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Archiv "Ethische Aspekte der HIV-Infektion: Aids ist anders – aber warum?" (28.11.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 48⏐⏐28. November 2008 A2571

T H E M E N D E R Z E I T

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IV ist zu einem Symbol für eine globalisierte Welt ge- worden – allerdings für eine abwehr- geschwächte. So sieht es Dr. med.

Christoph Benn von der Sonderab- teilung Aids der Vereinten Nationen (UNAIDS). Er leitet die Abteilung für Außenbeziehungen des „Global Fund to Fight Aids, Malaria and Tuberculosis“. „Aids ist anders“, er- läuterte Benn bei einer interdiszi- plinären Tagung in Frankfurt am Main über ethische Perspektiven von HIV/Aids aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums der Deutschen Aidshilfe (DAH) im Juni dieses Jahres.

Weltweit leben circa 33 Millio- nen Menschen mit dem menschli- chen Immunschwächevirus (HIV), täglich infizieren sich etwa 7 000 Menschen neu. In Deutschland ist die Rate der Neuinfektionen mit 33 je eine Million Einwohner welt- und europaweit vergleichsweise niedrig;

aktuell sind circa 60 000 Menschen in Deutschland HIV-positiv.

Nach den Worten von Benn lässt sich am Beispiel der HIV-Infektion

aufzeigen, wie die Mobilisierung der Öffentlichkeit für die Idee der Chancengleichheit eines jeden Men- schen das Bewusstsein für Gerech- tigkeit und Fairness bei der Gesund- heitsversorgung weltweit verändern kann. So war es im Juni 2001 das erste Mal, dass ein Gesundheitspro- blem Hauptthema bei der UN-Voll- versammlung war. Die Initiative kam vom damaligen Generalse- kretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan. Er richtete den Global Fund to Fight Aids ein. Dessen Budget entwickelte sich rasant und wies im vergangenen Jahr bereits zehn Mil- liarden US-Dollar aus.

Paradigmenwechsel bei der Verteilung der Mittel

Obwohl noch längst nicht alle ge- fährdeten und kranken Menschen den gleichen Zugang zu Prävention und Therapie hätten, die Unterstüt- zung von Betroffenen also noch unterfinanziert sei, stünden damit große Summen aus den Mitteln der UN zur Verfügung, teilte Benn mit.

Nach seinen Angaben erhalten circa drei Millionen Menschen in den Entwicklungsländern eine HIV- Therapie. Immerhin ein Drittel der HIV-Infizierten in Tansania, die ei- ne Therapie benötigten, würden der- zeit behandelt, in Ruanda seien es schon 60 Prozent, sagte Benn. Zur Verbesserung der Versorgungssitua- tion von HIV-Infizierten habe we- sentlich beigetragen, dass die Her- steller der antiretroviralen Medika- mente als Reaktion auf Forderungen der Öffentlichkeit die Preise in Ent- wicklungsländern um bis zu 95 Pro- zent gesenkt hätten.

Und die Versorgung soll weiter verbessert werden. 2007 habe die UN-Vollversammlung das Ziel for- muliert, bis 2010 sollten mindestens 80 Prozent der Infektionsgefährde- ten und Infizierten Unterstützung zur Prävention, Therapie und zum Leben mit der Krankheit erhalten, berichtete der UN-Experte.

Die Unterstützung für HIV/Aids ist Ausdruck eines Paradigmen- wechsels hinsichtlich der Kriterien, nach denen internationale Organisa- tionen Gelder für die gesundheitli- che Versorgung verteilen. „In der Ära vor Ausbreitung des HI-Virus war die Philosophie der Weltgesund- heitsorganisation, mit den zur Verfü- gung stehenden Mitteln den maxi- malen Gesamtnutzen zu erzielen, in- dem möglichst viele Menschen eine Basisversorgung erhalten“, erklärte Benn. Dieses nutzenmaximierende Prinzip, basierend auf konsequenzia- listischen Ethiktheorien, habe domi- niert. Beim deontologischen Prinzip stehe die Handlung im Vordergrund, in diesem Fall das ärztliche Behan- deln des einzelnen Patienten, weni- ger dagegen die Folgen der Hand- lung für die Gemeinschaft.

Gleichwohl habe der Paradig- menwechsel zu einem Gesamtnut-

ETHISCHE ASPEKTE DER HIV-INFEKTION

Aids ist anders – aber warum?

Mit dem Auftreten von Aids hat eine weltweit einzigartige Unterstützung Infektionsgefährdeter und Kranker in Entwicklungsländern begonnen.

Nun müssen andere Erkrankungen folgen. Am 1. Dezember ist Weltaidstag.

Ausgabe von Medikamenten gegen HIV in einem asiatischen Land.

Die meisten in Ent- wicklungsländern verwendeten Präpa- rate sind Generika.

Foto:dpa

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T H E M E N D E R Z E I T

zen geführt, der für die ethische Rechtfertigung einer Sonderstel- lung von Aids bei der Förderung aus öffentlichen Haushalten wichtig sei:

Die internationalen Organisationen stellten nun insgesamt mehr Mittel für die gesundheitliche Grundver- sorgung in Entwicklungsländern be- reit, und auch einzelne Staaten hät- ten ihre Gesundheitsetats erhöht.

„Diese Effekte haben Millionen Menschen das Leben gerettet“, sag- te Benn.

Anfänge der erfolgreichen Lobbyarbeit in den USA

Warum aber hat Aids diese Lobby?

Warum setzen sich in westlichen Ländern nicht zum Beispiel Diabeti- ker mit dem gleichen Enthusiasmus dafür ein, dass Leidensgenossen in armen Ländern Zugang zur Insu- lintherapie bekommen? Die Gründe für die erfolgreiche Lobbyarbeit ge- hen nach Benn auf die ersten Betrof- fenengruppen in den USA zurück:

überwiegend homosexuelle Männer aus gebildeten, politisierten Schich- ten, die sich für die Achtung der Menschenrechte und den Schutz vor Diskriminierung einsetzten und Er- fahrung hatten in der Mobilisierung von Öffentlichkeit und Politik. Sie konnten Forscher und Prominente für ihre Ziele gewinnen und letztlich auch die Politik. Auch im aktuellen Wahlkampf der USA habe Aids eine wichtige Rolle gespielt. Die Arbeit der DAH hat nach den Worten von Benn zur internationalen Solidari- sierungsbewegung und damit zum Paradigmenwechsel beigetragen.

Angesichts weltweit begrenzter Ressourcen für die Gesundheitsver- sorgung lasse sich die Sonderstel- lung von HIV und Aids künftig aber nur rechtfertigen, wenn der Trend zur Egalisierung in der Bereitstel- lung von Mitteln auch für andere Erkrankungen weiter zunehme.

Die Ausbreitung von HIV und Aids hat aber nicht nur Solidarität gefördert, sondern auch gesellschaft- lich polarisiert, vor allem im Zu- sammenhang mit der Primärpräven- tion. Im Juli 1982 kommt die Er- krankung auch in Deutschland an:

Bei einem Patienten an der Univer- sitätsklinik Frankfurt/M. wird erst- mals in Deutschland Aids diagnosti-

ziert. Und damit habe sich die mora- lische und juristische Frage gestellt, ob und wie das individuelle Selbstbe- stimmungsrecht zugunsten der Ab- wehr von Gefahren für die Gesell- schaft eingeschränkt werden dürfe, erinnert sich die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministe- rium für Gesundheit, Marion Cas- pers-Merk. „Sollten ordnungspoliti- sche Maßnahmen bis hin zur An- wendung des Strafrechts im Vorder- grund stehen oder eher verhaltensän- dernde Maßnahmen? Diejenigen, die auf Aufklärung und Verhal- tensänderung setzten, haben sich durchgesetzt“, so Caspers-Merk. Die DAH habe wesentlich dazu beige- tragen, dass sich ein partizipativer Ansatz entwickeln konnte.

Und dennoch: Es bestehe eine latente Gefahr, dass Tendenzen der Entsolidarisierung mit HIV-Infi- zierten in westlichen Ländern eine Renaissance erleben könnten, meint der Rechtsphilosoph Prof. Dr. phil.

Peter Strasser (Graz/Österreich). Des- halb sei es notwendig, einen realisti- schen Blick auf die Geschlechter- kulturen zu behalten – ohne Diskri- minierung von HIV-Infizierten als

„Bös-Kranke“ auf der einen, aber auch ohne schönfärbende Gegen- etikettierungen der Homosexualität zur Abwehr der Diskriminierungs- tradition auf der anderen Seite.

Normalisierungsstrategie, aber keine Homosexuellenfolklore

So dürfe nicht die Tatsache herunter- gespielt werden, dass bei einem An- teil von fünf bis zehn Prozent homo- sexueller Menschen an der Gesamt- bevölkerung der überwiegende Teil der Neuinfektionen auf Geschlechts- verkehr von Männern mit Männern (MSM) zurückzuführen sei. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (Berlin) betreffen 65 Prozent der im vergangenen Jahr in Deutschland neu diagnostizierten Fälle MSM.

Die Entdämonisierung von Ho- mosexualität müsse eine Normalisie- rungsstrategie sein, ohne zu negie- ren, dass eine Minderheit der Bevöl- kerung homosexuell orientiert sei.

Auf Wohltätigkeits- und Galaver- anstaltungen werde teilweise eine

„Homosexuellenfolklore“ zelebriert unter dem spielerischen Motto „Wir

Internetportale:

www.aidsberatung.de www.machs-mit.de

www.gib-aids-keine-chance.de www.check-dein-risiko.de

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alle sind ein bißchen schwul“. Und schönfärbende Gegenetikettierung sei es, Homosexualität so darzustel- len, als gehöre dazu naturgemäß eine intensive Lust am Leben bei erhöhter Feinfühligkeit und besonderer Bega- bung für Kunst und Ästhetik. Dies könne vordergründig Sympathie er- zeugen – auf Kosten einer dauerhaf- ten emotionalen und ideologischen Abrüstung mit dem Ziel, Unterschie- de in Sexualität und Lebenseinstel- lungen zu akzeptieren.

Kontrovers wird unter Juristen und Philosophen die Frage disku- tiert, ob jemand mit einer HIV-Infek- tion stärker für die Kommunikation über Risiken und für die Einhaltung sicherer Sexualpraktiken verantwort- lich ist, als ein Sexualpartner mit un- bekanntem oder negativem Serosta- tus. Nach Meinung des Strafrecht- lers und Strafprozessrechtlers Prof.

Dr. jur. Wolfgang Frisch (Freiburg) haben HIV-Positive grundsätzlich eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Sexualpartner. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht könne straf- rechtlich relevant sein, vor allem bei fahrlässiger oder vorsätzlicher In- fektion. Obwohl das Strafrecht nicht im Vordergrund stehe, sei es doch ein Mittel der Prävention. Für den Kölner Rechtsanwalt Jacob Hösl sind als rechtliche Mittel der Prävention eher die Menschenrech- te und das Recht, nicht diskriminiert zu werden, relevant.

Die neue, zielgruppenspezifische Kampagne der DAH in Kooperation mit der Bundeszentrale für gesund- heitliche Aufklärung (Motto: „Ich weiß, was ich tu“; www.iwwit.de) setzt weniger darauf, in HIV-positi- ven Menschen die Hauptverant- wortlichen für die Prävention zu se- hen, sondern darauf, dass sich alle Beteiligten selbst- und gesundheits- bewusst verhalten. Die Aufklärungs- kampagne ist Teil der „Mehrebenen- strategie“, die einerseits Haupt- betroffenengruppen, andererseits aber auch die Bevölkerung insgesamt an-

sprechen soll. n

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

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