Bundesärztekammer nimmt Stellung zur Novaliierung
des Jugendarbeitsschutzgesetzes
Der Deutsche Bundestag hat sich in erster Lesung mit der Gesetzes- novelle zum Jugendarbeitsschutz- gesetz aus dem Jahre 1960 befaßt.
Mit der weiteren Beratung über diesen Entwurf wurde der Bundes- tagsausschuB für Arbeit und So- zialordnung, federführend, betraut.
Die Ausschußberatungen werden voraussichtlich noch Ende dieses Jahres zum Abschluß kommen.
Als Schwerpunkte der Novaliierung sind zu nennen: verbesserte ge- sundheitliche Betreuung der Ju- gendlichen als grundsätzliche Ziel- setzung, Einführung der 5-Tage- und 40-Stunden-Woche, Verlänge- rung der Nachtruhe, Verlängerung des Urlaubs; generelles Verbot al- ler Arbeit mit Lohnanreiz und der tempoabhängigen Arbeiten, Her- aufsetzung des Mindestalters für die Zulassung zur Arbeit von bis- her 14 auf 15 Jahre und schließlich Vorschriften, die der besseren Gesetzesdurchführung dienen. ln einer Stellungnahme gegenüber dem Bundestag hat die BÄK das Ziel der Gesetzesnovelle, den Ju- gendarbeitsschutz den heutigen Erfordernissen anzupassen, be- grüßt. ln einem Punkte allerdings mußte sie erhebliche Kritik vorbrin- gen. Im einzelnen:
~ Große Anerkennung der Bundes- ärztekammer hat vor allem der Ausbau und die damit verbundene Verbesserung der gesundheitlichen Betreuung der Jugendlichen gefun- den. Die jetzt vorgeschriebene Erst- untersuchung der ins Berufsle- ben eintretenden Jugendlichen und die nach einem Jahr vorzunehmen- de Nachuntersuchung können er- gänzt werden durch weitere jährli- che Nachuntersuchungen. Darüber hinaus ist in bestimmten Fällen eine außerordentliche Nachunter- suchung vorgesehen. Die als erfor- derlich anerkannten weiteren
Nachuntersuchungen werden aller- dings bedauerlicherweise lediglich als Wahlleistung angeboten. Die zusätzlichen Kosten obligatori- scher Nachuntersuchungen wür- den nach Auffassung der Bundes- ärztekammer im Verhältnis zu ih- rem Nutzen voll vertretbar sein.
~ Die durch den Ausbau der ge- sundheitlichen Betreuung bewirkte Verbesserung des Gesundheits- schutzes der Jugendlichen würde allerdings in Frage gestellt, sollte der Gesetzgeber daran festhalten, Jugendarbeitsschutzuntersuchun- gen mit Untersuchungen nach an- deren Vorschriften zu koppeln. Dies würde in praxi dazu führen, daß J ugendarbeitsschutzu ntersuchun- gen mit Schulentlassungs-, aber auch mit speziellen Tauglichkeits- bzw. Eignungsuntersuchungen ver- knüpft werden. Vor einer derarti- gen Verbindung ist eindringlich zu warnen.
Die genannten Untersuchungen fal- len zwar im gleichen Zeitraum wie die Jugendarbeitsschutzuntersu- chungen an, haben jedoch völlig andere Zielsetzungen. Im Gesetz- entwurf selbst ist der Charakter der Jugendarbeitsschutzuntersu- chungen ausführlich dargestellt. So haben sich die ärztlichen Untersu- chungen auf den Gesundheits- und Entwicklungsstand und die körper- liche Beschaffenheit, die Nachun- tersuchungen außerdem auf die Auswirkungen der Beschäftigung auf Gesundheit und Entwicklung des Jugendlichen zu erstrecken.
Diese Zielsetzung der Jugendar- beitsschutzuntersuchungen ist nicht vergleichbar und auch nicht vereinbar mit derjenigen, der viel summarischer durchgeführten Schulentlassungsuntersuchung wie auch der auf einen bestimmten Be- ruf abgestellten Tauglichkeitstests.
Die Information:
Bericht und Meinung NACHRICHTEN
Während die Schulentlassungsun- tersuchung lediglich einen Über- blick über den allgemeinen Ent- wicklungsstand des Jugendlichen verschaffen will, wird bei einem Tauglichkeitstest die besondere Eignung des Jugendlichen für be- stimmte berufliche TäHgkeiten ge- prüft und damit eine Art berufslen- kende Funktion erfüllt. Im Gegen- satz zum Tauglichkeitstest aber werden bei den Jugendarbeits- schutzuntersuchungen lediglich jene Arbeitsbedingungen, Lei- stungsanforderungen und Arbeits- umwelteinflüsse festgestellt, die die Entwicklung oder die Gesund- heit des Jugendlichen gefährden können. Nach einer gesundheitli- chen Eignung für einen bestimmten Beruf wird dabei nicht gefragt, zu- mal diese Eignung nur eine der Voraussetzungen für eine optimale Berufswahl ist.
Bei einer Kopplung beider Untersu- chungen könnte sich ein eventuel- les negatives Urteil der Tauglich- keitsuntersuchung im Ergebnis der Jugendarbeitsschutzuntersuchung niederschlagen und damit für den Jugendlichen wesentliche Berufs- chancen ausschließen.
Bei der gleichzeitigen Durchfüh- rung so unterschiedlich orientierter Untersuchungen entsteht dazu die Gefahr, daß die notwendige Sorg- falt, die zur Beurteilung möglicher Gefährdungen durch berufliche Tä- tigkeit erforderlich ist, nicht immer gewährleistet ist. Dies trifft insbe- sondere auf die Schulentlassungs- untersuchungen zu.
Des weiteren kann eine Kopplung mit anderen Untersuchungen dazu führen, daß auf diesem Wege das bisher bewährte Prinzip der freien Arztwahl umgangen wird. An die- sem Prinzip ist nach Auffassung der Bundesärztekammer im Inter- esse des Jugendlichen unter allen Umständen festzuhalten. Die Bun- desärztekammer hat daher ein- dringlich an den Gesetzgeber ap- peliert, die Selbständigkeit der Un- tersuchungen nach dem Jugend- arbeitsschutzgesetz zu behalten.
Renate Schiffbauer
DEUTSCHES ARZTEBLATI' Heft 46 vom 14. November 1974 3293