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Archiv "AIDS: Ethische Fragestellungen" (02.04.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hans Jäger

L Medizinische Klinik des Städtischen Krankenhauses München-Schwabing (Chefarzt: Dr. med.

Werner Kaboth)

1. Einleitung

Im Wettlauf mit der Zeit bei der Erforschung und Anwendung virus- spezifischer Medikamente zur Be- kämpfung der neuen Krankheit AIDS stehen ethische Aspekte zu- nächst häufig im Hintergrund. Mehr und mehr setzt sich jedoch die Mei- nung durch, daß AIDS — wie jede andere Krankheit — nur unter Einbe- ziehung möglichst aller Determinan- ten verstanden werden kann. Es ent- steht zudem der Eindruck, daß das erworbene Immundefektsyndrom

Dieses Bild hat ein AIDS-Patient mit einem Kaposi-Sarkom ein halbes Jahr vor seinem Tod gemalt

wie ein Brennglas medizin-ethische und -rechtliche Fragen von erheb- licher Tragweite bündelt und kon- zentriert und zudem eine Reihe von neuen, bisher nicht bekannten oder relevanten ethischen Problemen auf- wirft (1, 2, 3).

Eine große Zahl und die Kombi- nation schwieriger, oft schwerster

medizinischer, somatischer, psycho- sozialer und ethischer Probleme sind für AIDS- und AIDS-Vorfeldpa- tienten typisch. Hinzu kommt die oft als psychosozialer Streß mißinter- pretierte Störung organischer Ge- hirnfunktionen durch HIV-spezifi- schen Befall des zentralen Nervensy- stems (4).

AIDS ist ansteckend, AIDS hat eine hohe Mortalität, AIDS kann durch sexuellen Kontakt übertragen werden. AIDS betrifft (mit einer of- fenbar größer werdenden Zahl von Ausnahmen) diejenigen Gruppen,

(2)

die bereits vor ihrer Krankheit stig- matisiert sind.

Gesundheitsbürokratische Maß- nahmen hatten bisher im Bereich le- taler Krankheiten nahezu aus- schließlich Funktionen zum Schutz der betroffenen Individuen. AIDS- Patienten sind neben den mannigfa- chen Problemen ihrer Krankheit auch Denkmodellen restriktiver Provenienz ausgesetzt, die oft von Theoretikern der Materie zur Balan- ce des Wohls der Allgemeinheit und der Rechte des einzelnen entworfen werden.

2. Schuld

In diesem Zusammenhang er- scheint es berechtigt, über das

„Prinzip Schuld und Krankheit"

nachzudenken. Homosexuelle Män- ner und drogenabhängige Patienten sind Indikatorkollektive, in denen sich das HIV-Virus vergleichsweise rasch durch sexuellen Kontakt oder durch gemeinsamen Gebrauch kon- taminierter Nadeln ausbreiten kann.

Studien in diesen Gruppen sind durch die relativ hohe Homogenität einfacher als Studien der Gesamtbe- völkerung. Die Einführung des Denkmodells Schuld impliziert die Berücksichtigung schamanenhafter und sittenmoralisch wertender Kodi- ces. Utilitaristischer gedacht ist beim Prinzip Schuld und Krankheit an Rauchen/Alkohol und verschiedene Krebsarten sowie kardiovaskuläre Erkrankungen zu denken. Ist der Skifahrer schuld an seinem gebro- chenen Unterschenkel?

Es scheint, als wenn Schuld zum Verständnis jeglicher Krankheit we- nig beizutragen vermag. Durchaus vorhandene Schuldgefühle des Pa- tienten können allerdings einer mög- lichen klinischen Besserung oder psychischen Bewältigung erheblich entgegen stehen. Die Mehrzahl der Patienten gibt, nach Schuldgefühlen gefragt an, nicht sehr ausgeprägt darunter zu leiden. In Einzelfällen gehört die therapeutische Bearbei- tung von solchen, dann allerdings manchmal sehr ausgeprägten Stö- rungen zu den wichtigsten Anfangs- schritten psychosozialer Behand- lung.

3. Meldepflicht

Geschlechtskrankheiten, hier gilt es den Unterschied zu sexuell übertragbaren Krankheiten zu be- rücksichtigen, unterliegen der Mel- depflicht. Die Grundrechte auf kör- perliche Unversehrtheit und Freiheit der Person werden nach dem Gesetz gegen die Bekämpfung der Ge- schlechtskrankheiten gesetzlich ein- geschränkt. Wem nützt die Melde- pflicht? Kann durch Meldung die In- fektionskette, können neue Infek- tionen vermieden werden? Melde- pflicht hat da ihre — allerdings in der Praxis oft unterlaufene — Berechti- gung, wo einer gezielten Diagnostik eine gesicherte Behandlungsform gegenüber steht, zum Beispiel bei Syphilis und Tripper.

Gallwas (5) hat sich mit seinen Überlegungen zur Meldepflicht bei AIDS in Deutschland unter medizi- nischen Experten und Politikern re- lativ isoliert. Dies spricht allerdings per se nicht gegen seine Argumenta- tion.

Für AIDS ist bisher keine gesi- cherte Therapie bekannt. Eine klas- sische Grundlage der Meldepflicht fehlt damit. Wer sollte gemeldet werden? CDC-AIDS-Kranke , Vor- feldpatienten, Testpositive, Ange- hörige von Risikogruppen? Was soll, wenn keine gesicherte Therapie möglich ist, mit den Gemeldeten ge- schehen? Isolation und Quarantäne haben bei einer Inkubationszeit von im Mittel 6 bis 24 Monaten keinen Sinn, zumal die Krankheit durch so- ziale Kontakte nicht übertragen wer- den kann. Selbst die gemeinsame Benutzung von Zahnbürsten mit AIDS-Patienten hat nach einer Un- tersuchung von Friedland (6) nicht zu einer Infektion geführt. Gesichert ist, daß mit vermehrter Vertrauens- bildung, Gesundheitsinformation und Gesundheitserziehung (7) eine deutliche Verminderung der rekta- len Gonorrhoe (klassischer Parame- ter für Infektionen durch homosexu- elle Aktivität) erreicht werden kann.

Derzeit sind relativ genaue, er- schreckende epidemiologische Vor- hersagen aufgrund vorhandener Zahlen möglich. Ob in einem Land 800 oder 1000 Erkrankungen mit dem Vollbild vorliegen, spielt ange-

sichts der zu erwartenden Zahlen- entwicklung und der gleichzeitig der Hilfe bedürftigen vielen Vorfeldpa- tienten für die von Verantwortlichen zu entwickelnden Maßnahmenkata- loge zur wirksameren Betreuung keine Rolle.

Die Einführung einer Melde- pflicht ist zur Zeit kontraproduktiv, da wenig- oder nichtkranke Infizier- te zum Teil nicht mehr in den Bera- tungsstellen vorsprechen würden.

Die Grauzone gerade im infektions- prophylaktisch wichtigen Bereich der Vorfelderkrankungen würde größer, Gesundheitserziehung, die bisher einzig wirksame Präventions- strategie wäre weitaus weniger ef- fektiv.

Weitgehend unabhängig von den für meldepflichtige Erkrankun- gen zuständigen Gesundheitsämtern haben sich, zum Teil aber unter not- wendiger Einbeziehung der in die- sen Behörden beratend tätigen Kol- legen, in fast allen Bundesländern informelle Arbeitsgruppen der mit AIDS befaßten Institutionen, Kran- kenhäuser, Grundlageninstitute ge- bildet, deren Arbeit wesentlich er- giebiger sein dürfte als Maßnahmen, die im Umfeld der Meldepflicht dis- kutiert werden.

4. HIV-Antikörpertest Die Medizin verfügt derzeit über keine ethisch-rechtlich brisan- tere Untersuchung als den HIV-An- tikörpertest. Die Mitteilung des Er- gebnisses kann mit erhöhter Suizida- lität des Betroffenen einhergeben.

Bei Menschen ohne deutliche Krankheitszeichen sind medizinisch relevante Konsequenzen aus der Antikörperbestimmung nur in selte- nen Ausnahmen, zum Beispiel bei Kinderwunsch Drogenabhängiger, zu erwarten.

Die anfängliche Idee, möglichst viele Menschen, vor allem Risiko- gruppenangehörige, zu testen und damit eine bessere und frühere Be- kämpfung zu erreichen, ist der nüch- ternen Erkenntnis gewichen, daß ein positives Testergebnis wie ein Da- moklesschwert den Betroffenen be- lasten kann, ohne daß von medizini- scher Seite effektive Hilfs- oder In- A-906 (42) Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987

(3)

Meldepflicht: Gegenargumente (nach Leenen)

terventionsmöglichkeiten angeboten werden können (8).

Zwischen 30 und 50 Prozent der Angehörigen der hauptbetroffenen Gruppen in Deutschland weisen ei- nen positiven Antikörpertest auf.

Etwa 30 Prozent der antikörperposi- tiven Personen werden nach jetzi- gem Erkenntnisstand weitere Krankheitszeichen oder AIDS ent- wickeln, vielleicht ist dieser Prozent- satz auch wesentlich höher anzuset- zen (9). Der Test wird in den mei- sten Fällen etwa 8 Wochen nach ei- ner Infektion positiv und bleibt es für einen bisher schwer einzuschät- zenden Zeitraum, eventuell zeitle- bens.

Wer soll getestet werden?

Immer wieder wird die Antikör- pertestung für beliebig definierte Gruppen oder die Gesamtbevölke- rung vorgeschlagen. Das Testen ei- ner umschriebenen Personengruppe anders als im Rahmen wissenschaft- lich abgesicherter und überlegter Studien ist abzulehnen. Erfahrungs- gemäß haben sich gerade die An- nahme eines zu erwartenden negati- ven Testergebnisses durch den be- treuenden Arzt und die häufig auch vom Patienten vordergründig ge- wünschte Absicherung als ein ethi- sches Dilemma erster Ordnung her- ausgestellt. Das — durch Bestäti- gungstest — abgesicherte positive Testergebnis zu verschweigen oder für den Patienten unverständlich zu

verklausulieren, ist ein oft erprob- ter, nie erfolgreicher Fluchtversuch.

Falls ein positives Testergebnis vor- liegt, muß der Patient dies erfahren.

Eine denkbare Ausnahme liegt vor, falls der Betroffene aus altruisti- schen Erwägungen an einem For- schungsprojekt teilnimmt und vor- her darum bittet, nicht mit dem eige- nen Testergebnis konfrontiert zu werden.

Vor Durchführung des HIV-Te- stes muß dementsprechend sowohl das Einverständnis des Patienten eingeholt als auch mit ihm bespro- chen werden, wie ein mögliches po- sitives Testergebnis verarbeitet wer- den kann, welche Unterstützungssy- steme vorhanden sind. Dies gilt auch für zunehmend wichtiger werdende Tests im Rahmen der Schwanger- schaftsvorsorge. Bei der Erwirkung des Einverständnisses sollte der be- treuende Arzt auch auf mögliche versicherungsrechtliche Nachteile, die zum Beispiel im Bereich von Le- bens- und privaten Krankenversi- cherungen erwachsen können, hin- weisen. HIV-Routinetestungen, zum Beispiel bei Aufnahme ins Krankenhaus, sind rechtlich unzu- lässig.

Für die Beratungsarbeit mit ho- mosexuellen Männern ist die Kennt- nis des Testergebnisses grundsätz- lich nicht notwendig, da alle Betrof- fenen ihren Lebensstil so ändern müssen, daß sie sich und andere nicht anstecken können. Negative Testergebnisse können kontrapro- duktive Folgen haben (10). In ein- zelnen Fällen kann jedoch bei star-

ker Beunruhigung des Patienten ein positives Testergebnis besser zu ver- arbeiten sein, als das Nichtwissen, die Ungewißheit.

In der Beratungsarbeit mit Dro- genabhängigen oder ehemaligen Drogenabhängigen kann die Durch- führung des Tests nach entsprechen- der Vorbereitung, insbesondere bei Kinderwunsch notwendig werden.

Aus den geschilderten Gründen, un- ter anderem auch unter Berücksich- tigung der Tatsache, daß keine rele- vanten Konsequenzen aus dem Test zu ziehen sind, ist der HIV-Antikör- pertest im Rahmen von Einstel- lungsuntersuchungen abzulehnen.

Im Strafvollzug gelten grundsätzlich die gleichen Erfahrungen. Strafan- stalten sind dazu übergegangen, aus psychologischen Erwägungen Ge- fangene mit bekanntem, positivem Antikörpertest nicht in der Küche arbeiten zu lassen. Medizinische Gründe zur Berufseinschränkung für testpositive Personen, wenn kei- ne schweren Krankheitszeichen vor- liegen, die den Patienten selbst in seiner Tätigkeit behindern, bestehen weder im nahrungsmittelverarbei- tenden noch im medizinischen Be- reich.

5. Präventive Maßnahmen

Die bisher erfolgreichste prä- ventive Strategie zur Verhinderung neuer HIV-Infektionen sind Infor- mation und Gesundheitserziehung.

Unabdingbar hierfür ist Vertrauens- bildung. Die Entwicklung biolo- gisch-prophylaktischer Maßnahmen etwa von Impfungen dauert länger als ursprünglich angenommen und läßt sich zeitlich nicht abschätzen (11).

Ungeklärte Fragen wie: Wer wird sich impfen lassen? Sollen El- tern der Impfung ihrer Kinder zu- stimmen? Wie läßt sich Impfschutz nachweisen? Ist eine Impfung sinn- voll, wenn die Änderung des Le- bensstils eine Infektionsgefährdung ausschließen kann? (12) schrecken potentielle Entwickler von Impfstof- fen ab. Dazu kommt ein schwer ein- zuschätzendes Risiko von Regreß- forderungen bei Impfschäden und

IMMINN

• Die meisten Länder haben sich dagegen entschieden.

• Die Weitergabe von medizinischen Daten an staatliche Stel- len setzt ein starkes öffentliches Interesse voraus.

• Eine zusätzliche Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen ist möglich.

• Beeinträchtigung der Motivation zur Beratung

• Belastung des Arzt-Patienten-Verhältnisses:

Ohnehin überlastete Ärzte werden zusätzlich belastet.

(4)

die Tatsache, daß die Entwicklung biologischer Präventionsmedika- mente mit sehr hohen Kosten ver- bunden ist. Die beiden letztgenann- ten Faktoren haben kalifornische Gesetzgeber bewogen zu überlegen, ob a) eine Befreiung von Regreßfor- derungen gegenüber AIDS-Impf- stoff entwickelnden Firmen durch- setzbar ist und b) in Frage kommen- den Firmen Staatsdarlehen zur schnelleren Entwicklung zur Verfü- gung gestellt werden sollen.

6. Therapie

AIDS-Therapie und -Therapie- forschung weisen eine erhebliche Bandbreite ethischer ungelöster Probleme auf (13). Nur die wichtig- sten Fragestellungen können in die- sem Zusammenhang dargestellt wer- den.

Wer soll neue

Medikamente erhalten?

Ist es gerechtfertigt, wenn ein Medikament wie Azidothymidin (AZT) erfolgversprechend er- scheint, dieses nur einer kleinen Gruppe ausgesuchter Patienten zur Verfügung zu stellen? Sollten nicht alle in Frage kommenden Kranken dieses Medikament erhalten, even- tuell auch außerhalb kontrollierter Studien (compassionate indication)?

Dies wird vom Hersteller von AZT abgelehnt, die Mehrzahl der US-Ex- perten ist ebenfalls der Meinung, daß nur Medikamente, die einem ri- gorosen Forschungsprotokoll unter- worfen wurden, der Mehrzahl der Patienten zur Verfügung stehen sol- te. Hierfür spricht insbesondere, daß Medikamente oft zu Beginn er- folgverspechend erscheinen, dann jedoch (zum Beispiel Suramin) nach eingehenden Studien nicht mehr empfohlen werden können.

Die durch Cytomegalie der Re- tina bei manchen Patienten auftre- tende Blindheit läßt sich durch DHPG, wenn auch wohl nur vor- übergehend, aufhalten. Es ist schwer verständlich, daß auch dieses Medikament, obwohl vorhanden, nur schwer erhältlich ist.

Gegen die breite Anwendung auch eines vielversprechenden Prä- parates kann auch die mögliche Ver- knappung sprechen. So begrenzt ein Mangel an Heringssperma bei der- zeit noch nicht voll synthetischer Herstellung von Thymidin die Pro- duktion von AZT.

Da eine gesicherte Therapie bis- her nicht bekannt ist, können nur in placebokontrollierten Studien mög- liche Erfolgsparameter neuer Sub- stanzen getestet werden. Bei schwer- und sterbenskranken Pa- tienten ist diese Regel nicht ange- bracht. In einer placebokontrollier- ten AZT-Studie in den USA haben Patienten aus Angst, nicht die wirk- same Therapie zu erhalten, mitein- ander Medikamte geteilt. Ein Aus- weg läßt sich zum Teil im Angebot eines cross overs sehen.

7. Information

Wer hat das Recht von der AIDS-Erkrankung eines Patienten zu erfahren? Hier besteht ein Kon- flikt zwischen der ärztlichen Schwei- gepflicht und den Interessen Dritter.

Soll ein Arzt den Ehemann einer Pa- tientin, die HIV-infiziert ist, auch gegen deren Willen informieren?

Sollen Justizvollzugsärzte bei Aus- gang oder Urlaub von infizierten Strafgefangenen oder bei der Entlas- sung die Ehefrau/den Freund des Patienten informieren? Bei der gro- ßen Unsicherheit in diesen Fragen scheint von den meisten Experten der Schweigepflicht die höhere Prio- rität beigemessen zu werden. Inwie- weit hat die Allgemeinheit ein Recht darauf, von der AIDS-Erkrankung einer bekannten Persönlichkeit zu erfahren? So befremdlich dies zu- nächst klingen mag: Eine bessere Akzeptanz der Krankheit und der AIDS-Kranken ist nur zu erwarten, wenn die Möglichkeit besteht, am Beispiel prominenter Menschen zu sehen, daß AIDS alle Bürger, nicht sogenannte Randgruppen betrifft.

Das amerikanische National Institu- te of Health hat nach dem Tod des bekannten Rechtsanwaltes Ray Cohn, eines Mitarbeiters McCar- thys, der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß erstens Cohn im NIH wegen

AIDS behandelt wurde, zweitens daß er mit AZT behandelt wurde, (was auch die Frage aufwirft, ob Einfluß auf die Aufnahme in Stu- dienprotokolle genommen wurde).

8. Arbeitsplatz und Wohnung,

Versicherungsaspekte

Die Pflicht, Arbeitgeber oder Versicherer über die Seropositivität zu informieren, würde in vielen Fäl- len zum Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Einschränkung des Versi- cherungsschutzes führen. Es muß auch überlegt werden, ob Arbeitge- ber das Recht haben, oder es über- haupt für sie sinnvoll ist, sich das Recht zu nehmen, alle denkbaren Fragen zu fragen.

Datenschutz und Wahrung der Schweigepflicht kommt bei AIDS im Vergleich zu anderen Krankheitsbil- dern eine noch gesteigerte Bedeu- tung zu. Die Verletzung dieser Prin- zipien kann schwere soziale Konse- quenzen für den Betroffenen haben.

Das Nachdenken über die Ausbrei- tung der Krankheit betrifft immer auch die innerste persönliche Sphäre eines Menschen.

9. Kinder

Kinder können sich während der Schwangerschaft im Uterus der Mutter oder durch Bluttransfusio- nen anstecken. Die Vorteile des Schulbesuches eines AIDS-Kindes überwiegen im allgemeinen die eventuell möglichen Nachteile, sich zusätzlich zu infizieren. Andere Kin- der sind durch AIDS-kranke Schul- kinder in der Regel nicht gefährdet.

Wer soll über die mögliche Krankheit des Kindes informiert werden? Wiegen die Vorteile der In- formation mögliche Nachteile auf?

Wie kann die Schweigepflicht der Informierten gewährleistet werden?

Bei AIDS-Kindern, häufig in Fami- lien mit einer Drogenproblematik hineingeboren, sind Fragen der Pflegschaft und der möglichen Ad- option relativ häufig. Die Pflegeel- tern müssen über die HIV-Infektion A-910 (46) Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987

(5)

informiert werden. Wie wirkt sich das auf die Bereitschaft zur Über- nahme einer Pflegschaft aus?

10. Blutspenden

Die Information des seropositi- ven Blutspenders ist ein ethisch schwieriger Bereich (14). Das Recht auf Information impliziert im Medi- zinrecht auch das zunehmend wichti- ge Recht, nicht informiert zu wer- den, da sonst das Informationsrecht zur Informationspflicht wird. Die Entscheidung, Blut zu spenden, beinhaltet nicht notwendigerweise auch die Pflicht, sich über seinen HIV-Antikörperstatus zu informie- ren. Allerdings steht den Blutban- ken für den Fall, daß Spender für sich das Recht beanspruchen, ähn- lich wie bei Forschungsprojekten nicht informiert zu werden, die Möglichkeit offen, diese Spender abzulehnen. Nur wenige Länder ha- ben bisher rechtlich die Pflicht zur Information auch gegen den Willen des Betroffenen festgelegt.

Sollen Empfänger von antikör- perpositivem Blut über diese Tatsa- che, oft Jahre zurückliegend, infor- miert werden? Im Jahre 1985 hat die American Association of Blood- banks festgestellt, daß der mögliche Schaden für einen Empfänger durch die Information größer ist, als die möglichen Vorteile. Bereits die Fra- ge an die Empfänger von Blutkon- serven, ob sie Informationen wün- schen, beinhaltet Information. An- dererseits können Blutspendezen- tren für mögliche Schäden auch Dritter, die aus Nichtinformation des Empfängers resultieren, haftbar gemacht werden. Auch gilt es zu überlegen, wer die Information von positiven Spendern oder Empfän- gern übernehmen soll. Hausarzt?

Blutbank? Soll der Empfänger einer eventuell nicht geprüften Konserve auf das mögliche AIDS-Risiko hin- gewiesen werden? (15)

11. Sterbebegleitung

An der Notwendigkeit einer op- timaleren Sterbebegleitung für Pa- tienten allgemein, insbesondere

aber auch für AIDS-Patienten, kön- nen keine Zweifel auftreten. In der Bundesrepublik Deutschland sind im Gegensatz zu angloamerikani- schen Ländern traditionell Ansätze zu einer Hospicebewegung eher un- terdrückt als gefördert worden. Er- ste Änderungen beginnen sich abzu- zeichnen. Gerade für AIDS-Patien- ten, dies zeigen vorzügliche Versor- gungsmodelle zum Beispiel in San Francisco, ist palliative, supportive Therapie in der letzten Lebensphase von ausschlaggebender Bedeutung.

Hierzu sind aktive Euthana- sieansätze, wie sie insbesondere für infauste onkologische Patienten, auch AIDS-Patienten, in Holland zur Verfügung stehen, nicht zu rech- nen.

12. Schlußbemerkung

Ethische und rechtliche Aspekte bei AIDS vor dem Hintergrund der Abwägung von Individualrechten und Interessen der Gesamtbevölke- rung stellen einen zunehmend kom- plexen, bisher ungenügend berück- sichtigten Bereich dar. Gesetzge- bung und Rechtsprechung betreten bei der relativ neuen Krankheit

Literatur

1. Relman, A. S.: AIDS: The emerging eth- ical dilemmas, Special Supplement. Hast- ings Center Report 15 (1985) 1-31 2. Mills, M., Wofsy, C. B., Mills, J.: The ac-

quired immuno deficiency syndrome. Infec- tion Control and public health law. N.

Engl. J. Med. 314 (1986) 931-926 3. Social and ethical issues of AIDS, Tagung.

Cornell-University, Medical College. New York 1985

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The AIDS Dementia Complex. Ann. Neu- rol. 19 (1986) 517-524

5. Gallwas, H. U.: Gesundheitsrechtliche Aspekte der Bekämpfung von AIDS.

AIDS-Forschung 1 (1986) 31-38

6. Friedland, G. H., Saltzman, B. R., Roger, M. F., Kahl, P. A., Lesser, M. C., Mayers, M. M., Klein, R S • Lack of transmission of HTLV-III/LAV infection to household contacts of patients with AIDS or AIDS re- lated complex with oral candidiasis. N.

Engl. J. Med. 314 (1986) 344-349 7. Chmiel, J., Detels, R., Van Raden, M.,

Brookmeyer, R., Kingsley, L., Kaslow, R.:

Prevention of LAV/HTLV-III infection through modification of sexual practices.

Vortrag, International Conference on Ac- quired Immunodeficiency Syndrome (AIDS) Paris 1986

AIDS Neuland. Das Eindringen in die persönliche Sphäre eines kran- ken Menschen macht starke Argu- mente für ein solches Vorgehen er- forderlich.

Ähnlich wie sich in der Vorsor- ge bei AIDS Gesundheitsinforma- tion und -erziehung als die bisher potentesten Waffen herausgestellt haben, scheint es sich abzuzeichnen, daß der Betonung individueller Rechte der Vorzug zu geben ist.

Soziale Annäherung an die Pro- blematik scheint der gesetzgeberi- schen oft überlegen zu sein. Dies hat sich nicht nur als Schutz für Risiko- gruppen, sondern auch als der effek- tivere Weg herausgestellt. Die Ge- sellschaft wird so stark gefährdete Bevölkerungsgruppen als verant- wortliche Mitbürger, die ihre Rechte wie jeder andere wahrnehmen kön- nen, akzeptieren.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hans Jäger Arbeitsgruppe AIDS 1. Medizinische Abteilung Städtisches Krankenhaus München-Schwabing Kölner Platz 1 8000 München 40

8. Jäger, H.: Ethical issues in AIDS. WHO.

AIDS Containment meeting. Abstract.

AIDS-Forschung 9 (1986) 513-514 9. Brodt, H. R., Helm, E. B., Werner, A.,

Joetten, A., Bergmann, L., Klürer, A., Stille, W.: Spontanverlauf der LAV/

HTLV-III-Infektion. Deutsche Medizini- sche Wochenschrift 111 (1986) 1175-1180 10. Fox, R., Odaka, N., Polk, B. F.: Effect of

learning HTLV-III/LAV antibody status to subsequent sexual activity. Vortrag, Inter- national Conference on Acquired Immuno- deficiency Syndrome (AIDS) Paris 1986 11. Gallo, R.: Human retroviruses. Now and

the future. Vortrag, International Confer- ence on AIDS. Paris 1986

12. Altmann, L. K.: Who will volunteer for an AIDS Vaccine? New York Times. 15. April 1986. C 1—C 7

13. Grady, D.: Look doctor, I'm dying. Give me the drug. A promising AIDS treatment has created an ethical dilemma. Discover 7 (1986) 78-86

14. Leenen, H. J. J.: The role of health Legis- lation in AIDS containment. Vortrag, WHO Euromeeting on AIDS containment.

Graz 1986

15. Teichner, M.: Aufklärung über das Trans- fusionsrisiko LAV/HTLV-III-Infektion?

Arztrecht 8 (1986) 201-203

Referenzen

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