40,8 beeindruckt mehr als 5,26. In diese Richtung weist auch die weite- re Verwendung der Million im Ge- gensatz zu den sonst in der Gesund- heits- und Bevölkerungsstatistik weit üblicheren Hunderttausend. Mit 0,526 kann man wesentlich weniger Aufmerksamkeit erringen und nur schwerer erhebliche zusätzliche Mit- tel erhalten als mit 40,8.
Es gibt noch andere Einwände gegen die statistische Aufarbeitung der AIDS-Zahlen durch das BGA.
In Tabelle 3 wird die Zahl der „Ho- mo- oder bisexuellen Männer" auf die Gesamtzahl der Fälle bezogen, also auf Männer und Frauen. Da Frauen aber mit Sicherheit in dieses Kollektiv nicht hineingehören, ist es nicht korrekt, sie bei der Berechnung des Anteils zu berücksichtigen. Be- zugsgröße kann für das Kollektiv der homo- und bisexuellen Männer nur das der männlichen Patienten sein.
Der entsprechende Prozentwert lau- tet dann 76,8, das heißt, gut drei von vier männlichen AIDS-Patienten sind homo- oder bisexuell. Da die Verteilung auf Risikogruppen für die beiden Geschlechter zwangsläufig unterschiedlich sein muß, hat eine zusammengefaßte anteilsmäßige Be- rechnung für unisexuelle Risiken we- nig Sinn.
Mehr im Sinne eines Verbesse- rungsvorschlages sind die Ausfüh- rungen zu Tabelle 4 zu verstehen.
Hier sind, außer den nach Ge- schlechtern getrennten Absolutzah- len, für Lebensjahrzehnte Prozent- werte für die allerdings nicht aufge- führte jeweilige Gesamtzahl enthal- ten. Nun findet sich aber bei Män- nern der dichteste Wert von 30 bis 39 Jahren, danach von 40 bis 49 Jahren, bei Frauen dagegen 10 Jahre früher, das heißt, von 20 bis 29 Jahren und 30 bis 39 Jahren, auch sinkt bei ihnen danach die Zahl relativ stärker ab.
Diese geschlechtsspezifischen Al- tersunterschiede sind nicht ohne praktische Bedeutung; sie kommen aber bei der zusammengefaßten Ausweisung der Prozentwerte nicht zur Geltung.
Aufaddieren ist bei kleinen Zah- len für eine gewisse Zeit vertretbar, auch jetzt noch, wenn über Vertei- lungen nach Risikofaktoren, dem Lebensalter, der Art der klinischen
Erstmanifestation unterrichtet wer- den soll. Allerdings wird man auch hier allmählich zu verschiedenen Pe- rioden übergehen müssen, damit et- waige Trends rechtzeitig erkannt werden können.
Bereits in der ersten Mitteilung ist auf die Unzweckmäßigkeit hinge- wiesen worden, bei ansteigenden Werten den Durchschnitt zu benut- zen. Aus diesem Grund wäre es viel besser, wenn auch das BGA Jahres- zahlen absolut und relativ publizie- ren würde. Aus den Zahlen der Ta- belle 5 der besprochenen Mitteilung ergibt sich dann folgendes Bild für Absolutzahlen und Zugangsraten je Million:
1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988
0,21 0,70 2,03 4,98 8,71 15,03*
14,24**
* (errechnet nach der Bevölkerung von 1986)
** (dgl., nur I.—III. Quartal, bezo- gen auf die entsprechende Bevölke- rung).
Worauf es bei AIDS ankommt — die ansteigende Tendenz —, das ist zumindest bis 1987 klar und über- zeugend erkennbar. Dazu bedarf es doch keiner methodisch unzulässi- gen Verfahren. Wie es 1988 weiter- gehen wird, bleibt abzuwarten.
Selbst ein Stagnieren wäre nicht un- bedingt ein Beweis für das Fehlen ei- nes weiteren Anstieges Zumindest gleichwertig müßte die Leistungsfä- higkeit des Berichtssystems über- prüft werden.
Es würde dem Glauben an die Kompetenz des AIDS-Zentrums — Epidemiologie — beim BGA nur för- derlich sein, wenn die herkömm- lichen Regeln der Epidemiologie be- achtet würden.
Prof. Dr. med. Gerhard Neumann Urachstraße 3 7000 Stuttgart 1
Schlußwort
la
Für konstruktive Anmerkungen des kritischen Fachpublikums des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTESsind wir dankbar. Das AIDS-Zen- trum im Bundesgesundheitsamt be- müht sich, diesem Kreise die jeweils aktuellen Daten in einer interpre- tierbaren Form zur Verfügung zu stellen.
Tabelle 1 der kritisierten Veröf- fentlichung weist aus, daß seit 1982 pro Million Bundesbürger (bezogen auf die Einwohnerzahl von 1986) 40,8 Fälle aufgetreten sind. Die Be- zugsgröße eine Million Einwohner wurde von uns gewählt, da dies un- ter anderem der Veröffentlichungs- praxis der WHO bei AIDS ent- spricht.
Da auch von der WHO Inziden- zen seit dem Auftreten von AIDS- Fällen bezogen auf die Gesamtbevöl- kerung berechnet und publiziert werden, um damit eine regionale Vergleichbarkeit herzustellen, haben wir uns dieser Praxis angeschlossen.
Die angesprochene Problematik ist uns seit langem bewußt.
Professor Neumanns „gewoge- ner Durchschnitt" scheint uns nicht sonderlich hilfreich. Aus den von uns publizierten Daten ist leicht zu er- rechnen, wieviele bevölkerungsrela- tive AIDS-Fälle in den letzten 12 Monaten aufgetreten sind, nämlich 1488 : 2488 x 40,8 oder
1488:61000000x1000000 = 24,4 Darüber hinaus stehen dem an Verläufen interessierten Leser unse- re regelmäßigen Publikationen im Arzteblatt zur Verfügung.
Die Vorschläge hinsichtlich der Tabellen 3 und 4 werden in unserem Hause geprüft. Wir möchten Herrn Neumann an dieser Stelle für seinen konstruktiven Beitrag danken und möchten ihn dahingehend beruhi- gen, daß in unseren wissenschaft- lichen Auswertungen und Interpre- tationen der Entwicklung der AIDS- Erkrankungen Überlegungen der von ihm gemachten Art neben ande- ren durchaus Eingang finden.
Dr. med. Rita Bunikowski Dr. Dr. Josef Estermann AIDS-Zentrum
im Bundesgesundheitsamt
— Epidemiologie — Reichpietschufer 74 1000 Berlin 30
Dt. Ärztebl. 86, Heft 8, 23. Februar 1989 (57) A-469