Der Hinweis des Verfassers, die meisten Länder hätten sich gegen ei- ne Meldepflicht entschieden, ent- spricht nicht den tatsächlichen Ge- gebenheiten. Nach einer Untersu- chung des Auswärtigen Amtes, Stand März 1987, haben bereits zahlreiche Staaten eine im einzelnen unterschiedlich ausgestaltete Melde- pflicht eingeführt. In weiteren Län- dern, wie zum Beispiel der Schweiz, wird die Einführung einer Melde- pflicht erwogen. Auch in der Bun- desrepublik Deutschland mehren sich unter den medizinischen und ju- ristischen Experten wie auch unter den Politikern die Stimmen, die da- für plädieren, AIDS ebenso einer allgemeinen ärztlichen Meldepflicht zu unterwerfen, wie dies bei zahlrei- chen anderen ansteckenden Krank- heiten (insbesondere auch bei Ge- schlechtskrankheiten) seit langem der Fall ist.
Anläßlich einer im Februar 1987 durchgeführten Repräsentativum- frage haben sich 61 von Hundert der Befragten für eine namentliche Mel- depflicht ausgesprochen (Stern 1987 Nr. 9, S. 30).
Mit dem Hinweis auf Isolation und Quarantäne als mögliche Folgen der Einführung einer Meldepflicht erweckt Jäger den Eindruck, als ste- he lediglich die Möglichkeit einer namentlichen Meldepflicht im Raum. Die Befürworter einer Mel- depflicht in der Bundesrepublik Deutschland (auch innerhalb der CSU) haben sich jedoch bisher über- wiegend für eine anonyme Melde- pflicht analog der differenzierten Regelung des Geschlechtskrankhei- tengesetzes ausgesprochen, das von dem Grundsatz der anonymen Mel- depflicht ausgeht und nur in be- stimmten Fällen (zum Beispiel bei Uneinsichtigkeit) eine namentliche Meldung vorsieht (vgl. § 12 GeschlkrG).
Entgegen der Ansicht Jägers be- steht auch ein starkes öffentliches Interesse an der Weitergabe von me- dizinischen Daten an staatliche Stel- len. Aufgrund der in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG enthaltenen Verpflichtung des Staates zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrt- heit begegnet es nach Auffassung des Bundeverfassungsgerichts „kei-
nen Bedenken, wenn der Staat den Gefahren, die der Volksgesundheit durch bösartige Ansteckungskrank- heiten oder epidemisch auftretende Leiden drohen, dadurch zu steuern sucht, daß er dem Arzt unter wei- testmöglicher Schonung der Interes- sen des Patienten die Meldung an öf- fentliche Gesundheitsämter zur Pflicht macht" (Amtliche Entschei-
Dem Beitrag von Professor Pe- tersen stimme ich in weiten Teilen zu. Insbesondere der auch von mir so gesehenen Priorität in der AIDS- Vorsorge: Neue Infektionen verhin- dern! Ganz besonders wichtig er- scheint mir die Betonung der Erfah- rung, daß hierzu in erster Linie Ver- trauensbildung bei den betroffenen Infizierten und der Bevölkerung all- gemein notwendig ist.
Von großer Wichtigkeit er- scheint mir allerdings die Betonung, daß Berufsverbote weder im medizi- nischen noch im nahrungsmittelver- arbeitenden Bereich notwendig oder sinnvoll sind. Ganz besonders beto- nen möchte ich nochmals, daß bei Kampf- und Kontaktsportarten, auch bei engem Zusammenleben in Internaten, HIV-Übertragungen nicht vorgekommen sind. Die Not- wendigkeit eines Routine-HIV-Te- stes liegt also weder in schulischen noch sportlichen oder sonstigen ge- sellschaftlich relevanten Bereichen vor.
Das statistische Risiko des Krankenhauspersonals ist so gering, siehe auch die Arbeit von Professor F. D. Goebel im Deutschen Ärzte- blatt (Heft 16, 1987), daß die weni- gen, sehr bedauerlichen, im medizi- nischen Bereich durch Berufsaus- übung nachgewiesenen Infektionen statistisch nicht ins Gewicht fallen.
Hierzu ist insbesondere auch eine Studie aus der Bronx anzuführen, in der Zahnärzte, die dort häufig dro- genabhängige Infizierte behandeln, untersucht worden waren. Die Zahnärzte hatten sich im Durch- schnitt 25mal in den letzten fünf Jah- ren akzidentell inokuliert, dies si- cher auch häufig bei der Behandlung
dungssammlung des Bundesverfas- sungsgerichtes Band 32, S. 373, 380).
Stadtdirektor
Dr. med. Norbert Kathke Landeshauptstadt München Gesundheitsbehörde Postfach 37 02 09 8000 München 37
von HIV-Infizierten: Kein Zahnarzt war angesteckt.
Zum vorletzten Absatz des Briefes von Herrn Professor Peter- sen ist zu fragen, wie „das Allge- meinwohl" in diesem Zusammen- hang definiert werden soll, wenn In- fektionen bei sozialem Kontakt nicht vorkommen und sich jeder ins- besondere bei sexueller Aktivität so einrichten kann, daß er sich nicht in- fiziert. Ausnahmen, auf die kein Einfluß genommen werden kann, sind meines Erachtens die zwar sehr seltenen, aber doch vorkommenden Infektionen nach Transfusionen auf der einen, Vergewaltigungssituatio- nen auf der anderen Seite.
Bei „guter Krankenhaushygie- ne" ist eine unterschiedliche Be- handlung von HIV-infizierten und nicht HIV-infizierten Patienten grundsätzlich nicht notwendig. Spe- zielle opportunistische Infektionen, so zum Beispiel die Tuberkulose, bedürfen natürlich besonderer Be- rücksichtigung. In der Bundesrepu- blik und Westberlin sind nach Schät- zungen etwa 100 000 Menschen HIV-infiziert, 90 Prozent davon wis- sen dies nicht. Die zu treffenden Maßnahmen müssen also allgemei- ner Natur sein, die Verantwortlich- keit des einzelnen betonen, das in- zwischen an vielen Stellen entstan- dene Vertrauen zu den Betreuungs- systemen ausnutzen.
Dr. med. Hans Jäger
— Arbeitsgruppe AIDS — I. Medizinische Abteilung Städtisches Krankenhaus München-Schwabing Kölner Platz 1 8000 München 40
Schlußwort
A-376 (56) Dt. Ärztebl. 85, Heft 7, 18. Februar 1988