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Hilfen für Kinder von alkoholkranken Eltern mit besonderem Blick auf die Beratung

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Academic year: 2021

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Master-Studiengang Beratung

Hilfen für Kinder von alkoholkranken Eltern

-mit besonderem Blick auf die Beratung-

Master-Arbeit zur Erreichung

des akademischen Grades

„Master of Arts“ (M.A.)

urn:nbn:de:gbv:519-thesis2017-0291-7

Vorgelegt von: Jasmin Koeppe

Erstgutachter: Prof. Dr. Andreas Speck

Zweitgutachter: Prof. Dr. phil. Habil. Barbara Bräutigam

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ... 1

1. Alkoholabhängigkeit ... 4

1.1. Definition Alkoholabhängigkeit ... 4

1.2. Entstehung einer Alkoholabhängigkeit ... 5

1.3. Folgen der Alkoholabhängigkeit für das Individuum ... 8

2. Familie und Entwicklung ... 9

2.1. Definition Familie ... 9

2.2. Frühe Bindungserfahrungen innerhalb der Familie ... 10

2.3. Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter ... 13

3. Auswirkungen der Sucht auf das System Familie ... 15

3.1. Alkoholabhängigkeit als Krankheit der gesamten Familie ... 15

3.2. Folgen der Alkoholabhängigkeit für die Kinder ... 18

3.2.1. Co-Abhängigkeit ... 21

3.2.2. Bindungsstörungen ... 23

3.2.3. Traumatische Erlebnisse ... 26

3.2.4. Entwicklung psychischer Erkrankungen ... 27

3.2.5. Erleben von Gewalt in der Familie ... 28

4. Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung von Kindern aus alkoholkranken Familien ... 30

4.1. Stress für Kinder und Jugendliche ... 30

4.2. Resilienz ... 32

4.3. Protektive Faktoren bei Kindern alkoholkranker Eltern ... 35

4.4. Positive Eigenschaften von Kindern alkoholkranker Eltern ... 37

5. Möglichkeiten der Hilfen für Kinder alkoholkranker Eltern ... 40

5.1. Präventionsmaßnahmen ... 40

(3)

5.3. Selbsthilfegruppen ... 46

5.4. Möglichkeiten der Suchthilfe ... 49

5.5. Therapeutische Möglichkeiten ... 56

6. Beratung als Ansatz zur Hilfe für Kinder alkoholkranker Eltern ... 58

6.1. Beratung ... 58

6.2. Zugang zur Beratung ... 59

6.3. Formen der Beratung für Kinder alkoholkranker Eltern ... 60

6.4. Anforderungen an eine Beratung für Kinder alkoholkranker Eltern ... 63

7. Die Perspektive der Betroffenen ... 71

7.1. Ergebnisse ... 75

7.2. Bezug zur Fragestellung ... 82

8. Schlussbetrachtung ... 84

9. Literaturverzeichnis ... 91

10. Internetquellen ... 99

11. Eidesstattliche Erklärung ... 100

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Einleitung

Der Pro-Kopf-Konsum von Alkohol lag in Deutschland im Jahr 2013 bei 9,7 Liter reinem Alkohol (Gaertner, B. et. al. 2015 S. 41). Es scheint, als wäre der Konsum von Alkohol in Deutschland anerkannt. Auf Feiern, Geschäftsessen oder ähnlichen gesellschaftlichen Anläs-sen gilt das Trinken von Alkohol als ‚normal‘. Doch was passiert, wenn der Konsum außer Kontrolle gerät? Der Großteil der Deutschen scheint gesundheitsbewusst und verantwortlich mit dem Genuss von Alkohol umzugehen. Dennoch ist dies nicht immer der Fall. Im Jahr 2013 betrug der Anteil von alkoholbezogenen Störungen in der deutschen Gesellschaft 6,5 Prozent (Gaertner, B. et.al 2015 S. 45f). Das sind rund 3,38 Millionen Menschen in Deutsch-land, bei denen der Alkoholkonsum in eine gesundheitsschädigende Richtung geschlagen ist. Für diese Menschen stellt Alkohol kein Genussmittel mehr dar, sondern wird zu einem Suchtmittel. Es wird dann von einer Alkoholabhängigkeit gesprochen, bei welcher es sich um eine anerkannte psychische Krankheit handelt.

Alkoholabhängigen Menschen sieht man trotz verbreiteter Klischees ihre Krankheit meist nicht an. In den wenigsten Fällen handelt es sich um verwahrloste Menschen, die den Draht zum gesellschaftlichen Leben komplett verloren haben. Vielmehr sind es Menschen, die trotz des Kontrollverlustes gegenüber dem Suchtmittel auch eine Familie, Arbeit, Freunde und vor allem auch eigene Kinder haben. Die Krankheit kann viele verschiedene Facetten haben und viele dieser Ebenen betreffen und kaputt machen. Sie kann aber auch geheilt und überstanden werden.

Diese Arbeit soll sich einem bestimmten Personenkreis widmen, die von der Alkoholabhän-gigkeit extrem betroffen ist: Den Kindern der alkoholkranken Menschen. Es ist davon auszu-gehen, dass bis zu 2,64 Millionen Kinder in Deutschland Alkoholabhängigkeit, bei mindes-tens einem Elternteil, im Elternhaus erleben (vgl. Klein, M. 2005 S. 10). Welche Erfahrungen diese Kinder prägen, welche Rolle sie einnehmen, wie sie sich entwickeln und vor allem, welche Hilfe ihnen angeboten wird bzw. angeboten werden kann, soll Gegenstand dieser Ar-beit sein. Was brauchen Kinder aus alkoholabhängigen Familien um sich gesund zu entwi-ckeln? Wie können sie hierbei bestmöglich unterstützt werden? Diese Fragen sollen geklärt werden um herauszufinden welche professionellen Hilfsmöglichkeiten es für Kinder von al-koholkranken Eltern gibt, und welchen Stellenwert die Beratung in diesem Kontext einnimmt. Wird in der folgenden Arbeit von Kindern alkoholkranker Eltern, Alkoholikerfamilien oder Kindern aus einem alkoholbelasteten Elternhaus/ Familien gesprochen, so sind solche

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Fami-lien gemeint, in denen mindestens ein Elternteil alkoholabhängig ist. Sofern keine eindeutige Unterscheidung gekennzeichnet wird, so bezieht sich der Begriff der Kinder sowohl auf das männliche sowie auf das weibliche Geschlecht.

Da das Thema der Alkoholabhängigkeit einen großen Stellenwert einnimmt um darauffolgend zu erläutern, welchen Einfluss die Krankheit auf das Umfeld, besonders auf die Familie und Kinder hat, ist es wichtig das Krankheitsbild zu kennen und zu verstehen. Um ein einheitli-ches Verständnis über die Alkoholabhängigkeit sicherzustellen, wird sich das erste Kapitel daher mit der Krankheitsdefinition, der Krankheitsentstehung und verschiedenen Verlaufs-formen der Alkoholabhängigkeit beschäftigen.

Das zweite Kapitel wird sich mit dem System Familie auseinandersetzen. Es soll einen Über-blick verschaffen, wie Familie funktioniert und wie die einzelnen Familienmitglieder zusam-menwirken und sich organisieren. In diesem Zusammenhang wird auch Bezug zu der Ent-wicklung der Kinder innerhalb der Familie genommen, indem ein kurzer Überblick über die Bindungstheorie und die Entwicklungsaufgaben in der Kindheit und Jugend gegeben wird. Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich Bezug auf die gesamte Entwicklung und den damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben des Kindes bis zur erwachsenen Person zu nehmen. Die Ausführung beschränkt sich aufgrund dessen auf den Zeitraum zwischen Geburt bis zu dem Zeitpunkt, in dem Jugendliche in der Regel die Häuslichkeit, und damit auch zumindest örtlich, die alkoholkranke Familie verlassen.

Im folgenden dritten Kapitel erfolgt eine Zusammenfassung, wie die Alkoholabhängigkeit eines Familienmitglieds sich auf die gesamte Familie auswirken und welche Folgen sie mit sich ziehen kann. Dieses Kapitel bezieht sich in erster Linie auf die Auswirkungen, die die Krankheit auf die Kinder hat. Neben spezifischen Themen wie Co-Abhängigkeit oder Ent-wicklung psychischer Störungen, die sich in dieser Arbeit ausschließlich auf die Kinder be-ziehen, werden auch allgemeinere Faktoren wie häusliche Gewalt in alkoholkranken Familien beschrieben.

Nachfolgend werden im vierten Kapitel Faktoren beschrieben, die für die Kinder hilfreich sind um sich trotz der Belastungen, denen sie in der Familie ausgesetzt sind, gesund zu entwi-ckeln. Um diese Faktoren nachvollziehen zu können, ist es vorerst wichtig zu verstehen, was Kinder brauchen um gesund aufzuwachsen, sowie ein Verständnis über den Umgang von Kindern mit Stress und Krisen zu erlangen. Ist dies geschehen, widmet sich dieses Kapitel

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speziellen Resilienzfaktoren und Ressourcen die im Umgang bzw. Leben mit alkoholkranken Eltern als positiv gewertet werden können.

Das fünfte Kapitel beschreibt verschiedene, bereits vorhandene Hilfen, die für Kinder von alkoholkranken Eltern bestehen. Es handelt sich hierbei neben Hilfen nach dem SGB VIII (Jugendhilfe) um Selbsthilfegruppen für betroffene Kinder oder Angebote der Suchthilfe. Zu-dem werden hier kurz therapeutische Möglichkeiten genannt, die für Kinder aus alkoholkran-ken Familien in Frage kommen können.

Das sechste Kapitel setzt sich damit auseinander, ob und in welchem Umfang die Beratung einen Beitrag zur Hilfe von Kindern alkoholkranker Eltern leisten kann. Hierzu findet vorab eine kurze Definition des Beratungsbegriffes statt. Anschließend wird der Zugang zu ver-schiedenen Beratungssettings erläutert, es werden die Möglichkeiten einer solchen Beratung diskutiert, als auch mögliche Themen, die in der Beratung Anklang finden können. Zudem gibt es einen Ausblick auf Methoden die in der Arbeit mit den betroffenen Kindern als hilf-reich verstanden werden können.

Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit der Perspektive der Betroffenen. Um einen Einblick in die Gefühle und Erfahrungen der Betroffenen zu bekommen und daraus gegebenenfalls Schlüsse für die Praxis ziehen zu können, entschied ich mich im Rahmen dieser Arbeit dazu Interviews mit betroffenen Personen durchzuführen. Meine methodische Vorgehensweise, sowie die Ergebnisse dieser Interviews werden in diesem Kapitel dargestellt.

In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Welche Er-kenntnisse ergeben sich aus den vorhandenen Informationen und wie können sie eingesetzt werden um Hilfen für die Kinder von alkoholkranken Eltern zu gewährleisten und gegebenen-falls zu optimieren.

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1. Alkoholabhängigkeit

Dieses Kapitel erfüllt die Funktion, ein allgemeines Verständnis über das Krankheitsbild der Alkoholabhängigkeit zu vermitteln. Hierbei wird sowohl auf die Charakteristika des Krank-heitsbildes, als auch auf die Entstehung, sowie verschiedene Formen und Folgeschäden der Abhängigkeit Bezug genommen.

1.1. Definition Alkoholabhängigkeit

Die Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern, die bei jeder erkrankten Person individuell verläuft. Es lassen sich viele Unterschiede hinsichtlich des Trinkverhaltens, aber auch der körperlichen, sozialen und psychischen Folgeschäden beschreiben. Die Krank-heit sollte also stets in Bezug zu dem Individuum gesehen werden um Pauschalisierungen zu vermeiden (vgl. Lindenmeyer, J. 2005 S. 2f). Dennoch gibt es einige Kriterien, die kenn-zeichnend für die Alkoholabhängigkeit sind. Diese sind im ICD-10 unter der Codierung F.10.2. festgehalten. Es handelt sich hiernach bei der Alkoholabhängigkeit um eine psychi-sche Störung, die durch psychotrope Substanzen, in diesem Fall Alkohol, ausgelöst wird. Das Abhängigkeitssyndrom wird in dem Verzeichnis als ein Phänomen beschrieben, welches sich nach wiederholtem Konsum der Substanz einstellen kann und das mit dem starken Drang ein-hergeht, erneut zu konsumieren. Es folgt häufig ein Kontrollverlust über die konsumierte Sub-stanzmenge, auch wenn dieser Konsum mit schädlichen Folgen einhergeht. Die Einnahme der Substanz wird zum Lebensmittelpunkt, die Suchtbefriedigung erhält Vorrang vor anderen sozialen oder familiären Verpflichtungen. Zudem kann der Abhängige eine gewisse Toleranz der Substanz gegenüber entwickeln, die zur Folge hat, dass das Suchtmittel in immer höherer Dosis konsumiert wird. Es können zudem Entzugserscheinungen auftreten, wenn die Substanz nicht, bzw. nicht in ausreichendem Maße zugeführt wird (vgl. Diling, H./Freyberger, H.J. 2016 S.76f). Spezifische diagnostische Kriterien nach dem ICD-10 sind folgende:

x Ein starkes Verlangen (Craving) oder eine Art Zwang die Substanz zu konsumieren. x Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d.h. über den Beginn, Beendigung

oder die Menge des Konsums […].

x Ein körperliches Entzugssyndrom […] wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen oder auch nachweisbar durch den Gebrauch derselben oder einer sehr ähnlichen Substanz um Entzugssymp-tome zu mildern oder zu vermeiden.1

1

Alkoholentzugssyndrom codiert unter F10.3. wird neben allgemeinen Kriterien des Entzugssyndroms (F1x.3) wie Nachweis des Absetzens oder Reduzieren der lang konsumierten Substanz und die Tatsache, dass die

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x Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen der Substanz. […]

x Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügen oder Interessenbereiche wegen des Substanzgebrauches; oder es wird viel Zeit darauf verwandt, die Substanz zu konsumieren oder sich davon zu erholen.

x Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen […] obwohl der Be-troffene sich über die Art und Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte.2

(Dilling, H./Freyberger, H.J. 2016 S. 76f)

Um eine Alkoholabhängigkeit nach dem ICD-10 als solche zu diagnostizieren, müssen drei oder mehrere der genannten Kriterien für mindestens einen Monat bestehen. Sind sie nur für eine kürzere Zeit zeitgleich aufgetreten, so müssen sie innerhalb von zwölf Monaten mehr-mals wiederholt worden sein (vgl. Dilling, H./ Freyberger, H.J. 2016 S.77).

Bereits diese Diagnosekriterien lassen erahnen, welches Ausmaß die Krankheit nehmen und inwiefern sie die Kinder betreffen kann. In Folge der Abhängigkeit ist es möglich, dass so-wohl der Konsum von Alkohol, als auch die Beschaffung dessen zum Lebensmittelpunkt werden. Andere Verpflichtungen, wie auch die Versorgung der Kinder können hierunter lei-den. Zudem kann der dauerhafte Konsum die körperliche Gesundheit belasten, was ebenfalls dazu führt, dass die Menschen nicht mehr in der Lage sind eine optimale Versorgung der Kinder zu gewährleisten. Eine ausführliche Beschreibung der Folgen des Alkoholkonsums in Bezug auf die Kinder findet in Kapitel drei statt.

1.2. Entstehung einer Alkoholabhängigkeit

Die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit ist selten die Folge eines einzelnen bestimmten Ereignisses oder bestimmten Charaktereigenschaften zuzuschreiben. Vielmehr ist die Entste-hung als eine schleichende Entwicklung zu sehen, die von Individuum zu Individuum unter-schiedlich verläuft.

Symptome des Entzuges nicht durch andere körperliche Krankheiten zu erklären sind, charakterisiert durch spezielle Symptome wie z.B. Tremor, Schwitzen, Übelkeit, Kopfschmerzen o.ä. (vgl. Dilling, H./ Freyberger, H.J. 2016 S. 79f).

2

Schädlicher Gebrauch codiert unter F1x.1 ist als Konsum psychotroper Substanzen, in diesem Fall Alkohol, zu verstehen, der zu einer Schädigung der Gesundheit wie z.B. Depression o.ä. führt (vgl Dilling, H./Freyberger,H.J. 2016 S. 76).

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Eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln, setzt voraus, dass die Person jemals Alkohol ge-trunken hat. Der erste Konsum erfolgt meist im Jugendalter und ist einerseits ein Resultat der Neugier, andererseits aber auch die Nachahmung von dem Verhalten anderer, z.B. der Peer-Group oder der Eltern. Meist ist er mit einer gewissen positiven Erwartung verknüpft, die durch Dritte oder Medien vermittelt wird. Besonders Jugendliche sind zudem für die Wirkung von Alkohol aus biologischer Sicht besonders empfänglich, da sie einerseits aufgrund der neuronalen Umstrukturierungsprozesse ihres Gehirns weniger Befriedigung erfahren und da-her nach neuen stimulierenden Reizen suchen und sich zudem in dem Zwiespalt zwischen ihrer körperlichen Reife und den damit verbundenen Rollenerwartungen befinden. Verläuft der erste Alkoholkonsum nun positiv, es stellte sich z.B. das Gefühl von Entspannung oder Ungehemmtheit ein, so bleibt dieses Ereignis in positiver Erinnerung. Die Wahrscheinlichkeit in ähnlichen Situationen erneut Alkohol zu konsumieren steigt. Das Muster des Alkoholkon-sums wird nun wahrscheinlich immer häufiger in unterschiedlichen Situationen angewendet (Lindenmeyer, J. 2010 S. 78ff). Bis zu diesem Zeitpunkt muss der Alkoholkonsum nicht als problematisch angesehen werden. Viele Menschen trinken regelmäßig zu bestimmten gesell-schaftlichen Anlässen Alkohol ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Zum Problem wird der Konsum dann, wenn alternative Handlungsweisen immer seltener werden. Fühlt sich der Mensch in bestimmten Situationen z.B. unwohl oder nervös so kann er sich diesen Situatio-nen nüchtern stellen, oder aber auf die positive Wirkung von Alkohol vertrauen und stattdes-sen Alkohol zu konsumieren um seine Probleme zu löstattdes-sen. Stellt letztere Möglichkeit für ihn das gängige Mittel der Wahl dar, so ist davon auszugehen, dass er kaum noch alternative Handlungsstrategien nutzt und ihm der Verzicht auf Alkohol mittlerweile sehr schwer fallen dürfte. Der Griff zum Alkohol wird für den Menschen zum Automatismus. Für ihn sind keine alternativen Strategien mehr erkennbar. Es hat sich eine Abhängigkeit entwickelt. Natürlich kann es dazu kommen, dass der Mensch bemerkt, dass etwas nicht stimmt und dass er Schuldgefühle bekommt. Da jedoch keine adäquaten Strategien zur Bearbeitung dieser Schuldgefühle zur Verfügung stehen, werden sie erneut mit Alkohol betäubt. Es entwickelt sich ein Teufelskreis (vgl. Lindenmeyer, J. 2010 S. 81f).

Es wird deutlich, dass es nicht unbedingt einen speziellen Auslöser für eine Abhängigkeits-entwicklung geben muss. Es ist jedoch festzuhalten, dass verschiedene Faktoren maßgeblich an der Entwicklung bzw. der Beschleunigung dieser Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit beteiligt sein können. Diese Faktoren sind folgende:

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1. Die Droge

Die Droge, in diesem Fall Alkohol, meint die spezifische Wirkung dieser Substanz und ihr Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. Die Voraussetzung dieser Faktoren stellt die Ver-fügbarkeit der Substanz dar. Die Wirkung des Alkohols macht sich vor allem auf der körper-lichen und neurobiologischen Ebene des Individuums bemerkbar, indem sie Toleranzentwick-lung, Sensitivierungsprozesse, Entzugserscheinungen sowie körperliche Schäden als Folgen mit sich ziehen kann (vgl. Soyka, M./Küfner, H. 2008 S.20f).

2. Das Individuum

Neben den Wirkungen der Substanz spielen auch individuelle Merkmale des Menschen eine große Rolle bei der Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit. Dies können biologische oder psychische Faktoren sein, die einen genetischen oder sozialen Hintergrund haben können (Soyka, M./Küfner, H. 2008 S.20). Solche Faktoren können z.B. eine geringe Frustrationsto-leranz sein oder eine unsichere, hilflose Persönlichkeitsstruktur, die kaum über Strategien verfügen um Frustrationen, Kritik o.ä. auszuhalten oder die generell kaum über Strategien zum Umgang mit Konflikten verfügen (vgl. Lindenmeyer, J. 2010 S. 82). Auf dieser Ebene kann der Konsum von Alkohol als Spannungserleichterung genutzt werden oder aber als Stra-tegie um Probleme oder Konflikte scheinbar zu lösen. In Folge dessen können alternative Handlungsstrategien abgeschwächt werden (Soyka, M./Küfner, H. 2008 S.22).

3. Das (soziale) Umfeld

Das soziale Umfeld kann insofern Einfluss auf die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit haben, indem es durch bestimmte Strukturen hohen Alkoholkonsum begünstigt, fördert oder verharmlost (vgl. Lindenmeyer, J. 2010 S. 82). Die Besonderheiten des sozialen Umfeldes können sich aber auch auf soziokulturelle oder sozioökonomische Einflüsse, wie z.B. niedri-ger Bildungsstand oder Armut, beziehen. Hinzu kommt, dass es im sozialen, aber auch beruf-lichen oder gesellschaftberuf-lichen Umfeld zu Problemen oder Konflikten kommen kann, denen das Individuum nicht mit adäquaten Handlungsstrategien begegnen kann (vgl. Soyka, M./ Küfner, H. 2008 S. 20f).

Die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit kann als multikonditionales Bedingungsgefüge gesehen werden, da die Faktoren wechselseitig wirken und erst gemeinsam bewirken können, dass eine Abhängigkeit des Suchtmittels entwickelt wird. Bei jedem Menschen können die einzelnen Faktoren mehr oder weniger ausgeprägt sein. Festzuhalten ist jedoch, dass das Zu-sammenspiel dieser Bedingungen einen Teufelskreis in Gang setzt, in welchem Alkoholkon-sum als Problemlöser genutzt wird, der mit einer positiven Wirkungserwartung einhergeht.

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Da der Konsum jedoch nur eine kurzfristige Erleichterung ermöglicht, häufen bzw. verschär-fen sich die Probleme. Der Teufelskreis bleibt also bestehen und die Abhängigkeit bleibt er-halten (vgl. Soyka, M./Küfner, H. 2008 S. 21).

Einen weiteren wichtigen Stellenwert vor allem für die Aufrechterhaltung der Sucht nimmt das Vorhandensein bzw. die Ausprägung des Suchtgedächtnisses ein. Dieses findet im Beloh-nungszentrum des Gehirns des Menschen statt. Das BelohBeloh-nungszentrum speichert bestimmte Erinnerungen bzw. Erfahrungen ab, die in ähnlichen Situationen, wie denen in der die Erfah-rung gemacht wurde, abgerufen werden. Eine solch abgespeicherte ErfahErfah-rung kann in Bezug auf die Alkoholabhängigkeit z.B. die beruhigende Wirkung von Alkohol sein. Hat der Mensch in einer unsicheren, bedrohlichen Situation den Konsum von Alkohol als erleichternd empfunden, so wird diese Erfahrung im Belohnungszentrum gespeichert. Erlebt der Mensch nun eine ähnliche Situation, so wird es ihn daran erinnern, durch welche Verhaltensweisen er diese lösen kann. Es erinnert ihn also, dass der Alkoholkonsum ihn in der Vergangenheit be-ruhigt hat und dies auch nun wieder tun könnte. Diese abgespeicherten Erfahrungen sind nun kaum mehr lösch- oder steuerbar. Auf diese Weise kann das Belohnungssystem durch die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter dafür sorgen, dass der Mensch bestimmte Reize verstärkt wahrnimmt und er bei diesen Reizen daher eine besondere Anreizfunktion verspürt (vgl. Lindenmeyer, J. 2010 S.124).

1.3. Folgen der Alkoholabhängigkeit für das Individuum

An diesem Punkt soll kurz auf die Folgen eingegangen werden, denen die Betroffenen einer Alkoholabhängigkeit ausgesetzt sind. Diese beziehen sich hier bewusst auf das Individuum, da die sozialen bzw. familiären Folgen ausführlich in Kapitel vier beschrieben werden.

Starker Alkoholkonsum in der Form einer Abhängigkeit kann neben körperlichen auch psy-chische Folgeschäden mit sich ziehen. Beispielhaft sind hier zu nennen:

x Schädigungen des Gehirns wie: Atrophie, Delirium, Epileptische Anfälle x Erhöhtes Krebsrisiko

x Verändertes Hautbild, durch Weitstellung der Blutgefäße x Magenschleimhautentzündung

x Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse

x Leberschäden (Fettleber, Leberentzündung, Leberzirrhose) x U.a.

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(vgl. Lindenmeyer, J. 2010 S. 57ff, 60ff,63ff)

2. Familie und Entwicklung

Das folgende Kapitel widmet sich dem System der Familie. Es behandelt die Frage, was unter einer Familie zu verstehen ist und was ihre Besonderheiten sind. Ebenso klärt es über Bin-dungen in der Familie zwischen Eltern und Kind auf. Zudem soll unter diesem Punkt auch ein kleiner Ausblick über die soziale Entwicklung der Kinder gegeben werden, welchen psycho-sozialen Aufgaben sie sich im Laufe der Kindheit und Jugend stellen müssen.

2.1. Definition Familie

Da Familie aus verschiedenen Professionen betrachtet werden kann, ist es nicht einfach eine einheitliche Definition auszumachen. Aufgegriffen werden soll hier die Definition nach Böh-misch und Lenz: „Das zentrale Kennzeichen von Familien ist die Zusammengehörigkeit von zwei (oder mehreren) aufeinander bezogenen Generationen, die zueinander in einer Elter-Kind-Beziehung3 stehen. Von der Kind-Position aus gesehen handelt es sich die Herkunfts-familie, von der Elter-Position aus um die Eigenfamilie. Durch das Aufeinanderbezogensein als Elternteil und Kind ergibt sich eine besondere Generationenbeziehung, die eine breite Pa-lette von Ausgestaltungen zulässt. […]“ (zit. nach Wolf, K. 2012 S. 89).

Diese Definition gibt bereits einen ersten Ausblick darauf, was Familien als solche ausmacht. Die Zusammengehörigkeit innerhalb der Familie wird als zentrales Kennzeichen beschrieben. Die Familie stellt eine besonders intime Form sozialer Gemeinschaft dar, in der ein hohes Maß an emotionaler Verbundenheit besteht. Zudem besteht in ihnen ein einzigartiges Koope-rations-, Solidaritäts- und Loyalitätsverhältnis, welches außerhalb der Familie in einer solchen Form nicht denkbar ist (vgl. Roesler, C. 2015 S. 18). Hantel-Quitmann beschreibt ebenfalls, dass die innere emotionale Bindung als ein Merkmal für Familie gesehen werden kann. Von zentraler Bedeutung sind vor allem Liebe und Sorge. Beide beziehen sich nicht ausschließlich auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind, sondern auch auf die Paarbeziehung zwischen beiden Elternteilen. Unter Liebe kann grob umschrieben, die Fähigkeit verstanden werden sich in die Welt des anderen einzufühlen und die Welt mit seinen Augen zu sehen. Sorge be-deutet in diesem Sinne das Besorgen, sich sorgen und die Fürsorge. Sie kann als Reaktion auf die Kooperation, die innerhalb einer Familie herrscht, verstanden werden (vgl.

3

Elter wird hier im früheren Sprachgebrauch im Singular genutzt. Für die moderne Definition von Familie ist dies jedoch als legitim zu betrachten, da auch alleinerziehende Eltern die Kleinstform von Familie darstellen (vgl. Wolf, K. 2012 S. 89).

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Quitmann, W. 2013 S. 94ff). Familie kann also als ein besonderes Beziehungssystem verstan-den werverstan-den, dessen Beziehungsqualität untereinander einmalig ist. In diesem Zusammenhang wird auch von einer ‚interpersonellen Involviertheit‘ oder einer ‚Wir-Orientierung‘ gespro-chen (vgl. Roesler, C. 2015 S. 25).

Die Definition betont außerdem, dass es sich für das Kind um seine Herkunftsfamilie, für die Eltern jedoch um ihre eigen gegründete Familie handelt. Dieser Punkt zeigt an, dass für die Eltern als Paar eine neue Zeit angebrochen ist. Sie sind nun nicht mehr ein Paar, sondern eine Familie, dessen zentrale Aufgabe es ist, den Kindern eine positive Grundlage zum Aufwach-sen zu bieten und ihre Ausbildung zu kompetenten, sozialen jungen Menschen zu unterstüt-zen. In diesem Zusammenhang wird auch von ‚doing family‘ gesprochen. Dieser Begriff be-tont den Herstellungsaspekt, dem Familien ausgesetzt sind. Ihre Struktur, der Zusammenhalt, die Beziehungen untereinander und ihre gemeinsamen Aktivitäten sind alles Faktoren, die von jedem Familienmitglied aktiv hergestellt, aufrechterhalten und täglich neu konstruiert werden müssen. In diesem Konstrukt übernimmt jedes einzelne Familienmitglied bestimmte Rollen und Funktionen, die mit bestimmten Aufgaben verbunden sind (vgl. Roesler, C. 2015 S. 18). Für die Kinder hängt die Lebensqualität, die sie innerhalb der Familie erfahren sowohl von der Befriedigung physischer Bedürfnisse, wie Nahrung, Wohnraum und Kleidung ab, als auch von der Befriedigung psychosozialer und emotionaler Bedürfnisse wie Liebe, Zuwendung, Wertschätzung, Bildung etc. Diese beiden Gruppen von Bedürfnissen sollten sich im besten Fall bedingen und wechselseitig fördern. Sie können sich aber auch gegenseitig hemmen, wenn eines der Bedürfnisse unbefriedigt bleibt. Gefahren für Kinder in der modernen Zeit der Familie sieht Hantel-Quitmann vor allem darin, dass die Kinder zwar materiell gut versorgt werden, emotionale Bedürfnisse jedoch vernachlässigt und die Kinder sich selbst überlassen werden. Zudem kann es passieren, dass Kinder nicht mehr die Rolle der Kinder sondern eine Art Partnerersatz übernehmen, was für die Entwicklung der Kinder ebenfalls nicht förderlich ist (vgl. Hantel-Quitmann 2013 S. 96).

2.2.

Frühe Bindungserfahrungen innerhalb der Familie

Es stellt sich nun die Frage, wie diese spezielle Bindung die innerhalb der Familie zwischen Eltern und Kind beschrieben wird, entwickelt. Unter dieser Bindung versteht man „ein lang andauerndes affektives Band zwischen zwei ganz bestimmten Personen, die nicht ohne weite-res auswechselbar sind, deren körperliche, psychische und Unterstützung gesucht wird, wenn z.B. Furcht […] in einem Ausmaß erlebt werden, das nicht mehr selbstständig regulierbar ist.“

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(Seiffge-Krenke zit. nach Roesler, C. 2015 S. 26). Verspüren die Kinder Angst, Schmerzen oder ähnliche Gefühle, mit denen sie nicht umzugehen wissen, so sind sie sicher bei der Bin-dungsperson Schutz und Halt zu verspüren, wenn sie diese aufsuchen. Eine sichere Bindung stellt die essentielle Voraussetzung für eine positive, gesunde Entwicklung der Kinder dar. Um diese Voraussetzung zu erfüllen, ist es erforderlich, dass die Eltern die Kompetenz besit-zen die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen und entsprechend zu handeln. Diese Bindung entwickelt sich bereits im Säuglingsalter, einem Alter in dem die Kinder existenziell auf die Versorgung ihrer Eltern angewiesen sind (vgl. Roesler, C. 2015 S. 26). Begründer dieser Bin-dungstheorie ist John Bowbly. Er beschreibt die Entwicklung von Bindung in drei Phasen.

1. Die erste Phase: erstreckt sich zwischen dem Zeitraum der Geburt und den ersten sechs Monaten. Als kennzeichnend für eine erste Interaktion und Bindungserfahrung wird hier das erste Lächeln des Babys beschrieben. Die Reaktionsweise der Bindungs-person kann hier ausschlaggebend sein. Das Anschauen stellt in dieser Phase ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer Bindung dar, da sich das Kind das Gesicht der Mutter als ein kontinuierliches Muster einprägt, das er im besten Falle mit dem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in Verbindung setzt. Sobald das Ba-by in der Lage ist Gesichter zu differenzieren, wird es gesondert auf das Gesicht der Bindungsperson reagieren und eine ebenso individuelle Verhaltensweise einfordern. Auch das Festhalten, im Sinne von Fürsorge und Sorge ist in dieser Phase essentiell für eine positive Bindungserfahrung (vgl. Holmes, J. 2006 S. 94ff).

2. Die zweite Phase: beginnt ab ca. dem sechsten Lebensmonat des Kindes und vollzieht sich bis zum dritten Lebensjahr. Es stellen sich Veränderungen der Gefühle in einer ‚unsicheren‘ Umgebung ein-das Kind fremdelt. Zudem beginnt es sich fortzubewegen und kann sich körperlich der Mutter nähern, sobald Gefahr droht. Es ist wichtig, dass Mutter und Kind im regelmäßigen Austausch sind, um die Bedürfnisse des Säuglings nach ausreichend Nähe zur Mutter, zu befriedigen. Geschieht keine Bedürfnisbefriedi-gung reagiert das Kind mit Protest oder Angst (vgl. Holmes, J. 2006 S. 96).

3. Die dritte Phase: beginnt ab dem dritten Lebensjahr und bleibt über das gesamte Le-ben bestehen. Mit dem Spracherwerb, sowie der zunehmenden psychischen Komple-xität des Kindes entwickelt sich ein sehr komplexes Bindungsverhalten (vgl. Holmes, J. 2006 S. 99). Das Kind ist nun in der Lage, sich in seine Bezugspersonen hineinzu-versetzen und sie als eigenständige Wesen mit eigenen Zielen wahrzunehmen. Dieses empathische Wissen wendet das Kind geschickt an um sein Bedürfnis nach Nähe zu

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befriedigen. Das Kind hat es in dieser Phase bereits geschafft, eine symbolische Re-präsentation seiner Bezugsperson in seiner inneren Welt zu entwickeln, die ihm auch ohne körperliche Anwesenheit dieser Person Sicherheit vermittelt (vgl. Schleiffer, R. 2001 S. 34).

Bowbly setzt für die Theorie der Bindung das Vorhandensein interner Arbeitsmodelle voraus. Diese Arbeitsmodelle können als ‚die Entwicklung einer Vorstellung von der Welt und von sich selbst in genau dieser Welt‘ verstanden werden (Wohlgemuth, D. 2012 S.45). Wie genau es zu dieser Entwicklung kommt, beschreibt Holmes folgendermaßen: Das Kind, welches noch in seiner Entwicklung steckt, macht in seinem Leben zahlreiche interaktive Erfahrungen. Diese führen zu grundsätzlichen Annahmen, Repräsentationen, Rollen und Beziehungsmodel-len über sich selbst und andere. Aus ihnen bilden sich relativ feststehende Repräsentations-modelle, derer sich das Kind bedient um Vorhersagen über die Welt zu treffen und sie mit sich selbst zu verknüpfen. Diese Annahmen sind relativ stabil und besonders solche, welche in den frühen Lebensjahren aufgebaut wurden, halten meist ein Leben lang an und sind nur schwer zu durchbrechen (vgl. Holmes, J. 2001 S. 100).

Das interne Arbeitsmodell eines sicher gebundenen Kindes wird demnach zumeist das Bild einer feinfühligen, liebevollen und zuverlässigen Bindungsperson abgespeichert haben und die Ansicht über ein Ich gebildet haben, das der Liebe und Aufmerksamkeit, welche die Bin-dungsperson ihr schenkt, würdig ist. Infolgedessen werden sich diese Annahmen auf alle an-deren Beziehungen des Lebens auswirken.

Im Gegenzug hat das interne Arbeitsmodell eines unsicher gebundenen Kindes die Welt als einen gefährlichen Ort abgespeichert, an dem Menschen mit großer Vorsicht behandelt wer-den müssen, da seine Bedürfnisse nach Nähe nicht gerecht befriedigt wurwer-den und ihm nicht ausreichend Sicherheit durch sein Umfeld vermittelt wurde, da unter Umständen keine, oder lediglich eine unzureichende Bindungsperson bestand. Der Mensch wird sich demnach selbst als unwirksam und nicht liebenswürdig wahrnehmen, was sich ebenfalls maßgeblich auf all seine weiteren Beziehungen auswirken wird (vgl. Holmes, J. 2001 S. 100).

Es können Störungen in den frühen Bindungserfahrungen entstehen, die weitreichende Folgen auf die weitere Entwicklung des Kindes haben. Diese werden in Kapitel 3.2.2. erläutert.

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2.3. Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde in den 40er Jahren von Havighurst entwickelt und seitdem stetig konfiguriert. Es beschreibt verschiedene Aufgaben bzw. Konflikte, die dem Menschen auf seinem Lebensweg begegnen und die zu lösen sind um ein vollwertig entwi-ckeltes Mitglied der Gesellschaft zu werden. Die Aufgaben erstrecken sich über das gesamte Leben und nicht immer können alle Aufgaben (zufriedenstellend) gelöst werden. Während manche Entwicklungsaufgaben dem Menschen als leicht lös- und integrierbar erscheinen so wirken andere überfordernd und erfordern viel Ausdauer und Kraft um bewältigt zu werden. Manchmal gelingt dies vielleicht auch gar nicht. Zu welchem Zeitpunkt, wie schnell, ob und in welcher Art und Weise die Aufgaben bewältigt werden hängt von dem Individuum ab. Aus der Bewältigung der Aufgaben und den dazu genutzten Handlungsstrategien können sich wichtige Ressourcen für die weitere Entwicklung herausbilden. Es lassen sich hierbei zahlrei-che Unterschiede ausmazahlrei-chen, die aufgrund von interindividuellen, interkulturellen und sozio-historischen Faktoren zu begründen sind (vgl. Grob, A./Jaschinski, U. 2003 S. 22f). Ha-vighurst definierte eine Entwicklungsaufgabe als „eine Aufgabe, die in oder zumindest unge-fähr zu einem bestimmten Lebensabschnitt des Individuums entsteht, deren erfolgreiche Be-wältigung zu dessen Glück und Erfolg bei der Lösung nachfolgender Aufgaben beiträgt, wäh-rend ein Misslingen zu Unglücklichsein des Individuums, zu Missbilligung seitens der Gesell-schaft und zu Schwierigkeiten mit späteren Aufgaben führt.“ (Havighurst, R. zit. nach Grob, A./Jaschinski, U. 2003 S. 23). Das erfolgreiche Bewältigen der Entwicklungsaufgaben ist demnach eine Voraussetzung für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung und stellt die Grundlage für die Bewältigung der weiteren Entwicklungsaufgaben dar. Defizite in der per-sönlichen Entwicklung können hingegen durch nicht gelöste Entwicklungsaufgaben hervorge-rufen werden.

Unterstützt werden kann die Entwicklung durch verschiedene entwicklungsfördernde Maß-nahmen, die einerseits defizitorientiert oder aber auch optimierend ausgerichtet sein können. Sie können also sowohl eingesetzt werden, wenn schon ein festgestelltes Entwicklungsdefizit besteht, als auch ohne ein solches um die Chancen auf eine gesunde Entwicklung zu erhöhen (vgl. Lohaus, A./Glüer, M. 2014 S. 12). Gerade in den frühen Kindheitsjahren kommt hier den engen Bezugspersonen die größte Rolle zu. Durch frühe Bindungserfahrungen, sowie durch einen angemessenen Erziehungsstil4 lernt das Kind sich in seiner Umwelt sicher zu

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Besonders eine Kombination aus Lenkung und emotionaler Wärme hat sich hierbei als bewährt gezeigt um die gesunde Entwicklung zu fördern (vgl. Lohaus, A./Glüer, M.2014 S. 19).

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len und wird in seiner psychosozialen Anpassung, Bildungsfähigkeit, der Bildung eines posi-tiven Selbstkonzepts und angemessenen Problemlösungsstrategien unterstützt. In den späteren Entwicklungsphasen kommt neben den Bezugspersonen vor allem Gleichaltrigen und Freun-den eine große Bedeutung zu (vgl. Lohaus, A./Glüer, M. 2014 S. 18ff).

In der frühen und mittleren Kindheit (bis 12 Jahre) sind es vor allem Aufgaben wie Erlernen körperlicher Geschicklichkeit, Erlernen von angemessenen sozialen Umgang mit Gleichaltri-gen, Entwicklung grundlegender kognitiver Fertigkeiten, einer persönlichen Unabhängigkeit und die Entwicklung von ersten eigenen Werten und Einstellungen gegenüber Dritten und der Wahrnehmung des Selbst und der damit einhergehenden Auseinandersetzung des eigenen Wesen, die die Entwicklung bestimmen (vgl. Fend, H. 2000 S. 211). Lenkt man den Blick nun auf die Entwicklungsaufgaben, denen Jugendliche begegnen, so wird deutlich, dass die Lösung der kindlichen Entwicklungsaufgaben die Grundlage dafür bildet, dass folgende Ent-wicklungsaufgaben angegangen werden können. Bei den EntEnt-wicklungsaufgaben handelt es sich nach Fend (zit. nach Göppel, R. 2005 S. 73f) um folgende:

x Umbau sozialer Beziehungen

x Den eigenen Körper bewohnen lernen

x Umbau der Leistungsbereitschaft und des Verhältnisses zur Schule x Berufswahl als Entwicklungsaufgabe

x Umgang mit Sexualität lernen

x Identitätsarbeit als Entwicklungsaufgabe x Bildung als Entwicklungsaufgabe

Es wird deutlich, dass diese Entwicklungsaufgaben aus neuen Anforderungen und veränder-ten Situationen und Fähigkeiveränder-ten resultieren. Der Mensch wird mit diesen Neuerungen kon-frontiert und soll sich nun mit ihnen auseinandersetzen. Quellen dieser Entwicklungsaufgaben können dreierlei Natur sein. Sie können einerseits aus physischen Veränderungen des Körpers resultieren, mit denen die Jugendlichen konfrontiert werden und dementsprechend lernen müssen, sich mit den neuen körperlichen Merkmalen zu identifizieren und sie anzunehmen. Weiterhin können auch gesellschaftliche Erwartungen der Ursprung für Entwicklungsaufga-ben sein, denn je älter die Kinder werden, desto mehr Anforderungen und Erwartungen wer-den an sie gestellt, mit wer-denen sie umgehen müssen. Auch die individuellen Zielsetzungen und Werthaltungen des jungen Menschen können eine Quelle von Entwicklungsaufgaben sein und

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ggf. Konfliktpotenzial beherbergen, wenn sie z.B. im Gegensatz zu gesellschaftlichen Erwar-tungen stehen (vgl. Grob, A./Jaschinski, U. 2003 S. 26f).

Bewältigt der junge Mensch alle Entwicklungsaufgaben angemessen, so steht einer positiven Entwicklung höchstwahrscheinlich nichts im Wege. Jedoch können wie bereits erwähnt, nicht immer alle Entwicklungsaufgaben auf Anhieb oder gar nicht gemeistert werden.

3. Auswirkungen der Sucht auf das System Familie

Nachdem nun sowohl ein Überblick über das Krankheitsbild der Alkoholabhängigkeit, als auch das System der Familie sowie wichtige Entwicklungsschritte im Kindes- und Jugendal-ter beschrieben wurde, befasst sich dieses Kapitel mit dem Zusammenhang zwischen beiden Faktoren. Hierbei bezieht es sich vor allem auf die Folgen der Krankheit, die sich auf die Kinder bzw. ihre Entwicklung auswirkt.

3.1. Alkoholabhängigkeit als Krankheit der gesamten Familie

Eine alkoholabhängige Person wird in der Regel nicht die einzige sein, die unter dieser Krankheit leidet. Viel mehr wird die Krankheit jeden in einer bestimmten Art beeinflussen, der mit ihr in Berührung kommt. Vor allem die Familie wird die Folgen in direktem Ausmaß zu spüren bekommen, da sie das Leben, und damit auch die Krankheit, mit der abhängigen Person teilen. Während der oder die Alkoholabhängige von Freunden, Kollegen o.ä. verlassen werden können, so bleibt die Familie meist trotzdem bei ihm bzw. ihr, da eine Trennung eine lebensverändernde Maßnahme wäre und der Mensch, den man liebt oder geliebt hat, in einer für ihn sehr schweren Zeit allein gelassen werden müsste. Aus scheinbar richtigen und menschlichen Gründen bleibt die Familie und bringt sich damit selbst in Gefahr (vgl. Weg-scheider, S. 1988 S. 82).

Die Alkoholabhängigkeit kann also neben der individuellen Erkrankung auch als systemische Krankheit der Familie gewertet werden, da sie jedes einzelne Mitglied aber auch das Famili-ensystem als Einheit betrifft. Wegscheider verdeutlicht dies mit der Vorstellung eines Mobiles an dem Schmetterlinge befestigt sind und das immer dann in Bewegung kommt, wenn ein Schmetterling sich bewegt. Das heißt, dass jeder Schmetterling in der Lage ist, das Mobile aus dem Gleichgewicht zu bringen und dadurch alle anderen Schmetterlinge aufgrund der Bewegung des Einzelnen ebenfalls in ihrer Bewegung beeinflusst werden. Sind nun alle Schmetterlinge in Bewegung, so kommt das ganze Mobile stärker ins Schwanken. Dies wie-derum wirkt sich ebenfalls auf den Schmetterling aus, der diese Kettenreaktion ausgelöst hat.

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Durch diese Vorstellung des Mobiles wird deutlich, dass im übertragenen Sinne jedes Famili-enmitglied in einer alkoholkranken Familie stetig auf das reagiert, was ein anderes Familien-mitglied tut. In jedem Falle wird das FamilienFamilien-mitglied so reagieren, dass es für sich selbst sorgt und sich nicht in Schwierigkeiten bringt. In Bezug auf die Alkoholabhängigkeit könnte dies bedeuten, dass z.B. das Kind auf die Alkoholabhängigkeit des Vaters, und damit einher-gehenden Wutausbrüchen mit Rückzug reagiert um diesen zu entgehen. Das Verhalten eines jeden Familienmitgliedes ist also eine Reaktion auf das Handeln des Alkoholabhängigen (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 86f).

Es wird deutlich, dass sich die Familienmitglieder nicht aus dem Geschehen heraushalten können, sondern in ihrer individuellen Lebensweise ebenfalls von der Krankheit betroffen sind und sich das tägliche Zusammenleben stark verändert. Die Kinder erleben den alkohol-abhängigen Part häufig als sehr gegensätzlich in seiner Verhaltensweise, da sich der nüchterne und alkoholisierte Charakter des Elternteils stark unterscheiden können. Wird das Kind z.B. im nüchternen Zustand von dem abhängigen Elternteil für seine Wissbegierigkeit gelobt, so kann es diesem im alkoholisierten Zustand auf die Nerven gehen und er wird das Kind an-schreien und seine Ruhe haben wollen. Dieses widersprüchliche Verhalten, die damit einher-gehende gegensätzliche Kommunikation und die Unberechenbarkeit des Elternteils können bei dem Kind eine große Unsicherheit auslösen. Es beginnt die Gründe für das elterliche Ver-halten bei sich zu suchen und versucht sich zu ‚verbessern‘ und es dem Elternteil recht zu machen. Kinder geben sich große Mühe, sich den Verhaltensweisen des Elternteils anzupas-sen und lasanzupas-sen dabei ihre eigenen Gefühle außer Acht bzw. verleugnen sie. Über all diese Ge-fühle der Unsicherheit und evtl. Angst können sie jedoch kaum mit jemandem sprechen, da einerseits Alkohol in betroffenen Familien häufig ein Tabuthema ist und andrerseits sie das Elternteil nicht verraten wollen. Sie befinden sich also in einem Loyalitätskonflikt, der es ver-hindert, dass sie ihre Gefühle und Ängste anderen gegenüber öffentlich machen (vgl. Zobel, M. 2008 S. 42f).

Weiterhin herrschen in Familien, in denen mindestens ein Elternteil alkoholabhängig ist, häu-fig ungeschriebene Regeln die den Alltag der Familie und damit auch den der Kinder maß-geblich beeinflussen. Wegscheider beschrieb diese folgendermaßen:

x Das Wichtigste im Familienleben ist der Alkohol. x Der Alkohol ist nicht die Ursache von Problemen.

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x Der abhängige Elternteil ist nicht für seine Abhängigkeit verantwortlich, schuld sind Andere oder die Umstände.

x Der Status quo muss unbedingt erhalten bleiben-koste es was es wolle.

x Jeder in der Familie ist ein ‚enabler‘ (Zuhelfer), der bewusst oder unbewusst die Sucht ermöglicht.

x Niemand darf darüber reden, was wirklich los ist. x Niemand darf sagen, wie er sich wirklich fühlt. (Wegscheider zit. nach Zobel, M. 2008 S. 43)

Diese ungeschriebenen Regeln verdeutlichen, wie die Kinder mit der Krankheit aufwachsen und leben müssen. Es bleibt weder Raum für die Auseinandersetzung mit Ursachen der Krankheit, noch für eigene Gefühle. Der Alkohol ist das mächtigste Element in dieser Kons-tellation, von ihm hängt die Stimmung die Atmosphäre innerhalb der Familie ab. An erster Stelle steht immer das Aufrechterhalten der Fassade nach außen, das Problem wird zwar er-kannt, darf aber unter keinen Umständen angesprochen werden um weitere Probleme zu ver-meiden. Zudem wird der Alkoholkonsum entschuldigt oder bagatellisiert. Diese Verhaltens-weisen versprechen jedoch keinerlei Besserung der Situation, sondern führen dazu, dass die Sucht aufrechterhalten bleibt und Veränderungen unterbunden werden (vgl. Zobel, M. 2008 S. 44).

Zusammengefasst sind Kinder aus alkoholkranken Familien folgenden Belastungen besonders ausgesetzt:

x Streit zwischen den Eltern

x Extreme Stimmungswechsel und widersprüchliche Handlungen des alkoholabhängi-gen Elternteils

x Loyalitätskonflikt zwischen den Eltern

x Sie sind Objekte für Verwöhnung und Aggression

x Unzuverlässigkeit des erkrankten Elternteils und damit einhergehende Enttäuschung x Häufig: sexuelle Belästigung und Misshandlung

x Miterleben von extremen körperlichen Zuständen der Eltern (vgl. Soyka, M./Küfner, H. 2008 S. 242)

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Klinisch gesehen kann die Suchterkrankung eines Elternteils als kritisches Lebensereignis gewertet werden, da die Kinder die Sucht des erkrankten Elternteils unmittelbar zu spüren bekommen. Sie sind schwer belastet, da das erkrankte Elternteil kaum oder gar nicht mehr zur Verfügung steht und auch das andere Elternteil in seiner Fürsorge eingeschränkt ist, da es durch den Umgang mit dem alkoholabhängigen Partner zusätzlich belastet ist. Zusätzlich ist das abhängige Elternteil in dem Umgang mit den Kindern stark eingeschränkt, kann sich kaum noch adäquat um diese kümmern. Auch die Paarbeziehung der Eltern kann stark und der Erkrankung leiden und zu Spannungen und Konflikten führen, die das Kind ebenfalls be-lasten. Die Alkoholabhängigkeit eines Elternteils erhöht zudem das Risiko des Kindes eben-falls eine Sucht oder andere psychische Störungen zu entwickeln um das sechsfache (vgl. Ro-esler, C. S.165f).

3.2. Folgen der Alkoholabhängigkeit für die Kinder

All die im vorigen Abschnitt genannten Erlebnisse, denen die Kinder in alkoholkranken Fa-milien ausgesetzt sind, zwingen sie, sich den Umständen anzupassen. Dieses Bestreben nach Anpassung wurde von Sharon Wegscheider analysiert und in verschiedene Rollen eingeteilt. Diese Rollen können als Versuch der Kinder gewertet werden, der belastenden Umwelt zu begegnen indem bestimmte Handlungsstrategien angewendet werden, die sich für sie im Um-gang mit der Situation bewährt haben (vgl. Zobel, M. 2008 S. 46f). Diese sollen in diesem Zusammenhang kurz erläutert werden5:

x Der Held: Die Rolle des Helden wird meist von dem erstgeborenen Kind übernom-men. Der Held sucht sich diese Rolle jedoch nicht aus, sondern nimmt sie ein, weil er sich dazu gezwungen fühlt. Während er anfangs vielleicht noch unbewusst von den Eltern in die Rolle gedrängt wurde, so wird es später zu einem Zwang, der sich inter-nalisiert hat und zum Selbstläufer wird (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 120). Der Held ist nach außen hin sehr erfolgreich und sorgt mit super Noten oder tollen sportlichen Leistungen für ein Wertgefühl in der Familie. Die Eltern sind stolz auf seine Leistun-gen und loben ihn. Die positive Aufmerksamkeit ist ihm in solchen Momenten sicher. Daher strengt der Held sich immer mehr an um an die Erfolge anzuknüpfen und den Selbstwert seiner Familie zu befriedigen. Er sieht es als seine persönliche Pflicht und Verantwortung an für seine Familie zu sorgen, ihr Leiden aufzufangen und sie zu

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Der enabler (Zuhelfer) der nach Wegscheider ebenfalls zu den typischen Rollen im alkoholkranken Familien-system zählt (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 96), wird hier nicht mit aufgeführt, da es sich hierbei meist um eine co-abhängige Person handelt. Diese Problematik wird in Kapitel 4.2.1. aufgefasst.

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ten. Diesem Traum jagt er sein Leben lang hinterher (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 112f). Leider vergisst der Held auf diesem Weg sich selbst. Für seine eigenen Gefühle und die Entwicklung eines eigenen Selbstwertgefühls ist in seiner Welt kein Platz. Zudem läuft der Held Gefahr sich selbst zu überfordern, da er stets nach Erfolg jagt. Hinter seiner Rolle verstecken sich Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle. Er fühlt sich schuldig, weil er es niemals schaffen kann, seine Familie zu retten und weil es ihm gelingt, sich in Erfolgssituationen gut zu fühlen, während es seiner Familie doch so schlecht geht. Neben diesen Schuldgefühlen ist der Held zudem wütend. Wütend darauf, dass er sich so anstrengen muss (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 116ff). x Das schwarze Schaf: Die Rolle des schwarzen Schafes, oder auch dem Sündenbock,

wird in der Regel vom zweitgeborenen Kind übernommen. Das schwarze Schaf muss erfahren, dass es nicht mit dem Helden mithalten kann und muss lernen mit dieser Frustration umzugehen. Anstatt diese anzusprechen, entscheidet sich das schwarze Schaf für die Flucht nach vorne. Es zieht sich aus der Familie zurück und geht seinen eigenen Weg. Dieser wird ihn auf der Suche nach der elterlichen Aufmerksamkeit zu Maßnahmen zwingen, die ihm diese Befriedigung versprechen. Dass es sich dabei zumeist um negative Aufmerksamkeit handelt ist ihm egal. Das schwarze Schaf be-ginnt z.B. Drogen zu nehmen, zu klauen, wird ungewollt schwanger o.ä. Jede noch so negative Beachtung ist ihm lieber als gar keine. Während es sich nach außen hin kaum um seine Familie zu kümmern scheint, so bemüht es sich in Wirklichkeit auf seine Weise um sie. Es fühlt sich im Stich gelassen (vgl. Wegscheider 1988 S. 124f). Das schwarze Schaf fühlt sich tief verletzt und ist sehr wütend: auf seine Familie, auf die ganze Welt und zuletzt immer auf sich selbst. Denn auch wenn das schwarze Schaf anscheinend alle gesellschaftlichen Prinzipien über Bord geworfen hat, so sind sie tief in ihm noch immer fest verankert und es ist sich seines grenzüberschreitenden Verhal-tens mehr als bewusst (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 129).

x Das stille Kind: Bei dem stillen Kind handelt es sich zumeist um das drittgeborene Kind. Es ist meist noch jung und begreift noch nicht genau, welche Probleme in der Familie vorherrschen. Niemand erklärt ihm die Situation und nachzufragen traut sich das stille Kind meist nicht. Das stille Kind ist sehr verwirrt, weil es nicht versteht was vor sich geht. Da es aber aufgrund der ungeschriebenen Regeln weiß, dass ein offenes Gespräch nicht möglich ist, bleibt er mit dieser Verwirrung allein. Die Folge davon ist, dass es sich in sich kehrt, sich zurückzieht und zum Einzelgänger wird. Er sorgt also für sich selbst und fühlt sich allein wohler als in der undurchsichtigen Familie, in der

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er sich sowieso als Außenseiter wahrnimmt und ebenfalls einsam ist. Durch dieses Verhalten schafft es das stille Kind sich vor negativen Folgen zu schützen, indem es seiner Umwelt unzulänglich bleibt. Auch den Eltern scheint es ganz recht zu sein, dass ihr Kind so ruhig ist. So baut das stille Kind einen Schutzwall auf, der ihn von der Familie trennt. Somit verliert er jedoch auch jeglichen positiven Kontakt zu der Fami-lie und fühlt sich ihr immer fremder. Seine Eltern interessieren sich kaum für das stille Kind und befriedigen keines seiner kindlichen Bedürfnisse. Es flüchtet sich nun in ei-ne Scheinwelt, in der zumindest für eiei-ne Zeit lang alles gut zu sein scheint. Trifft es jedoch, z.B. beim Schuleintritt auf andere Menschen und wird mit der Realität kon-frontiert, ist es vollkommen überfordert und reagiert erneut mit Rückzug, da es sich fremd fühlt (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 136f). Die Hauptgefühle des stillen Kindes sind Einsamkeit und damit einhergehend Trauer, Verwirrung und Angst (vgl. Weg-scheider, S. 1988 S. 142).

x Der Clown: Bei dem Clown handelt es sich in der Regel um das jüngste Kind, die Rolle kann aber auch von einem kranken Kind oder z.B. dem einzigen Mädchen in der Familie eingenommen werden. Der Clown wird von der Familie als das schwächste, zarteste und unreifste Kind wahrgenommen. Aus dem Grund wollen die Eltern es vor dem Unheil, bzw. der Realität in der Familie schützen und fernhalten. Das Kind be-kommt kaum eine Auskunft über die Probleme in der Familie. Selbst wenn es sich traut zu fragen, werden die Eltern ausweichend oder beschönigend antworten oder die Probleme ggf. sogar verleugnen. Aber auch wenn das Kind noch nicht verstehen kann, was in der Familie passiert, so sieht und merkt es, dass etwas nicht stimmt. Es fühlt sich verunsichert und beängstigt, obwohl es nicht benennen kann, vor was es Angst hat. Es weiß nur, dass es etwas mit seiner Familie zu tun hat. Da es jedoch nicht über diese Angst sprechen kann, bzw. die Angst von der Familie abgetan wird, wird es noch unsicherer und befürchtet verrückt zu werden. All diese aufgestaute Angst ver-setzt den Clown in Spannung. Und er lernt früh, wie er diese Spannung ablassen und damit Aufmerksamkeit bekommen kann. Der Clown beginnt Späße und Faxen zu ma-chen, bringt die anderen zum Lachen und erhält somit seine gesuchte Aufmerksam-keit, die er so dringend sucht. Nebenbei konzentrieren sich die Familienangehörigen in diesen Momenten auf ihn und können ihre Probleme vergessen. Es ist zu betonen, dass diese Aufmerksamkeit nicht immer positiv sein muss, auch negative Reaktionen auf sein Verhalten können auftreten. Ob er die Familie jedoch amüsiert oder aufregt, sein Verhalten erfüllt immer den Zweck Aufmerksamkeit zu bekommen und die Familie

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von ihren Problemen abzulenken, da der Clown nicht zu übersehen ist. Der Clown weiß, wie er andere ermuntern kann. Dabei setzt er jedoch selbst kein echtes Lachen auf, sondern verbirgt sein wahres Gesicht stets hinter einer Maske (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 148ff). Da der Clown stets von allen als klein und unreif gesehen und be-handelt wird, wird er auf diese Rolle beschränkt, was ihn in seiner persönlichen Ent-wicklung hemmen kann. Das Hauptgefühl, dass hinter dem Verhalten des Clowns steckt ist immer die Einsamkeit (vgl. Wegscheider, S. 1988 S. 152ff).

Die Ausprägung solcher Rollen kann maßgeblich für die weitere Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sein. Ebenso kann das Erleben und Zusammenleben mit einem oder mehreren alkoholkranken Elternteil/en ursächlich für verschiedene Symptomatiken sein. Auf diese soll im Folgenden näher eingegangen werden.

3.2.1. Co-Abhängigkeit

Der Begriff der Co-Abhängigkeit beschreibt den Zustand von Personen, welche mit einem bzw. einer Süchtigen zusammenleben oder eine enge Beziehung zu ihm/ihr pflegen und daher eine Beeinträchtigung der Sucht erleben. Dies können zum einen Partner, aber auch Kinder oder Kollegen sein. Der Begriff der Co-Abhängigkeit beschreibt zum einen jegliches Verhal-ten, welches die Sucht des süchtigen Menschen aufrechterhält, zum anderen gilt sie selbst auch als eigenständiges Krankheitsbild mit eigenen Symptomen (vgl. Rennert, M. 2012 S.120).

Im Falle einer Co-Abhängigkeit rücken beide Partner eng zusammen, bis hin zur Identifikati-on. Sie errichten nach außen hin eine Schutzfassade, hinter dessen Mauer niemand schauen soll wie es innen wirklich aussieht. Diese Mauer kann bis zu einer Verleugnung der Wirklich-keit führen, welche wiederum eine Isolation mit sich zieht. Der Angehörige neigt dazu sich selbst und seine Bedürfnisse komplett aufzugeben und wird zu einem Verbündeten des Ab-hängigen, was ihn zu einem ‚doppelten Teilhaber‘ der Krankheit werden lässt. Einerseits ‚kriegt er seinen Teil ab‘, da er das Leid ertragen muss, andrerseits trägt er seinen Teil dazu bei, dass die Krankheit aufrechterhalten wird. Das vorrangige Ziel des Angehörigen ist es hierbei durch Verantwortungsübernahme und andere Maßnahmen die negativen Folgen des Suchtverhaltens abzumindern. Dies wiederum treibt jedoch den Suchtvorgang voran, da dem Suchtkranken die negativen Aspekte abgenommen werden. Der Partner schafft es also nicht nur sich selbst, sondern auch den erkrankten Partner zu täuschen um ihnen beiden den Schmerz zu ersparen. Durch die Kontrolle und die Verantwortung die der Angehörige ausübt,

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fühlt sich dieser bestärkt und wichtig für den anderen. Auch dies unterstützt in hohem Maße die Abhängigkeitsstruktur in der sich bereits beide befinden. Eine positive Weiterentwicklung für beide Partner wird somit unmöglich (vgl. Aßfalg, R. 2006 S. 19ff).

Es lassen sich folgende Verhaltensweisen von co-abhängigen Personen zusammenfassen: x Übermäßige Verantwortung für den Abhängigen übernehmen

x Das Verhalten des Abhängigen trotz offener Widersprüche und Inkonsistenzen ent-schuldigen und rechtfertigen

x Dem Abhängigen Belastungen abnehmen oder ersparen wollen x Permanente und bisweilen exzessive Kontrolle ausüben

x Den Abhängigen zwanghaft von Alkohol, Kauforten und Trinkanlässen fernhalten x Den Abhängigen beim Lügen ertappen wollen und ihn bekehren wollen

x Selbst unaufrichtig dem Abhängigen, anderen Personen oder sich selbst gegenüber sein, was Tatsachen und Gefühle bezüglich der Abhängigkeit und der eigenen Rolle betrifft

(Klein, M. 2005 S. 64f)

Auch wenn es sich bei dem co-abhängigen Part häufig um den Ehepartner handelt, so können auch Kinder co-abhängig werden und dem stereotypen Bild einer Co-Abhängigkeit entspre-chen. Natürlich ist jedes Kind individuell und die Co-Abhängigkeit kann sich in ihren Aus-prägungen unterscheiden. Dennoch durchlaufen auch sie im Zuge der Abhängigkeitsentwick-lung einen Veränderungsprozess, der bewirken kann, dass sie eine Co-Abhängigkeit entwi-ckeln. Häufig handelt es sich hierbei um das älteste Kind, dass bereits gelernt hat, dass es sich auf seine Eltern nicht verlassen kann. Es fühlt sich für die Familie verantwortlich und möchte nicht nur dem süchtigen Elternteil, sondern auch dem anderen eindeutig überforderten Eltern-teil helfen. Er beginnt die Bedürfnisse der Familie zu befriedigen ohne dabei auf seine eige-nen Gefühle zu achten. Häufig werden sie zu einer Art Ersatzpartner/in und sind mit dieser Rolle jedoch vollkommen überfordert. In ihrer gut gemeinten Funktion, halten sie jedoch ebenfalls die Sucht aufrecht, da keine Konfrontation stattfindet. Da sie den Eltern das Leben in gewisser Weise erleichtern werden sie für dieses, suchtaufrechterhaltende, Verhalten be-stärkt und übernehmen es oft bis ins Erwachsenenalter, in dem sie noch immer die bewährte helfende Struktur beibehalten (vgl. Rennert, M. 2008 S. 68f).

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Bei Kindern können sich diese Problemlösestrategien in der Entwicklung manifestieren und zu kognitiven Oberplänen werden, welche in der weiteren Verhaltensentwicklung fest veran-kert werden. Solche Oberpläne können z.B. sein ‚Ich muss immer lieb sein‘, ‚Ich muss meine eigenen Bedürfnisse zurückstellen‘, ‚Ich bin hier nicht wichtig‘ oder ‚Das Leben ist bedroh-lich und gefährbedroh-lich‘. Solche Oberpläne können im weiteren Leben als Auslöser für psychi-sche Erkrankungen wie z.B. Depressionen verantwortlich sein. (vgl. Redecker, T. 2004 S. 31f)

3.2.2. Bindungsstörungen

Um die Entstehung von Bindungsstörungen nachzuvollziehen, ist es wichtig den Blick auf die frühen Bindungserfahrungen zu lenken. Bowbly beschrieb, dass das Bindungssystem zu dem Zeitpunkt der zweiten Phase der Bindung auf bestimmten ‚Sollwerten‘ beruht. Was bedeutet, dass Mutter und Kind im regelmäßigen Austausch sein müssen um die Bedürfnisse des Säug-lings gerecht zu befriedigen. ‚Sollwerte‘ des Babys sind in diesem Fall, dass es nahe genug bei seiner Mutter bleiben möchte, da sie als sichere Basis gesehen wird und dass es Protest gegen eine Trennung mit dieser zeigt und dass das Kind Gefahren mitteilt, wenn es nötig wird. Im gewünschten, und für die Bindungsentwicklung bestmöglichen, Falle ist die Bin-dungsfigur ausreichend nahe beim Kind, reagiert optimal auf dieses und ist ihm gegenüber positiv und aufmerksam eingestimmt. Sind diese Faktoren gegeben und ausreichend erfüllt, so ist davon auszugehen, dass das Kind sich in Sicherheit und geliebt fühlt und in der Lage ist, Selbstvertrauen aufzubauen. Daraufhin wird es verspielt sein, viel lächeln, seine Welt erkun-den, sowie gesellig werden. Im gegensätzlichen Falle, wenn die Bindungsfigur nicht ausrei-chend nahe, reaktiv und eingestimmt ist, kann es zu zweierlei Reaktionen kommen. Die feh-lende Nähe, Reaktion oder Eingestimmtheit der Bindungsperson kann entweder Angst und Sorge in dem Kind auslösen oder aber eine Abwehrhaltung hervorrufen. Diese kann sich ent-weder in einer Vermeidung, Achtsamkeit oder Misstrauen äußern oder aber durch Ambiva-lenz, Klammern und Zorn ausgedrückt werden (vgl. Holmes, J. 2006 S. 96ff). Es ist hierbei ausdrücklich zu betonen, dass die Nicht-Verfügbarkeit nicht ausschließlich durch Abwesen-heit der Bezugsperson gekennzeichnet ist. Auch wenn die Person in der Nähe ist, jedoch die Bindungssignale nicht wahrnimmt, sei es weil sie es nicht kann oder will, ist sie in diesem Moment nicht für das Kind verfügbar (vgl. Schleiffer, R. 2001 S. 35).

Werden diese Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt, kann es zu einer unsicheren Bindung und damit einhergehend zur Entwicklung von internen Arbeitsmustern kommen, die sich ne-gativ auf den weiteren Verlauf des Lebens auswirken. Das Muster einer unsicheren Bindung,

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zeigt sich anhand eines internen Arbeitsmodells, welches sich selbst als unwürdig, geliebt zu werden und andere als unzulässig und abweisend wahrnimmt. Infolgedessen kann es zum Klammern der Person an den andern oder zu Manipulationen durch andere kommen, wobei letztere das Selbstbild der Person stärken (vgl. Abbildung Holmes, J. 2001 S. 101f).

Liegt eine vermeidende Bindung vor, so versucht das Kind stets seine eigenen Bedürfnisse nach Bindung zu minimieren um einer Zurückweisung zu entgehen. Das Kind hält dennoch einen entfernten Kontakt zu der Bindungsperson aufrecht, stellt jedoch keine Erwartungen an die Bedürfnisbefriedigung. Hierbei wird die Ablehnung der Bezugsperson kategorisch aus dem Bewusstsein gelöscht. Den Vorgang dieses Löschens der Ablehnung, sowie der eigenen Bedürfnisse, bezeichnet Bowbly als defensive Exklusion. Das Kind versucht hier also jegliche Faktoren der Ablehnung zu vermeiden, indem es versucht den Ansprüchen der Bezugsperson gerecht zu werden ohne seine eigenen Bedürfnisse einzufordern (vgl. Holmes, J. 2001 S. 101). Die vermeidende Bindung ist damit in Zusammenhang zu bringen, dass die Bindungs-personen trotz eventueller Wahrnehmung nicht auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen. Sei-ne Bitten nach Zuwendung und Aufmerksamkeit werden schlichtweg ignoriert oder zurück-gewiesen (vgl. Pönsch, C. 2012 S. 122f).

Bei einer ambivalenten Strategie hingegen, klammert sich das Kind regelrecht an der Bezugs-person fest. Oft ist dieser Vorgang geprägt von einer starken Unterwürfigkeit des Kindes ge-genüber der Bezugsperson. Es kann auch zu einem Rollentausch kommen, in welchem das Kind für die Bindungsperson sorgt, anstatt umgekehrt. Bezeichnend ist hier, dass Gefühle der Wut der defensiven Exklusion ausgesetzt und dementsprechend nicht gerecht bearbeitet wer-den können (vgl. Holmes, J. 2001 S. 101). Es ist nachgewiesen worwer-den, dass diese Strategie in Verbindung mit einer unzuverlässigen und unvorhersehbaren Betreuung in den ersten Le-bensmonaten des Kindes zusammenhängt. Die Bindungspersonen können zwar prinzipiell anwesend und feinfühlig sein, nur hat ihre Fürsorge keine Konstanz und ist für das Kind nicht vorhersehbar und sicher, da die Bindungspersonen sich eher von ihren eigenen Belangen lei-ten lassen, als von den Bedürfnissen des Babys (vgl. Pönsch, C. 2012 S. 122). Im Falle einer Alkoholabhängigkeit könnte dies z.B. das Bedürfnis nach Suchtbefriedigung sein, welches für den alkoholabhängigen Elternteil höchste Priorität hat.

Die unsicher-desorientierte Strategie (auch desorganisierte Bindung) kann im Gegensatz zur vermeidenden oder ambivalenten Bindung auch neben einer sicheren oder unsicheren Bin-dung auftreten. Es zeichnet sich durch keine kategorisch nachvollziehbaren Strukturen aus. Es

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eine ist jedoch festzuhalten, dass Kinder, die über desorganisierte Bindung verfügen, eine Stabilität von Verhaltensweisen zeigen, die nicht personenspezifisch ist und sich daher über die Bindungsperson hinweg setzt. Sie verfügen zum Teil über widersprüchliche Verhaltens-weisen, können Angst vor der Bindungsperson zeigen, in ihren Bewegungen erstarren, Zei-chen von Desorganisation, wie zielloses Umherwandern oder aber auch bestimmte stereotype Bewegungen, wie Hin- und Herschaukeln aufweisen. Dem Kind gelingt es weder die Bin-dungsperson zu meiden, noch bei ihr Trost zu suchen. Es kann zudem Aggressionen gegen eine schützende Person hegen oder eher Zuflucht bei Fremden, als bei der Bindungsperson suchen. Es besteht teilweise eine hohe Widersprüchlichkeit im Verhalten, dass darauf schlie-ßen lässt, dass mehrere Verhaltenssysteme gleichzeitig aktiviert, nicht aber miteinander ver-einbar sind. Es kann sich hierbei um ein inneres Konfliktverhalten handeln, dass von einer großen Furcht ausgelöst wird (vgl. Pönsch, C. 2012 S. 34). Dieser Bindungsstil resultiert oft-mals aus mehreren Erfahrungen der Trennung, Konflikte zwischen den Eltern, schwerer Ver-nachlässigung oder Misshandlung. Es wird in diesem Zusammenhang auch von einer Bin-dungstraumatisierung gesprochen, dessen Auslöser u.a. eine Alkoholabhängigkeit der Be-zugsperson sein kann. Die Bindungsperson verängstigt das Kind entweder mit ihren Verhal-tensweisen oder zeigt eigene Ängste vor dem Kind. Dies bedroht den Aufbau einer organisier-ten Bindung extrem, da dem Kind ein Orientierungspunkt in dem Bindungssystem fehlt. Die Verhaltensweisen der Bindungsperson erscheinen dem Kind als unverständlich und sinnlos. Die Herausbildung eines eigenen Erwartungsmuster und der Vorgang der Mentalisierung werden behindert, da das Kind das Verhalten der Eltern nicht verstehen kann und es ihm auf-grund dessen schwerfällt, sich selbst und seine eigenen Handlungen zu verstehen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass eine desorganisierte Bindung ein desorganisiertes Selbst impliziert und als beginnende Form der Psychopathologie verstanden werden kann (vgl. Pönsch, C. 2012 S. 123f).

Entscheidend für die Entstehung einer hochunsicheren Bindung ist nach Pönsch die Anhäu-fung und Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Die Alkoholabhängigkeit allein muss kein ausschlaggebender Faktor für eine hochunsichere Bindung sein. Fehlt aber jegliche Kompen-sationen, oder es treten weitere Umstände, wie z.B. soziale Belastungen in der Familie auf, so liegt die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer hochunsicheren Bindung beim Kind von alkoholkranken Eltern bei 43% (vgl. Pönsch, C. 2012 S. 125).

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3.2.3. Traumatische Erlebnisse

Oftmals hinterlassen die Erfahrungen und Erlebnisse, die den Kindern in der suchtkranken Familie erfahren, tiefe Wunden, die als traumatisch beschrieben werden können und haben so einen maßgeblichen Einfluss auf das weitere Leben der Kinder (vgl. Barnowski-Geiser, W. 2015 S. 69).

Lutz Besser versteht unter einem Trauma „plötzliche oder langanhaltende oder auch sich wie-derholende objektiv und subjektiv existenziell bedrohliche und auswegslose Ereignisse, bei denen Menschen in die Schutzlosigkeit der ‚Traumatischen Zange‘ geraten“ (Besser, L. zit. nach Scherwath, C./Friedrich, S. 2014 S. 18). Es wird deutlich, dass das subjektive Erleben bei einem Trauma eine wichtige Rolle spielt. Der Mensch befindet sich in einer für ihn extrem bedrohlichen Situation, die er nicht im Rahmen seiner üblichen Bewältigungsstrategien lösen kann. Es folgt daraufhin eine große Angst und Hilflosigkeit die so stark ist, dass das Verarbei-tungs- und Selbstwirksamkeitsvermögen außer Kraft gesetzt wird. Der Körper setzt ein Not-fallprogramm in Gang, welches dem Überleben dient. Der Mensch kann entweder flüchten oder kämpfen. Gelingt ihm dies, so kann eine Traumatisierung verhindert werden. Kann je-doch keine der beiden Optionen verwirklicht werden, entsteht für den Menschen die traumati-sche Situation, aus der er kein Entkommen sieht. Er kann ihr real also nicht entkommen und befindet sich nun in der von Basser beschriebenen ‚traumatischen Zange‘. Die einzige Mög-lichkeit die dem Gehirn des Menschen bleibt um das Überleben zu sichern, ist eine Verände-rung der Wahrnehmung, die häufig mit dem ‚Freeze‘ (Einfrieren) einhergeht und dem Men-schen eine innerliche Distanz zu dem Geschehen ermöglicht. Der Körper kann in eine Unter-werfungsreaktion wechseln oder andere dissoziative Verhaltensweisen können ausgelöst wer-den (vgl. Scherwath, C./Friedrich, S. 2014 S. 18ff).

Frühe traumatische Belastungen, wie z.B. die Sucht und damit einhergehende familiäre Struk-turen, die bis zur Vernachlässigung oder Misshandlung führen können, können schwerwie-gende Folgeerscheinungen nach sich ziehen. Sie zerstören in ihrem Vorhandensein normale psychische, körperliche und physiologische Reaktionen sowie Zukunftserwartungen und kön-nen auch erlernte Handlungsfähigkeiten bedrohen. Ein Kind, das ein psychisches Trauma er-litten hat, kann in den meisten Fällen kaum Vertrauen zu anderen Menschen fassen und wird daraufhin von Gefühlen der Angst und Hilflosigkeit überwältigt. In welchem Ausmaß sich ein solches Trauma auf die weitere Entwicklung des Kindes auswirkt, hängt maßgeblich von den persönlichen Bedingungen und Ressourcen des Kindes, aber auch von der sozialen Umwelt ab (vgl. Streeck-Fischer, A. 2014 S. 2f).

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Waltraut Barnowski-Geiser beschreibt diese Traumatisierungen als ‚Die sieben Wunden der Suchtkinder‘. Hierbei wird z.B. die Täuschung in Suchtfamilien aufgeführt, die oft maßgebli-che Folgen für die Wahrnehmung der Kinder haben kann. Die Tarnung und Täuschung der Suchtkrankheit aufgrund von Schamgefühlen, kann zur Folge haben, dass die Kinder die Täu-schung internalisieren und demnach kaum noch zwischen richtig und falsch unterscheiden können (vgl. Barnowski-Geiser, W. 2015 S. 69f). Weitere Wunden sind unter anderem die Isolation der Suchtkinder, die stets unentdeckt gelitten und ihre Gefühle für sich behalten ha-ben (vgl. Barnowski-Geiser, W. 2015 S. 72ff). Auch die Verstrickung mit einem Elternteil und einer damit einhergehenden Parentifizierung kann als traumatisch erlebt werden, da sie als Partnerersatz emotional missbraucht werden und so in die gestörte Beziehung und Dyna-mik verstrickt sind, dass es ihnen sehr schwer fällt aus dieser auszubrechen. Eine solch ver-strickte Beziehung kann sowohl zu dem abhängigen, als auch dem nicht-abhängigen Elternteil eingegangen werden (vgl. Barnowski-Geiser, W. 2015 S. 78f). Weitere Traumatisierungen können die emotionale Leere innerhalb der Familie, die erlebte Heimatlosigkeit, sowie die häufig stattfindende Entwertung durch die Eltern sein (vgl. Barnowski-Geiser, W. 2015 S. 78-91).

3.2.4. Entwicklung psychischer Erkrankungen

Kinder aus alkoholbelasteten Familien weisen in vielen Fällen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Krankheiten auf. Auch das Einnehmen einer Rolle, mit der sie ver-suchen, sich an die Gegebenheiten im Haushalt anzupassen kann sie hier vor nicht wahren. (vgl. Zobel, M. 2008 S, 48). Studien belegen, dass das Risiko für Kinder alkoholkranker El-tern ebenfalls eine Suchterkrankung zu entwickeln, um das Sechsfache höher einzuschätzen ist als bei Kindern nicht alkoholkranker Eltern. Somit sind die Kinder aus alkoholkranken Familien als die größte Risikogruppe für Suchterkrankungen zu beschreiben (vgl. Klein, M. 2005 S. 25). In einem solchen Fall wird von einer homopathologischen Transmission, also der Weitergabe der gleichen Störung auf die nächste Generation gesprochen (vgl. Klein, M. 2005 S. 20). Aber auch das Risiko eine andere psychische Krankheit, wie Angststörungen oder De-pressionen, zu entwickeln ist bei Kindern von alkoholkranken Eltern erhöht. Es wird in die-sem Falle von einer heteropathologischen Transmission gesprochen. Da jedoch nicht alle Kinder alkoholkranker Eltern psychische Auffälligkeiten entwickeln, ist davon auszugehen, dass es verschiedene Muster der Transmission gibt, dessen Faktoren zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht genau benannt werden können. Es ist jedoch anzumerken, dass bei der Transmission eine Vielzahl von pathogenen und protektiven Faktoren eine Rolle spielt (vgl.

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