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Archiv "Krankenhäuser: Frührehabilitation als Rettungsanker" (08.04.2005)

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P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 148. April 2005 AA945

zu bewerten im Hinblick auf ihre Vali- dität, auf ihre klinische Relevanz und konkrete Anwendbarkeit im Einzelfall.

Alsdann ist zu entscheiden, welche externe Evidenz in die interne Evidenz zu integrieren ist und welche nicht.

In der nächsten Zeit kommt es ent- scheidend darauf an, ob interne Evi- denz von Ärzten oder die externe Evi- denz von Programmgestaltern in der Krankenversorgung dominieren wird.

Oder anders ausgedrückt: Wird die Orientierung am statistischen Denken oder aber die ärztliche Urteilskraft bei den Menschen hierzulande das höhere Vertrauen genießen?

Das Vertrauen in die Ärzte, und über- haupt in das Gesundheitswesen, wird auch davon abhängen, wieweit öko- nomische Vorgaben die medizinische Betreuung beherrschen dürfen. Die Orientierung an Leitlinien und Disease- Management-Programmen soll zwar eine medizinische und ökonomisch effi- ziente Betreuung gewährleisten. Da aber die Ressourcen begrenzt sind, wird es kaum zu verhindern sein, dass das medizinisch Notwendige den finanziel- len Möglichkeiten angepasst wird und damit eben nicht die optimale Betreu- ung, so wie die Medizin und die Ärzte sie leisten könnten, gewährleistet ist.

Die Patienten sind bei einer solchen Entwicklung in einer fast aussichtslosen Position. Wer in ein Disease-Manage- ment-Programm eingeschrieben ist, wird in der Regel nach ein und demselben Schema versorgt. Das bedeutet zwar weitgehende Gleichheit der Behand- lungsqualität, aber auch eine begrenzte Vergleichbarkeit im Sinne von Bench- marks. Wenn dann noch Patientenver- bände oder Selbsthilfeorganisationen bei der Beschlussfassung von Disease- Management-Progammen als Paten mitgewirkt haben, wird es für den Pati- enten, der spezielle Leistungen benötigt oder begehrt, die nicht Inhalt des Pro- gramms sind, schwer sein, vor Gericht Recht zu bekommen.

Der Weg zur Rationierung von Ge- sundheitsleistungen ist somit durch eine derartige Medizin nach Programm vor- gezeichnet. Dem müssen wir Ärzte wi- derstehen, wenn wir weiterhin das Ver- trauen unserer Patienten haben wollen.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe Präsident der Bundesärztekammer

V

erstärkt konzentrieren sich die Aktivitäten der Akutkrankenhäu- ser auch auf den Sektor der me- dizinischen Frührehabilitation an der Schnittstelle zwischen Akutkranken- hausbehandlung und medizinischer Re- habilitation. Schon vor Einführung der kostenwirksamen und flächendeckend anzuwendenden diagnoseorientierten Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups; DRGs) prognostizierten Ex- perten, dass die Akutkrankenhäuser in dem Maße Leistungen der medizini- schen Rehabilitation an den Akutsek- tor „andocken“ werden, wie infolge der Verweildauerverkürzung Kapazitäten und Betten frei werden, abgebaut wer- den müssen oder sich notgedrungen ei- nem anderen sozialen Zweck widmen.

Vor allem die Verbände der Rehabili- tationskliniken und -einrichtungen mut- maßen, dass Leistungen sowohl in den ambulanten vertragsärztlichen Sektor

verlagert als auch angestammte und ge- setzlich abgesicherte Domänen der Ein- richtungen der medizinischen Rehabili- tation vom Akutkrankenhaus usurpiert werden könnten.

Eine Fachtagung der Deutschen Ge- sellschaft für Medizinische Rehabilita- tion e.V. in Zusammenarbeit mit der Landesversichungsanstalt Westfalen Ende vergangenen Jahres in Münster lotete aus, inwieweit die so genannte Frührehabilitation zum Rettungsanker für den Akutkliniksektor unter dem Druck des DRG-Systems werden könn- te. Das Negativ-Szenario unterstellt, dass der Akutsektor sich zulasten der Rehabilitationeinrichtungen schadlos hält und die spezifischen Qualifikatio- nen in der medizinischen Rehabilitati- on hintangestellt werden.

Um drohenden Grenzverschiebun- gen Einhalt zu bieten, ist durch Ge- setzesänderungen formal durch die neu eingeführten Frührehabilitationsfall- pauschalen im Änderungsgesetz 2004 und 2005 entgegengewirkt worden.

21 Frührehabilitations-DRGs

Ausgangslage: Der Begriff der „Frühre- habilitation“ wurde erstmals mit dem SGB IX in das Sozialgesetzbuch veran- kert. Im Sozialgesetzbuch IX wurde

§ 39 von SGB V – „Krankenhausbe- handlung“ – dahingehend ergänzt, dass die „akut-stationäre Behandlung auch die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein- setzenden Leistungen zur Frührehabili- tion“ umfasst. Damit sollte klargestellt werden, dass die Akutkrankenhäuser die erforderlichen Leistungen zur Her- stellung der Rehabilitationsfähigkeit des Patienten ernst nehmen und die

Krankenhäuser

Frührehabilitation als Rettungsanker

Experten streiten über „Grenzverschiebungen“ zwischen Akutkrankenhausbehandlung und Rehabilitation.

Auch für die Frührehabilitation gelten DRG- Fallpauschalen.

Foto:Peter Wirtz

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Krankenkassen diese Leistungen zu be- zahlen haben.

Bislang wurden als Maßnahmen, die der Rehabilitationsfähigkeit des Rehabi- litanden dienen sollen, in der Regel Lei- stungen der Frühmobilisation zur Wie- dererlangung basaler Fähigkeiten der Patienten verstanden (abgesehen vom Bereich der Neurologie). Die Krux: In der Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung von § 39 SGB V wird das, was als „Frührehabilitation“ im Kranken- haus Wirkung zeigen soll, derart be- schrieben, dass es weitgehend deckungs- gleich ist mit dem, was bisher durch die darauf spezialisierten Krankenhäuser und Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation geleistet wurde.

Noch zum Teil ungelöst und in der Praxis missverständlich ausgedeutet ist die Schnittstelle zwischen Akutbehand- lungssektor und dem Bereich der klas- sischen medizinischen Rehabilitation.

Die Fallpauschalen-Verordnung 2004 hat die Frührehabilitation in das für Akutkrankenhäuser geltende neue Ver- gütungssystem (DRG-basierte Fallpau- schalen) einbezogen. Die Fallpauscha- len gelten nicht nur für die neurologi- sche oder geriatrische Frührehabilita- tion, sie umfassen vielmehr unter ande- rem auch die Kardiologie, die Orthopä- die oder die Pneumologie. Bisher jeden- falls spielten die Frührehabilitation und die so bezeichneten Leistungen bei der Akutkrankenhausversorgung kaum eine Rolle.

Leistungsverschiebungen und Kon- zentration an das Akutkrankenhaus von Teilen der medizi-

nischen Rehabilitation kann es aber dennoch geben, weil es politische Absicht ist, möglichst alle Krankenhausleistun- gen mittels Fallpauscha- len zu vergüten. So wur- den auch für die Früh-

rehabilitation DRG-Fallpauschalen defi- niert, obwohl sich hier die ordnungspoli- tische Frage der konzeptionellen An- gemessenheit dieser Vergütungsform stellt.

Neben den diagnosebezogenen Fall- pauschalen für weitgehend etablierte Bereiche der Frührehabilitation wur- den auch für folgende Indikationsge- biete Fallpauschalen definiert:

>Atmungsorgane

>Kreislauforgane

>Verdauung

>Knie- und Hüft-Totalendoprothese

>Knochenbrüche an den Extremitäten

>Diabetes mellitus

>Stoffwechsel.

Mithin ergeben sich 21 Frührehabili- tations-DRGs.

Da die Fallpauschalenverordnung zu- sammen mit den Prozedurenvorgaben nicht nur umfangreiche Verweildauern für die Frührehabilitation im Akutkran- kenhaus anbietet, sondern auch die Strukturqualität konkret festlegt, hat sich die Diskussion über das, was akut-sta- tionäre Leistungen beinhalten ( dürfen), zusätzlich verschärft.

Lange Verweildauern

Auf diese Gemengelage wies auf dem Münsteraner Symposium Dr. Hans- Günter Haaf, Rehabilitationswissen- schaftliche Abteilung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger e.V., Frankfurt am Main, hin. Seine ak- tuelle Momentaufnahme: Aufgrund der spezifischen Abrechnungsregelungen ergaben sich für 2004 insbesondere bei einer Verlegung von einem Akutkran- kenhaus in ein Krankenhaus der Frühre- habilitation sehr lange Verweildauern von mehr als 60 Tagen. Solche Liegezei- ten lassen eine anschließende Rehabili- tation für diese Patienten eher unwahr- scheinlich werden. Dabei lagen die vor- gesehenen Entgelte deutlich über den Pflegesätzen in der medi- zinischen Rehabilitation.

Strenge Strukturvor- aussetzungen für die Durchführung von Früh- rehabilitation und der Ab- rechnung von Fallpau- schalen sind als Rahmen- bedingungen des maß- geblichen Operationen- und Prozedu- renkatalogs OPS-301 unter dem Kode 8 – 551 definiert:

>Rehabilitationsteam unter fach- ärztlicher Leitung

>standardisiertes Frührehabilitati- ons-Assessment

>konkret ausgearbeiteter Behand- lungsplan mit Teambesprechung

>Frührehabilitationspflege

>Vorhaltung und Einsatz von min- destens vier Therapiebereichen, etwa Psychotherapie, Ergotherapie, pysikali- sche Therapie, Psychotherapie, Logopä- die und andere. Rehabilitationsexperten kritisierten diesen Strukturqualitätska- talog als zu undifferenziert und konflikt- reich. Nach Meinung des VDR-Rehabi- litationsexperten besteht die Gefahr, dass die Erbringung von frührehabilita- tiven Leistungen fast in jedem Akut- krankenhaus möglich wird. Dadurch sei- en die Qualitätsstandards und die qua- litätsgesicherte Rehabilitation in Lei- stungen der Rehabilitation gefährdet. Es müsse in jedem Fall Rehabilitation drin sein, auf dessen Etikett Rehabilitation oder Frührehabilitation steht, so Arno Kugel, Vorstandsvorsitzender der Eifel- höhenklinik AG in Marmagen.

Inzwischen sind im DRG-Fallpau- schalen-Katalog für 2005 im Sinne „ei- nes lernenden Systems“ weitere Fall- pauschalen und Leistungen vereinbart worden, um das Problem zu entschär- fen. Sieht man von den Leistungen der geriatrischen Frührehabilitation ab, so wurden jetzt 13 Frührehabilitations- DRG-Positionen in die dafür vorgesehe- ne Anlage 3 aufgenommen. Es sind Lei- stungen, für die zwar Fallpauschalen de- finiert worden sind, die jedoch nicht auf Bundesebene kalkuliert werden konn- ten. Für diese definierten Leistungen sind mithin krankenhausindividuelle Entgelte zu vereinbaren, soweit sie als Krankenhausleistung erbracht werden dürfen. Darauf machte der Leiter der Abteilung V „Belange behinderter Menschen, Sozialhilfe“, Ministerialdi- rektor Rainer Wilmerstadt vom Bun- desministerium für Gesundheit und So- ziale Sicherung, aufmerksam. Ob der er- weiterte Katalog praxisrelevant ist, ist noch offen. Dies dürfte weitgehend da- von abhängen, wie sich die Krankenkas- sen in Verhandlungen mit Leistungser- bringern dieser Frührehabilitationslei- stungen strategisch verhalten werden.

Namentlich die Deutsche Gesell- schaft für Medizinische Rehabilitation hat davor gewarnt, weitere Elemente der Frührehabilitation dem Akutkran- kenhaus ohne die notwendigen Struk- tur- und Kompetenzvoraussetzungen zuzuschanzen, nur um Überkapazitäten umzuwidmen und einen Rettungsanker zu werfen. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

A

A946 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 148. April 2005

Verweildauern von mehr als 60 Tagen

lassen eine anschließende Rehabi-

litation eher unwahr-

scheinlich werden.

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