24.0 24.6 22.5

Niederlande 25.2 20.1 16.5 14.4 12.8 12.2 12.1 Österreich 66.1 45.6 37.5 28.3 25.9 26.1

Schweiz 31.2 26.5 21.1 17.9 15.1 14.4 15.1

SÜDEUROPA Albanien Griechenland Italien Jugoslawien Malta Portugal Spanien 1 ) 2) OSTEUROPA Bulgarien DDR Polen Rumänien Tschecho- slowakei Ungarn NORDEUROPA Dänemark 3) Finnland Irland Norwegen Schweden Vereinigtes Königreich:

England und Wales Nordirland Schottland Israel Japan UdSSR USA

- 103.9 83.0 86.8

35.0 43.5 40.1 34.3 29.6 27.0 63.8 50.9 43.9 36.0 30.8 28.3 118.6 112.8 87.0 71.8 57.3 49.0 88.5 45.0 38.3 34.8 27.9 23.9 94.1 90.2 77.5 64.9 58.0 47.6 69.8') 56.9') 43.7') 37.8 1 ) 27.9') 18.4

94.5 82.4 45.1 30.9 27.3 24.9 72.2 48.9 38.8 24.8 18.5 18.0 108.0 81.4 56.8 41.7 33.2 29.5 78.2 75.7 44.1 49.4 42.4 1951") 73.0*) 34.1 23.5 25.5 23.1 21.6 85.7 60.0 47.6 38.8 35.9 35.1

18.0

18.0

12.4 19.2 30.7

43.5 46.2 28.2 21.0

25.2 29.7 36.7 20.6 17.4

21.5 21.0 29.3 18.9 16.7

18.7 17.6 25.3 16.8 13.4

14.8 14.2 19.2 13.8 11.6

13.5 11.8 18.0 12.5 11.1

29.9 40.5 38.6

24.9 32.4 30.4

21.8 27.2 26.4

19.0 25.1 23.1

18.2 22.9 19.6

17.5 23.0 19.9 23.0 12.4 22.6 19.2

Die Verhältniszahlen stammen aus den WHO Statistical Yearbook series, den UN Demo- graphic Yearbooks und den UN Population E.nd Vital Statistics Report Series A.

1) Lebendgeborene, die vor der Registrierung starben, sind in diesen Statistiken enthalten (in Spanien Registrierung bis 24 Std. nach Geburt verstorben 1969: 5183; in Frankreich bis zu 3 Tagen nach Geburt verstorben 1970: 2593).

2) 1971 ohne Ceuta und Mellila 3) 1971 ohne Färöer und Grönland

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gesundheitsstatistik als politische Waffe

Bundesrepublik), als auch in Län- dern mit vorrangiger „Versor- gungsorientierung" (Schweden, Großbritannien, Ostblockstaaten) (Tabelle 3).

Eine Fülle von weiteren, dem Ein- fluß der Gesundheitssysteme weit- gehend entzogenen Faktoren be- einflussen die Säuglingssterblich- keit: Geschlecht, Legitimität, Alter der Mutter, Parität, sozio-ökonomi- sche Gegebenheiten, Ausländer- eigenschaft, Alkohol- und Nikotin- mißbrauch während der Schwan- gerschaft und Stillzeit, Einstellung der Mutter zum Kind, jahreszeitli- che und klimatische Einflüsse, die allgemeine Seuchenlage (Übersich- ten bei 18, 88, 118, Einzeldarstel- lungen: 7, 8, 11, 13, 14, 17, 35, 41, 43, 46, 54, 55, 60, 70, 72, 73, 75, 77, 83, 90, 94, 117, 119, 123).

In der Bundesrepublik stagniert nach einem rapiden Rückgang von 1952 bis 1966 die Säuglingssterb- lichkeit. Der Anteil der Neugebo- renensterblichkeit an der gesamten Säuglingssterblichkeit wuchs von 1952 bis 1971 von 56 Prozent auf 68 Prozent bei gleichzeitigem Rück- gang des Anteils der in den ersten 24 Stunden Verstorbenen (23, 90).

Die Säuglingssterblichkeit nach Le- gitimität zeigt auch in der Bundes- republik die erheblich höhere Sterblichkeit der unehelichen Kin- der, die in den letzten Jahren fak- tisch stabil blieb, wobei bei den Unehelichen deutlich mehr Unter- gewichtige registriert wurden. Da seit 1966 der Anteil der uneheli- chen Geburten laufend ansteigt, könnte hieraus ein Teil der Stagna- tion der Sterbeziffern erklärt wer- den (16).

Deutlich ist in der Bundesrepublik eine erhöhte Säuglingssterblichkeit bei den Kindern ausländischer Mütter (1970, 25,9 auf 1000 Le- bendgeborene gegenüber 22,7 bei der einheimischen Bevölkerung).

Die Sterbeziffer erhöht sich da- durch schätzungsweise um 0,5 Pro- mille (109).

Häufigste Todesursachen sind: Un- reife (ICD 777); Anoxie und Hyp-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 7 vom 12. Februar 1976 431

(3)

Tabelle 4: Säuglingssterbefälle nach Alter, Geschlecht und ausgewählten Todesursachen

1971

davon im Alter von ... bis unter ...

Todesursache ins- 24 Stunden 7 Tage 28 Tage

gesamt unter bis bis bis

24 Stunden 7 Tage 28 Tage 1 Jahr

Natürliche Todesursachen 17 398 7 638 4 683 1 667 3 530

Infektiöse und parasitäre Krankheiten 543 9 41 87 406

Infektiöse Krankheiten des Darmes 127 — 2 7 118

Toxoplasmose 3 1 — — 2

Magen- und Darmkatarrh und Kolitis nicht infektiösen Ursprungs, chron. Darm-

katarrh und Colitis ulcerosa 108 — 1 13 94

Avitaminosen und sonstige Ernährungs-

mangelkrankheiten 105 1 1 12 91

Sonstige Stoffwechselkrankheiten 64 3 5 12 44

Pneumonie 503 28 94 94 287

Angeborene Mißbildungen 3 277 848 713 604 1 112

Angeborene Mißbildungen des Nerven-

systems, einschl. Augen 631 254 99 66 212

Angeborene Mißbildungen des Kreis-

laufsystems 1 465 162 401 333 569

Angeborene Mißbildungen der Verdau-

ungsorgane 303 41 56 99 97

Angeborene Mißbildungen mehrerer

Organsysteme 551 243 99 60 149

Besondere Krankheiten der frühesten

Kindheit 11 364 6 696 3 620 658 390

Schädigung des Neugeborenen durch Krankheiten der Mutter, einschl.

Toxikosen und Infektionen 134 80 36 8 10

Regelwidrige Geburt, einschl. Geburts-

verletzungen und Asphyxie 1 479 590 725 124 40

Schädigung des Neugeborenen durch Veränderungen der Plazenta und der

Nabelschnur, einschl. Asphyxie 349 286 55 7 1

Hämolytische Krankheiten des Neugeborenen 289 147 85 48 9

Anoxie und Hypoxie, anderweitig

nicht einzuordnen 3 822 1 954 1 618 195 56

Nicht näher bezeichnete Unreife 3 448 2 626 688 136 18

Alle übrigen natürlichen Todesursachen 1 434 53 88 187 1 106

Unnatürliche Todesursachen 743 30 8 25 680

Mechanisches Ersticken 588 1 2 17 568

Zusammen 18 141 7 668 4 571 1 682 4 210

Quelle: Gesundheitswesen 1971, Bevölkerung und Kultur, Reihe 7 (S. 147)

(4)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gesundheitsstatistik als politische Waffe

oxie (lCD 776); angeborene Mißbil- dungen (ICD 740-759) und regel- widrige Geburt (ICD 764-768, 772).

Unter den unnatürlichen Todesur- sachen dominiert das mechanische

Ersticken der über einen Monat al- ten Säuglinge. Mechanisches Er- sticken und Anoxie sind Todesur- sachen, die in den letzten zehn Jahren anteilmäßig laufend gestie- gen sind. Der Einzelnachweis der bestimmten Ursachen der perinata- len Mortalität weist zusätzlich eine erhöhte Gefährdung der Mehrlings- schwangerschaften (ICD 7694) aus (99) (Tabelle 4).

Bei den gestorbenen Säuglingen mit Angabe des Geburtsgewichts auf dem Leichenschauschein und die bei Geburt weniger als 2500 g wogen, wurden bei 7159 von 19 165 (37 Prozent) hypoxische Krankhei- ten, nicht näher bezeichnete Unrei- fe und sonstige anderweitig nicht einzuordnende Zustände des Fetus als Todesursache gemeldet.

Bei Aufgliederung der Säuglings- sterblichkeit nach der Lebensdauer sieht man, daß die Stagnation vor allem durch Gleichbleiben der Sterbefälle jenseits des ersten Ta- ges bis zum Ende der ersten Le- benswoche verursacht wurde. — 66 Prozent der 1970 Verstorbenen mit Geburtsgewichtsangabe (89 Prozent) wogen bei Geburt weniger als 2500 g; 19 Prozent sogar weni- ger als 1000 g, hatten also nur ge- ringe Überlebensfähigkeit. 13 Pro- zent der 1970 verstorbenen Säug- linge, bei denen die Geburtskör- perlänge festgehalten wurde, wa- ren bei Geburt unter 35 cm lang.

Sie wären ohne Lebenszeichen nach unseren standesamtlichen Vorschriften als „Fehlgeburten"

nicht meldepflichtig gewesen (16).

Untersuchungen von Schmidt et al.

zeigten bei der Überprüfung so- genannte „bedingt vermeidbare"

Säuglingssterbefälle, daß diese überwiegend durch Vor- und Nach- sorgedefekte bei primär koopera- tionsunwilligen oder -unfähigen Müttern entstanden (88).

Der Verdacht kann nicht abgewie- sen werden, daß es sich bei einem

nicht unbeträchtlichen Teil um be- wußte Vernachlässigungen, um Spätabtreibungen oder um ka- schierte Kindestötungen handelt.

Bei dem rasch ansteigenden Anteil unehelicher Geburten seit 1965 ge- winnen derartige Risikoschwanger- schaften an Bedeutung. Ein Hin- weis auf das erhöhte Risiko „unge- wünschter" Kinder ist der weitere starke Rückgang der Säuglings- sterblichkeit in der DDR nach Frei- gabe der Abtreibung von 18 im Jahr 1971 auf sechs Säuglingsster- befälle im Jahr 1972 auf 1000 Le- bendgeborene (1, 65, 81, 84, 122).

Die Analyse der internationalen Säuglingssterblichkeitsstatistiken ist unvollständig ohne den Ver- such, die Größenordnung der sy- stematischen Fehler abzuschätzen.

1. Definitionsunterschiede

Um methodologisch bedingten Ur- sachen des international unter- schiedlich hohen Niveaus der Säug- lingssterblichkeit auf die Spur zu kommen, ist Kenntnis der in den Vergleichsländern gültigen Defini- tionen unerläßlich. Wie bereits aus- geführt, ist diese Kenntnis auch für die Beurteilung der Müttersterb- lichkeit wichtig, da sie dort als Be- zugsgröße dienen.

Die Zuordnungsschwierigkeiten entstehen, weil bei Neugeborenen nicht — wie bei einem Erwachse- nen — grundsätzlich jeder Sterbe- fall registriert werden muß. Ent- scheidend für die gesamte Statistik ist das mehr oder weniger subjek- tive Urteil des behandelnden Arz- tes (oder Laienleichenbeschauers) zur Frage:

a) Handelt es sich um eine Le- bend- oder Totgeburt?

b) Wenn es eine Totgeburt ist, ist es ein unreifes oder ein reifes, also lebensfähiges und damit melde- pflichtiges Kind?

Trotz aller Bemühungen existiert noch keine internationale Standar- disierung dieser Begriffe (22, 25, 26, 27, 28, 34, 37, 39, 53, 62, 64, 110, 124, 127, 138, 145).

In der Bundesrepublik wurde bis 1957 als Lebenskriterium das Auf- treten der Lungenatmung gewertet.

Gemäß § 29 der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsge- setzes vom 12. August 1957 (BGB L. I., S. 1138) ist „Lebendgeburt"

zur Zeit wie folgt definiert:

„(1) eine Lebendgeburt, für die die allgemeinen Bestimmungen und die Eintragung gelten, liegt vor, wenn bei einem Kinde nach der Scheidung vom Mutterleib entwe- der das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die na- türliche Lungenatmung eingesetzt hat".

Die Definition für „Fetaltod" nach

§ 29 Absatz 2 der Personenstands- gesetzverordnung vom 12. August 1957 lautet:

„(2) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt, ist die Leibesfrucht jedoch mindestens 35 cm lang, so gilt sie im Sinne des § 24 des Gesetzes als ein totgeborenes oder in der Ge- burt verstorbenes Kind.

(3) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt und ist die Leibesfrucht weniger als 35 cm lang, so ist die Frucht eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personenstandsbüchern nicht beurkundet".

Diese Regelung gilt in der Bun- desrepublik unabhängig von der Schwangerschaftsdauer. Als Ge- Nichtsgrenze für eine (unreife) Früh- geburt wird in der Bundesrepublik

„bis unter 2500 g" gesetzt, also

„ausschließlich 250 g" (in der DDR dagegen 2500 g einschiießlich).

Mikat und Bollert konnten an Hand Berliner Materials nachweisen, daß allein hierdurch bereits Unterschie- de bis zu einer Höhe von 0,8 auf tausend Lebendgeborene entste- hen können, was bei dem hohen Anteil der unreifen Neugeborenen an der Sterblichkeit der ersten 24 Stunden einleuchtet.

Die sogenannte Frühsterblichkeit (der ersten Lebenswoche) be-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 7 vom 12. Februar 1976 433

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stimmt entscheidend das Gesamt- niveau der Säuglingssterblichkeit.

1970 wogen 64 Prozent aller ge- storbenen Säuglinge mit Gewichts- angabe weniger als 2500 g (bei den nichtehelichen sogar über 70 Pro- zent). Das Untergewicht gilt als Symptom der allgemeinen Lebens- schwäche. 1972 maßen mindestens 11 Prozent aller gestorbenen Säug- linge weniger als 35 cm und 2500 g (von einem Teil lagen keine Meßwerte vor). ln Ländern mit schärferer Definition der "Lebens- zeichen" werden diese Kinder zum Großteil als Fehlgeburt überhaupt nicht gemeldet (16).

Auf Grund dieser Erfahrungen weist die WHO-Expertengruppe darauf hin, daß auch die Festle- gung von Begriffen wie Unreife oder Lebendgeburt operationell, also letztlich willkürlich erfolgen muß. Sie empfiehlt als untere Mel- degrenze ein Gewicht von 1000 g und geht dabei von folgenden Überlegungen aus: Die optimale Kenngröße für die Sterblichkeit des frühen Lebens wäre die Anga- be der Zahl der erfolglosen Schwangerschaften, bezogen auf die Zahl der Schwangerschaften überhaupt. Diese bestimmen zu wollen wäre unrealistisch. Es sei daher für den internationalen Ver- gleich der Säuglingssterblichkeit die perinatale Sterblichkeit her- anzuziehen, in der die spätfeta- len mit den frühkindlichen (bis zum 7. Lebenstag) Sterbefälle zusam- mengefaßt werden, sofern:

<:D

die untere Meldegrenze unab-

hängig vom Urteil des Arztes dar- über gemacht wird, ob das Kind bei Geburt gelebt hat oder nicht,

~ wenn nur die Kinder in den Ver- gleich einbezogen werden, die ei- nen überlebensfähigen Entwick- lungsstand erreicht haben.

~ Werden - wie zur Zeit üblich - bei der perinatalen Sterblichkeit Lebendgeburten aller Entwick- lungsstadien auf die Summe der Lebendgeburten und der Totgebur- ten mit einer Tragzeit von 28 Wo- chen und mehr bezogen, so ent- steht die paradoxe Situation, daß

Länder mit guter geburtshilflicher Versorgung höhere perinatale Sterblichkeit melden als weniger gut entwickelte, weil sie nicht le- bensfähige Föten mit flüchtigen Lebenszeichen sorgfältiger regi- strieren. (Aus diesem Grund hatte z. B. 1971 Ägypten eine niedrigere Perinatalsterblichkeit als Schwe- den). Wird "Lebendgeburt" so streng definiert wie z. B. in der DDR ("Lebendgeburt liegt vor, wenn Lungenatmung und Herz- schlag besteht"), so wird hierdurch die Zahl der nachträglich verstor- benen Lebendgeborenen deutlich reduziert.

Die Entscheidung darüber, ob das Kind als lebend oder tot zu beurtei- len ist, ist zwar weitgehend vom behandelnden Arzt abhängig. Es kann aber auch angenommen wer- den, daß dieses Urteil - weil es nicht an meßbaren Kriterien erfolgt - durch äußere Umstände beein- flußt werden kann (vgl. die schon länger bekannten niedrigeren Tot- geburtenraten in katholischen Ge- bieten [Taufe!]).

Aus diesen Gründen empfiehlt die WHO-Arbeitsgruppe die Festlegung einer an meßbaren Fakten orien- tierten, wenn auch operationell, festgesetzten Meldegrenze.

Dabei ging die WHO-Arbeitsgruppe von folgender Überlegung aus: Die Grenze der Überlebensfähigkeit liegt (auch in nächster Zeit) bei etwa 500 g Geburtsgewicht (oder 22 Wochen Tragzeit). - Föten zwi- schen 500 und 999 g (oder Gebur- ten zwischen der 22, und 28.

Schwangerschaftswoche) bringen weniger als ein Prozent aller Ge- burten, aber 1

h

aller perinatalen Sterbefälle (77).

Hingewiesen wird auch darauf, daß in diese Gruppe in zunehmendem Maße Kinder gelangen, die auf Grund sozialer oder medizinischer Indikation ärztlich abgetrieben wurden (Abb. 1 nach den Scottish Abortion Statistics 1973 veröffent- licht in: Health Bulletin des Scot- tish Horne and Health Department 32, 128 [1974]).

Die in dieser Abbildung zu erken- nende Unsicherheit bei der Bestim- mung des Gestationsalters (typi- sche Bevorzugung der Schwanger- schaftswachen mit gerader End- zahl) macht ebenfalls verständlich, warum die WHO-Arbeitsgruppe als Indikator dringend das Geburtsge- wicht mit der unteren Grenze 1000 g an Stelle des Gestationsal- ters empfiehlt.

Die empfohlene Definition der peri- natalen Sterblichkeit (in deren Be- reich die größten systematischen Fehler auftreten) lautet daher schließlich: Sterbefälle bis zum 7.

Tag und alle Totgeburten mit ei- nem Geburtsgewicht von 1000 g und mehr, bezogen auf 1000 Gebur-

ten . insgesamt (also Totgeburten

plus Lebendgeburten).

2. Organisation

und statistischer Ansatz

Maßgebend für die gemeldete Zahl der Todesfälle insgesamt ist die Personenstandsgesetzgebung ei- nes Staates. Diese nationalen Vor- schriften sind historisch gewach- sen und stimmen verständlicher- weise nicht überein. Bereits hier- aus können sich systematische Verschiebungen in den Sterbezif- fern ergeben. Wie bereits gesagt, muß bei Erwachsenen jeder Todes- fall registriert werden, da sonst keine Erlaubnis zum Begräbnis er- teilt würde. Das trifft aber bei unrei- fen Neugeborenen sicher nicht zu.

Weitere Verschiebungen entstehen aus der jeweiligen nationalen Or- ganisation der Datenerfassung, -zusammenführung, -Überprüfung und -auswertung. Auch innerhalb Europas muß man darauf achten, ob in einem Staat ein Sterbefall ge- zählt wird nach dem Datum des Geschehens (date of occurance) oder dem Datum der Registrierung (date of registration [114, 115]).

Zählt z. B. eine Lebendgeburt nur dann, wenn sie bis zum Termin der Registrierung überlebt hat (wie z. B. in Spanien bis 24 Stunden nach der Geburt, in Frankreich bis zu drei Tagen nach der Geburt), so

(6)

Anzahl der aufgrund der Abortion Act 1967 in Schottland 1973 durchgeführten legalen Abtreibungen nach Gestations- wochen.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gesundheitsstatistik

ergeben sich hieraus bereits deutli- che Verschiebungen (Tabelle 3 aus [10]).

Diese Tabelle gibt Hinweise darauf, daß z. B. im Zusammenhang mit der 8. Revision der ICD 1968 oder durch sonstige Änderungen der Personenstandsgesetzgebung in- ternational weitgehend unbekannt gebliebene Vorschriftenänderun- gen erfolgt sein müssen: Ein Rück- gang von 27,9 auf 18,4 Säuglings- sterbefälle auf 1000 Lebendgebore- ne in Spanien innerhalb eines Jah- res (1970/71) ist schlechthin un- glaubwürdig.

Ähnliche systematische Fehler tre- ten auf, wenn Geburtslänge oder Körpergewicht nicht gemessen, sondern nur geschätzt werden oder Klassen zugeteilt werden. Er- fahrungsgemäß werden glatte Zah- len bevorzugt (50, 68, 69, 93, 116, 145).

Die auf der Klassengrenze liegen- den Fälle werden je nach Definition ein- oder ausgeschlossen (Bundes- republik 2500 g ausschließlich, DDR 2500 g einschließlich s. o.). Analo- ges gilt für Diagnosen, Reifekriteri- en usw.

Hinweise auf unterschiedliche Sorgfalt in der Todesursachensu- che gibt Abbildung 2 (41). Sie zeigt deutliche internationale Differen- zen im Muster der frühkindlichen Sterblichkeit, vor allen Dingen be- züglich Position B 45 (mangelhafte diagnostische Angaben im Todes- ursachenfeld des Leichenschau- scheines).

Mit dieser Abbildung läßt sich gut die Unsinnigkeit der Prinzips der

„relativen Intensität (Freudenberg)"

im internationalen Vergleich illu- strieren (z. B. starben in der Bun- desrepublik 1971 ca. 28 Prozent der Kinder an den Folgen einer re- gelwidrigen Geburt, in Jugoslawien 1970 dagegen „nur" ca. sieben Prozent).

3. Bezugsgrößen

Rechnerisch bedeutsam können kurzfristige starke Fluktuationen

der Geburtenhäufigkeit sein. Wird die Zahl der in einem bestimmten Jahr Geborenen in Beziehung ge- setzt, so kann bei starken Gebur- tenrückgängen (wie z. B. zur Zeit in der Bundesrepublik) die Säuglings- sterblichkeit überhöht dargestellt werden, es sei denn, man bezieht die Gestorbenen auf die jeweils im selben Geburtsmonat Geborenen.

Dies spielt aber in der Bundesre- publik wahrscheinlich keine so große Rolle, weil das Gros der im 1. Lebensjahr Gestorbenen in der ersten Lebenswoche stirbt (1971:

68,6 Prozent). Beim internationalen Vergleich sollte allerdings nicht vergessen werden, daß die absolu- ten Ereigniszahlen teilweise sehr klein und entsprechend hohe Zu- fallsschwankungen möglich sind.

4. Unterschiede in Zielsetzung und Motivation

Statistik ist als politische Waffe alt- bewährt. Die Säuglingssterblichkeit ist ein emotionell allzu ergiebi- ges Thema, um ungenutzt zu blei- ben.

Nun weist der Meldeweg eines Säuglingssterbefalls von der Ereig- nisfeststellung bis zur Einordnung in einer statistischen Tabelle min- destens zwei auf „Umwelteinflüs- se" reagible Stellen auf: den den Fall dokumentierenden Arzt einer- seits und den Statistiker im Zen- tralamt andererseits, der die Anga- ben auf dem Leichenschauschein nachprüft, klassifiziert und einer statistischen Gruppe (nach der Maß- gabe der Signieranweisung) zu- weist.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 7 vom 12. Februar 1976 435

(7)

3 2,6

1971 an besonderen Krankheiten dar frühen Kindheit Gestorbene unter 1 Jahr bezogen auf 1.000 Lebendgeborene nach

B - Todesursachen der 8. Revision der ICD

Belgien (197o) Bundesrepublik Deutschland

und West-Berlin Frankreich

Luxemburg Niederlande Österreich Schweiz Italien Jugoslawien (197o) Spanien Deutsche Demokr. Republik Polen Rumänien Tschechoslowakei Ungarn Dänemark Finnland Irland Norwegen Schweden England und Wales Israel Japan

3,1 5,1 3,3

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Säuglings- Sterblichk.

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(%)Lebendgeb.

4,4 4,2 3,0 5,8 3,2 3,9

3,7 3,5

2,1

42,4 21,6 35,1 13,5 11,8 18,0 12,5 11,1 17,5 23,0 12,4 3,8

Gesamtsterblichkeit

40 50 60 70 80 90 1Öri "t

ePeer -'52ew Ahle'. › ,e,.". kee

4:...

19,8 23,3 17,3 22,5 12,2 26,1 14,4 28,3 48,9 18,4 18,0

.. ... 29,5 . . ....

Anteile an der 0 10 20 30

4,2 6,0

4,9 3,1

4,6 2,1

B 42 Geburtsver- B 43 Sonst. Ur- letzung, re- sachen der gelwidrige perinatalen Geburt,Anoxie, Sterblichkeit Hypoxie

Symptome un, B 45 mangelhaft

11111

beuicnnete Krankneiten Angeborene

Mißbildungen

Quelle: WHO Stat.Annual 1970,S.XIII

Abbildung 2

B 44

55555

;5555

Da die Codierung der diagnosti- schen Angaben zentral erfolgt, kann organisatorisch verhältnismä- ßig einfach (über Dienstanweisun- gen oder national modifizierte Si- gnierregelungen) erreicht werden, daß bestimmte verräterische Dia- gnosen und Diagnosegruppen in den endgültigen zusammenfassen- den Statistiken drastisch verringert werden. Ein derartiger Verdacht kann aber nur bei guter Kenntnis der regionalen Gegebenheiten er-

härtet oder widerlegt werden (21, 24, 136).

Auch persönliche, mangels fachli- cher Kontrolle nie diskutierte Ge- wohnheiten der Signierer in den Zentralämtern können denselben Effekt haben, so z. B. zwischen den einzelnen Bundesländern.

Die Todesursachensignierung wird meistens von einer einzigen stati- stischen Kraft durchgeführt, die

über Jahrzehnte in Zweifelsfragen entscheidet. Hieraus kann (vor al- lem bei seltenen Ereignissen) eine dauernde systematische Verzerrung der Gesamtstatistik resultieren.

Es ist anzunehmen, daß (analog den im Abschnitt Müttersterblich- keit beschriebenen Einflüssen auf die Meldebereitschaft der Ärzte) besonders in Staaten mit geschlos- senem Versorgungssystem die Be- reitschaft, unreife Halbtotgeborene als lebend zu melden, vor allem dann rasch absinkt, wenn laufend Rechenschaft darüber gefordert wird, warum im Vergleich zu ande- ren Kliniken oder Praxen schlech- ter abgeschnitten wurde.

Ähnlich stark ausgeprägtes Bilanz- denken findet sich in Staaten mit extrem privatwirtschaftlich orien- tiertem Gesundheitssystem (USA), in denen der operative Einsatz der Statistik zum Vergleich, zur Absi- cherung gegen Regreßprozesse oder aus Werbegründen, kurz zur Erfolgskontrolle und Dienstaufsicht operativ und weit energischer ein- gesetzt wird als in der Bundesre- publik (Medical Audit PAS).

Motive von seiten der Mutter, die einer korrekten Registrierung zuwi- derlaufen, können ebenfalls syste- matische Fehler in die Statistik hin- eintragen.

Auf die zumindest früher deutlich niedrigere Totgeburtenrate in Län- dern mit überwiegend katholischer Bevölkerung wurde bereits hinge- wiesen. Der massive Einfluß der Meldebereitschaft auf statistischen Zahlen läßt sich wohl am besten am Verhältnis gemeldeter Jungen- zu Mädchengeburten demonstrie- ren. Während in Ländern mit prak- tisch vollständiger Erfassung der Geburten das Verhältnis 106 Jun- gen zu 100 Mädchen mit geringen Schwankungen über Jahrhunderte stabil bleibt, steigt in Ländern mit Tendenz zur Mädchenvernachlässi- gung das Verhältnis bis auf 143 : 100 (Nauru), während in den Ländern, in denen aus irgendeinem Grund vorteilhaft erscheint, neuge- borene Jungen nicht zu melden,

(8)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gesundheitsstatistik als politische Waffe

das Verhältnis auf 92 : 100 absinkt (Liberia).

Eine Quantifizierung der unter- schiedlichen systematischen Feh- ler wird wohl nur mit Hilfe einer internationalen Vergleichsstudie möglich sein, bei der eine Auswahl von Krankengeschichten typischer Säuglingssterbefälle von Ärzten nach den geltenden Regeln si- gniert und gezählt werden (analog der WHO-Studie über Todesfälle durch Herz- und Kreislauferkran- kungen (29, 42, 78, 85, 86).

Finanzielle Motive beeinflussen u. U. ebenfalls das Meldeverhalten.

In der Bundesrepublik erhält die Entbindende für eine Fehlgeburt ei- nen Zuschuß von maximal 45 DM.

Beim Tod eines (u. U. sofort nach der Geburt verstorbenen) Säug- lings dagegen je nach Versiche- rungsart einen Familienangehöri- genzuschuß in Höhe von bis zu 1500 DM. Die Motivation, das Kind vom Arzt als lebendgeboren reg- strieren zu lassen, dürfte damit er- heblich ansteigen (pers. Mitteilung von Massenbach).

Die Wirksamkeit von Prämien auf das Verhalten der Schwangeren wird teilweise bewußt genutzt. Di- rekt durch ein Bonus-System: Un- terstützungen werden nur bei re- gelmäßigem Besuch der Schwan- gerschaftsberatung gezahlt (DDR).

Indirekt durch ein Malus-System:

Hohe Selbstbeteiligungsraten im Falle einer Erkrankung, vor allem eines Krankenhausaufenthaltes bei Nichtinanspruchnahme der Vorsor- gemöglichkeiten (Schweden, USA).

III. Zusammenfassung

Die von der „Arbeitsgemeinschaft"

aufgestellten Behauptungen, es sei durch internationalen Vergleich der Mütter-, und Säuglingssterbe- ziffern statistisch bewiesen, daß die ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik sehr schlecht sei, müssen nach Überprüfung des von ihr in der Broschüre „Verraten und Verkauft?" vorgelegten Datenmate- rials zurückgewiesen werden.

Es ist unzulässig, aus zahlenmäßi- gen Unterschieden in amtlichen Statistiken so weitreichende und einseitige auf die ärztliche Versor- gung bezogene Schlüsse zu zie- hen. Die systematischen Fehler der zum „Beweis" herangezogenen Statistiken fallen auch bei flüchti- ger Betrachtung sofort ins Auge (ungleiche Definitionen, struktur- verschiedene Bezugsgrößen, un- einheitliche Organisation der Daten- erfassung und -auswertung, un- durchschaubare Motivationen).

Ebensowenig können die Wirkun- gen historischer sozio-ökonomi- scher, demographischer, hygieni- scher, klimatischer und sonstiger nationaler Gegebenheiten unter- schlagen werden.

Das bedeutet nicht, daß die Ver- hältnisse in der Bundesrepublik im- mer optimal seien. Der Einzelnach- weis der direkt gestationsbeding- ten Todesursachen an der Mütter- sterblichkeit z. B. weist einen Teil an Toxikosen, Blutungen in der Schwangerschaft und Entbindungs- komplikationen auf, der sich bei in- tensiverer Belehrung und Betreu- ung (Mütterpaß) verringern läßt.

Das gleiche gilt für den hohen An- teil untergewichtiger und unreifer Kinder an der Säuglingssterblich- keit.

Das Gesamtergebnis ist um so be- dauerlicher, als es durch die relativ rasch zu erkennenden Argumenta- tionsmängel den Gegnern einer ver- nünftigen Reform des Gesundheits- wesens in der Bundesrepublik es leicht macht, wahrscheinlich vor- handene Lücken zu bagatellisieren, obwohl Verbesserungen notwendig und möglich wären.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Horst Fassl Abteilung für

Medizinische Statistik und

Dokumentation der Medizinischen Hochschule Lübeck

Ratzeburger Allee 160 2400 Lübeck

AUS DEM BUNDESTAG

Berechnungsusancen der Krankenhäuser

Die Krankenhausverwaltungen be- rechnen nicht erst seit Inkrafttreten der sogenannten Bundespflege- satzverordnung sowohl für den Aufnahme- als auch Entlassungs- tag jeweils den vollen Pflegesatz,

als ob das Krankenhaus volle 24 Stunden belegt gewesen wäre. In der Fragestunde des Bundestages erklärte Staatssekretär Professor Dr. med. Hans Georg Wolters, Bun- desministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, daß der Gesetzge- ber von dieser Berechnungsvor- schrift nicht abgehen wolle, da in aller Regel die Entlassung nach längerem Krankenhausaufenthalt eine Neubelegung des Zimmers noch am selben Tag ausschließe.

Die Wiederherrichtung des Zim- mers verursache Kosten, und das Personal werde unverändert „vor- gehalten". Eine „spitze Berech- nung" der vom einzelnen Patienten tatsächlich verursachten Kosten würde nach Angaben des Staatsse- kretärs einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand erfordern. HC

2400 Betriebsärzte

Insgesamt waren in der Bundes- republik Deutschland am Stichtag 1. April 1975 2400 Betriebsärzte haupt- und nebenberuflich tätig.

Das sind 340 mehr als ein Jahr zu- vor. Diese Angaben machte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums, Hermann Buschfort, auf Grund ei- ner Anfrage des SPD-MdB Martin Wendt. Der sprunghafte Anstieg der Zahl der Betriebsärzte sei die erste positive Auswirkung des am 1. Dezember 1974 in Kraft getrete- nen Arbeitssicherheitsgesetzes.

Viele Betriebe hätten die Ausfüh- rungsbestimmungen zum Gesetz abgewartet, die von den Trägern der gesetzlichen Unfallversiche- rungen in Form von Unfallverhü- tungsvorschriften „Betriebsärzte"

erst im Laufe des Jahres 1975 be- schlossen worden seien. HC

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 7 vom 12. Februar 1976

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